PhilosophiePhilosophie

02 2010

Matthias Kettner :
Zwei philosophische Paradigmen der Wirtschaftsethik in Deutschland


Die beiden wichtigsten Positionen der Wirtschaftsethik im deutschen Sprachraum

In der deutschen Diskussion finden sich gegenwärtig viele interessante wirtschaftsethische Ansätze. Eine bekannte kulturalistisch-eklektische Position vertritt Horst Steinmann, einer der Gründer des „European Business Ethics Network“ (1986) und des „Deutschen Netzwerks Wirtschaftsethik“ (1993) zusammen mit Albert Löhr. Bekannt sind auch der governance-theoretische Ansatz von Josef Wieland sowie Peter Koslowskis Kombination von Neoaristotelismus und Libertarismus. Peter Koslowski gründete 1998 die „Arbeitsgruppe für Wirtschaftsethik und Wirtschaftskultur“ innerhalb der DGPhil. Im Folgenden diskutiere ich nur die Positionen von Peter Ulrich und Karl Homann, und dies aus zwei Gründen:

- Zum einen die öffentliche Wirkung. Um beide akademische Lehrer – Karl Homann lehrt an der Universität München, Peter Ulrich lehrt an der Universität Sankt Gallen – hat sich ein großer und einflussreicher Kreis von Schülern gebildet. Das Buch Wirtschafts- und Unternehmensethik, das Karl Homann und sein Mitarbeiter Franz Blome-Drees 1992 veröffentlicht haben, gilt heute schon als ein klassisches Lehrbuch dieser Schule, die ich als die Münchner Schule der ökonomischen Ethik bezeichnen würde. Und Peter Ulrichs 1997 erschienenes Buch Integrative Wirtschaftsethik. Grundlagen einer lebensdienlichen Ökonomie gilt heute schon als der klassische Text jener Schule, die ich als die Sankt Gallener Schule der kommunikativen Ethik charakterisieren möchte.

- Der zweite Grund betrifft die Philosophie: In den beiden Schulrichtungen kommen zwei verschiedene philosophische Paradigmen zum Zuge. Von „philosophischen Paradigmen“ möchte ich deshalb sprechen, weil es im Hintergrund der beiden Schulrichtungen um zwei verschiedene Auffassungen (Konzeptionen) von Vernunft (Rationalität) geht – aber nicht allein von Vernunft, sondern auch von Moral und dem Verhältnis von Vernunft und Moral.

Das philosophische Paradigma von Homanns Münchner Schule der ökonomischen Ethik lässt sich als das Paradigma der moralisch entlasteten (das heißt: von Moral entlasteten) ökonomischen Rationalität charakterisieren, und das Paradigma von Ulrichs Sankt Gallener Schule der kommunikativen Ethik als das Paradigma der moralisch erweiterten (das heißt: um Moral erweiterten) ökonomischen Rationalität.

Die diskursive Vernunft als Vergleichsmaßstab

Allerdings kann man philosophische Paradigmen nicht voraussetzungslos miteinander vergleichen. Man braucht dazu ein eigenes drittes Paradigma, das begrifflich reich genug ist, um die beiden zu vergleichenden Paradigmen zu rekonstruieren. Der Vergleich wird nicht neutral oder „rein deskriptiv“ sein, sondern es wird ein kritischer Vergleich sein müssen. Das von mir verwendete Paradigma ist das der diskursiven Vernunft bzw. der Diskursethik.

Zur Diskursethik gehört die metaethische Überzeugung, dass wir Handlungsnormen, die wir für moralisch richtig halten, genau dann vernünftigerweise für moralisch richtig halten, wenn es solche Handlungsnormen sind, für die alle Personen, die mit diesen Normen leben wollen oder leben müssen, einen argumentativ erzielbaren Konsens erwarten dürften, wenn alle diese Personen unparteilich überlegen würden, ob die betreffenden Normen die allgemeine Befolgung verdienen oder nicht verdienen. Der „Ort“ der unparteilichen Überlegung, der Ort der Dynamik von Konsensbildung und Dissensbildung, ist kein transzendentes Jenseits einer reinen Vernunft, sondern verkörpert sich real und geschichtlich in unseren dialogischen Praktiken des Rechtfertigens und des Kritisierens all dessen, was wir behaupten wollen, durch Argumente.

Peter Ulrich hat seine „Integrative Wirtschaftsethik“ in bewusster Anlehnung an das Diskursparadigma von Habermas und Apel konstruiert, sozusagen als eine „Diskursethik für die Wirtschaft“. Apel hat aber in einigen Aufsätzen sehr kritisch zu Ulrich Stellung genommen, was nicht einer gewissen Ironie entbehrt, weil Apel gewissermaßen „seine“ diskursethische Architektonik gegen ihre Liebhaber in Schutz nehmen will – Apel meint, dass Ulrich das dramatische Problem vernachlässigt, wie vernünftig begründbare Moralnormen unter Realitätsbedingungen „angewendet“ werden können. Ulrich hingegen meint, bereits die Kategorie der „Anwendung“ von Moralnormen sei kategorial schief, so schief wie die im englischen und amerikanischen Raum gängige Rede von „Angewandter Ethik“ („applied ethics“). Die Kontroverse beruht meines Erachtens zum Teil auf Missverständnissen auf beiden Seiten. Sicher ist der Ansatz von Ulrich der am weitesten entwickelte Versuch, aus der allgemeinen Diskursethik von Apel und Habermas eine spezielle „Diskursethik für die Wirtschaft“ zu konstruieren.
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