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INTERVIEW

Pippin. Robert: Ein „amerikanischer“ Idealismus?

aus Heft 2/2012, S. 36-41

Robert Pippin im Gespräch mit Jörg Noller über die nordamerikanische Rezeption der Klassischen Deutschen Philosophie

Herr Pippin, worin besteht die Besonderheit und auch die Herausforderung der Klassischen Deutschen Philosophie“?

Die Klassische Deutsche Philosophie unternahm den radikalen Versuch, eine Art von säkularem Humanismus zu begründen, der ein viel tiefgreifenderer und prinzipiellerer Humanismus ist als derjenige, der aus der englischen oder der französischen Aufklärung hervorgegangen ist. Die englische Aufklärung ist dominiert von einem Empirismus und von einer gewissen Konzeption von menschlichem Glück, welches sich als eine Art minimaler Erwartung und Anspruchshaltung an eine Gesellschaft verstehen lässt. Das ist natürlich sehr anerkennenswert, da dies das menschliche Leiden verringert und ein angenehmes Leben, ein commodious life, wie Locke sagen würde, ermöglicht. Die Tradition der französischen Aufklärung ist ursprünglich und noch lange Zeit danach materialistisch orientiert und eher feindlich gegenüber der religiösen Tradition eingestellt. Das machte eine öffentliche Kultur unmöglich, die tolerant zu einem immer vorhandenen menschlichen Bedürfnis nach Religion ist. Die deutsche Aufklärung dagegen ist offener gegenüber der Religion eingestellt, was sich etwa im Spinoza-Streit und der Diskussion bei Lessing zeigte. Sie hat eine größere Tiefe der humanistischen Kultur, und im Gegensatz zur englischen Tradition hat sie eine prinzipiellere Sicht auf das, was für menschliche Wesen eigentümlich ist, nämlich, dass sie vernünftige Wesen sind.

Für mich besteht die Herausforderung der Moderne darin, eine Kultur zu finden, welche eine öffentliche Kultur ist, die nicht allein auf einer nationalen oder religiösen Tradition basiert. Unsere einzige Chance zu verstehen, wie das gelingen könnte, verdanken wir meiner Ansicht nach der Tradition der Romantik und des Deutschen Idealismus.

Worin bestehen traditionellerweise die Vorbehalte der angelsächsischen Welt gegenüber der Klassischen Deutschen Philosophie?

Für die englischsprachige Welt besteht die Unverständlichkeit der deutschen philosophischen Tradition darin, dass beginnend mit der Philosophie Kants menschliche Freiheit als eine absolute und bedingungslose Angelegenheit begriffen wird. Es gibt dort keine Kompromisse bezüglich menschlicher Freiheit. Und so wurde im nachkantischen Denken der Begriff des Absoluten eingeführt. Die angelsächsische Welt hingegen ist traditionell sehr skeptisch geprägt, und sie ist speziell sehr skeptisch mit Blick auf Konzeptionen eines Absoluten. Ein Spezifikum der klassischen deutschen Tradition besteht ferner darin, dass sie die Idee eines rationalen Prinzips ernst nimmt, welches über empirischen und kontingenten Bedürfnissen einer Zivilisation steht und nach etwas weitaus Höherem strebt. Für mich ist das eine sehr wertvolle und achtenswerte Eigentümlichkeit.

Und wo sehen Sie Grenzen bzw. Probleme der Klassischen Deutschen Philosophie?

Ein Problem habe ich schon erwähnt: Es fällt vielen Philosophen schwer, Denker wie Kant, Fichte, Schelling und Hegel zu verstehen und ernst zu nehmen, die so ganz selbstverständlich von einem Absoluten sprechen. Aber es gibt auch eine andere Art von Problem, das später wieder in der deutschen Tradition auftauchte, bei Nietzsche, aber im Grunde auch schon bei Hegel in seinen Bemerkungen über den prosaischen Charakter der Moderne und die Schwierigkeit, die Tradition der Hochkultur in der späten Moderne aufrecht zu erhalten. Darin zeigte sich bereits ein Problem, welches wir heute vielleicht allgemeiner als das „psychologische“ Problem bezeichnen würden, nämlich, dass einige Generationen später selbst das Streben nach Freiheit als ein Trachten empfunden wurde, das nicht mehr ausreichend tief und wünschenswert ist, sprich, das langweilig ist. Menschliches Leben wird also mit einem Male langweilig und konformistisch, ja gewöhnlich. Die modernen Massen- und Konsumgesellschaften scheinen nicht in der Lage zu sein, die psychologische Intensität des Selbstvertrauens in einer Weise aufrecht zu erhalten, die dafür ausreichend ist, dass das zivilisatorische Projekt vital und beständig bleiben kann.

 

 


Der erste große Prophet dieses Problems war meiner Ansicht nach Nietzsche. Vernunft und ihre Realisierung und damit die Verwirklichung der Freiheit sind in einem gewissen Sinne nicht genug, um eine befriedigende Form der Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Es gibt eine gewisse Art von Grenze, welche in der Klassischen Deutschen Philosophie angelegt ist. Natürlich konnten die Vertreter des Deutschen Idealismus nicht das Auftreten von Massen- und Konsumgesellschaften und deren Wirkung auf den einzelnen Menschen und die Gesellschaft als solche vorhersehen und auch nicht die Wirkung, welche diese auf das alltägliche Leben haben würden. Nietzsche, aber auch Mill begannen am Ende des 19. Jahrhunderts zu sehen, dass eine Form des Lebens in den Blick geriet, welches in einem fundamentalen Sinne andere Probleme und Fragen aufwarf. Und das ist ein Problem, mit dem wir heute nach wie vor konfrontiert sind.

Sie hatten bereits erwähnt, dass die Interpretation der Klassischen Deutschen Philosophie eine Herausforderung darstellt. Worin besteht die Eigentümlichkeit der nordamerikanischen Rezeption der Klassischen Deutschen Philosophie, etwa im Vergleich zur kontinentalen Rezeption?

Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum 2. Weltkrieg gab es in den USA eine sehr lebendige und aktive Gemeinschaft von Hegelianern, zuerst erst in St. Louis und dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch in Harvard, mit Philosophen wie etwa Josiah Royce und George Santayana. Hegels Philosophie war ein durchaus respektiertes Thema der Diskussionen. Aber nach dem 2. Weltkrieg veränderte sich dies grundlegend: Zum einen durch den Aufstieg der analytischen Philosophie und die Zurückweisung der Hegelschen Philosophie, vor allem durch Bertrand Russell. Hegel galt geradezu als ein Musterbeispiel schlechter metaphysischer Spekulation. Aber das entscheidende Problem in den USA waren die Verdächtigungen, denen sich die Klassische Deutsche Philosophie nach dem 2. Weltkrieg ausgesetzt sah. Natürlich wollte jeder verstehen, wie das, was in Deutschland geschehen war, möglich gewesen war in einer Kultur mit solch einer hoch entwickelten Philosophie und Literatur. Und so rückten bald die deutsche Romantik und die philosophische Tradition in den Blick. Es musste, so die Überzeugung vieler englischsprachiger Philosophen, dort eine dunkle Seite geben.

Karl Popper war der bedeutendste Vertreter dieser Ansicht, aber auch Sidney Hook steht dafür. Es war weit verbreitet und anerkannt, dass in der deutschen philosophischen Tradition etwas sehr Gefährliches begründet lag. Tatsächlich ist Kant die letzte Figur in der deutschen Tradition, die wirklich ernst genommen wird von der Mehrheit der analytischen Philosophen, und zwar deswegen, weil für Kant die Orientierung der Philosophie die moderne Naturwissenschaft war, die Mathematik und die Physik Newtons. Während diese Orientierung für die amerikanische und die britische Tradition typisch ist, gilt dies für Fichte und Schelling, die Deutsche Romantik, Schlegel, Schiller und Hegel nicht. Sie orientierten sich viel mehr an der Geschichte, der Kultur und Literatur – und dies macht sie in der anglophonen Philosophie verdächtig. Es gibt also zwei Probleme: zum einen die angebliche Verbindung der deutschen Tradition mit der Entstehung des Nationalsozialismus, von der Romantik über Hegel zu Nietzsche, zum anderen, dass die modernen Naturwissenschaften nicht so stark als ein Modell für das fungierten, was Philosophie sein und erklären sollte.

Aber dann erschien mit Herbert Marcuses Buch Reason and Revolution die erste Verteidigung Hegels als eines eigenständigen, aufgeklärten Denkers, dessen Vernunftbegriff vollkommen kompatibel mit modernen Idealen war und der an der Spitze eines fortschrittlichen Verständnisses eines modernen Zeitalters stand. In der Folge erschienen dann weitere, eher wissenschaftliche Studien, etwa Hegel’s Theory of the Modern State von Shlomo Avineri. Schließlich veröffentlichte Charles Taylor im Jahr 1975 sein umfangreiches Buch Hegel, gefolgt von dem kürzeren Hegel on Modern Society. Hegels politische Philosophie wurde damit der erste akzeptierte Bestandteil seines Werks in der angelsächsischen Tradition, weil die Leute klar sehen konnten, dass etwas im Liberalismus falsch war. Man begriff, dass etwas Ungenügendes in der Idee lag, auf Basis von atomistisch-rational begriffenen Entscheidungsträgern eine politische Ordnung begründen zu wollen. Die konzeptionelle Basis einer solchen Theorie wurde nun als zu „dünn“ empfunden.

In der Folge entwickelten sich Theorien wie der Kommunitarismus, etwa bei Alasdair McIntyre, der mit Hegels Begriff der Sittlichkeit sympathisierte, welche dem Kontraktualismus der angelsächsischen politischen Philosophie entgegengesetzt ist. In den späten 80er Jahren und im Verlauf der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts nahm dann aus einer Reihe von Gründen das Interesse für Hegels systematische Philosophie wieder stark zu. Entscheidend war dabei meines Erachtens, dass die Leute zu verstehen begannen, dass es möglich ist, eine Art von wissenschaftlichem Naturalismus zu entwickeln, ohne dabei einen metaphysischen Dualismus vertreten zu müssen. Man verstand nun, dass, obwohl Hegel zwei Prinzipien – Geist und Natur – in seinem System hatte, dies zu keinem Dualismus führen musste. Der Gegensatz zwischen dem Natürlichen und dem Normativen, nicht als ein metaphysischer Gegensatz, sondern als eine unterschiedliche Auffassung der Vernunft hinsichtlich verschiedener Arten der Erklärung menschlicher Ereignisse, fand Anklang in den USA. Dann erschienen der Reihe nach verschiedene Bücher, etwa mein Buch Hegel's Idealism im Jahr 1989. In den 90er Jahren begannen Robert Brandom und John McDowell Bezüge zu Hegel herzustellen und veröffentlichten im englischsprachigen Raum systematische Studien darüber. Auch erschienen Bücher zu Fichte, etwa von Frederick Neuhouser und Wayne Martin, Raymond Geuss, Hans Sluga, ferner auch Terry Pinkards Buch über die Phänomenologie des Geistes und seine Hegel-Biographie. Die Einbeziehung von Hegels normativen Theorieelementen war der dritte und wichtigste Beitrag der Hegel-Rezeption in den USA – und das setzt sich gerade heute in starkem Maße fort. Aber ich denke, man sollte sich darüber im Klaren sein, dass die Dinge heutzutage viel komplizierter sind. Es ist nicht etwa so, dass es einen wirklichen fundamentalen Wandel gegeben hätte. Die amerikanische Philosophie ist immer noch sehr stark orientiert an der Wissenschaftsphilosophie, der Technikphilosophie, der Sprachphilosophie und gerade der Philosophie des Geistes, die in der gegenwärtigen Philosophie wiederum sehr durch die Kognitionswissenschaft und die Neurowissenschaften beeinflusst ist. Es gibt sehr viele Universitäten, besonders an der Ostküste, wo Hegel und sogar Kant überhaupt keine ernstzunehmende Rolle spielen. Eher schon in der Gegend um Chicago, South Bend und Pittsburgh, im „Mittleren Westen“ der USA.

Sie arbeiten in Ihren Texten die Aktualität der Klassischen Deutschen Philosophie heraus. Was sind dabei Ihre hermeneutischen Prinzipien?

Zunächst einmal teile ich viele Anliegen und Interessen von Forschern wie Pinkard, McDowell, Brandom, Redding, Neuhouser, Martin und anderen. Allerdings nehme ich etwas sehr ernst, was gerade nicht sehr aktuell in der amerikanischen Philosophieszene ist, nämlich Hegels Beharren auf der Tatsache, dass Philosophie ein geschichtlich-diagnostisches Anliegen hat, dass sie „ihre Zeit in Gedanken gefasst“ ist, wie Hegel sagt. Das bedeutet, dass es die Aufgabe der Philosophie ist, dort, wo es möglich und offensichtlich erscheint, „die Spuren der Vernunft“ in der Geschichte aufzudecken.

Das bedeutet wiederum, dass man Hegel in erster Linie als einen Theoretiker der Moderne verstehen muss, dem es immer um die Verwirklichung der Freiheit als der Verwirklichung der menschlichen Vernunft geht. Wenn wir Hegel ernst nehmen wollen, benötigen wir deshalb eine zeitgemäßere Terminologie für seine systematische Philosophie, besonders für sein normatives Verständnis von menschlicher Rationalität. Wir müssen außerdem auch eine zeitgemäßere Methode zum Verständnis seiner Verortung der gegenwärtigen sozialen Welt im Rahmen eines geschichtlichen Narrativs entwickeln, welches diese mit den Versuchen einer Realisierung der Freiheit in der Vergangenheit verbindet. Dies ist ungeheuer schwierig. Ein Hegelianer zu sein bedeutet für mich als Philosoph also, nicht nur an der systematischen Seite zu arbeiten, sondern auch zu versuchen, in den zeitgenössischen Manifestationen des Geistes die Bestrebungen hin zu einer Verwirklichung der Freiheit unter so radikal veränderten Umständen zu verstehen, die Hegel nie hätte antizipieren können.

Es gibt verschiedene Bereiche, wo ich diesem Interesse nachgegangen bin: Ich habe ein Buch Henry James and Modern Moral Life geschrieben, welches im Grunde ein Buch über Hegel ist, über seine Anerkennungstheorie unter jenen Bedingungen, die so ausgezeichnet von James beschrieben wurden und von Hegel antizipiert worden waren. Dann habe ich zwei Bücher über Filmkunst geschrieben, besonders über Filme, die nicht zur Hochkultur gerechnet werden, denn ich denke, es gibt viele klassische Hollywoodfilme, die einem ebenso helfen, die historische Verortung von aktuellem Denken und sozialem Leben zu verstehen, etwa in meinem Buch über Hollywood Westerns and American Myth. In meinen Adorno-Vorlesungen habe ich im letzten Jahr in Auseinandersetzung mit Hegel versucht zu zeigen, wie man seine Kunstphilosophie aktualisieren könnte. Ich habe gegen seine eigene Theorie, die ja von einem „Ende der Kunst“ spricht, argumentiert und versucht, die Ankunft der Moderne im Sinne des nicht Repräsentationalen und Figuralen als eine hegelianische Entwicklung zu verstehen, welche innerhalb des Hegelschen Problemhorizonts von Subjektivität, Intersubjektivität und Rationalität verortet werden kann. Für mich gilt also, dass ich Hegels geschichtsphilosophische Theorie ernster nehe und diese für das Verständnis der Bedingungen für die Realisierung der Idee der Freiheit, nach der der Mensch Hegel zufolge immer strebt, auch in einer Moderne fruchtbar zu machen versuche, die sich im Vergleich zu Hegels Zeit radikal verändert hat.

Ist in Ihren Augen die Unterscheidung zwischen „analytischer“ und „kontinentaler“ Philosophie noch aktuell und sinnvoll, oder gibt es eine Möglichkeit, diese Spaltung zu überwinden?

Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten, weil sich die Kategorien auf beiden Seiten mittlerweile sehr verändert haben. Der Gegensatz von „analytischer“ und „kontinentaler“ Philosophie basiert auf Kategorien, die sich in den 50er, 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts herausgebildet haben. Damals gab es viele Kämpfe in den Departments. Seitdem aber hat sich die analytische Philosophie in verschiedene Strömungen weiter ausdifferenziert. Sie besteht nicht mehr nur aus logischem Positivismus, ordinary-language-Philosophie und formaler Semantik. Nach dem Niedergang der formalen Semantik und der Aufsplitterung in die verschiedenen Beziehungen zu den verschiedenen Humanwissenschaften ist es also sehr schwierig zu sagen, was analytische Philosophie heutzutage ist – mit Ausnahme des Verhältnisses zu den Naturwissenschaften und eines gewissen Stils, einer eigentümlich analytisch-englischen Prosa. Auf der Seite der kontinentalen Philosophie ist der traditionelle Kampf zwischen der älteren analytischen Philosophie und der phänomenologischen Tradition mit Husserl, Merleau-Ponty, Heidegger, Sartre gewissermaßen „aufgehoben“. Dies ist mittlerweile nicht mehr der entscheidende Gegensatz zwischen „analytisch“ und „kontinental“. Außerdem gibt es viele Gegenden in Europa, wo sich das traditionelle Interesse an der historischen Tradition der Philosophie gerade ändert, besonders hier in Deutschland, wo weit mehr Interesse an analytischer Philosophie existiert als in den meisten Ländern Europas.

Allerdings sind wir noch nicht an dem Punkt angelangt, wo ein deutscher analytischer Philosoph Weltniveau erreicht hat, was bedeuten würde, dass die Amerikaner denken, dass sie seine Schriften lesen müssten. Wenn das geschieht, dann wäre die Philosophie in der Tat kosmopolitischer, und es existierte ein gemeinsamer Diskurs.

Natürlich existiert bereits eine gemeinsame Sprache, das Englische, – und das wird in der Zukunft die Situation zwischen europäischer und amerikanischer Philosophie grundlegend verändern und zwar in Ausmaßen, die vor 20 oder 30 Jahren noch niemand vorhersehen konnte. Wir sind dort aber noch nicht angelangt. In meinen Augen hat sich die kontinentale Philosophie mittlerweile differenziert. Es gibt die französische Seite, in welcher es ein großes Interesse an Theoretikern wie Lacan, Badiou oder Rancière gibt. Aber die Auseinandersetzung mit diesen Denkern findet nicht in der Philosophie, sondern vor allem in der vergleichenden Literaturwissenschaft statt. Selbst Philosophen, die in traditioneller Weise als kontinentaleuropäische Philosophen bezeichnet werden, folgen diesem Trend kaum – was meines Erachtens auch gut ist, denn ich halte nicht viel von der Philosophie Badious oder Rancières.

Seit dem Aufkommen der Heidelberger Schule und ihrer Hegel-Forschung in den 60er und 70er Jahren lässt sich in Deutschland der Trend beobachten, dass man sich in der Forschung historischen Figuren, von Kant bis Heidegger, auf eine philosophisch interessante Weise nähert. Man will nicht mehr nur angemessen darlegen, was diese Denker meinten, welchen Einfluss sie ausübten und wovon sie selbst beeinflusst wurden, sondern man will darüber hinaus auf eine philosophisch sehr fruchtbare Weise die Aufmerksamkeit auf die Relevanz deren Positionen mit Blick auf zeitgenössische Debatten lenken. Das hat den Gegensatz zwischen dem, was die Deutschen „systematische“ oder „analytische“ Philosophie nennen, und einer ausschließlich historisch interessierten Philosophie im Vergleich zur vormaligen Situation sehr verändert und fast schon zum Verschwinden gebracht. Alles in allem glaube ich nicht mehr, dass es einen Kampf zwischen „analytischer“ und „kontinentaler“ Philosophie gibt, eben weil so viel an kontinentaler Philosophie seitdem in die literaturwissenschaftlichen Fakultäten und in die Sozialwissenschaften ausgewandert ist. Die Situation ist also heute viel komplizierter geworden, aber im Grunde bleibt die Situation doch die alte: Wenn man nicht den Orientierungspunkt in den modernen Naturwissenschaften sucht, dann ist man in einer anderen Tradition, und wenn man das tut, dann ist man in der analytischen Tradition.

Robert B. Pippin ist Professor für Philosophie an der University of Chicago. Jörg Noller ist Lehrbeauftragter für Philosophie an der Universität München.
Übersetzung aus dem Englischen von Jörg Noller.