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Wittgenstein: Die Aufzeichnungen von Hermine

WITTGENSTEIN

Die Aufzeichnungen von Wittgensteins Schwester Hermine

Hermine, die älteste Schwester Ludwigs Wittgensteins, hat Aufzeichnungen hinterlassen, in denen sie immer wieder auf ihre Gespräche mit Ludwig, von dem sie sehr viel gehalten hat, zurückgreift. Zwar schrieb sie über ihre Aufzeichnungen, „nach meinem Tod zu verbrennen“, dennoch hat ihn Matthias Iven nun publiziert:

„Ludwig sagt…“ Die Aufzeichnungen der Hermine Wittgenstein. 134 S., kt., € 22.—, 2006, Parerga, Berlin.

Die 1874 geborene Hermine Wittgenstein blieb unverheiratet, engagierte sich im sozialen Bereich und wird als Erbin der elterlichen Liegenschaften zum Oberhaupt der Familie.

1914 hatte sich Ludwig freiwillig für den Kriegseinsatz gemeldet. Nach der Kriegserklärung der USA schrieb sie ihm: „Es ist doch eine Art Krankheit die die Menschen ergriffen hat, eine Sucht sich und Andere zu vernichten, ich bin ganz sicher dass darin die Begründung dafür liegt dass jedes Volk seinen Krieg haben muss! Es liegt eine Art Wollust darin – wenigstens für eine Zeit – Entbehrungen zu dulden und zu zerstören.“ Ludwig antwortete: „Ich glaube wohl nicht daß das Umsichgreifen des Krieges den Grund hat den Du angibst. Hier handelt es sich – glaube ich – um einen vollständigen Sieg des Materialismus, und den Untergang jedes Empfindens für Gut und Böse.“ Während Ludwig an der Front war, engagierte sich Hermine in einem Krankenhaus und arbeitete bis Frühjahr 1919 in der chirurgischen Ambulanz. Als diese Tätigkeit zu Ende war, kam ein Gefühl der Öde über sie und die erschreckende Klarheit, dass „ich mein Leben, das vor dem Krieg mit Malerei und allerlei kleinen Pflichten ausgefüllt war, von Grund auf ändern müsse“. Sie gründete nun eine „Knabenbeschäftigungsanstalt“ und führte diese von 1921 bis 1938. Dann musste sie diese von einem Tag auf den anderen an die Hitlerjugend abtreten.

Ludwig und Hermine standen einander besonders nahe. Ludwig, so schreibt sie, besitze ein großes Herz, „und das ist das Schönste, was man von einem Menschen sagen kann“. Musik und Literatur verbindet die beiden. Ludwig empfiehlt Hermine die Lektüre von Dostojewski, Weininger, Busch und Tolstoj.

Religion war ein Thema, das Hermine in ihren Aufzeichnungen besonders beschäftigte, und die beiden sprachen oft über das Christentum. Für Ludwig hingen Religion und Ethik zusammen. Wäre Religion etwas anderes als die Begründung der Ethik, so würde es sich nicht lohnen darüber zu reden. Und für Ludwig muss jeder, der die Frage nach dem Sinn und Zweck des Lebens stellt, auf Begriffe wie Gott oder göttlich kommen. Ludwig, so notiert Hermine, fühle, dass et-was von ihm unsterblich sei, es sei dies aber nicht die Unsterblichkeit der Person, sondern „eines bestimmten Teiles des Lebens der das Gute und Wertvolle enthält“.

Im November 1918 notiert Hermine: „Es ist dem Menschen ganz unmöglich die Welt zu erkennen denn er kann aus der Welt nicht heraus. Könnte er sie wirklich erkennen, dann wäre er Gott.“ Dabei kommt sie auf ihren Bruder zu sprechen: „Ludwig sagt selbst, dass gewisse Fragen mit dem Verstand nicht zu fassen sind. Wenn sie mit dem Verstand zu fassen wären so wären sie eben auch von dieser Welt.“ Ludwig, so notiert sie, kenne keinen äußeren Gott. „Der gewisse Gott von dem ich nicht loskomme der handelt, der die Welt erschaffen hat, der in irgend einem Himmel wohnt und uns in diesen hineinlässt existiert für ihn nicht.“ Für Ludwig sei das Gewissen oder das Gute Gott. Gott ist nicht gut, sondern die Güte ist Gott. „Das ist aber furchtbar schwer vorzustellen“, notiert Her-mine dazu. Insbesondere hänge für Ludwig der letzte und wahre Aufschluss über das in-nere Wesen des Ganzen der Dinge notwen-dig eng zusammen mit dem Aufschluss über die ethische Bedeutsamkeit des menschli-chen Handelns.