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FORSCHUNG

Französische Philosophie: Eine Kritik Foucaults vom Standpunkt des absoluten Idealismus aus


FOUCAULT

Eine Kritik Foucaults vom Standpunkt des absoluten Idealismus aus

Zwei Denker sind die wichtigsten Inspirationsquellen der Postmoderne: Michel Foucault und Jacques Derrida. Foucault aktualisiert Nietzsche, indem er dessen Macht- und Kampftheorie säkularisiert und von jedem metaphysischen Vokabular zu reinigen sucht. Derrida aktualisiert Heidegger, indem er die Metaphysik des Seins und jede Metaphysik überhaupt in eine dekonstruktive Bewegung des unendlichen Regresses der Metaphysik neutralisiert.
Fernando Suárez Müller untersucht in seiner von Vittorio Hösle betreuten Arbeit

Müller, Fernando Suárez: Skepsis und Geschichte. Das Werk Michel Foucaults im Lichte des absoluten Idealismus. 726 S., Ln., € 75.—, 2004, Königshausen und Neumann, Würzburg

Foucault aus der Perspektive des absoluten Idealismus.

Die Beschäftigung mit Foucault scheint ihm als dringlicher als die mit Derrida. Denn während Derridas Denken noch ein Spiel mit der Tradition ist, findet im Denken Foucaults eine prosaische Radikalisierung der modernen Säkularisierungsbewegung der Philosophie statt. Foucaults Denken ist auch anspruchsvoller als Derridas, denn es will einerseits den Dualismus überwinden und andererseits einen geschichts- und sozialkritischen Standpunkt für sich in Anspruch nehmen. Dieser Anspruch hat in den 70er und 80er Jahren nicht wenig zur Popularität Foucaults beigetragen, denn man sah in seinem Werk eine mögliche Alternative zur marxistischen Kritik. Heute inspiriert Foucault-Anhänger vor allem sein Werk zur Regierungs- und Lebenskunst. Außerdem ist Foucaults Wirkung auf die Humanwissenschaften einflussreicher gewesen als die Derridas.

Der Erfolg von Derrida und Foucault lässt sich teilweise dadurch erklären, dass sie als Philosophen den Humanwissenschaften konkrete Verfahrensweisen gereicht haben – Foucault seine Diskursanalyse und Derrida seine dekonstruktiven Lektüren. Während Derridas Einfluss vor allem auf der Ebene der Theologie, des Feminismus und der Literaturwissenschaften bemerkbar ist, ist der Einfluss Foucaults weitreichender, denn er manifestiert sich auf der Ebene der Soziologie, der Politikwissenschaft, der Kriminologie, des Feminismus, der Psychologie, der Biologiegeschichte, der Epistemologie, der Geschichtsschreibung und der Literaturwissenschaft. Richard Sennetts Studien zur Stadtkultur, Michel de Certeaus Studien zur Alltäglichkeit, Paul Veynes Geschichte der Antike, Alessandro Fontanas Genealogie der Psychoanalyse und Francois Ewalds Studien zum Sozialstaat lassen sich kulturhistorisch ohne den Verweis auf Foucault nicht einstufen. Die „neuen Philosophen“ Frankreichs, Bernard-Henry Lévy, André Glucksmann und Alain Finkielkraut könnte man als „Foucaultsche Parrhesiasten“ betrachten. Undauch in Deutschland hat Foucault viele originelle Denker inspiriert: Wilhelms Schmids Philosophie der Lebenskunst, Hans Herberts Köglers kritische Hermeneutik, aber auch das Werk Axel Honneths wären ohne eine Auseinandersetzung mit Foucault nicht möglich gewesen. Denker in Deutschland wurden durch Foucault vor allem dazu angeregt, die Verbindung von Macht und Intersubjektivität neu zu denken. Man kann das Werk Foucaults in dieser Hinsicht als einen Versuch betrachten, Antinormativismus und kritische Theorie zu vereinbaren.

Im Denken Foucaults gibt es von Anfang an einen grundsätzlichen Antiuniversalismus, der dazu führt, dass bei ihm die Aufgabe der Philosophie zunächst eine negative ist: Die Philosophie soll nicht wahre, objektive und dauerhafte Antworten suchen, sondern soll alles in Frage stellen. Dieser radikale Zweifel jedem Geltungsanspruch gegenüber ist aber anders als bei Descartes nicht methodisch gemeint. Vielmehr ist die Philosophie nach Foucault nicht imstande, sich selbst zu begründen, weil sie in einer nicht-philosophischen, historisch-subjektiven Dimension gegründet ist. In seinem historischen Werk betont Foucault immer wieder diese nicht-philosophische Grundlage der Philosophie. Als Historiker sucht er diese existentielle Grundlage nicht so sehr auf der Ebene des Subjektiven (der Psychologie oder der Biologie), sondern auf der Ebene historischer Denkstrukturen und Ereignisse. Jede Philosophie sei immer von konkreten historischen Ereignissen und zeitbedingten Denkformen abhängig. Foucault subsumiert damit die Philosophie unter die Kategorie der Endlichkeit, so dass sie bloß als Produkt historischer Zufälligkeiten erscheint.

Foucaults Skeptizismus besagt, dass es keine objektive Wahrheit gibt. Es kann nur subjektive oder „relative“ Wahrheiten geben. Dieser Skeptizismus führt Foucault zu einer radikalen Abweisung jeder Form von metaphysischem Denken. Vor allem die moderne Vorstellung des Humanismus, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts konstituiert wurde, führt seines Erachtens eine latent idealistische Dimension mit sich. Der Humanismus ist für Foucault nichts anderes als eine Säkularisierung idealistischer Denkmotive. Es geht ihm nun darum, ein Denken zu gestalten, das sich von jeder Form von Bewusstseinsphilosophie distanziert, die noch an eine von Geschichte und Sprache unabhängige Dimension der Wahrheit, der Geltung und der Bedeutung festhält. Aber Müller zufolge kommt Foucault nur scheinbar ohne Metaphysik aus. Er verbirgt seine metaphysischen Annahmen hinter einer nachmetaphysischen Maske. Diese antimetaphysische Einstellung hat bei ihm auch eine Distanzierung vom Denken Derridas motiviert. Derridas Werke sind ihm nur die Erneuerung einer negativ-theologischen Ursprungsphilosophie, die sich von allem Historischen und Realen distanziert.

Typisch für Foucault und die Postmodernisten ist, dass sie alle angeblichen Nachteile der Metaphysik im Systemdenken Hegels gebündelt und gesammelt sehen. Am meisten stört Foucault, dass Hegel von einer überhistorischen Logik des Widerspruchs und der Negation ausgeht, die sich über die Köpfe der einzelnen Individuen hinweg entfaltet. Nicht nur erscheint ihm diese überhistorische Dimension als etwas Willkürliches und Kontingentes, sondern er glaubt auch, dass sie von der Vielfalt der realhistorischen Kämpfe abstrahiert.

Foucault sympathisiert mit der nihilistischen Weltvorstellung Blanchots. Das Fundament der Welt ist für Blanchot die aus dem Nichts enigmatisch entstandene Sprache. Die Welt ist bei Blanchot zu einer Art objektiven Illusion der Sprache geworden: Die Welt ist das zufällige Produkt eines ontologischen Gemurmels der Sprache. Auch Foucault stellt eine Sprachtheorie dar, die mit der Vorstellung, dass es kein vorsprachliches Denken gibt, Ernst macht. Er versucht also eine Sprachtheorie zu gestalten, die jenseits der Bewusstseinsphilosophie liegt. Gäbe es ein vorsprachliches Denken, dann wäre auch die Existenz objektiver Ideen und Bedeutungen innerhalb dieses Denkens denkbar. Für Foucault ist Sprache jedoch eine historische Struktur, die das Denken erst möglich macht.

Foucaults radikaler Skeptizismus führt zu seiner umstrittensten Auffassung, seinem Antihumanismus. Es gibt für Foucault kein Wesen des Menschen, wie es auch keine objektiven und universellen Menschenrechte geben kann. Auch gibt es keine überhistorische Norm, die das Wesen des Menschen bestimmen könnte. Jeder Versuch, eine solche Norm aufzustellen, läuft auf eine Uniformierung des Menschen hinaus. Die modernen Programme des Humanismus sind ihm nur säkularisierte Gestalten des alten transzendentalen Humanismus. Das nachhegelsche Programm einer natürlichen Anthropologie, die vom Positivismus angeregt worden ist, stützt sich nach Foucault auf einen noch immer nicht überwundenen Transzendentalismus. Die moderne Anthropologie setzt noch immer das Ideal eines souveränen Subjekts oder, wie Foucault sagt, eines „homo dialecticus“ voraus, der seine innere Wahrheit und seinen inneren Wert erkennen kann und muss. Nicht mehr der Mensch, nicht mehr sein objektives Wesen, nicht mehr diese zugleich transzendentale und normative Kategorie ist nach Foucault das Objekt der neuesten theoretischen Entwicklungen der Humanwissenschaften, sondern vielmehr die bloß äußeren Beziehungen und Vernetzungen von Elementen, die frei von jedem substantiellen Hintergrund, frei von jeder Vorstellung eines souveränen Subjekts und Bewusstseins sind.

Foucaults gesamtes kulturhistorisches Unternehmen zielt darauf ab, das Wissen und die Wahrheit radikal zu historisieren. Denn für ihn, wie Manfred Frank in den Worten Rankes gesagt hat, sind alle historischen Denksysteme „gleich unmittelbar zu Gott“. Da er keine objektiv gültigen Kriterien anwenden kann, ist er gezwungen, die Kritik kultureller Formen im Sinne einer historischen Relativierung durchzuführen. Allerdings hat diese historistische Kritik einen wesentlichen Nachteil. Sie versucht eine geltungstheoretische Aushöhlung zu bewirken, indem sie nur die Genesis der kulturellen Formen beschreibt. Dabei lebt sie, so Müllers Kritik, von einer Verwirrung von Genesis und Geltung.

Im Gegensatz zu Habermas, der Foucaults Denken zur Gegenaufklärung rechnet, meint Foucault selber, dass sein Denken zur Aufklärung im Sinne Kants gehört. Er versucht eine kritische Theorie zu ermöglichen, die nicht im Namen des Menschen oder der Menschheit erstellt wird, denn diese Kategorien sind ihm spezifische Konstruktionen der modernen Machtform, die es zu kritisieren gilt. Er benutzt verschiedene Mittel, um seinen Kulturbeschreibungen den Anschein einer kritischen Analyse zu verleihen, die ohne allgemeingültige Kriterien auskommt. Zunächst wendet er eine Art provokative Rhetorik an. Durch Übertreibungen und Schwarzmalereien versucht er, das humanistische Verständnis bestimmter Kulturgestalten zu provozieren. So beschreibt er zum Beispiel das moderne Programm der Korrektion der Gefangenen als eine Art erzwungene „Rekodierung der Existenz“. Indem er das Normative mit dem Normalen gleichstellt, setzt er voraus, dass Normen etwas ganz Willkürliches sind und neutralisiert von Anfang an ihren universellen Anspruch. Ein weiteres Mittel Foucaults besteht darin, Kriterien anzuwenden, die keine allgemeine, sondern nur eine lokale Gültigkeit beanspruchen. So kritisiert er das französische Strafrecht, weil es seit 1819 nicht mehr angepasst und modernisiert wurde. So beklagt er sich über die erbärmlichen materiellen Bedingungen in den Gefängnissen, über die willkürliche Gewaltanwendung der Vollzugsbeamten usw. Aber sowohl die provokatorische Rhetorik als auch die lokale Kritik sind nur Aspekte eines dritten, allgemeineren und wichtigeren Mittels, das als die eigentliche Grundlage der Foucaultschen Kulturkritik anzusehen ist. Dieses allgemeinere Mittel seiner Kritik ist die Aufdeckung freiheitsberaubender Kontrollmechanismen. Freiheit und Autonomie treten dabei als die zugrunde liegenden allgemeingültigen Kriterien seiner Kritik zutage. Er will diese Kontrollmechanismen vor allem da aufweisen, wo sich der Humanismus als eine nivellierende Doktrin beschreiben lässt. Deshalb zielt seine Kulturkritik darauf hin, gewisse Entwicklungen, die als Humanisierungen betrachtet werden, als Kontrollverhältnisse zu entlarven.

Diese Form der Entlarvung kehrt in all seinen Geschichtsanalysen immer wieder zurück. So versucht er zu zeigen, dass die sogenannte philanthropische Befreiung der Geisteskranken am Ende des 18. Jahrhunderts in Wirklichkeit nur die Transformation der Form ihrer institutionellen Einsperrung war, oder, dass bestimmte Wissenschaften, wie die Medizin oder die Psychiatrie, gar nicht, wie man zunächst vermuten würde, aus humanitären Gründen entstand: die wahre Funktion der Medizin und vor allem der Psychiatrie ist nach Foucault die gesellschaftliche Kontrolle. Die Transformation der Anstalten und die Entlassung von Eingesperrten am Ende des 18. Jahrhunderts fanden nur statt, weil der Kapitalismus immer mehr Arbeitskräfte brauchte. Foucaults ideologische Entlarvungen sind aber, anders als die des Marxismus, nicht als Instrumente eines Klassenkampfs konzipiert. Ihr Zweck ist nicht die humanistische Aufhebung der Entfremdung. Ihr einziger Zweck ist die Zerstörung universalistischer und insbesondere humanistischer Vorstellungen.

Foucaults skeptische Gesellschaftskritik setzt immer stillschweigend die Autonomie und individuelle Freiheit als allgemeingültige Kriterien voraus. Nicht alle Machtverhältnisse sind Foucault verdächtig und gefährlich, sondern nur diejenigen, die die Freiheit des Individuums einschränken. Die wichtigsten Begriffe seiner Kulturkritik, wie Normalisierung, Uniformierung, Disziplinierung oder Exklusion erhalten ihre kritische Kraft, weil stillschweigend vorausgesetzt wird, dass der Pluralismus ein allgemeingültiger Wert ist. Seine Theorie kann sich nur deshalb kritisch nennen, weil sie immer schon auf unreflektierte Weise Kriterien voraussetzt, deren Begründung unterlassen wird. Sie weist, so Müllers Kritik, eine stark dogmatische Komponente und einen Mangel an Selbstkritik auf.

Was will Foucault mit seiner Kulturkritik erreichen? Er will das Individuum von äußeren Beschränkungen befreien, damit es selbständig sein Leben gestaltet. Dieser Befreiungskampf findet allerdings nie ein Ende: Die Befreiung des Individuums ist eine unendliche Aufgabe.

Ähnlich wie für Hegel und Marx gründet die konkrete Entwicklung der Kultur für Foucault auf Konflikten. Der Unterschied liegt darin, dass für Foucault, als Nietzscheaner, das Ziel des Kampfes nicht die Aufhebung des Konfliktes ist, sondern die ständige Reproduktion neuer Konflikte. Macht wird als ein System betrachtet, das gewisse Machtbeziehungen produziert. Nimmt man die Herrschaftsstruktur im weitesten Sinne, dann ist damit nicht eine Vielzahl konkreter Institutionsformen gemeint, sondern auch eine Vielzahl von Wissens- und Verhaltensformen. Erst die Analyse dieses Makrobereichs ermöglicht eine historische Typologie oder Morphologie der Machtsysteme. Auf der Mikro-Ebene dagegen werden ganz konkrete institutionelle Gewaltbeziehungen analysiert, deren Schlagkraft auf den Körper einwirkt. Vor allem die Maßnahmen, Praktiken und Techniken, die die Freiheit des Individuums räumlich und zeitlich einbinden und die direkt oder indirekt auf den Körper einwirken, sind Foucault wichtig.

Die Rückkehr zu einer Theorie der Subjektivität beim späten Foucault, bei seiner Ethik, hat viele überrascht. Denn es sieht zunächst so aus, als ob er das wieder einführe, was er zuvor mit so viel Mühe bekämpft hatte. Dieser Eindruck erweist sich nach Müller aber als trügerisch. Denn die Konzeption einer Autonomie des Subjekts liegt ja bereits seiner Vorstellung einer kritischen Theorie zugrunde. Foucault reflektiert lediglich auf das zurück, was er immer schon vorausgesetzt hatte. Foucault wird die Freiheit aber nie, auch nicht in seiner Ethik, als universelles Kriterium betrachten, das soziale Kritik erst möglich macht. Er nimmt die Freiheit einerseits als eine faktische Gegebenheit, die in der Form einer Aktivität zum Ausdruck kommt, andererseits als eine Art regulatives Ideal, dessen ontologischer Status nicht weiter reflektiert wird. Seine Erneuerung des Subjektbegriffs ist der Versuch, das Subjekt endgültig vom Glauben an eine objektive Vernunft zu trennen. Man kann seine Anthropologie als eine radikal materialistische Neuinterpretation des Innenlebens auffassen. In den 60er und 70er Jahren erscheint das Subjekt bei Foucault als passiver Körper, als Produkt externer Wirkungen. Erst in den 80er Jahren entwickelt Foucault einen Subjektbegriff, der ebenso wie früher die Körperlichkeit in den Vordergrund stellt, diese aber nicht mehr als Passivität, sondern als tätige Produktion ihrer selbst auffasst. Der Körper ist zwar innerlich frei und autonom, wird jedoch extern immer noch von den historischen Strukturen des Wissens, der Macht und der Normen begrenzt. Die innerliche Freiheit und Autonomie des Körpers kann jedoch zum Zweck einer externen Befreiung aktiviert werden.

Eine logische Konsequenz von Foucaults Skeptizismus ist seine Konzeption der Ethik als reiner Lebensstil. Diese Ethik wird als Alternative zum Programm einer universalen Prinzipienethik gedacht und versteht sich somit als eine Ethik jenseits des objektiv Guten und des objektiv Bösen. Müller sieht Foucaults Hedonismus damit als eine Variante seines Kampfes gegen die Objektivität des Universellen.