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Descartes Ablehnung des Begriffes der realen Qualität

 

Descartes Ablehnung des Begriffes der realen Qualität

 Descartes hat den Begriff der realen Qualität abgelehnt und dies zu unterschiedlichen Zeiten mit verschiedenen Argumenten begründet. Dies zeigt Andreas Hüttemann in seinem Aufsatz

 Hüttemann, A.: Descartes’ Kritik an den realen Qualitäten: das Beispiel der Schwere, in: Archiv für Geschichte der Philosophie, Heft 1/2001

Im Vorwort zur französischen Ausgabe seiner Principia wirft Descartes den Philosophen vor, dass sie etwas als Prinzip vorausgesetzt haben, d.h.  etwas, das keiner weiteren Erklärung bedürftig ist, das sie aber nicht vollständig verstanden haben, und er zitiert als prominentes Beispiel die Schwere. Umso interessanter ist es, dass Descartes an anderer Stelle, in den Erwiderungen auf den sechsten Einwand zu den Meditationes einräumt, er selbst habe die Schwere früher als eine       eigenständige Qualität aufgefasst.

 Dass sich seine Auffassung vom Wesen der Schwerkraft tatsächlich im Laufe der Jahre geändert hat, bestätigt ein Brief an Mersenne aus dem Jahr 1635: „Ich glaube nicht mehr, dass die schweren Körper infolge einer realen Qualität namens Schwere hinunterfallen, wie sich die Philosophen das vorstellen, noch durch irgendeine Anziehung der Erde.“

 Was aber hat Descartes unter einer realen Qualität verstanden? Eine reale Qualität ist eine Eigenschaft, die dadurch ausgezeichnet ist, dass Gott sie von dem Gegenstand, dem sie zukommt, abtrennen könnte. Die Schwere ist entsprechend genau dann eine reale Qualität, wenn Gott sie vom Stein abtrennen kann, wenn sie in diesem Sinne für ein eigenständiges Ding (res) gehalten werden kann, das unabhängig vom Stein existieren kann. Es ist gerade diese Hinsicht, in der sich reale Qualitäten von Modi unterscheiden, die nicht unabhängig von Substanzen existieren können. Neben der Schwere sind Farben und Gerüche paradigmatische reale Qualitäten.

 Mehr als zehn Jahre später nimmt Descartes in einem Briefwechsel mit Mersenne die Frage des freien Falles im Vakuum wieder auf. Hier zeigt die Beschreibung des Problems nun, dass Descartes die Schwere tatsächlich als eine reale Qualität auffasst. Die überlieferten Texte geben keinen Anhaltspunkt, was die Gründe des Wechsels der Begrifflichkeit von der Anziehungskraft der Erde zur realen Qualität der Schwere gewesen sein könnten.

Descartes hat in scholastischen Begriffen wie dem der realen Qualität gedacht. Dies war mit einer geometrischen Beschreibung des Fallverhaltens des Steines verträglich, solange es ihm allein darum ging, zu bestimmen, wieviel Zeit ein fallender Gegenstand benötigt, um eine bestimmte Wegstrecke zurückzulegen.

Descartes wollte aber mit dem Begriff der realen Qualität auch naturphilosophische Probleme lösen. Wenn nun aber der Grund für die Einführung realer Akzidentien bzw. Qualitäten an das Erklärungspotential derselben geknüpft wird, dann ist ihre Annahme hinfällig, wenn alternative Konzeptionen die fraglichen Phänomene besser erklären. In  einem Brief vom 26. April 1643 schreibt Descartes an Mersenne: „Der zweite Grund ist der, dass die Philosophen diese realen Qualitäten postulierten, weil sie dachten, ohne diese könnten sie die Phänomene in der Natur nicht erklären, ich denke aber, dass sie im Gegenteil ohne jene viel besser erklärt werden können.“ Der Grund für die Ablehnung realer Qualitäten ist deren mangelnde Erklärungsleistung.

 Descartes glaubte, dass er aufgrund seiner Konzeption die natürlichen Phänomene besser erklären könne als die scholastische Alternative, und außerdem war er davon überzeugt, mit einer geringeren Anzahl von Annahmen auskommen zu können. Wie aber kam es, dass die geometrisch-mechanische Naturbeschreibung, die Descartes betrieb, für die scholastische Naturphilosophie zu einer konkurrierenden wissenschaftlichen Theorie wurde? Nach Hüttemann deshalb, weil sie erstere nicht mehr länger als Partialbeschreibung verstanden wurde. Substantielle Formen und reale Qualitäten wurden überflüssig, weil Descartes glaubte, die Begriffe    einer geometrisch-mechanischen Naturkonzeption seien ausreichend, um die Natur vollständig beschreiben zu können.

 Von großer Bedeutung für die Ablösung der realen Qualitäten war für Descartes seine Theorie der Sinneswahrnehmung. Mit ihr wurde zweierlei erreicht. Erstens wurde ein Phänomenbereich, der ein Paradigma für die Erklärung mittels realer Qualitäten bildete, mechanisch erklärt. Zweitens unterminierte diese mechanistische Theorie die Auffassung, Vorstellungen und das, worauf Vorstellungen sich beziehen, seien einander ähnlich. Dieser Umstand wiederum erlaubte Descartes, die Natur als eine solche aufzufassen, die sich vollständig durch geometrische Eigenschaften charakterisieren lässt, obgleich sich diese Auffassung nicht mit dem Augenschein deckt. Über die geometrischen Eigenschaften hinaus müssen keine zusätzlichen der Schwere, Wärme oder Farbe angenommen werden.

 1628 hatte Descartes so weitreichende Erklärungen natürlicher Phänomene, wie er sie jetzt für möglich hielt, dem menschlichen Geist noch nicht zugetraut. Jetzt hingegen war er der Überzeugung, dass Gott den menschlichen Geist dazu befähigt habe, die wahre Natur der Dinge zu erkennen. Aus diesem Grund wurden die scholastische Naturbeschreibung und die cartesische zu Konkurrentinnen. Insbesondere ergab sich aus diesem Anspruch ein Reduktions- und Eliminationsprogramm. Gegenstände, die sich nicht auf geometrische Eigenschaften reduzieren lassen, sollten nicht mehr in Erklärungen verwendet werden. Damit wurden reale Qualitäten eliminiert.