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STELLUNGNAHMEN

Empfindungen und Erlebnisse


Fragen an Johannes Brandl, Achim Stephan und Bettina Walde

Wie kann es in einer Welt, deren einfachste Bestandteile nichts anderes als bewusstlose Materieteilchen sind, so etwas wie Empfindungen geben, die eine bestimmte phänomenale Qualität besitzen?

Bettina Walde: Die Erklärung von Empfindungen und phänomenalen Qualitäten, wie sie etwa präsent sind, wenn man einen Roteindruck hat und weiß, wie es ist, etwas Rotes zu sehen, stellt in der gegenwärtigen Philosophie des Geistes eine der größten Herausforderungen dar. Denn phänomenale Qualitäten scheinen sich einer objektiven, naturwissenschaftlichen Erklärung zu entziehen. Geht man im Sinne eines physikalistischen Weltbildes davon aus, dass es nichts weiter als im weitesten Sinne physikalische Zustände, Vorgänge, Ereignisse und Eigenschaft gibt, so besteht die einzige Möglichkeit, an der Existenz von Empfindungen mit phänomenalen Qualitäten festzuhalten, darin, dass man zu zeigen versucht, dass sie eine bestimmte Teilmenge der im weitesten Sinne physikalisch beschreibbaren materiellen Welt sind.

Doch hierbei gibt es erhebliche Schwierigkeiten: In den vergangenen 30 Jahren wurde immer wieder versucht, eine materialistische Erklärung phänomenaler Qualitäten zu formulieren. Der gemeinsame Nenner dieser unterschiedlichen Ansätze ist dabei die These, dass es keinen Unterschied im Bereich der phänomenalen Qualitäten geben darf, ohne dass auch ein Unterschied im Bereich des Materiellen oder im weitesten Sinne Physikalischen vorliegt. Doch bislang scheitern diese Versuche. Denn das spezifische Wie-es-ist, die spezifische phänomenale Qualität, die Empfindungen auszeichnet, entzieht sich der explanatorischen Zugänglichkeit wie eine ganze Reihe unterschiedlicher Gedankenexperimente zu diesem Thema gezeigt hat. Dass es bislang nicht gelungen ist, die Perspektive der ersten Person auf Empfindungen und die charakteristische Subjektivität phänomenaler Qualitäten zu erklären, indem man sich allein auf das Vokabular und die Perspektive der dritten Person bezieht, wie sie mit den naturwissenschaftlichen Mind Sciences verbunden ist, hat in der aktuellen, interdisziplinär geführten Diskussion zu einer erneuten Hinwendung zu dualistischen Ansätzen geführt. Da in einer Welt, deren einfachste Bestandteile nichts anderes als bewusstlose Materieteilchen sind, für phänomenale Qualitäten scheinbar kein Platz bleibt, stellt seit einigen Jahren der Dualismus wieder eine Option dar – jedoch nicht als interaktionistischer Dualismus, sondern als Epiphänomenalismus.

Epiphänomenalistische Ansätze gehen davon aus, dass es eben doch nicht nur bewusstlose Materieteilchen sind, aus denen die Welt beschaffen ist, sondern sie räumen ein, dass es neben den im weitesten Sinne physikalischen Bestandteilen der Welt auch phänomenale Qualitäten gibt. Der Preis für eine solche Ausweitung der Ontologie ist jedoch nicht unerheblich – epiphänomenalistische Ansätze leugnen jegliche kausale Relevanz mentaler Zustände und Vorgänge. So gibt es zwar Empfindungen, die eine bestimmte phänomenale Qualität haben, sie machen jedoch keinen Unterschied im Hinblick auf das Entscheiden, Handeln und Verhalten von Personen. Dies macht die Position des Epiphänomenalismus zu einem höchst kontraintuitiven und unattraktiven Ansatz. Ich denke, bevor man zu einer solch pessimistischen „Lösung“ des Problems übergeht wie sie der Epiphänomenalismus vorsieht, sollte man das Potential monistischer Theorieansätze besser ausschöpfen: Im 20. Jahrhundert war die Forschung zum Leib-Seele-Problem und zur Erklärung von Empfindungen mit phänomenalen Qualitäten sehr stark von monistischen Theorieansätzen geprägt, die reduktiv vor gingen und zu zeigen versuchten, dass phänomenale Qualitäten vollständig auf Zustände, Vorgänge, Ereignisse und Eigenschaft der physikalischen Welt zurück geführt werden können – phänomenale Qualitäten sind nichts, was darüber hinaus gehen würde. Doch das Spektrum monistischer Theorieansätze hätte viel mehr zu bieten: Ansätzen des Aposteriori-Materialismus und vor allem Ansätzen des neutralen Monismus ist bislang in der Debatte um eine adäquate Erklärung phänomenaler Qualitäten zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. Im Rahmen eines Aposteriori-Materialismus könnte man versuchen, dem spezifischen Charakter phänomenaler Qualitäten gerecht zu werden, indem man ihre epistemische Irreduzibilität anerkennt und einräumt, dass die Perspektive der ersten Person, in der das Erleben mit seinen spezifischen phänomenalen Qualitäten gegeben ist, nicht in die Perspektive der dritten Person übersetzbar ist. Im Rahmen eines neutralen Monismus könnte man zu zeigen versuchen, dass eine monistische Auffassung der Welt, wonach es nur eine Sorte von Eigenschaften, Ereignissen, Vorgängen und Zuständen gibt, nicht mit der stärkeren physikalistischen oder materialistischen These zusammen fallen muss, dass diese eine Art oder Kategorie von Eigenschaften, Ereignissen, Vorgängen und Zuständen physikalischer oder materieller Natur sein muss.

 

 


Vielmehr könnte man die physikalistische Auffassung der Welt und die im Erleben präsente Auffassung der Welt, die über phänomenale Qualitäten vermittelt ist, als zwei Zugriffsweisen auf eine selbst ontologisch neutrale Kategorie von Zuständen, Vorgängen, Ereignissen und Eigenschaften begreifen.

Johannes Brandl: Die Frage, wie es auf der Makro-Ebene phänomenale Qualitäten geben kann, wenn auf der Mikro-Ebene nur bewusstlose Teilchen existieren, sollte man erst beantworten, nachdem man sich über die Form der Frage klar geworden ist. Es handelt sich dabei um eine „Wie kann es sein?“-Frage, wie sie in der Philosophie häufig anzutreffen ist: Wie kann es einen freien Willen in einer von Naturgesetzen determinierten Welt geben? Wie kann es Normen und Werte geben in einer Welt objektiver Tatsachen? usw. Das Dilemma bei jeder solchen Frage ist: Beantwortet man sie allgemein und programmatisch, bleibt die Antwort unbefriedigend, weil man erst die Details sehen möchte, bevor man der Antwort Glauben schenken kann; geht man hingegen ins Detail, wird die Reaktion ebenfalls negativ ausfallen, weil in der Fülle der Details nicht mehr zu erkennen ist, warum das Explanandum unter genau diesen Bedingungen zustandekommen soll. Warum z.B. sollten Synapsen und bestimmte Transmitter-Stoffe dafür nötig sein, damit man Wärme, Kälte, Hunger und Durst empfinden kann?

Wie kommt man aus dieser Zwickmühle heraus? Meine Empfehlung wäre, vom Fragesteller zu verlangen, er möge die Frage zuerst selbst genauer spezifizieren. Vielleicht sagt er dann Folgendes: Ich möchte gerne wissen, ob es nicht auch Lebewesen geben könnte, die wohl funktionsfähige Sinnesorgane und ein voll funktionsfähiges Gehirn besitzen, die aber so empfindungslos sind wie jemand, der sich in Vollnarkose befindet. Darauf wäre dann meine Antwort: Diese Möglichkeit besteht nur, wenn der betreffende Organismus von sinnlichen Stimuli völlig isoliert wird. Es sind also die Stimuli, die unter solchen Voraussetzungen erklären, wie es zu Empfindungen mit phänomenalen Qualitäten kommt. Dies ist zwar auch eine programmatische Antwort, aber hier ist absehbar, dass die fehlenden Details nichts daran ändern werden, dass es ohne passende Stimuli keine phänomenalen Qualitäten gibt.

Verschärft der Fragesteller an diesem Punkt seine Frage und möchte nun wissen, warum es nicht auch möglich wäre, dass ein funktionierender Organismus Stimuli empfängt und darauf reagiert, aber dennoch keine Empfindungen hat, dann scheint mir schon in der Art der Fragestellung angelegt zu sein, dass er hier jeder denkbaren Erklärung den Boden entziehen möchte. Denn nun müsste man sich darauf einlassen zu erklären, von welcher Art die Information sein muss, die bei der Verarbeitung sinnlicher Stimuli zu Erlebnissen mit einer bestimmten phänomenalen Qualität führt. Der Fragesteller hat aber schon angedeutet, dass er jede derartige Erklärung in seine Fragestellung einbauen wird, und so aus jeder Antwort eine neue Frage generieren wird. Dies ist jetzt ein rhetorisches Spiel, auf das man sich nicht einlassen sollte, da es nicht zu gewinnen ist.

Achim Stephan: Diese Frage basiert auf mehreren Voraussetzungen; davon sind zwei explizit genannt: Die einfachsten Bestandteile der Welt sind nichts anderes als bewusstlose Materieteilchen. Und: Es gibt Empfindungen, die eine bestimmte phänomenale Qualität besitzen. Implizit scheint damit noch behauptet zu werden, dass diejenigen Entitäten, die phänomenale Erlebnisse haben, aus nichts anderem als einer – wenn auch höchst komplexen – Ansammlung jener einfachen Bestandteile bestehen.

Betrachten wir zunächst zwei analoge Fragen, um den Blick für das zu schärfen, was zu klären ist: Wie kann es in einer Welt, deren einfachste Bestandteile nichts anderes als leblose Materieteilchen sind, so etwas wie Leben geben, also Selbsterhalt und Fortpflanzung? Oder: Wie kann es in einer Welt, deren einfachste Bestandteile nichts anderes als winzige, nichts berechnende Materieteilchen sind, Computer geben, die in der Lage sind, selbst den amtierenden Schachweltmeister zu schlagen?

In allen drei Fällen scheint es um die Frage nach der Möglichkeit spektakulärer Systemeigenschaften zu gehen (das Haben von Empfindungen, Lebendigkeit, Schachspielen auf höchstem Niveau), die keinem der Systembestandteile zukommen. Und in allen drei Fällen haben wir gute Gründe, von der Existenz der Systemeigenschaften überzeugt zu sein: Lebewesen bevölkern sämtliche Orte dieser Erde, 1997 bezwang Deep Blue Garri Kasparow unter regulären Turnierbedingungen; und zumindest von uns selbst wissen wir, dass wir als empfindende Wesen eine subjektive Perspektive auf die Welt haben.

Die aufgeworfenen Fragen zielen jeweils darauf ab, zu erklären, wie Systeme entstehen konnten, die über die entsprechenden Systemeigenschaften verfügen, und zu erklären, wie das hoch komplexe Zusammenspiel der Systemkomponenten unter den gegebenen Rahmenbedingungen diese Systemeigenschaften realisiert.

Die Frage nach den Fähigkeiten des Schachcomputers erlaubt klare Antworten: Es handelt sich um ein Artefakt, das vor dem Hintergrund unserer physikalischen und informationstheoretischen Kenntnisse genau so konstruiert wurde, dass es die gewünschte Fähigkeit hat: nämlich Schachzüge in einer Qualität zu berechnen, die es gestattet, den amtierenden Schachweltmeister zu schlagen. Weiter gehende Erklärungen könnten in beliebiger Genauigkeit nachgeliefert werden.

Auf die Fragen nach den Entstehungsbedingungen lebensfähiger Organismen und nach den Realisierern derjenigen Dispositionen, die die Lebendigkeit eines Lebewesen ausmachen, gibt es ebenfalls Erklärungsangebote, die dafür sprechen, dass wir im Prinzip mit vollständigen Antworten rechnen dürfen. Auch können wir angeben, unter welchen Bedingungen künstliche Akteure als „lebend“ zu klassifizieren wären: Sie müssten sich selbst begrenzt heilen und erhalten sowie fortpflanzen können. Die unter dem Namen „organic computing“ versammelte Forschung hat sich neuerdings einigen dieser Merkmale in künstlichen Architekturen zugewandt.

Dagegen scheint es aus prinzipiellen Gründen keine plausible Antwort auf die Frage nach den Realisierungsbedingungen phänomenalen Erlebens zu geben. Die sogenannte „explanatorische Lücke“ ist nicht zu schließen. „Neuro-phänomenale“ Korrelationsbehauptungen reichen, selbst wenn sie zutreffen, dafür nicht aus. Gefordert wäre eine Einsicht in diejenigen Mechanismen, die garantieren, dass die zugehörigen Systeme über Teilnehmerperspektiven verfügen, mit denen Empfindungen und Erlebnisse einhergehen. Da es eine entsprechende Theorie nicht gibt, findet sich auch kein ernstzunehmendes Forschungsprogramm zur Entwicklung künstlicher Systeme mit einer phänomenal geprägten Teilnehmerperspektive.

Wie lässt sich die neuronale Erklärung von Empfindungen und Erlebnissen damit vereinbaren, wie uns diese Empfindungen und Erlebnisse subjektiv erscheinen?

Achim Stephan: Da es, wie ich gerade darlegte, keine plausible neuronale Erklärung von Empfindungen und Erlebnissen gibt, erübrigt sich der Rest der Frage. Im Übrigen sind Empfindungen und Erlebnisse immer perspektivisch und damit subjektiv. Objektive Empfindungen gibt es nicht.

Johannes Brandl: Der Schlüsselbegriff bei dieser Frage ist der Begriff des „Vereinbarens“. Die Frage zielt darauf ab, wie man Erkenntnisse und Erfahrungen aus zwei heterogenen Bereichen sinnvoll miteinander in Verbindung bringen kann: neuronale Erklärungen und die subjektiven Erfahrungsberichte von Subjekten. Manche Philosophen behaupten, dies sei ein Problem, das sich in dieser Radikalität nur hier stellt. Ich denke, dass man zuerst diese Position angreifen muss, um bei der vorliegenden Frage voran zu kommen. Meine Strategie wäre also zu zeigen, dass es sich bei dem vorliegenden Problem nicht um einen Sonderfall handelt, sondern um ein Integrationsproblem, wie es überall in der Wissenschaft anzutreffen ist: Wie z.B. vereinbart man Daten aus der Genetik mit Beschreibungen von Verhaltensgewohnheiten, oder Statistiken mit Einzelfallanalysen, usw. In all diesen Fällen sucht man nach systematischen Korrelationen, und solche Korrelationen sollten daher auch als ausreichend betrachtet werden, um neuronale Erklärungen mit subjektiven Erfahrungsberichten zu „vereinbaren“.

Bettina Walde: Menschliches Erleben und Empfinden lässt sich genau wie menschliches Verhalten zunächst einmal auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen, vor allem aber aus zwei unterschiedlichen personalen Perspektiven, der Perspektive der ersten Person und der Perspektive der dritten Person erfassen. Während in der Perspektive der ersten Person phänomenale Qualitäten dem erlebenden Subjekt unmittelbar zugänglich sind, werden sie in der Perspektive der dritten Person wie sie von den unterschiedlichen empirisch arbeitenden Mind Sciences wie Psychologie, Kognitions- und Neurowissenschaften eingenommen wird, nur indirekt greifbar. Dies geschieht, indem ihre Auswirkungen, die ihnen vorangehenden Vorgänge und ihre neuronale Grundlage bzw. ihre neuronalen Korrelate beschrieben und erklärt werden.

Es ist wichtig, sich hier klar zu machen, dass die neuronale Erklärung von Erlebnissen und Empfindungen sich hauptsächlich auf neuronale Korrelate bezieht, d.h. neuronale Vorgänge die – vereinfacht ausgedrückt – in ihrem Auftreten zeitlich mit Erlebnissen und Empfindungen korrelieren. Im Grunde handelt es sich hier aber nicht um die Erlebnisse und korrelierende neuronale Vorgänge selbst, sondern um zwei Arten von Datenmengen, nämlich neuronale Daten (aus der Perspektive der dritten Person erhoben) und Berichte von Versuchspersonen, die über Erlebnisse und Empfindungen Auskunft geben.

Um eine tragfähige Erklärung des Erlebens und der mit ihm verbundenen phänomenalen Qualitäten zu erhalten, muss jedoch die Frage beantwortet werden, weshalb diese Korrelationen vorzufinden sind. Möchte man hier einen Epiphänomenalismus vermeiden und die neuronale Erklärung von Erlebnissen und Empfindungen mit der charakteristischen Subjektivität von Erlebnissen und Empfindungen in Einklang bringen, so muss man versuchen, eine Erklärung zu finden, die einerseits von einer monistischen Ontologie ausgeht und andererseits die charakteristische Subjektivität des Erlebens und Empfindens auf epistemischer Ebene akzeptiert. Denn die Tatsache, dass Erlebnisse und Empfindungen immer nur dem erlebenden Subjekt unmittelbar zugänglich sind, ist zunächst ein epistemisches Phänomen, d.h. ein Phänomen, das das Wissen hinsichtlich Erlebnissen und Empfindungen betrifft.

Eine Möglichkeit dazu, die Subjektivität von Erlebnissen und Empfindungen mit der neuronalen Erklärung von Erlebnissen und Empfindungen in Einklang zu bringen, könnte darin bestehen, zunächst davon auszugehen, dass sich sowohl empirische Daten als auch Berichte der Versuchspersonen auf eine einzige, nicht weiter charakterisierte Art von Ereignissen, Vorgängen und Zuständen beziehen. Welcher Natur diese Ereignisse, Zustände und Vorgänge sind, kann dabei offen bleiben, wenn man einräumt, dass die unterschiedlichen Beschreibungs- und Zugriffsweisen auf Erlebnisse und Empfindungen erst einmal nichts weiter sind als das – perspektivische Zugriffsweisen, die nicht unbedingt enthüllen müssen, welcher Natur die fraglichen Zustände, Vorgänge, Ereignisse und Eigenschaft an sich sind.

Räumt man dann in einem weiteren Schritt ein, dass sich die Zugriffsweise in der Perspektive der ersten Person prinzipiell nicht vollständig in eine Zugriffsweise der Perspektive der dritten Person übersetzen lässt und akzeptiert die epistemische Irreduzibilität, so lässt sich die charakteristische Subjektivität des Erlebens und Empfindens mit einer neuronalen Erklärung vereinbaren: Ontologisch gesehen, d.h. wenn man die Frage stellt, welche Arten von Zustände, Vorgänge, Ereignisse und Eigenschaft es überhaupt gibt, kann man nun einen monistischen Standpunkt vertreten – neuronale Erklärungen beziehen sich auf genau die Arten von Ereignissen, Zuständen und Vorgängen, die auch im Erleben gegeben sind.

Doch man verzichtet darauf, diese monistische Ontologie als physikalistisch auszuweisen, vielmehr räumt man ein, über die tatsächliche Natur der Ereignisse, Zustände und Vorgänge keine Kenntnis zu haben. Demnach wäre auch eine im weitesten Sinne physikalische Zugangsweise oder eine neurophysiologische Zugangsweise nur eine von mehreren möglichen Zugriffsweisen, die nicht ontologisch vorrangig wäre. Epistemisch gesehen wäre die subjektive Zugangsweise der ersten Person nicht reduzierbar auf eine Zugangsweise der dritte Person wie die der Neurophysiologie, sondern würde gleichberechtigt neben dieser stehen. Doch aus der epistemischen Irreduzibilität würden keinerlei ontologische Konsequenzen folgen. Auf diese Weise könnte man eine monistische Ontologie wie sie häufig mit neurophysiologischen Erklärungen des Erlebens und Empfindens verbunden wird, mit der Subjektivität des Erlebens und Empfindens verbinden.

Gibt es elementare Wahrnehmungsvorgänge, die als nicht-epistemische Prozesse der Informationsverarbeitung zu rekonstruieren sind, oder haben alle Wahrnehmungsvorgänge einen propositionalen Inhalt?

Bettina Walde: Ich denke, es gibt durchaus Wahrnehmungsvorgänge, die sich nicht vollständig in einem propositionalen Inhalt erschöpfen. Zwar lässt sich der in einem solchen Wahrnehmungsvorgang gegebene Inhalt durch eine entsprechende Proposition auf ganz unterschiedlichen Abstraktionsebenen charakterisieren, doch die mit einem Wahrnehmungsvorgang verbundenen phänomenalen Qualitäten sind, so denke ich, keineswegs vollständig durch propositionale Strukturen erfassbar und ausdrückbar. D.h. man könnte sagen: Möglicherweise lassen sich alle Wahrnehmungsvorgänge hinsichtlich ihres Inhaltes mit Hilfe propositionaler Strukturen beschreiben – ich sage „möglicherweise“, weil wir bislang nicht über alle Wahrnehmungsvorgänge erschöpfend Bescheid wissen –, doch eine solche Charakterisierung des Wahrnehmungsinhaltes mit Hilfe von Propositionen ist in vielen Fällen sicherlich nicht erschöpfend, nämlich wenn es um die Wahrnehmung phänomenaler Qualitäten geht. Und ganz sicher gibt es auch Wahrnehmungsvorgänge, die insofern elementar sind, als sie sich gänzlich auf nicht-bewussten Ebenen der Informationsverarbeitung abspielen. Doch dies impliziert nicht notwendiger Weise, dass sich solche Wahrnehmungsvorgänge zum Teil nicht auch mit Hilfe propositionaler Strukturen beschreiben und ausdrücken lassen.

Achim Stephan: Es gibt eine ganze Reihe von Wahrnehmungsvorgängen, die als nicht-epistemische Prozesse der Informationsverarbeitung zu rekonstruieren sind. Auf der einen Seite kommen wir nicht umhin, auch Lebewesen, die über keine begrifflichen Ressourcen verfügen, ein auf elementaren Wahrnehmungen beruhendes Verhalten zuzuschreiben (sei es das Umkreisen einer Lampe durch Fliegen oder der Ausdruck atmosphärischen Unbehagens durch ein Kleinkind). In beiden Fällen wäre es nicht ratsam zu unterstellen, dass die wahrnehmenden Lebewesen qua wahrnehmende Lebewesen auch über propositionale Gehalte verfügen.

Aber auch bei Personen, die im Sinne Davidsons über ein voll ausgebildetes Instrumentarium an Begriffen und Überzeugungen verfügen, die also im Prinzip alle Wahrnehmungsvorgänge propositional begleiten könnten, sind Prozesse der Informationsverarbeitung zu diagnostizieren, die völlig ohne begriffliche Ressourcen auszukommen scheinen. So kann subliminales Priming unterschwellig Einschätzungen prägen und selektive Aufnahmebereitschaften erzeugen und damit Folgezustände beeinflussen, ohne dass das Wahrgenommene dem Subjekt zu Bewusstsein kommt, geschweige denn von ihm sprachlich artikuliert werden kann. Aufgrund der Unzugänglichkeit des implizit Wahrgenommenen können dessen Inhalte jedoch auch nicht zu Handlungsgründen werden.

Dagegen sind die zu emotionalen Reaktionen führenden Appraisalprozesse heterogener Natur. Den Gang der Ereignisse, in die wir involviert sind, überprüfen wir fortwährend auf seine Relevanz für uns. In aller Regel sind die damit einhergehenden Bewertungsprozesse nicht bewusst und verlaufen in einer Geschwindigkeit, die nahe legt, dass die emotionale Reaktion schneller erfolgt als eine mögliche propositionale Vergegenwärtigung. Dennoch lassen sich die impliziten Bewertungsmechanismen u.a. nach folgenden Fragen klassifizieren: Ist die Situation neu? Dient sie meinen Zielen? Bin ich ihr gewachsen? Die theoretische Analyse bedient sich damit zwar durchaus propositionaler Gehalte, die zu Handlungsgründen werden könnten, es ist jedoch sehr fraglich, ob diese in der primären emotionalen Reaktion tatsächlich wirksam waren. Denn analoge Mechanismen lassen sich auch im Tierreich finden. Insofern wären auch die unbewusst verlaufenden Appraisalprozesse als nicht-epistemische Informationsprozesse zu rekonstruieren. 
 
Die Autoren der Stellungnahmen:
Johannes Brandl ist Professor für Philosophie an der Universität Salzburg, Achim Stephan ist Professor für Philosophie der Kognition an der Universität Osnabrück und Bettina Walde ist Privatdozentin für Philosophie an der Universität München.