Adornos Werk ist von der Subjektivität des Autors nicht abzulösen.
Seine philosophischen, soziologischen, literarischen und musikalischen Vorlieben
und Abneigungen sind unverkennbar durch seine Bildungsgeschichte mitbestimmt. Für
den Berg- und Schönberg-Schüler Adorno ist Schönberg beinahe schon der
Messias; dem Kafka-Enthusiasten und Mitarbeiter Thomas Manns bedeutet die
deutsche Prosa-Literatur nach 1945 nicht viel; der Soziologe und Philosoph
bleibt an die Frage- und Frontstellungen der 20er und 30er Jahre gebunden. Seine
aphoristische Darstellungsweise, sein kompositorisches Zusammenfügen von Theorieelementen,
seine moralistische Kulturreflexion verleugnen nicht ihre Prägung durch
Nietzsches Aphorismenbücher.
Anekdoten sind keine Ganzheit, Geschlossenheit, Einheitlichkeit
vorgaukelnden Biographien. Sie halten Gesten eines Lebens fest, sind
Geschichten, in denen es in seiner Identität und Widersprüchlichkeit
erscheint. Natürlich wird in Anekdoten die Gestalt eines
Philosophen immer nur partiell, manchmal sogar ungünstig beleuchtet. Dasjenige
wird sichtbar, was Zeitgenossen als prägnant, charakteristisch, überliefernswert
ansehen, was sie mit besonderer Zu- oder Abneigung wahrnehmen, woran sie sich
erinnern wollen. Dabei können Anekdoten, ebenso wie
Selbstdeutungen, sowohl in den Kern eines Denkens hinein- als auch in die Irre führen.
„Heute habe ich etwas niedergeschrieben, das ich vorläufig selbst
noch kaum verstehe“ – mit diesem Bekenntnis überraschte Adorno einmal einen
seiner ersten Studenten. Ein derartiger Satz drückt fast so etwas wie
Ehrfurcht vor der eigenen Formulierungsfähigkeit aus. Herbert Marcuse, trotz
aller Konflikte ein wichtiger Mitstreiter, weist darauf hin, dass Adorno mit
Absicht so komplex schreibt: „Ich gebe zu, dass mich die Sätze Adornos
manchmal in Raserei gebracht, manchmal wütend gemacht haben, aber ich glaube,
das sollten sie. Und ich glaube, ich brauche mich dessen nicht zu schämen.“
Kurt Biedenkopf, den niemand, am wenigsten er selbst, zu den dümmsten Köpfen
seiner Partei rechnet, „gab zu verstehen, dass kein Bundes- oder
Landtagsabgeordneter Texte von Adorno oder Horkheimer verstünde“. Es ist nur
ein schwacher Trost für den Leser, wenn Adorno betont: „Mühe und Anstrengung
des Begriffs sind unmetaphorisch.“ Besonders der häufige Gebrauch von Fremdwörtern
mag manchen Leser entmutigt haben. Adorno hat ihn verteidigt: Ein Fremdwort sei
so etwas wie die „silberne Rippe“ in einem Text. Ein nicht ganz überzeugter
Kritiker spottete, manche Texte Adornos hätten dann einen „rein silbernen
Brustkorb“.
Adornos Alltag in den 60er Jahren war von Musik, Verwaltung,
Lehrtätigkeit und Schreiben geprägt, mit einer Tendenz zu zunehmender Überlastung
und Überarbeitung: „Am frühen Morgen Klavierspielen. Vormittags und
nachmittags im I[nstitut] f[ür] S[ozialforschung] […]. Jahraus, jahrein hielt
Adorno an den Dienstagen und Donnerstagen seine philosophischen und
soziologischen Vorlesungen und Seminare ab – darunter so originelle
soziologische Veranstaltungen wie ein Lach-Seminar und ein Streit-Seminar […].
Die Abende zu Hause – eine fünf Minuten vom Institut gelegene Mietwohnung,
deren einziges auffälliges Merkmal ein Flügel war – waren dem Lesen und
dergleichen gewidmet. Für seine Arbeiten machte Adorno sich laufend Notizen in
ein kleines Buch, das er stets bei sich hatte. Darauf gestützt diktierte er.
[…] Diese Seiten überarbeitete Adorno, bis manchmal vom Getippten nichts mehr
übrig und alles durch Handgeschriebenes ersetzt war. Dieser Prozess wiederholte
sich zuweilen bis zu vier Malen.“ (R. Wiggershaus) Die Sätze wurden
dabei dichter und komplexer.
Nicht ganz unschuldig an der Schwerverständlichkeit mancher
Texte Adornos dürfte eine Selbstzensur sein, die der Vermeidung des möglicherweise
politisch Anstoßerregenden geschuldet ist. Max Horkheimer war in dieser
Hinsicht noch vorsichtiger als Adorno; erst als
Raubdrucke der Dialektik der Aufklärung und seiner frühen Aufsätze aus der
‚Zeitschrift für Sozialforschung‘ auftauchten, ließ er sich widerwillig
dazu überreden, Neuauflagen bzw. Dokumentationen (jeweils mit distanzierendem
Vorwort) zuzustimmen. Horkheimer kritisierte überdies in einem Brief vom 27. 9.
1958 an Adorno in scharfer Form Passagen aus Aufsätzen von Jürgen Habermas als
politisch zu weit links stehend und der öffentlichen Stellung des ‚Instituts
für Sozialforschung‘ abträglich: „Solche Bekenntnisse im Forschungsbericht
eines Instituts, das aus öffentlichen Mitteln dieser fesselnden Gesellschaft
lebt, sind unmöglich.“ Adorno verteidigte seinen Assistenten, konnte aber
nicht verhindern, dass Horkheimer die Habilitation von Habermas in Frankfurt zunächst
blockierte, so dass dieser nach Marburg ging, um sich bei Wolfgang Abendroth zu
habilitieren.
Peter von Haselberg gibt fast fünfzig Jahre später seinen
Eindruck von der Antrittsvorlesung des noch nicht einmal 30jährigen Adorno an
der Frankfurter Universität wieder: „Es war eine echte Antrittsvorlesung,
polemisch gegen die herrschenden Philosopheme allesamt [...]. Aber es fand
zugleich mit der Vorlesung auch die Aufführung eines Sprachkunstwerks
durch einen adäquaten Rezitator statt; nicht die Spur von einem scheuen jungen
Gelehrten, im Gegenteil: ein Begeisterter, der aus seinem Text etwas zu machen
verstand, verließ das Podium wie ein gefeierter Solist.“ Auf Reaktionen auf
seine Vorträge konnte Adorno offenbar gespannt sein wie ein Schauspieler:
„War ich nicht ungewöhnlich gut? konnte er nach einem Kolleg fragen, als sei
es eine Konzertarie gewesen [...]“. Der Komponist Dieter Schnebel sagt über
Adornos Vortragsstil: „Als Adorno in Zürich seinen Essay über Rudolf
Borchardt uraufführte, kam ich mit halbstündiger Verspätung ins Theater am
Hechtplatz. Der Saal war von innen verschlossen, so dass man nur außerhalb, im
Gang, zuhören konnte. Die leise Stimme vermochte nicht aus dem hermetischen
Raum hinaus zu dringen. Nur wenn man das Ohr an die Tür hielt, ließ sich der
gelesene Text verstehen. Stand man bloß davor, ohne körperlichen Kontakt zu
halten, vernahm man einzig die Struktur des Sprechverlaufs. Also ward man
freilich gewahr, wie musikalisch der Vortrag vor sich ging. Da gab es markante
Hauptsätze, melodische Seitensätze von großer Zartheit, Passagen, wo wie in
Durchführungen sich rasch die Charaktere änderten. Reprisen schufen Erinnerung
an frühere Darlegung, und schließlich verhallte das Stück in einer
ausgedehnten Coda, welche allerdings mit deutlichem Punkt endete. [...] Also kam
der Inhalt direkt zu Wort, was dem Adornoschen Vortrag die Gewalt des Ausdrucks
verschaffte: gleichsam sprach das Gedachte selbst: espressivo der Sache. Soll
das heißen: Adorno sang seine Vorträge vom Blatt?
Der Teufel, mit dem in Thomas Manns ‚Doktor Faustus‘ der
Komponist Leverkühn seinen Pakt abschließt, tritt auf als „bitte doch sehr,
als was Besseres [...] – ein Intelligenzler, der über Kunst, über Musik, für
die gemeinen Zeitungen schreibt, ein Theoretiker und Kritiker, der selbst
komponiert, soweit eben das Denken es ihm erlaubt.“ Dieser Teufel erläutert
dem „Tonsetzer“ im Faustus-Romans die Situation der neuen Musik mit Thesen,
die Adornos ‚Philosophie der neuen Musik‘ entlehnt, zum Teil wörtlich
daraus zitiert sind. Wie der Verfasser der ‚Philosophie der neuen Musik‘, so
spricht auch der werkfeindliche Teufel des Romans vom „Scheincharakter des bürgerlichen
Kunstwerks“ und der Bilderlosigkeit der Musik; er erklärt: „Ich bin gegen
die Werke im großen ganzen“ und wird dafür von Leverkühn beschimpft, der in
seinen „Deduktionen eitel Teufelsfürze zu Schimpf und Schaden des Werks“
sieht. Hans Mayer hat seinen Eindruck bei der Lektüre des zentralen
Teufelspakt-Kapitels so formuliert: „Bei Gelegenheit der Parodie kommt es zu
einem heftigen Streit zwischen Leverkühn und dem Teufel. Man hat plötzlich den
Eindruck, einem Dialog zwischen Thomas Mann und Theodor W. Adorno
beizuwohnen.“ Thomas Mann selbst hat ausführlich dargestellt, wie bedeutend
beim Faustus-Roman die Rolle Adornos als Mitarbeiter und Anreger gewesen ist,
und schließlich, halb entschuldigend, bemerkt: „was ich [...] mir zur
Darstellung der kulturellen Gesamtkrise wie der Musik im besonderen von ihr [nämlich
von Adornos Situationskritik] aneignete, war das Grundmotiv meines Buches: die Nähe
zur Sterilität, die eingeborene und zum Teufelspakt prädisponierende
Verzweiflung.“ Adornos Mitarbeit am Faustus-Roman beschränkte sich nicht
darauf, dass er durch musikalische Einzelanalysen der (fiktiven) Musik Leverkühns
das „technische Rückgrat“ verliehen hat. Der Roman hätte ohne die
Einwirkung von Adornos philosophischer Kulturkritik und Ästhetik, besonders
seiner Theorie der neuen Musik vielleicht nicht seine avantgardistische
Gespanntheit gewonnen. Wie in die ‚Buddenbrooks‘ Elemente der Philosophie
Schopenhauers und Nietzsches hineinspielen, im ‚Zauberberg‘ die
kulturkritischen Debatten der Zeit des Ersten Weltkriegs widerhallen, so hat
Thomas Mann im ‚Doktor Faustus‘ Gedanken und selbst Formulierungen aus der
Werkstatt der ‚Kritischen Theorie‘ Adornos aufgegriffen.
Hermann Pongs, ein Germanist, der 1945 seine Professur wegen zu
großer Nähe zum Nationalsozialismus aufgeben musste, resümiert die Rolle
Adornos aus seiner Sicht: „Die Bedeutung, die Adorno als Zeitstimme
symptomatisch zukommt, hat vielleicht am deutlichsten Hans Mayer herausgehoben,
wenn er sagt, in Thomas Manns ‚Doktor Faustus‘ trage Satan Züge Adornos.“
In diesem Satz kommt zum Ausdruck, was die Wirkungsgeschichte Adornos in
Deutschland bis in die 60er Jahre hinein überschattet. Hinter Pongs‘
Diffamierung einer zerstörerischen „Satansdialektik“ wird ein Ressentiment
gegenüber Adornos intensiver Wirkung in der demokratischen Öffentlichkeit der
Bundesrepublik sichtbar.
Zwischen Max
Horkheimer und Theodor W. Adorno bestand nicht nur ein Kooperations- und
Freundschafts-, sondern auch ein Spannungsverhältnis. „Das Zusammenspiel der
beiden, von klug-vornehmen Gattinnen umschwebten Philosophen verlief
gelegentlich nicht ohne Komik. Unvergesslich, wie in einem
Kant-Seminar, das die Herren gemeinsam abhielten, Adorno und Horkheimer voller
Eifer zusammen zu reden anfingen, wobei Adorno offenbar genau das Gegenteil der
Horkheimerschen Meinung vorzutragen im Begriffe schien. Nur: Adorno konnte weit
rascher formulieren als der behäbige Horkheimer. Staunend erlebten wir mit,
dass Adorno wieselflink zwischen Horkheimers
wohlgesetzten Worten mit Hilfe schwungvoller argumentativer Kurven, am Ende, zu
Horkheimers letztem Wort, seinerseits dann auch genau bei Horkheimers These
ankam. Virtuose Dialektik vermag eben doch viel.“ (J. Kaiser) Die
Dialektiker wiederholen den Wettlauf von Hase und Igel. Der Igel, als
Schulhaupt, hat das beinahe unfehlbare Lehramt inne und kann also an jeder
Stelle der Debatte sagen: „Ick bün all do“, aber der Hase ist so flink und
präsent, dass er geistesgegenwärtig in diesen Ruf mit einzustimmen weiß.
Das Publikum
sollte annehmen, wie Adorno es ausdrückte: „dass das philosophische Denken
des Autors und das Max Horkheimers eines sind.“ Das war nicht ganz zutreffend.
Aber auch wenn Adorno radikaler geblieben war als der in mancher Hinsicht
konservativ gewordene alte Horkheimer, so hielt doch auch er sich mit
Sympathiebezeugungen für die studentische Protestbewegung der Jahre 1967-1969
eher zurück: „Als wir vor einem halben Jahr das Konzil belagerten, kam als
einziger Professor Adorno zum Sit-in der Studenten. Er wurde mit Ovationen überschüttet,
lief schnurstracks auf das Mikrofon zu und bog kurz vor dem Mikrofon ins
Philosophische Seminar ab. Also kurz vor der Praxis in die Philosophie.“
(Hans-Jürgen Krahl)
Schon das Händeschütteln war für Adorno nicht so einfach wie für
andere Menschen. „Im ehemaligen philosophischen Seminar im Hauptgebäude der
Frankfurter Universität musste man, um in die Bibliothek zu gelangen, einen
Vorraum durchqueren, der von einem schweren Vorhang geteilt wurde; dieser
bildete mit der fensterlosen Wand eine Art dunklen Gang, durch den der Weg führte.
Dort stieß ich eines Tages im Wintersemester 1968/69, damals Student im fünften
Semester, unversehens mit einer mir entgegenkommenden Gestalt zusammen, die
daraufhin, im momentanen Erschrecken nach Fassung suchend, meine, des ihr
Unbekannten Hand ergriff und schüttelte, um sich dann ohne ein weiteres Wort zu
entfernen. Es war Adorno. [...] Merkwürdig erscheint nicht das Erschrecken der
beiden Betroffenen, sondern die spontane Form seiner Beschwichtigung bei Adorno,
sein Griff nach meiner Hand, das Händeschütteln.“ (Gunzelin Schmid Noerr) Es
gibt eine andere, von Adorno selbst berichtete Szene des Händeschüttelns:
Charlie Chaplin habe ihn einmal „nachgemacht“: „Wir waren, mit vielen
anderen zusammen, in einer Villa in Malibu, am Strande außerhalb von Los
Angeles, eingeladen. Einer der Gäste verabschiedete sich früher, während
Chaplin neben mir stand. Ich reichte jenem, anders als Chaplin, ein wenig
geistesabwesend die Hand und zuckte fast zugleich heftig zurück. Der
Abschiednehmende war einer der Hauptdarsteller aus dem kurz nach dem Krieg berühmt
gewordenen Film ‚The Best Years of Our Life‘; er hatte im Krieg die Hand
verloren und trug an deren Statt aus Eisen gefertigte, aber praktikable Klauen.
Als ich die Rechte schüttelte, und sie auch noch den Druck erwiderte, erschrak
ich aufs äußerste, spürte aber sofort, dass ich das dem Verletzten um keinen
Preis zeigen dürfte, und verwandelte mein Schreckgesicht im Bruchteil einer
Sekunde in eine verbindliche Grimasse, die weit schrecklicher gewesen sein muss.
Kaum hatte der Schauspieler sich entfernt, als Chaplin bereits die Szene
nachspielte.“ Jürgen Habermas, dem Adorno die Geschichte erzählt hatte,
kommentiert die Reaktion Adornos: „Chaplin muss in
diesem Augenblick blitzschnell reagiert und Adornos leibgewordenes Entsetzen
ebenso wie den hoffnungslosen Versuch, es zu überspielen, in Pantomime übersetzt
haben. Natürlich ist diese Geschichte über Chaplin eine über
Adorno [...]. Inmitten der Geselligkeit, die doch für den
Anblick des unbeseelten Körperteils eigens veranstaltet war, hatte die Kälte
des Metalls Adorno unvorbereitet getroffen.“ Für Jürgen Habermas bleibt die
„unvergleichlich glanzvolle Genialität“ Adornos
untrennbar verbunden mit seiner Erschütterbarkeit, seiner ungeschützten
Sensibilität, selbst den skurrilen Zügen seiner Subjektivität.
Peter von Haselberg hat auf Adornos Hingezogensein zum (möglichst
hohen) Adel aufmerksam gemacht. Diese Eigentümlichkeit habe sich zum Beispiel
darin gezeigt, „dass er meinen gar zu einfachen Adelstitel, wenn er mich
jemandem vorstellen wollte, regelmäßig um zwei bis drei Grade steigerte und
sich davon nur höchst ungern abbringen ließ. [...] Alle Gesellschaftskritik
vermochte nichts gegen sein vehementes Bedürfnis zu Gemeinsamkeiten mit dieser
society, und dies ließ ihm Kritik an den einzelnen Mitgliedern dieser
Gesellschaft stets unzulässig erscheinen. Es führte zu einer ernsten
Verstimmung, als ich ihn eines Abends zu einem Hause begleitete, das, zumindest
auf seine industrielle Machtstellung, damals als das erste am Ort zu bezeichnen
war, und von dem ich wusste, dass man dort – im Herbst 1932 - die endgültige
Wendung zu Hitler schon vollzogen hatte. Dies teilte ich Wiesengrund mit.
Verdrossen erwiderte er, dass er von mir am letzten erwartet hätte, ich wolle
ihm einen schönen Abend verderben.“ Zeitlebens habe Adorno bei der upper
class, „zielgerad beim Adel, dem möglichst hohen“, Zuflucht gesucht; er sei
des festen Glaubens gewesen, „daß die Vorfahren seiner Mutter, die Adorno
della Piana, Dogen von Genua gewesen und überdies mit dem Fürstenhause Colonna
verwandt seien. [...] Um so größer war dann sein Erstaunen und kaum noch
verhohlenes Glück, als er mir von dieser Abkunft erzählt hatte und ich darauf
erwiderte, er müsse demnach in direkter Linie von Jupiter abstammen, denn von
ihm leiteten sich die Colonna jedenfalls her. [...] [D]ie in den ‚Minima
Moralia’ nur eben angedeutete Selbstcharakterisierung als der Frosch aus dem
Grimmschen Märchen [...] war sicher nicht allein auf die äußere Erscheinung
bezogen gedacht, sondern ausgleichend ebenso auf den verzauberten Prinzen.“
Adorno hat auf offene und versteckte Kränkungen und Zurückweisungen in
Universität und Öffentlichkeit einerseits mit übersteigerter Distanz – die
von manchen als Eitelkeit empfunden wurde – , andererseits mit einer
Hinwendung zu erhofften Restbeständen einer ‚guten Gesellschaft’ reagiert.
„Auch der Prinz Lippe begeisterte Adorno, zumal er sich von den Maiereignissen
angesteckt zeigte, was allerdings Adorno auch verwunderte, weil er «zu
rhythmischen ho ho ho tschi min Rufen etwa so geeignet ist wie ich».“
(Elisabeth Lenk) Wie die Prinzessin Marie Bonaparte zur Mitherausgeberin der
‚Gesammelten Werke’ von Sigmund Freud wurde, so ein echter deutscher Prinz
– wenn auch aus einem Kleinstaat - zum Herausgeber von Vorlesungen
Adornos. Dies allerdings ein postumer Triumph, dem einer zu Lebzeiten voranging:
„Gekrönt wurde er [Adorno] aber durch eine Einladung im Hause des Conte di
Lampedusa in Palermo, wo er auf eine Prinzessin Paléologue traf – eine hinreißende
Person, wie er sagte – und mit ihr herausbekam, dass Heiraten für sie ganz
unsinnig sein würde: für eine Paléologue aus dem Kaiserhaus von Byzanz gebe
es schlechthin keine standesgemäße Partie. Er ließ durchblicken, dass er als
Nachkomme des Dogen Adorno ihr auch keinen Bund fürs Leben angetragen habe,
wohl aber etwas weniger.“ (von Haselberg)
Eine Fehlprognose Adorno war es, dass er im Jahr 1933 der
Regierung Hitler kein langes politisches Überleben zutraute. Den Entzug der
akademischen Lehrerlaubnis durch die Nationalsozialisten kommentierte er mit dem
Wortspiel: „Je venia legendi, desto besser“. Bis zum Abgewirtschaftethaben
des Regimes glaubte er, in Deutschland ‚überwintern‘ zu können. „Überwintern,
wie es im Herbst 1933 wörtlich erhofft wurde, bis zu Hitlers Ende spätestens
im kommenden Frühjahr, wollte er als Musikschriftsteller“ (von Haselberg).
Diese Erwartungen haben getrogen; widerwillig entschloss sich Adorno erst Jahre
später endgültig zur Emigration. Von seinem Studienaufenthalt in Oxford kehrte
er mehrmals nach Deutschland zurück und ging erst im Februar 1938 in die USA,
wo er – auf Horkheimers Initiative hin – anfangs mit dem ebenfalls
emigrierten Sozialforscher Paul Lazarsfeld zusammenarbeitete. Lazarsfeld war von
dem neuen Forschungskollegen irritiert: „Er [Adorno] sieht genauso aus, wie
man sich einen geistesabwesenden deutschen Professor vorstellt, und er benimmt
sich so fremdartig, dass ich mir selbst wie ein Mitglied der
Mayflower-Gesellschaft vorkomme. Wenn man allerdings erst einmal sich mit ihm
unterhält, äußert er enorm viele interessante Ideen.“ Für Adorno muss die
Mitarbeit an research-Aktivitäten anfangs eine Art von Kulturschock gewesen
sein: „War ich etwa mit der Forderung konfrontiert, wie man wörtlich sagte,
«Kultur zu messen», so besann ich demgegenüber mich darauf, dass Kultur eben
jener Zustand sei, der eine Mentalität ausschließt, die ihn messen möchte.“
Er wollte seine Identität, die eines deutschen und europäischen Musikers,
Intellektuellen, Philosophen nicht im Wissenschaftsbetrieb der USA verlieren.
Habermas schreibt über seinen zeitweiligen ‚Vorgesetzen’ im
akademischen Milieu der Frankfurter Universität: „Gegen ‚Teddie‘ konnte
man umstandlos die Rolle des ‚richtigen‘ Erwachsenen ausspielen; denn dessen
realitätsgerechte Immunisierungs- und Anpassungsstrategien sich anzueignen ist
Adorno nie imstande gewesen. In allen Institutionen ist er ein Fremdling gewesen
– nicht, als hätte er das gewollt. Seiner Universität [...] war der ungewöhnliche
Kollege nie recht geheuer, wenn nicht gar suspekt. Die Schulphilosophie [...]
hat den ungewöhnlichen Intellektuellen nicht eigentlich anerkannt. Und selbst
in der literarischen Öffentlichkeit, die er anderthalb Jahrzehnte wie kaum ein
zweiter bestimmte, hat Adorno keinen der offiziellen Preise erhalten. [...]
Einer von Adornos Schülern hat dem Lehrer ins offene Grab nachgerufen: er habe
am bürgerlichen Individuum unwiderstehlich Kritik geübt und sei doch selbst in
dessen Ruine gebannt geblieben. Das ist wohl wahr.“
In der politisierten Szenerie Westberlins entziehen im Sommer
1967 manche der linken Studenten Adorno ihre Sympathie. Sie nehmen übel, dass
ihr Theorie-Übervater über Ästhetik liest und schreibt und nicht über
Revolution, und besonders, dass er nicht bereit ist, ein Gutachten zur
Entlastung des wegen Aufrufs zur Brandstiftung angeklagten Fritz Teufel zu
verfassen. Adornos Vortrag ‚Zum Klassizismus von Goethes Iphigenie’ wird am
7. Juli 1967 gestört; Studenten erscheinen mit einem Spruchband:
„Iphigenisten aller Länder, vereinigt euch!“ Peter Szondi „gelang es,
Adorno zu einem weitgehend ungestörten Vortrag zu verhelfen. Nach dem Vortrag
wollte eine Studentin Adorno einen aufgeblasenen roten Gummi-Teddy
überreichen […]. Ein Student schlug ihn ihr aus der Hand.
Adorno verurteilte das als einen «Akt der Barbarei».“ (Rolf
Wiggershaus) Eine paradoxe (und damit für Adornos Praxisverhältnis
charakteristische) Szene: Von ihm beeinflusste, aber von seiner politischen Zurückhaltung
enttäuschte Studenten rebellieren gegen den Meister und versuchen ihn in der
akademischen Öffentlichkeit Berlins und darüber hinaus in der Medienöffentlichkeit
der Bundesrepublik, die solche Happening-Aktionen ja genussvoll aufgreift, lächerlich
zu machen. Adorno seinerseits distanziert sich scharf von einem Anhänger, der
ihn schützen will.
Viel Wirbel in der deutschen Presse erzeugt der Prozess gegen
Hans-Jürgen Krahl wegen einer Anfang 1969 erfolgten ‚Besetzung’ des
‚Instituts für Sozialforschung‘ in Frankfurt. Adorno und Ludwig von
Friedeburg als zuständige Institutsdirektoren hatten die Polizei gerufen.
„Adorno konnte nicht gut angeklagt werden, aber die Gelegenheit, ihn als
Zeugen zu hören, ließ sich ebenfalls nutzen. So kam denn, wie zu erwarten, das
Gleichnis des Zauberlehrlings, der die Geister, die er rief, nicht mehr los
wird, und endlich fiel auch das böse Wort vom Verführer der Jugend, wie damals
in Athen gegen Sokrates. Nach dem Staatsanwalt stand der ehemalige Schüler auf,
der die Besetzung geleitet hatte [Hans-Jürgen Krahl], also der Angeklagte, und
nahm den Zeugen ins Kreuzverhör. Ob er sich wirklich bedroht gefühlt habe,
wollte er wissen, und was er eigentlich gesehen habe, das ihn veranlasste, die
Polizei zu rufen?“ (Paul Lüth) Die Presse hat ihre Story: Die Revolution
frisst ihre Väter, so stellt man den Konflikt dar.
Wenige Wochen später, nach Adornos Tod am 6. 8. 1969, finden
sich in vielen Zeitungen Reaktionen einer scheinheiligen Bestürzung. Nicht
wenige unter diesen Nachrufen verbergen nur schlecht eine gewisse Erleichterung.
Manche der vielgeprüften Rezensenten und der im Schatten Adornos stehenden
akademischen Kollegen atmen auf. Ein unverständlicher und ungemütlicher Störenfried
ist weg, einer, der Funken in den „Muff“ hatte bringen wollen. Besonders
hervorgetan hatten sich schon zu Adornos Lebzeiten manche Mitarbeiter der
‚Frankfurter Allgemeinen Zeitung’: „Von dem Maß an Hass, das sich
auf Friedeburg, Habermas und mich konzentriert, machst Du Dir offenbar keine
Vorstellung. Die Lektüre der FAZ könnte es Dir zeigen.“ So Adorno am 26. 7.
1969 an Herbert Marcuse. Diese Tradition – von der es allerdings, wie man
gerechterweise sagen muss, auch im Feuilleton der ‚Frankfurter Allgemeinen
Zeitung’ Abweichler wie Gustav Seibt oder Henning Ritter gab bzw. gibt –
endete nicht mit Adornos Tod: „Dem Feuilleton der FAZ fiel beispielsweise zu
seinem [Adornos] 25. Todestag [6. 8. 1994] nichts Besseres ein, als aus gehässigen
Stimmen hämischer Kleingeister ein Potpourri anzurühren.“ (Jürgen Habermas)
Auch in dieser Hinsicht, als philosophischer Buhmann der ‚Frankfurter
Allgemeinen Zeitung’, scheint Jürgen Habermas die Nachfolge seines Lehrers
angetreten zu haben.
Gerade der Höhepunkt der Wirkung Adornos zwischen 1967 und 1969
ist auch der Umschlagspunkt dieser Wirkung; seine Präsenz in den öffentlichen
Debatten dieser Zeit führt dazu, dass er zwischen alle Stühle gerät. Die SED-
und DKP-Marxisten wettern gegen Adornos ‚Halb-Marxismus‘, die Konservativen
gegen seinen ‚Neomarxismus‘, die Liberalen gegen seinen
‚Irrationalismus‘. Am meisten Gehör findet die Kritik der ‚Neuen
Linken‘ an ihrem Vordenker; sie bedient einen verbreiteten Affekt, den der
Schadenfreude.
Dass Adorno die Polizei ins Institut geholt hatte, wird im
Sommersemester 1969 Anlass zu einem Protest-Happening, das wiederum zum Abbruch
von Adornos Vorlesung führt. Schmid Noerr, damals Student und Zeuge dieser
Szene, berichtet: „Die Szene hat Berühmtheit erlangt. Zuvor, am Ende des
vergangenen Wintersemesters [1968/69], hatte Adorno das von Studenten im Gefolge
der Aktionen gegen die Notstandsgesetze besetzte Institut für Sozialforschung
mit Hilfe von Polizei räumen lassen. Als er einige Wochen später, im April
[1969], mit seiner Vorlesung ‚Einführung in das dialektische Denken‘
beginnen wollte, sprangen zum Protest gegen jenen Vorfall drei Studentinnen der
Basisgruppe Soziologie mit entblößten Brüsten aufs Podium, küssten den sich
verzweifelt Sträubenden auf beide Backen und bestreuten ihn mit Rosen- und
Tulpenblüten. Dieser hob die rasch ergriffene Aktentasche schützend vor sich
und entzog sich mit Mühe der höhnisch-liebevollen Umklammerung. Als [...] der
Tumult auf dem Podium anhielt, verließ er fluchtartig den Hörsaal. [...] Dies
war Adornos letzte Vorlesung.“ -
Adorno war skeptisch gegen Leitbilder, aber auch er hatte ein
Leitbild: Im fränkischen Ernsttal „erschien eine Respektsperson, die Gattin
des Eisenbahnpräsidenten Stapf, in knallrotem Sommerkleid. Die gezähmte
Wildsau von Ernsttal vergaß ihre Zahmheit, nahm die laut schreiende Dame auf
den Rücken und raste davon. Hätte ich ein Leitbild, so wäre es jenes Tier.“
Es ist nicht eine beliebige, sondern eine gezähmte, gewissermaßen zivilisierte
Wildsau, die Adorno hier als Leitbild-Tier vorschwebt; eine, die ihre
Zivilisiertheit vergisst, aus deren Zwang ausbricht; ein Tier, das aus der
erzwungenen Kultiviertheit, aus der ‚zweiten Natur’ zum Ungestüm der
‚ersten Natur‘ zurückfindet und sogar Respektspersonen als leicht
transportable Naturwesen behandelt.
Autor
Norbert Rath ist Professor für Sozialphilosophie an der Fachhochschule Münster.