PhilosophiePhilosophie

FORSCHUNG

Kritische Theorie: Wie Adorno gemobbt wurde


KRITISCHE THEORIE

Wie Adorno gemobbt wurde


Adorno, Theodor W./Horkheimer, Max: Briefwechsel, Band IV 1950-1969. 1078 S., Ln., € 44.90, 2007, Suhrkamp, Frankfurt.

Wie man Plessner instrumentalisieren wollte

1952 hatten Adorno und Horkheimer mit der amerikanischen Hacker-Foundation eine Zu-sammenarbeit vereinbart. Es ging um ein Projekt, das das Bild des Psychiaters, der Psychiatrie und der Introspektion überhaupt zum Thema hatte. Für die Arbeit an diesem Thema wurde Adorno – der zu dieser Zeit noch keine Professur in Frankfurt hatte – für eine unbefristete Zeit in Los Angeles von der Stiftung bezahlt. Dafür trat der Philosoph Plessner provisorisch für zwei Semester ins Frankfurter Institut ein und wurde dort ab 1. April 1953 kommissarischer Direktor. Plessner heiratete um diese Zeit eine gewisse Tintelnot. Horkheimer war nicht begeistert: „Meiner Ansicht nach ist er dazu, schon gegen seine bessere Einsicht, von der Frau gezwungen worden. Sie hat einen viel stärkeren Willen als er und ich halte sie in jeder Hinsicht – und ich unterstreiche in jeder – für eine nuisance. Bei dieser Sachlage ist es wohl besser, ihn im nächsten Semester nicht mehr hier zu haben“, berichtet er nach Amerika.
Allerdings instrumentalisierte er Plessner gleich, um für Adorno einen soziologisch-philosophischen Lehrstuhl herauszuschinden. Denn wenn er nun, so überlegte er, einen solchen Lehrstuhl fordere, werde man gleich antworten, dieser sei ad hominem für Adorno geschaffen. Nun könne er in seiner Antwort auf Plessner hinweisen, für den dieser Lehrstuhl ebenfalls wie geschaffen sei. Wenn nun die Stelle einmal geschaffen sei, sehe er kein Problem, „falls Krüger, dem es besser geht, mittut“, Adorno auf die erste und Plessner auf die zweite Stelle zu setzen. „Jedenfalls ist das einer der Gründe, warum ich mit Plessner lieber behutsam verfahren möchte, aber das Weib ist unmöglich, und ich bin gar nicht sicher, wie es geht.“ Adorno antwortet ihm: „Wir stehen diesmal vor einer Entscheidung über unser ganzes Leben wie kaum seit zwanzig Jahren, und alles kommt darauf an, dass wir diese Entscheidung tat-sächlich gemeinsam, im sorgfältigen Abwägen alles Involvierten treffen.“ Adorno hofft, dass die Frage des Lehrstuhls bis zum nächsten Frühjahr entschieden ist und er nach Deutschland zurückkehren kann. Was den Plessner betrifft, so „brauchten wir ihn nicht mehr, und dass das, mit dem scheußlichen Weib around an sich besser wäre, glaube ich auch“.

Ende des Jahres 1952 kündigt Adorno eine Vorlesung über Hegels Geschichtsphilosophie in Frankfurt an. Da sämtliche Professoren Vorlesungen zu diesem Themenkreis anbieten, da er sehr beliebt sei, schlägt Horkheimer vor, das Thema zu ändern. Horkheimer, der ursprünglich ebenfalls zum gleichen Thema sprechen wollte, liest nun über „den Begriff der Freiheit“, und Adorno schlägt „Abstraktion und Intuition“ vor.

Pläne für das Institut

„Sollte es mit der zweiten Professor klappen, so müssen wir selbstverständlich alles daran setzen, das Institutszeug so zu organisieren, dass wir endlich gemeinsam an die Arbeit gehen können, aber selbstverständlich sollte einer von uns die Kontrolle über das Institut behalten, Ideen geben und die großen Richtlinien bestimmen.“ In einem Brief an Kurt Wolff skizziert Horkheimer, wie er das künftige Institut für Sozialforschung sieht: Die Ausbildung der Studierenden in Problemen der Soziologie, selbst der Methodologie, soll unter philosophischen Gesichtspunkten stehen. Ein Seminar über Methoden und ein sozialwissenschaftliches Praktikum sollen in der philosophischen Fakultät angezeigt und dort auch eine Vorlesung über Sozialphilosophie abgehalten werden. Das Direktorium des Instituts soll durch Personalunion mit dem geplanten Lehrstuhl für Philosophie und Soziologie (für den Adorno vorgesehen ist) verknüpft werden. Ziel ist es für Horkheimer, die Soziologie und die empirischen Sozialwissenschaften im Sinne einer Konkretisierung der Philosophie auf gesellschaftliche Probleme hin auszurichten und einer allzu abstrakten und wirklichkeitsfernen Philosophie entgegenzuwirken. Zentral ist ihm eine philosophische Erziehung mit starker Betonung der gesellschaftlichen Probleme der Gegenwart. Unterdessen bittet Adorno Horkheimer, „durchzuwurschteln“, bis er aus Amerika zurück sei und nichts zu ändern.

Adorno wird gemobbt

Doch die Sache mit dem neuen Lehrstuhl dauert, und Adorno fühlt sich in Amerika zunehmend unwohl. Er beginnt zu drängen, zumal Horkheimer das Rektorat der Frankfurter Universität innehat: „Wir müssen die relativ kurze Zeit, in der Sie noch Rektor sind, optimal ausnutzen.“ Und er möchte möglichst schnell zurückkehren: „Unsere Position der Fakultät gegenüber ist sicher stärker, wenn ich möglichst bald in Frankfurt auftauche, ganz zu schweigen von Ihrer Ent-lastung und dem Institutsproblem. Sobald Sie mit der Fakultät einig sind, sollte man den Plan dem Minister vortragen. Diesen, der ein eingefleischter Darmstädter ist, kann man vielleicht daran erinnern, dass ich die Darmstädter Studien gerettet habe.“ Am 12. März 1953 klingt Adorno verzweifelt: „Angesichts dessen.., dass wir kaum mehr darauf hoffen können, selber die Subjekte jener Praxis zu sein, die das Unheil wenden könnte, kommt alles darauf an, dass wir in einer Kontinuität stehen, die uns die Hoffnung gibt, dass nicht alles, das in uns sich angesammelt hat, verlo-ren geht.“ Hier in Amerika fühlt er sich ein-sam, isoliert und ist überzeugt, „so paradox es klingt“, dass er in Frankfurt trotz aller Pflichten und all dem Verflochtensein ins Leben mehr Ruhe finde.

Nun kommen mit Datum 13. März gute Nachrichten aus der alten Welt. Das Ministerium werde vermutlich bei der Fakultät anfragen, ob man bereit sei, Adorno einen au-ßerordentlichen Lehrstuhl anzutragen, da dieser von den politischen Ereignissen schwer getroffen worden sei. Adorno schöpft wieder Mut: „Den außerordentlichen Lehrstuhl dürfen wir uns auf keinen Fall entgehen lassen“, zumal „die Zeit drängt“. Auch wäre Adorno bereit, die Definition „Soziologie“ zu akzeptieren, lieber wäre ihm aber „Philo-sophie und Soziologie“. Der Grund für die Eile: Adorno fühlt sich in Los Angeles gemobbt. Er berichtet von Dingen, die „ihm das Leben zur Hölle machen“: „Im Zählen der Tage bis zur Rückkehr ist wirklich die Identität des Subjektiven mit dem Objektiven erreicht.“ Insbesondere der Institutsleiter Ha-cker macht Adorno das Leben schwer. So be-richtet Adornos Frau an Horkheimer: „Hacker ist von einer unvorstellbaren Gemeinheit: er hat nie ein freundliches oder anerkennendes Wort für Teddie, sondern nörgelt an allem herum und setzt seine Beiträge vor den anderen herab, auch materiell. Dem armen Nilpferd graut es jeden Morgen vor der Fahrt in die Klinik, und am Abend, wenn ich ihn abhole, ist er so hin, dass es überhaupt nichts gibt, womit ich ihn ablenken könnte.“ Adorno spielt mit dem Gedanken, falls es mit Frankfurt nichts würde, nach Frankreich zu gehen. Horkheimer rät ab: „Es spricht wirklich alles dagegen.“

Pläne für eine Neubelebung der Zeitschrift

Horkheimer will nun auch die berühmte Zeitschrift des Instituts wieder neu aufleben lassen und macht sich Gedanken über das Konzept. Pro Jahr sollen drei Nummern erscheinen, die Aufsätze von Adorno, Hork-heimer sowie Freunden des Instituts beinhalten. Weiter sollten Texte aus der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts neu veröffentlicht, Forschungstexte aus der Arbeit des Instituts vorgestellt sowie Bücher besprochen werden.

„Wenn wir die Zeitschrift nicht machen“, so Horkheimer, „fürchte ich, dass wir am Publi-kations-Problem versagen“. Adorno findet die Idee ausgezeichnet und verspricht, sich des Plans mit Begeisterung anzunehmen: „Schön wäre es, wenn die Zeitschrift wieder ‚Zeitschrift für Sozialforschung’ hieße.“ Auch an Marcuse schreibt Horkheimer der Zeitschrift wegen und begründet dies so: „wir brauchen noch einen von uns“. Adorno hat nun aber insgeheim Angst, Marcuse könne ihm in Frankfurt vorgezogen werden: Es würde mich „todtraurig machen wenn er nach Frankfurt käme ehe ich zurück bin. Auch nach außen würde das so verstanden, als ob er mich irgendwie ersetzen sollte.“ Später kamen die beiden jedoch von der Idee der Zeitschrift ab und setzten an deren Stelle die Schriftenreihe „Frankfurter Beiträge zur Soziologie“, die in der Europäischen Verlagsanstalt in Frankfurt erschien.

Adorno zurück in Frankfurt

Am 29. Mai 1953 hat Adorno endgültig die Nase voll, kündigt bei Hacker und beantragt Pässe zur Rückkehr nach Deutschland – auch wenn dort die Zukunft noch unsicher ist. Doch noch vor der Abreise erhält er eine beruhigende Nachricht: Das Ministerium bewilligt die Gelder für den Lehrstuhl, Krüger hat ein positives Gutachten geschrieben, und auch der Dekan steht auf ihrer Seite. Horkheimer geht sehr sorgfältig vor: „Ich suche die Besprechung über die Professur so sorgfältig vorzubereiten wie nur möglich.“ Er will der Einberufung einer Kommission durch vorherige Einzelgespräche vorbeugen. Am 1. August kommt die für Adorno erlösende Nachricht: Die Fakultät hat positiv entschieden, Adorno wird eine Professur angetragen.

Kaum ist er im Amt, mischt er sich in Personalfragen ein. An der Hochschule für Musik sei der Kompositionsunterricht von Kräften besetzt, die, „wie ich vor allem auf Grund meiner Kenntnis ihrer eigenen Kompositionen sagen kann, allenfalls für eine provinzielle Anstalt ausreichen würden.“ Es herrsche dort ein fragwürdiger Bach-Kultus, „sodass sich ein künstlerisch freies, autonomes Studium überhaupt nicht entwickeln kann“. Adorno empfiehlt bei einem sich abzeichnenden Wechsel der Leitung der Schule nachdrücklich einen Josef Rufer, „einen Schönberg-Schüler von gediegenster musikalischer Bildung“. Allerdings: Adornos Einflussnahme blieb ohne Wirkung. Kurz darauf gibt er einen Vorschlag für den Stellenplan ihres Lehrstuhls am philosophischen Institut: „Mehr als drei Assistenten kann man wohl nicht verlangen“, dafür soll dem Konkurrenten Wolfgang Cramer (der seit 1953 apl. Professor war) die Assistentenstelle gestrichen werden.
Einer der Assistenten sorgt für eine Enttäu-schung: Ralf Dahrendorf kündigt völlig un-erwartet und begründet dies damit, dass er im Sinne der formalen und der Wissenssoziolo-gie arbeiten wolle, was im Institut zu kurz käme. „Er ist ein sehr begabter Mensch“, urteilt Adorno, „aber er verzehrt sich gerade vor Ehrgeiz, und vor allem: er haßt im Grunde das, wofür wir einstehen…. aber er ist wohl der stärkste Beweis für unsere These, dass in einem strengen Sinn nichts nach uns kommt.“

Am 8. September 1854 schreibt Adorno aus dem Hotel „Reber au Lac“ aus Locarno an Adorno: „Mehr fast je als zuvor kommt mir das Feindliche, Drohende der Welt zum Bewusstsein, und ich weiß, dass wir nur zusammen – auch räumlich! – damit fertig werden und das Richtige zustande bringen können. Die Einsamkeit ist grenzenlos – dass wir nichts haben als uns ist ganz wörtlich zu nehmen.“

Ende August 1855 beklagt sich Adorno, Marcuse habe in einem Aufsatz wesentliche Gedanken der beiden verwendet, ohne ihren Namen zu nennen, „was ich denn doch als sehr merkwürdig empfinde“. Auch Plessner tritt zu dieser Zeit wieder einmal in den Mittelpunkt des Interesses. Adorno wollte einen Beitrag zu einer Plessner-Festschrift schreiben, aber da dieser die Ergebnisse einer Untersuchung zwar dem „Spiegel“ zusagt, dem Institut aber vorenthält, hält es Adorno „für masochistisch, wenn wir ihn ehren wollten“. Als er allerdings entdeckt, dass Plessner bei der Deutschen Forschungsgesellschaft „einigen Einfluss“ hat, zieht er seinen Beitrag zu der Festschrift doch nicht zurück: „Plessner hat immerhin … als Gutachter mitzureden, und es ist deshalb besser, wenn wir ihn nicht offen brüskieren. An meiner Meinung über ihn ändert das nicht das geringste.“

1957 geht es um die Besetzung des dritten philosophischen Lehrstuhls in Frankfurt, um die Nachfolge von Gerhard Krüger. Die beiden schlagen an erster Stelle den Schweizer Hans Barth, an zweiter den Franzosen Lu-cien Goldmann und erst an dritter Hermann Wein vor. Von letzterem gab es das Gerücht antisemitischer Äußerungen – unbedingt abbiegen wollten die beiden die Kandidatur Blumenbergs („der wirklich für ein Ordinarius nicht geht“) und des „Logistikers“ Stegmüller – wobei sie diskutierten, ob man nicht „strategisch… den dritten Lehrstuhl lieber gar nicht besetze, als mit jemandem, den wir nicht mögen?“, zumal eine Wahl Hermann Weins drohte: „Einen Antisemiten wollen wir uns nicht hereinsetzen, und doch könnte ich mir auch vorstellen, dass in Wirklichkeit Wein uns näher steht als alle die an-deren“, schreibt Adorno. Aber dann wird es noch bedrohlicher: eine Berufung des natio-nalsozialistisch vorbelasteten Arnold Gehlen droht: „Wie schlimm Gehlen ist, davon ha-ben wir uns kaum eine Vorstellung gemacht“, schreibt Adorno. Schließlich wird Walter Schulz berufen, sagt aber ab. Im De-zember 1959 wird Bruno Liebrucks berufen, der annimmt.

Probleme mit Habermas

Am 1. August 1956 tritt Habermas als Assistent in das Institut ein. Im Jahr darauf veröf-fentlicht er in der Philosophischen Rundschau einen Bericht „Zur philosophischen Diskussion um Marx und den Marxismus“, eine erste Wiederentdeckung von Marx, die den geharnischten Zorn von Horkheimer hervorruft. Habermas sei „ein begabter, unablässig auf geistige Überlegenheit sich verweisender Mensch... der sich zum Vorbild nehme, was er im Augenblick für das Avancierteste hält, vor allem die Marxschen Jugendschriften und vermutlich ein verzerrtes Bild von Teddie und unseren gemeinsamen Gedanken, und stachelt sich zu ungeheurem Scharfsinn an“. Die Normen, die Habermas von Marx aufnehme, würden bei ihm „zum Evangelium im Zusammenhang mit empirischen Forschungen“.

Wer so schreibe wie Habermas, „trägt bei aller Gescheitheit Scheuklappen, es gebricht ihm an bons sens und an geistigem Takt. Er lehrt, was er zu bekämpfen vorgibt, reine Philosophie, einschließlich einer Wissenschaftslehre, in der die Soziologie ihre Aufgaben aus der Situation von 1843 gestellt bekommt.“ Revolution bilde bei Habermas „eine Art affirmative Idee, ein verendlichtes Absolutum, einen Götzen, der Kritik und kri-tische Theorie, wie wir sie meinen, gründlich verfälscht“. Denn „die Welt ist voll von Revolutionen und mittels ihrer breitet der Schrecken sich aus“. Horkheimer befürchtet einen verheerenden Einfluss von Habermas auf die Studierenden, „dass er die Gesinnung und die gesellschaftliche Einsicht unserer Studenten durch Begriffsfetische kaputt macht, ist unerträglich…“. Adorno notiert hier: „Nein, ungerecht!“

Adorno und Horkheimer hatten sich über die Jahrzehnte per „Sie“ angesprochen. Im De-zember 1959 wechseln sie, ohne dass ein Grund dafür ersichtlich wäre, zum vertrauli-chen „Du“.