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03 2007

Simone Dietz:
Kampf der Kulturen? Über Huntingtons These

Die These

Samuel Huntingtons These vom „Kampf der Kulturen“ ist seit ihrer ersten Veröffentlichung 1993, also vor nahezu vierzehn Jahren, zu einem festen Bestandteil der öffentlichen Debatte geworden. Das ist insofern erstaunlich, als die große Resonanz, die diese These gefunden hat, zumindest von wissenschaftlicher Seite von Anfang in einer massiven Kritik bestand. Huntingtons These sei eine grob vereinfachende Weltformel, deren Einprägsamkeit auf schwammigen Begriffen basiert und deren Anwendung auf konkrete Fälle voller Widersprüche ist – so der einhellige Tenor.

Huntingtons These besagt, kurz gefasst, dass nach dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr politische Ideologien, sondern Kulturen die Weltordnung bestimmen. Nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation sei die politische Welt multipolar und multikulturell geworden. Um neue weltweite Konflikte zu vermeiden, müsste der Westen auch andere kulturelle Wertvorstellungen als die eigenen berücksichtigen. Es sei ein Irrtum, Modernisierung mit westlicher Kultur oder Verwestlichung gleichzusetzen. Der Westen müsse sich darauf einstellen, dass seine Werte von anderen Kulturkreisen nicht geteilt werden und dass sie auch nicht als ‚universelle Werte’ im Zuge der Modernisierung Verbreitung finden könnten.

In der empirischen Anwendung seiner These teilt Huntington die Welt in sieben bis acht große Kulturkreise ein, zwischen denen seiner Ansicht nach die Bruchlinien der drohenden Konflikte verlaufen. Diese Kulturkreise sind: der Westen (zu dem vor allem Europa und die USA zählen, aber auch Kanada, Australien und Neuseeland), Japan, China und Indien als jeweils eigenständige Kulturkreise, außerdem die islamische Kultur, die orthodoxe, die lateinamerikanische und die afrikanische (bei der allerdings auch für Huntington fraglich ist, ob sie als einheitliche Kultur gelten kann). Nationen bzw. Nationalstaaten bleiben aus dieser Sicht zwar die Hauptakteure im Weltgeschehen, aber sie agieren in Koalitionen, die vor allem unter kulturellen Aspekten gebildet werden. Die Definition nationaler Interessen orientiert sich an kulturellen Gesichtspunkten.

Neben der allgemeinen Kritik am wissenschaftlichen Niveau von Huntingtons Ausführungen richten sich Einwände vor allem gegen seine Einteilung der Kulturkreise. Die Kriterien der Einteilung seien heterogen, sie orientieren sich im einen Fall an der Religion, im anderen an den nationalen Grenzen. Ihre Anwendung sei schwammig und widersprüchlich und betreffe in vielen Fällen eher klassische Machtkonflikte um politische und territoriale Kontrolle, so dass die Behauptung einer zentralen kulturellen Dimension der Konflikte nicht belegt wird.

Mit manchen Globalisierungstheorien teilt die Formel vom „Kampf der Kulturen“ die Auffassung, dass die Bedeutung der Nationalstaaten im Schwinden begriffen ist. Die Globalisierungsdiskussion rückt mit der Fokussierung auf die Entwicklung des Weltmarktes jedoch ökonomische Faktoren in den Vordergrund, während Huntington ‚die Kultur’ ins Zentrum stellt: Auch wenn nach wie vor Staaten die wichtigsten politischen Akteure der internationalen Ordnung sind, würde doch ihr Handeln in hohem Maße von kultureller Loyalität oder Gegnerschaft und weniger von rationalen politischen Zielsetzungen und Interessen anderer Art bestimmt.

Den Nerv der öffentlichen Debatte getroffen

In den Balkan-Konflikten der 90er Jahre und den Anschlägen auf die USA am 11. September 2001 sahen viele eine Bestätigung für Huntingtons These, dass kulturelle Differenzen in der Weltpolitik eine zentrale Rolle spielen, und dass Kultur nicht etwa bloß eine täuschende Fassade für ökonomische Interessen ist, die von der Kulturindustrie schon längst auf standardisierte Massenprodukte reduziert wurde. In der Globalisierungsdiskussion erscheint kulturelle Vielfalt entweder als bedroht, oder als etwas, das es in dieser Form gar nicht mehr gibt, und das deshalb neue Begriffe (z.B. ‚Transkulturalität’ oder ‚Hybridität’) erfordert. Im Unterschied dazu wird kulturelle Vielfalt in Huntingtons Formel selbst zum Bedrohungsfaktor. Die starke Resonanz auf diese Formel kann nicht einfach als verfehlte Feindbilderzeugung abgetan werden.
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