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FORSCHUNG

Heidegger: Der junge Heidegger als Verteidiger der katholischen Lehre

HEIDEGGER

Neue Funde zeigen den Studenten Heidegger als eifrigen Verteidiger der wahren katholischen Lehre


Heimat spielt in Heideggers Denken eine kaum zu unterschätzende Rolle. Insbesondere seine Herkunft aus dem Donaugebiet (und nicht, wie viele ortsunkundige Interpreten annehmen, aus dem Schwarzwald) hat den Philosophen geprägt. Alfred Denker, der an einer großangelegten Heidegger-Biographie arbeitet, hat zusammen mit Elsbeth Büchin Dokumente zusammengetragen, die Heideggers Beziehung zur Heimatstadt Meßkirch aufzeigen. Anhand einer Geschichte seiner Vorfahren, von Zeitungsberichten, bisher unbekannten früheren Veröffentlichungen und persönlichen Erinnerungen und mit einer Vielzahl unbekannter Photos vor allem des jungen Heidegger, aber auch von Meßkirch und Umgebung, dokumentiert er Heideggers Verwurzelung in seiner Heimat:

Martin Heidegger und seine Heimat. Verfasst und herausgegeben von Alfred Denker und Elsbeth Büchin. 266 S., Ln., € 23.—, 2005, Klett-Cotta, Stuttgart.

Heidegger schrieb sich im Wintersemester 1909 an der Universität Freiburg ein und begann Theologie zu studieren. 1911 fand zwischen den beiden lokalen Konkurrenzblättern „Heuberger Volksblatt“ und „Oberbadischer Grenzboten“ im Rahmen des Kulturkampfes zwischen Liberalismus und katholischem Konservatismus („Ultramontanismus“) eine heftige Fehde über die Wissenschaftlichkeit der Philosophie der Jesuiten statt. Denker hat nun den rechthaberischen Vertreter des Katholizismus, der in der Kontroverse anonym schreibt, überzeugend als Martin Heidegger identifizieren können.

Heidegger greift unter dem Pseudonym - gg - am 7. April 1911 in die Kontroverse ein, um „durch Kritik des genannten Artikels den Weg zu weisen zur objektiven Beurteilung der in Frage stehenden Tatbestände“. Er fährt fort, die negative „Beurteilung der wissenschaftlichen Leistung von Jesuiten usw. wird anders lauten müssen, sobald es sich um Fragen von allgemein philosophischer Bedeutung dreht“. Denn davon verstehe der Artikelverfasser gar nichts und übertrete damit „das erste Gebot allen Wissenschaftsbetriebes: Sprich und schreibe nie über eine Sache, die du nicht verstehst. Ich möchte dem Verfasser den aufrichtigen, wohlgemeinten Rat geben, in philosophischen Fragen fein still zu sein, er könnte sonst noch in ungeahnte Verlegenheit geraten“.

Der Gegner Heideggers hatte behauptet, die Jesuiten seien (insbesondere durch den Antimodernisteneid) an ihre Dogmen gebunden, und dies widerspreche dem Geist der Wissenschaft. Heidegger moniert, hier werde Freiheit der Forschung mit Lehrfreiheit verwechselt. Die Kirche habe die Pflicht zu verlangen, „dass die höchsten Güter des Menschen nicht von jedermann in Reden und Schriften frei und ungehindert entwürdigt, verspottet und verhöhnt werden können“. Insbesondere müsse die Kirche als „die Hüterin der Wahrheit die Anschauung verwerfen, alle Religionen sind gleich wahr; es gibt eben nur eine Wahrheit“. Andersgläubigen dürfe höchsten im Rahmen der bürgerlichen Toleranz und zur Vermeidung größerer Übel Religionsfreiheit gewährt werden. Erwiesen sei es, dass die katholische Kirche den Auftrag habe, „die Glaubenslehre, d.i. göttliche ewige Wahrheit, unverfälscht zu bewahren und zu verkünden“. Deshalb sei es für jeden klar, „dass ein angebliches Resultat wissenschaftlicher Forschung, das der Glaubenslehre, der ewigen Wahrheit widerspricht, nicht auch wahr sein kann. Und der Beweis für die Göttlichkeit der Offenbarung der Kirche ist in jeder Apologetik zu finden“. Heidegger verweist dabei gleich auf eine solche Apologetik, nämlich auf S. Weber, Christliche Apologetik, 1907. Bislang, so Heidegger, habe sich die Kirche im Laufe ihrer Geschichte nur ein einziges Mal geirrt, nämlich im Galileifall, und das beweise die Wahrheit ihrer Lehren.

Nun ging ein Rätselreden los, wer denn dieser -gg-, der Verfasser dieser Widerlegung des Liberalismus sei. Erst vermutete man einen Professor Dr. Buri, dann einen Lehramtspraktikanten Bury, aber beide Male wurde widersprochen. Das „Heuberger Volksblatt“ stiftete gar einen Preis, bestehend aus drei Glas Bier, einer Batzenwurst und dem nötigen Senf, für den, der den Namen des Autors herausfindet. Heidegger lüftete sein Inkognito im Rahmen der Kontroverse insofern, als er bekannte, er sei Student im 4. Semester, aber dennoch kam niemand auf seinen Namen.

Heidegger hatte auch enge Beziehungen zum ganz in der Nähe gelegenen Benediktinerkloster Beuron. Als Bub ging er öfters mit seiner Mutter den Wallfahrtsweg dahin. Schon als Gymnasiast, dann als Student und als Habilitand benutzte er des öfteren die dortige Bibliothek. Während seines Aufenthalts in Beuron nahm er am Klosterleben teil und folgte auch ihrem strengen Lebensrhythmus. 1930 weilte er gar zwei Wochen im Kloster. Dabei entwickelte sich eine lebenslange freundschaftliche Beziehung zu P. Anselm Manser OSB (1876 – 1951). 1931 durfte Heidegger bei den Mönchen zwei Vorträge halten, einen über Augustin und einen über Platons Höhlengleichnis. Die Mönche wurden aber deswegen von der Ordensleitung getadelt, und Heidegger war darob so enttäuscht, dass er bis 1949 dem Kloster fernblieb.

Der Student Heidegger hat in Meßkirch gelegentlich Vorträge gehalten, über die die dortige Tageszeitung berichtete. 1911 sprach er etwa über Modernismus, die Abstammung des Menschen oder über Nietzsche. Dabei bezeichnete er „die Bücher von Nietzsche als Gift für die Jugend, einzig und allein dazu angetan, dieselbe unserem Herrgott zu entfremden“. Heidegger wurde in der Lokalpresse über alles gelobt: Von dem jungen Studenten „darf ohne Übertreibung gesagt werden, dass er zu den schönsten Hoffnungen berechtigt“. Heidegger behandelte in einem der Vorträge auch die Frage, ob Tiere denken könnten. Dabei kam er zu dem Schluss, das Verhalten der Ameisen lege die Annahme einer Denktätigkeit eher nahe als dasjenige der Affen. Auch Darwins Evolutionslehre bekämpfte Heidegger mit Vehemenz.