PhilosophiePhilosophie

ESSAY

Ivo Wallimann-Helmer:
Gerechte Verteilung von Klima- und Umweltrisiken. Ein Vorschlag

aus: Heft 4/2021, S. 8-19
 
 
Demokratische Beteiligung als zentrales Element
 
Umweltherausforderungen beinhalten Risiken. Sie reichen von Schäden und Verlusten an materiellen und immateriellen Gütern bis hin zu Beeinträchtigungen der Gesundheit und Todesfällen. Die Gefahr von Murgängen bedeutet ein erhöhtes Risiko für die exponierten Hauseigentümer. Überschwemmungen können Kulturgüter unwiederbringlich schädigen. Erhöhte Abgaswerte sind eine Gefahr für die Gesundheit, insbesondere von Kleinkindern. Klimabedingte Hitzewellen erhöhen die Todesraten.
 
In den meisten Fällen lassen sich solche Risiken nur minimieren, nicht aber voll und ganz vermeiden. Insbesondere wenn es um Schutz- und andere Anpassungsmaßnahmen geht, verhandelt die Umweltpolitik deshalb immer auch den fairen Umgang mit Risiken. Da Risiken in den wenigsten Fällen unter allen potentiell Betroffenen gleich verteilt werden können, geht es in diesen Verhandlungen um die gerechte Verteilung von Umweltrisiken bzw. um die faire Differenzierung der Verantwortlichkeiten bei Investitionen in Schutz- und Anpassungsmaßnahmen.
 
Dabei ist die demokratische Beteiligung aller direkt Betroffenen von zentraler Bedeutung. Dies hat zwei Gründe:
 
● Die Instanz, gegenüber der der Umgang mit Klima- und Umweltrisiken gerechtfertigt werden muss, sind im Endeffekt die direkt Betroffenen selbst. Nur sie können beurteilen, wie die Auswirkungen erhöhter Risiken auf ihre Lebensumstände zu bewerten sind und wie sie für ein erhöhtes Risiko allenfalls entschädigt werden müssen.
 
● In vielen Fällen ist eine gerechte Verteilung von Klima- und Umweltrisiken aus technischen Gründen, aus Sicherheitsbedenken und aus Effizienzüberlegungen heraus kaum möglich. Der Einbezug aller von Klima- und Umweltrisiken stärker Betroffenen kann deren ungleiche Verteilung zwar nicht rechtfertigen, aber zumindest legitimieren.
 
Mit Blick auf die internationale Klima- und Umweltpolitik ist vor diesem Hintergrund von zentraler Bedeutung, dass die einzelnen Nationalstaaten nicht der notwendigen Vor-aussetzungen beraubt werden, um ihre Bürgerinnen und Bürger angemessen in politische Prozesse einzubinden. Denn können Nationalstaaten dies nicht mehr gewährleisten, dann laufen sie Gefahr, ihre Verantwortungsfähigkeit zu verlieren. Dies gilt sowohl für ihre Verantwortung gegenüber der globalen Staatengemeinschaft als auch gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern.
 
Verantwortung für Umweltrisiken
 
In der internationalen Umweltpolitik spielt das Prinzip der „Common but Differentiated Responsibilities” spätestens seit der Rio Declaration der United Nations (UN) von 1992 eine zentrale Rolle. In der Rio Declaration wird unter Prinzip 7 festgehalten, dass die unterschreibenden Staaten eine gemeinsame, aber zu differenzierende Verantwortung für den Schutz und zur Wiederherstellung der Gesundheit und der Integrität des Ökosystems der Erde besäßen. Dieses Prinzip wurde in anderen Beschlüssen an der Rio-Konferenz und später in verschiedenen weiteren UN-Dokumenten, insbesondere zum Klimawandel, wiederholt.
 
Mit der Nennung dieses Prinzips gehen meist zwei Aspekte der Zuschreibung von Verantwortung einher, die für die Differenzierung der Verantwortlichkeiten und deren Fairness von weitreichender Bedeutung sind. Zum einen sollen die Verantwortlichkeiten für den Klima- und Umweltschutz gemäß dem historischen Beitrag einzelner Nationalstaaten zu Klima- und Umweltrisiken differenziert werden. Zum anderen sind die finanziellen und technologischen Möglichkeiten der einzelnen Staaten für die Differenzierung der Verantwortlichkeiten von Bedeutung. Diese beiden Aspekte rücken zwei Formen der Verantwortungszuschreibung ins Zentrum, die nicht notwendigerweise zusammenfallen müssen.
 
● Der erste Aspekt umfasst die Ergebnisverantwortung. Verantwortung wird retrospektiv für die Verursachung eines bestimmten Schadens oder Verlustes bzw. für die Entstehung oder Verstärkung eines Risikos zugeschrieben. Staaten, die z. B. durch ihre Emissionen mehr zu Umweltschäden und -risiken beitragen oder beigetragen haben, stehen stärker in der Pflicht, diese Schäden zu beheben oder zur Minimierung entsprechender Risiken beizutragen. Im Fall des Klimawandels bedeutet dies etwa, die eigenen Emissionen schneller zu reduzieren oder zusätzliche finanzielle Mittel für Anpassungsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen.
 
● Der zweite Aspekt ist prospektiv und wird als Beseitigungsverantwortung bezeichnet. Wer immer von seinen Fähigkeiten bzw. Möglichkeiten her dazu in der Lage ist, muss im Fall von misslichen Umständen die Verantwortung für deren Behebung übernehmen. Staaten, die über die finanziellen oder technologischen Mittel verfügen, stehen stärker in der Pflicht, überschwemmungsgefährdete Regionen entweder finanziell oder mit Know-How zu unterstützen. Einem Nationalstaat, dessen Bürgerinnen und Bürger im Luxus leben, kann ohne weiteres die Reduktion seiner kumulierten Emissionen aufgebürdet werden. Anders sieht es bei ökonomisch schwächeren Staaten aus.
 
 
Es scheint intuitiv plausibel, dass diejenigen am ehesten die Verantwortung für die Behebung bzw. Minimierung eines Schadens,
eines Verlustes oder eines Risikos übernehmen müssen, die zu deren Entstehen beigetragen haben. Hält man allerdings Ergebnis- und Beseitigungsverantwortung auseinander, dann lassen sich mindestens drei Argumente angeben, warum nicht immer den Verursachern die alleinige und ausschließliche Verantwortung für die Beseitigung oder Minimierung von Klima- oder Umweltrisiken bzw. den daraus folgenden Schäden und Verlusten zugeschrieben werden sollte.
 
● Erstens, es ist häufig effizienter und fairer, von denjenigen Hilfeleistungen zu fordern, die auch tatsächlich über die entsprechenden Kompetenzen und Ressourcen verfügen. Im Gegensatz hierzu wird in der Klimapolitik häufig gefordert, dass die Verursacher des Klimawandels stärker in die Pflicht zu nehmen seien. So forderte China von den entwickelten Industrienationen lange einen größeren Einsatz für den Klimaschutz. Gleichzeitig verlangte China, keine Emissionen reduzieren zu müssen, weil sein Beitrag zum Klimawandel in der Vergangenheit verschwindend gering war. Ähnlich argumentieren auch heute noch die Mitglieder der Alliance of Small Island States (AOSIS), wenn es um den Umgang mit der aufgrund des Klimawandels erhöhten Überflutungsgefahr ihrer Inseln geht. Sie nehmen die Industrienationen in die Verantwortung und fordern von ihnen entsprech­ende Unterstützung für Anpassungsmaßnahmen.
 
Doch gerade bei der Unterstützung von Anpassungsmaßnahmen scheint es häufig effizienter, in erster Linie diejenigen zu verpflichten, die auch tatsächlich über entsprechende Kompetenzen und Erfahrungen verfügen. Es sind deshalb nicht undifferenziert alle Industrienationen, denen dieselbe Beseitigungsverantwortung zukommt. Je nach ihren Kompetenzen entstehen einer Industrienation andere Verantwortlichkeiten. Diese können reine Geldzahlungen umfassen, aber auch den Transfer von Technologie und Know-How. Dies gilt auch für Entwicklungsländer. Insofern solche Länder gemeinsame Erfahrungen teilen, scheint es effizienter, auf wechselseitige Unterstützung unter Entwicklungsländern abzustellen.
 
Sind deshalb die notwendigen infrastrukturellen und institutionellen Voraussetzungen gegeben, dann sind gemäß empirischen Studien sowohl die Implementierung als auch der Unterhalt von Maßnahmen zur Minimierung von Umweltrisiken effizienter und effektiver, wenn die direkt Betroffenen in die Umsetzung einbezogen sind. Hierfür müssen aber die notwendigen Kompetenzen vorhanden sein. Gleichzeitig setzt dies voraus, dass die dazu nötigen finanziellen und weiteren materiellen Ressourcen verfügbar sind. Die von Klima- und Umweltrisiken direkt Betroffenen werden idealerweise soweit unterstützt, dass sie die Verantwortung für die Implementierung und den Unterhalt der Schutzmaßnahmen möglichst selbst übernehmen können.
 
Eine weitere normative Überlegung ist von zentraler Bedeutung: Wenn jemand in eine Notlage gerät, dann sind wir verpflichtet zu helfen und zwar unabhängig davon, ob wir zu dieser Notlage beigetragen haben oder nicht. Betrachtet man etwa die Risiken, denen AOSIS-Staaten angesichts des Klimawandels gegenüberstehen, dann scheint es angemessen, von einer Notlage zu sprechen. Aufgrund des vorausgesagten, ansteigenden Meeresspiegels sind viele Küsten dieser Staaten von starker Erosion betroffen und werden je nach Höhe des Anstiegs im Meer versinken. Die Folgen davon sind massive Schäden und Verluste an urbarem Land, Kulturstätten und mancherorts sogar der Möglichkeit eines souveränen Staates selbst.
 
Auch wenn dies nur langsam geschieht, führen diese Folgen für die Bürgerinnen und Bürger dieser Regionen früher oder später zu Notlagen, die Unterstützung nötig machen. Am besten wird deshalb bereits heute etwas unternommen, damit die benötigte Infrastruktur und die nötigen Ressourcen bei Eintreten der Schäden und Verluste zur Verfügung stehen. Dabei ist zunächst irrelevant, wer diese Notlagen verursacht hat. Viel wichtiger ist zeitnahe, effiziente und effektive Unterstützung.
 
● Zweitens, die Zuschreibung von Ergebnisverantwortung beschränkt die Pflicht zu Hilfeleistungen auf den tatsächlich anthropogen verursachten Anteil der Klima- und Umweltrisiken. Zieht man für die Differenzierung der Verantwortlichkeiten in Notlagen deshalb einzig die Ergebnisverantwortung heran, dann gerät nur derjenige Teil der Schäden, Verluste oder Risiken in den Fokus, der anthropogen verursacht ist. Für alle natürlich entstandenen negativen Auswirkungen von Umweltveränderungen kann mit Verweis auf deren Verursachung demgegenüber niemand zur Verantwortung gezogen werden.
 
Denn steht einzig die Verursachung von Notlagen im Fokus, dann sind die entsprechend differenzierten Verantwortlichkeiten auch nur auf die menschengemachten negativen Effekte beziehbar. Aus diesem Grund ist es plausibler, gerade in Notlagen eine Differenzierung von Verantwortlichkeiten ins Feld zu führen, die nicht einzig auf die Verursachung von Risiken abstellt. Wer aufgrund eines Unwetters in Not gerät, erhält normalerweise Hilfe, um diese Notlage zu überwinden. Dabei ist irrelevant, welcher Teil dieser Notlage anthropogen verursacht ist und welcher Teil auf natürliche Prozesse zurückgeführt werden kann.
 
Dies bedeutet, dass für die Differenzierung der Verantwortlichkeiten in Notlagen nicht einzig retrospektive Verantwortungszuschreibungen relevant werden sollten, sondern auch prospektive Verantwortungszuweisung unabhängig von der Ergebnisverantwortung. Notlagen müssen in erster Linie behoben werden. Am effizientesten geschieht dies durch diejenigen, die dies am effizientesten und effektivsten bewerkstelligen können. Es geht bei der Differenzierung von Verantwortlichkeiten im Umgang mit Klima- und Umweltrisiken demzufolge nicht nur um Forderungen reiner kompensatorischer Gerechtigkeit.
 
Denn solche Forderungen verlangen einzig, dass die Situation der Geschädigten vor der Schädigung durch diejenigen wiederhergestellt wird, die die Schädigung verursacht haben. Wer in einem Unwetter in Notlage gerät, müsste so betrachtet nur dann gerettet werden, wenn diese Notlage durch Menschenhand verursacht worden ist. Dies scheint unangemessen, weil wir jemandem in Not selbstverständlich helfen würden.
 
Wir würden dies tun, weil wir der Meinung sind, eine Notlage sei ein unverdientes Unglück. Deshalb sind für die Differenzierung der Verantwortlichkeiten im Umgang mit Klima- und Umweltrisiken auch Überlegungen distributiver oder sozialer Gerechtigkeit relevant. Wer unverdient in missliche Umstände gerät, dem muss geholfen werden. Idealerweise geschieht dies durch diejenigen, die dazu am besten in der Lage sind, d. h. diejenigen, die am effizientesten und effektivsten Beseitigungsverantwortung übernehmen können.
 
● Drittens können nur die direkt Betroffenen tatsächlich entscheiden, wie Klima- und Umweltrisiken einzuschätzen sind, denen sie gegenüberstehen und für die sie allenfalls entschädigt werden müssen. Für die Beurteilung der Situation der AOSIS-Staaten angesichts des Klimawandels scheint aus naturwissenschaftlichen Gründen zwar klar zu sein, dass von einer Notlage zu sprechen ist. Ein solches Risiko erscheint intolerabel. Doch für die Bewertung von Umweltrisiken reicht eine naturwissenschaftliche Beurteilung nicht aus, auch das Werturteil der Betroffenen ist gefragt.
 
Die einen halten es für tolerabel, in der Nähe eines Flusses zu wohnen, bei dem eine gewisse Überschwemmungsgefahr besteht, andere nicht. Dasselbe gilt für die Einschätzung von Anpassungsmassnahmen. Auch wenn ein Damm am Flussufer die Überschwemmungsgefahr stark mindert, bleibt ein Restrisiko eines Dammbruchs bestehen. Ob dieses tolerabel ist oder nicht, müssen die Betroffenen beurteilen. Wissenschaftliche Expertinnen und Experten können nur die Wahrscheinlichkeit eines Dammbruchs feststellen.
 
Begründet liegt diese Behauptung in einer konzeptionellen Überlegung. Wer immer Verantwortung übernehmen muss, ist gegenüber einer oder mehreren Instanzen verantwortlich. Im Fall von Klima- und Umweltrisiken machen diese Instanzen nicht nur die politischen und geldgebenden Institutionen aus, sondern auch die Betroffenen selbst, denen gegenüber ein Risiko oder eine Maßnahme zur Risikominderung verantwortet werden muss. Dies gilt insbesondere auch mit Blick auf mögliche Entschädigungs- bzw. Kompensationsforderungen.
 
Denn auch hier sind es in erster Linie die Betroffenen selbst, die letztendlich einschätzen müssen, welche Art und Weise der Entschädigung angemessen ist. Die Betroffenen müssen bestimmen, inwieweit Risiken, Schäden oder Verluste mit finanziellen oder anderen materiellen Mitteln entschädigt bzw. ersetzt werden können. Es muss z. B. geklärt werden, ob der Verlust eines durch Überschwemmung zerstörten Hauses einfach durch ein neues Haus ähnlicher Kubatur vollständig ersetzt werden kann oder ob dazu mehr bzw. anderes nötig ist. Ein neueres Gebäude ohne große kulturelle Bedeutung wird man ohne weiteres durch ein anderes ersetzen können. Ein 500jähriges Haus in traditioneller Bauweise lässt sich demgegenüber nicht so einfach ersetzen.
 
Umweltgerechtigkeit und Mitbestimmung
 
So verschieden unterschiedliche Umweltrisiken und deren Verursachung sein mögen, sie werden in der empirischen Debatte zur Umweltgerechtigkeit häufig über einen Kamm geschoren. Dabei wird kaum zwischen den verschiedenen Gerechtigkeitsprinzipien unterschieden, die eine unterschiedliche Bela-stung im Umgang mit Umweltrisiken rechtfertigen könnten. Im Gegensatz hierzu werden insbesondere in der Klimaethik eine Reihe von Prinzipien diskutiert, um die Verteilung von Verantwortlichkeiten zur Behebung von Umweltrisiken zu differenzieren.
 
Dabei ist wesentlich, dass diese Prinzipien auch eine Ungleichverteilung von Umweltrisiken rechtfertigen können. Deshalb muss deren Ungleichverteilung nicht immer ungerecht sein. Da allerdings eine gerechte Verteilung aller Umweltrisiken kaum möglich ist, spielt auch hier die gleichberechtigte Beteiligung aller Betroffenen an den relevanten Entscheidungsprozessen eine zentrale Rolle. Die gerechte Endverteilung der Risiken selbst wird vor diesem Hintergrund zweitrangig. Es gibt dabei zwei Arten von Gründen, warum eine Ungleichverteilung von Umweltrisiken ethisch problematisch sein kann:
 
● Die erste Art von Gründen zeichnet die Ungleichverteilung von Umweltrisiken als problematisch aus, weil diejenigen, die Umweltrisiken stärker ausgesetzt sind, signifikante Nachteile davontragen. Diese sind durch zwei Faktoren bedingt: Der erste Faktor steht für die Art und Weise, wie jemand Umweltrisiken ausgesetzt ist. Der offensichtlichste Nachteil ist die geographische Nähe zu Risikoursachen. Wer z. B. am äußersten Rand eines Überschwemmungsgebietes lebt, ist weniger gefährdet als jemand, der direkt am Flussufer wohnt. Gleichzeitig ist aber auch relevant, welcher Art das Risiko ist. Überschwemmungen können zwar tödlich sein, man kann sich aber bei frühzeitiger Warnung vor ihnen in Sicherheit bringen. Dasselbe gilt bei der Zwischenlagerung von nuklearem Abfall, doch sind die Folgen eines Unfalls viel länger anhaltend.
 
Im Falle einer hohen Abgasbelastung in einem Stadtquartier kann man sich demgegenüber nur dann der höheren Gefährdung entziehen, wenn man sich den Umzug in ein weniger belastetes Stadtquartier leisten kann. Der zweite für problematische Nachteile relevante Faktor umfasst deshalb die soziale und ökonomische Verletzlichkeit. Armut kann den Wegzug aus einem stark abgasbelasteten Stadtquartier verunmöglichen. Empirisch ist z. B. nachgewiesen, dass ein tieferer sozialer Status mit einer höheren Gefahr einhergeht, schwerwiegende Krankheiten zu erleiden, die in vielen Fällen durch erhöhte Umweltbelastungen bedingt sind.
 
Eine ungleiche Verteilung von Umweltrisiken kann deshalb zwar problematisch sein, sie ist deswegen aber nicht notwendigerweise ungerecht. In Gebieten, in denen erhöhte Umweltbelastungen mit erhöhter Verletzlichkeit zusammenfallen, ist allerdings die Wahrscheinlichkeit hoch, dass eine ungerechte Verteilung von Risiken vorliegt. Hierfür muss aber gezeigt werden, weshalb eine ungleiche Verteilung von Umweltrisiken ungerecht ist.
 
● Die zweite Art von Gründen bezeichnet eine Verteilung von Umweltrisiken als problematisch, weil sie gemäß gängigen Prinzipien der Gerechtigkeit als ungerecht bezeichnet werden muss. Am häufigsten wird behauptet, die bloße Tatsache einer ungleichen Verteilung von Umweltrisiken sei ungerecht, weil es unfair sei, einige stärker als andere zu belasten. Warum aber eine ungleiche Belastung automatisch ungerecht sein muss, ist nicht von vornherein klar. Plausibler erscheint die Behauptung, dass eine Ungleichverteilung von Umweltrisiken dann ungerecht ist, wenn sie nicht den proportionalen Beitrag der Einzelnen zu deren Verursachung widerspiegelt.
 
Das sogenannte Polluter-Pays Prinzip fordert, dass wer mehr Abfall produziert, höheren Belastungen bei dessen Entsorgung ausgesetzt sein sollte. Wer mehr zum Klimawandel beiträgt, muss höhere Lasten im Umgang mit klimabedingten Überschwemmungsrisiken tragen. Dasselbe scheint häufig auch plausibel mit Blick auf den Profit, den jemand daraus zieht, dass andere zu Umweltrisiken beitragen, indem sie z. B. Güter wie Plastikspielzeug für unsere Kinder produzieren. Eine solche Forderung entspricht dem Beneficiary-Pays Prinzip.
 
Forderungen wie die gerade genannten erscheinen uns plausibel, weil wir der Meinung sind, dass diejenigen für die Behebung eines Schadens aufkommen müssen, die diesen verursacht haben. Doch eine gerechte Verteilung von Umweltrisiken gemäß solchen oder ähnlichen Prinzipien ist nur schwer möglich. Dagegen sprechen häufig das technisch Machbare, Sicherheitsüberlegungen und Effizienzgründe. Ein Abfallentsorgungssystem, das dazu verpflichtet, seinen eigenen Abfall im eigenen Garten zu lagern, ist nicht nur hochgradig ineffizient, sondern je nach Abfall auch hochgradig gefährlich und umweltschädlich.
 
Eine sichere und möglichst umweltschonende Abfallentsorgung braucht zentrale Entsorgungsanlagen. Den damit einhergehenden Risiken und Belastungen sind in erster Linie die direkt in der Nähe Wohnenden ausgesetzt. Deshalb muss eine Möglichkeit gefunden werden, eine entsprechende ungerechte Verteilung von Umweltrisiken sozial besser akzeptierbar zu machen und sie zumindest politisch zu legitimieren. Dies bedingt den Einbezug der direkt Betroffenen bei der Realisierung solcher Anlagen.
 
Empirische Studien zur Suche nach nuklearen Endlagerstätten in der Schweiz zeigen, dass die soziale Akzeptanz erhöhter Umweltrisiken steigt, wenn die Betroffenen frühzeitig und angemessen informiert und in die Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Diese Forderung lässt sich aus normativer Perspektive mit dem All-affected Prinzip rechtfertigen. Gemäß diesem Prinzip sind politische Entscheidungen nur dann legitim, wenn alle Betroffenen an diesen beteiligt sind.
 
Eine angemessene Beteiligung aller Betroffenen ist dann sichergestellt, wenn Entscheidungsprozesse Bedingungen der Gleichberechtigung genügen. Wer durch eine Abfallverbrennungsanlage und die damit einhergehenden Risiken belastet wird, muss demzufolge gleichberechtigt in den Entscheidungsprozess über deren Platzierung einbezogen werden. Dasselbe gilt bei Entscheidungen über Maßnahmen zum Hochwasserschutz und die damit einhergehende Verteilung von Belastungen und verbleibender Risiken.
 
Hieran anschließend stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen dies möglich ist. Obwohl zwar klar zu sein scheint, dass keine Betroffene vom Entscheidungs- und Abwägungsprozess ausgeschlossen sein darf, ist damit nicht notwendigerweise eine Gleichberechtigung aller Betroffenen gegeben. Soziale und ökonomische Ungleichheiten können bei der Vertretung der eigenen Interessen relevant werden. Wer über geringe finanzielle Mittel verfügt, kann beispielsweise weniger gut Kampagnen zugunsten seiner eigenen Interessen initiieren. Wem die notwendigen Informationen zum anstehenden Bau einer Abfallverbrennungsanlage fehlen, der oder die kann nicht früh genug erkennen, dass seine bzw. ihre Interessen betroffen sind. Zudem können das soziale Milieu und das Bildungsniveau zu einem Nachteil werden, wenn man seine Interessen in der Öffentlichkeit vertreten muss.
 
Für eine gleichberechtigte Beteiligung aller Betroffenen ist es deshalb nicht ausreichend, nur prozedurale Gerechtigkeitsbedingungen sicherzustellen und zu garantieren, dass rein formal niemand vom Entscheidungsprozess ausgeschlossen ist. Auch bestimmte substantielle Gerechtigkeitsvoraussetzungen müssen gegeben sein. Es muss z. B. sichergestellt sein, dass alle Betroffenen über ein ausreichendes Mass an finanziellen Mitteln verfügen, damit sie ihre Interessen im Entscheidungsprozess gleichberechtigt einbringen können. Ausreichende Informationen und ein gewisses Bildungsniveau müssen für alle ermöglicht werden.
 
Werden die sicherzustellenden substantiellen Gerechtigkeitsbedingungen für die gleichberechtigte Beteiligung allerdings zu umfassend formuliert, dann wird eine Verteilung von Umweltrisiken erschwert, wenn nicht gar verunmöglicht. Denn zu umfassende substantielle Bedingungen würden eine ungleiche und nicht vollkommene gerechte Verteilung von Umweltrisiken teilweise, wenn nicht gar vollständig einschliessen. Aus Machbarkeits-, Sicherheits- und Effizienzgründen muss aber eine Verteilung von Umweltrisiken möglich sein, die solchen substantiellen Gerechtig­keitsforderungen ganz oder zumindest teilweise widerspricht.
 
Zudem muss sichergestellt sein, dass die sozialen und ökonomischen Folgen einer Verteilung von Umweltbelastungen die gleichberechtigte Beteiligung an Entscheidungen zu Umweltrisiken nicht untergraben. Die soziale und ökonomische Verletzlichkeit, die häufig mit einer stärkeren Umweltbelastung korreliert, muss demzufolge angemessen ausgeglichen sein. Sind die so eingegrenzten substantiellen Gerechtigkeitsbedingungen aber gegeben und ist prozedurale Gerechtigkeit sichergestellt, dann sind die in entsprechenden Entscheidungsprozessen beschlossenen Ungleichheiten zwar nicht unbedingt gerecht aber zumindest legitimiert.
 
Umso mehr erhalten deshalb Gerechtigkeitsforderungen Gewicht, die für die Sicherstellung einer fairen Beteiligung aller Betroffenen an den Politikentscheidungen notwendig sind. Sind diese aber gegeben, dann entsteht den Betroffenen auch eine Verantwortung. Sie müssen zum einen grundsätzlich bereit sein, sich an solchen Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Wer zum anderen unter Bedingungen der Gleichberechtigung die Möglichkeit hat, sich an Entscheidungen zu beteiligen, muss auch die Verantwortung für das Verhandelte mittragen und den kollektiv gefällten Entscheid als legitim respektiert.
 
Den Betroffenen erwächst aus diesem Anspruch auf Mitbestimmung deshalb die prospektive Verantwortung, zu einem effizienten und effektiven Umgang mit Umweltrisiken beizutragen. Wie weitreichend ihr Beitrag aber sein muss und welchen Teil der Beseitigungsverantwortung von den Verursachern von Klima- und Umweltrisiken zu tragen ist, hängt von den Gerechtigkeitsprinzipien ab, die für die Differenzierung dieser Verantwortlichkeiten in Anschlag gebracht werden.
 
Herausforderung kollektive Verantwortung
 
Diese Forderungen setzen allerdings nicht nur voraus, dass faire Bedingungen für eine gleichberechtigte Beteiligung aller von Klima- und Umweltrisiken Betroffenen gegeben sind. Es muss auch sichergestellt sein, dass die relevanten Kollektive wie z. B. kulturelle oder soziale Gemeinschaften, Regionen oder Staaten fähig sind, ihre Verantwortung im Umgang mit diesen Risiken wahrzu­nehmen. Denn Kollektive sind ähnlich wie Individuen nur unter bestimmten Bedingungen fähig, Verantwortung zur Beseitigung bzw. Minimierung von Risiken zu übernehmen. Diese sind einerseits durch die institutionellen Voraussetzungen bestimmt, die es Kollek­tiven erlauben, als verantwortungsfähige Akteure zu agieren. Doch das genügt nicht. Es muss andererseits geklärt sein, welchen Gerechtigkeitsforderungen kollektive Akteure genügen müssen, um ihrer prospektiven Verantwortung nachzukommen.
 
● Denn auch im Fall der prospektiven Verantwortung von kollektiven Akteuren spielen Gerechtigkeitsbedingungen eine tragende Rolle. Es muss ein Mindestmaß an prozeduralen und substantiellen Gerechtigkeitsvoraussetzungen gegeben sein, damit eine angemessene Beteiligung aller Mitglieder eines Kollektivs sichergestellt ist. Das hat Konsequenzen für die Gerechtigkeitspflichten, die ein entsprechendes Kollektiv erfüllen muss. Es hat nicht nur eine angemessene Beteiligung für alle seine Mitglieder sicherzustellen, es muss auch garantieren, dass keine seiner Entscheidungen diese Bedingungen untergräbt. Denn sonst würde eine der zentralen Voraussetzungen in Frage gestellt, die ein Kollektiv zu einem verantwortungsfähigen kollektiven Akteur machen: Die angemessene Beteiligung aller seiner Mitglieder an seinen Entscheidungen.
 
Diese Argumentation wird allerdings nicht allgemein geteilt. Man kann auch der Auffas-
sung sein, die angemessene Beteiligung aller Betroffenen sei nur insofern wichtig, sofern diese das Hervorbringen einer gerechten Ordnung unterstütze. Gemäß dieser Auffassung ist es nur deshalb sinnvoll, die von Hochwasserrisiken Betroffenen in den Entscheidungsprozess zu involvieren, weil dies eher zu einer gerechten Verteilung von Hochwasserrisiken führt. Eine solch instrumentelle Argumentation birgt aber die Gefahr, dass entsprechende Kompetenzen von den Beteiligten eingefordert werden. Nur wer zum Hervorbringen einer gerechten Ordnung befähigt ist, erhält Mitspracherecht. Viele direkt Betroffene wären unter dieser Voraussetzung ausgeschlossen.
 
Je nachdem wie dieses Verhältnis zwischen Beteiligung an kollektiven Entscheidungsprozessen und Gerechtigkeit aufgefasst wird, können andere Gerechtigkeitsforderungen gegenüber entsprechenden Kollektiven geltend gemacht werden. Ist die Beteiligung aller Mitglieder konstitutiv für einen kollektiven Akteur, dann muss er zumindest die dafür notwendigen Gerechtigkeitsbedingungen sicherstellen. Wenn die Beteiligung der Mitglieder an Entscheidungsprozessen demgegenüber nur von instrumenteller Bedeutung für das Erreichen einer gerechten Ordnung ist, dann scheint es auch legitim, kollektiv getroffene Entscheidungen umzustoßen, sofern sie dem zu verwirklichenden Gerechtigkeitsideal widersprechen.
 
Diese beiden entgegengesetzten Sichtweisen eröffnen ein Spektrum an Gerechtigkeitspflichten, denen Kollektive nachkommen müssen. Je nachdem wie stark ausgeprägt die instrumentelle Bedeutung kollektiver Beteiligung an Entscheidungen über den Umgang mit Klima- und Umweltrisiken für das Erreichen eines Gerechtigkeitsideals eingeschätzt wird, werden auch die zu erfüllenden Gerechtigkeitsstandards anforderungsreicher. Fallen im Rahmen der instrumentellen Bedeutung kollektiver Beteiligung Entscheidungen über Hochwasserschutzmaßnahmen ungerecht aus, dann dürften diese korrigiert werden. Hat die kollektive Beteiligung demgegenüber nicht-instrumentelle Bedeutung, dann werden ungerechte Entscheidungen zwar ebenfalls als ungerecht ausgezeichnet, sie müssten aber als legitim akzeptiert werden.
 
● Ähnlich verhält es sich mit den institutionellen Voraussetzungen für die Verantwortungsfähigkeit kollektiver Akteure. Hier kann man ebenfalls zwei grundsätzliche Perspektiven unterscheiden, um Kollektiven den Status von Verantwortungssubjekten zuzuschreiben. Gemäß der ersten Perspektive gelten Kollektive als Verantwortungssubjekte, weil sie ihre Mitglieder durch angemessene institutionelle Strukturen an Entscheidungen teilhaben lassen. Bei der zweiten Perspektive werden kollektive Akteure als Verantwortungssubjekte anerkannt, weil ihnen diese Funktion von ihren Mitgliedern und anderen externen Akteuren wie z. B. der globalen Staatengemeinschaft zugesprochen wird.
 
Im ersten Fall ist die angemessene Beteiligung der Mitglieder eines Kollektivs an Entscheidungen von zentraler Bedeutung. Im Fall der zweiten Sichtweise reicht demgegenüber die Anerkennung eines kollektiven Akteurs als Verantwortungssubjekt durch seine Mitglieder und andere relevante Akteure aus. Entsprechend erhalten direktdemokratische Strukturen im Rahmen der ersten Perspektive mehr Gewicht, während aus Sicht der zweiten Perspektive heraus betrachtet, eine solche Beteiligung weniger wichtig ist.
 
Welche Rolle die direktdemokratische Beteiligung für die Verantwortungsfähigkeit eines kollektiven Akteurs erhält, hängt von dessen Geschichte und den soziokulturellen Eigenheiten dieser Gemeinschaft ab. Entsprechend eröffnen die beiden Perspektiven ein Spektrum an Möglichkeiten zur Beschreibung eines kollektiven Akteurs als Verantwortungssubjekt. Damit einher gehen wiederum unterschiedliche Gerechtigkeitspflichten. Je nachdem ob die direktdemokratische Beteiligung oder die Anerkennung als Verantwortungssubjekt die Verantwortungsfähigkeit eines Kollektivs stärker bestimmen, könne mehr oder weniger umfangreiche Gerechtigkeitsforderungen im Umgang mit Umweltherausforderungen gestellt werden.
Diese Gerechtigkeitsforderungen betreffen insbesondere die historische Verantwortung und die Zukunftsverantwortung für Umweltherausforderungen. Gegenüber einem Kollektiv in dem die Anerkennung als Verantwortungssubjekt relevant für dessen Verantwortungsfähigkeit ist, kann man leichter die Übernahme seiner vollen historischen Verantwortung fordern. Denn es sind seine gesamte Geschichte und Kultur, die es zu demjenigen Verantwortungsträger machen, als der es anerkannt wird. Dasselbe gilt mit Blick in die Zukunft. Wird ein Kollektiv von seinen Mitgliedern als verantwortungsfähig anerkannt, dann bestehen gute Gründe, das Fortbestehen des Kollektivs in seiner Gesamtheit auch für die Zukunft sicherzustellen.
 
Gegenüber Kollektiven für die direktdemokratische Beteiligung zentral ist, können demgegenüber nur weniger anspruchsvolle Forderungen aufgestellt werden. Für in der Vergangenheit verursachte Umweltrisiken können ihre Mitglieder nur dann legitimerweise zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie in die entsprechenden Entscheidungen involviert waren oder eindeutig davon profitieren. Ist dies nicht der Fall, müssen die Mitglieder entsprechender Kollektive im Rahmen von Entscheidungsprozessen einer entsprechenden Verantwortungsübernahme zustimmen. Auch die Zukunftsverantwortung eines entsprechenden Kollektivs muss durch dessen Mitglieder festgelegt werden und kann variieren. Wieviel ein direktdemokratisches Kollektiv deshalb in den Schutz seiner kulturellen Güter vor Hochwasser investiert, hängt deshalb von seinen Mitgliedern ab, entsprechende Investitionen zu billigen.
 
Dies bedeutet nicht, dass direktdemokratische Kollektive nicht dieselbe oder sogar eine Umfangreichere Verantwortung für die Vergangenheit und die Zukunft übernehmen könnten, wie andere Kollektive. Dies ist sehr wohl möglich. Es besteht aber die Gefahr, dass sie diese Verantwortlichkeiten nicht vollumfäng­lich wahrnehmen. Denn die Mitglieder eines direktdemokratischen Kollektivs müssen bestimmen können, welche Verantwortung dieses in ihrem Namen übernimmt. Es gibt keine darüberhinausgehenden Gründe, die zu rechtfertigen erlauben würden, welche Verantwortung ein direktdemokratisches Kollektiv für die Vergangenheit oder die Zukunft konsistenterweise übernehmen sollte.
 
Soll deshalb im Umgang mit Umweltrisiken die direktdemokratische Mitbestimmung der Betroffenen zentrales Gewicht erhalten, dann bestehen zwei Gefahren. Auf der einen ist dies die Gefahr, dass die betroffenen Kollektive einen Umgang mit Umweltherausforderungen legitimieren, der Gerechtigkeitsforderungen stärker verletzt als nötig und unter Umständen neue Diskriminierungen einführt. Zum anderen besteht die Gefahr, dass diese Kollektive weder ihren historischen Verantwortlichkeiten noch ihrer Zunftsverantwortung angemessen nachkommen.
 
Die Überwindung dieser beiden Gefahren ist nur unter der Verletzung bzw. Beschränkung liberaler Ideale möglich. Sollen direktdemokratische Entscheidungen zu Gunsten von gerechteren Lösungen aufgehoben werden können, dann wird die Gleichheitsidee verletzt. Gerechtigkeitsexpertise bedeutete mehr Macht in Entscheidungsprozessen. Wird die direktdemokratische Beteiligung in Richtung der Anerkennung von Kollektiven als Verantwortungssubjekten verschoben, dann wird das Recht auf freiheitliche kollektive Selbstbestimmung eingeschränkt. Die Mitglieder eines Kollektivs erhalten weniger Möglichkeiten zur direkten Einflussnahme.
 
Wird der Vorrang der Gerechtigkeit im Umgang mit Umweltherausforderungen betont, dann haben die liberalen Ansprüche der Gleichheit und Freiheit das Nachsehen. Werden diese hingegen hochgehalten, dann besteht die Gefahr weniger gerechter Maßnahmen zur Behebung von Umweltrisiken und möglicherweise der Einführung neuer Ungerechtigkeiten. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass Kollektive ihrer historischen Verantwortung und ihrer Verantwortung für die Zukunft nur unzureichend nachkommen. Ich bin klar der Meinung, dass Gleichheit und Freiheit bestmöglich gesichert bleiben sollten. Erst in äußersten Notsituationen dürfen sie zugunsten von mehr Gerechtigkeit und insbesondere mehr Zukunftsverantwortung in Frage gestellt und eingeschränkt werden.
 
Vertiefende Literatur des Autors
 
Wallimann-Helmer, I. (2016). Differentiating responsibilities for climate change adaptation. Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie (ARSP), 149, 119-132.
Wallimann-Helmer, I. (2017). Kollektive Verantwortung für den Klimaschutz. Zeitschrift für Praktische Philosophie, 4 (1), 211-238.
Wallimann-Helmer, I. (2018a). Debattenbeendigung durch und nicht nur für das Volk. Information Philosophie, 1, 41-42.
Wallimann-Helmer, I. (2019a). Common but differentiated responsibilities: agency in climate justice. In P. Harris (Hrsg.), A Research Agenda for Climate Justice (S. 27-37). Camberley Surey: Edward Elgar Publishing.
Wallimann-Helmer, I. (2019b). Justice in managing global climate change. In T. Letcher (Hrsg.), Managing global warming: an interface of technology and human issues (S. 751-768). London / San Diego / Cambridge: Academic Press.
Wallimann-Helmer, I. (2019c). The ethics of waste policy. In A. Lever & A. Poama (Hrsg.), The Routledge handbook of ethics and public policy (Routledge Handbooks in Applied Ethics, S.501-512). Oxon / New York: Taylor & Francis.
Wallmann-Helmer, I. (2020). Institutionen einer Nachhaltigen Demokratie. SAGW-Bulletin (3), 33-36.
Wallmann-Helmer, I. (2021). Klima und Armut. In G. Schweiger & C. Sedmak (Hrsg.), Handbuch Philosophie und Armut (S. 347-353). Stuttgart: J.B. Metzler.
Wallimann-Helmer, I., Meyer, L. & Burger, P. (2016). Democracy for the Future: A Conceptual Framework to Assess Institutional Reform. In D. Sturma, L. Honnefelder & M. Fuchs (Hrsg.), Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik (197-220). Berlin: Walter de Gruyter.
 
UNSER AUTOR:
 
Ivo Wallimann-Helmer ist Professor für Environmental Humanities an der Universität Fribourg.