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BERICHT

Sebastian Muders, Markus Rüther :
Existenzphilosophie: Der Sinn des Lebens. Über ein in der analytischen Philosophie aktuell gewordenes Thema.

Aus Heft 4/2011

Die Thematik um das sinnvolle Leben in der gegenwärtigen Philosophie

Viele Menschen wenden sich der Philosophie zu, um die Frage nach dem Sinn des Lebens zu beantworten: Was hat das alles zu bedeuten? Wozu bin ich hier? Was ist wirklich wichtig? Diese Fragen machen deutlich: Wer Ausschau nach dem Sinn des Lebens hält, fragt unter anderem nach normativer Orientierung. Entsprechend wird dieser Themenkomplex von vielen Nicht-Philosophen für einen der wichtigsten der Philosophie überhaupt gehalten. In akademischen Kontexten fand er aber in den letzten Jahrzehnten kaum Beachtung.

Was sind die Gründe dafür, dass gegenwärtig die Frage nach dem Sinn des Lebens in der akademischen Philosophie nur wenig Aufmerksamkeit erfährt? Ein ganz wesentlicher Grund besteht sicherlich in einem seit der Neuzeit aufkommenden Paradigma, das man als „Subjektivierung des Lebenssinns“ bezeichnen kann. Dessen Kernidee findet man besonders prägnant bei Friedrich Nietzsche in Also sprach Zarathustra:

„Werthe legte erst der Mensch in die Dinge, sich zu erhalten, – er schuf erst den Dingen Sinn, einen Menschen-Sinn!“ (Nietzsche, KSA IV: 75)

Ob eine Person ein sinnvolles Leben führt, ist demnach eine Frage, die der Entscheidungshoheit des jeweils Urteilenden obliegt. In den letzten Jahrzehnten wurde jedoch dieser radikale Subjektivismus zunehmend in Frage gestellt. Es wurde deutlich, dass die de facto vorfindbaren Wünsche, Neigungen und Überzeugungen eines Subjekts ihrerseits noch einer normativen Kritik unterzogen werden können. Daraus folgt, dass sich aus philosophischer Sicht zur Sinnthematik mehr sagen lässt, als lediglich auf die mentalen Zustände des Subjekts zu verweisen.

Aus dieser Einsicht ist vor allem in der angelsächsischen Philosophie ein verstärktes Interesse an dem Themenkomplex entstanden: Man kann hier etwas vorsichtig von einer kleinen Renaissance der Sinnfrage sprechen. Im Kern lassen sich dabei ganz heterogene Problemkreise unterscheiden, die jedoch im Rahmen der vorliegenden Ausführungen nicht alle gleichermaßen berücksichtigt werden können. Im Weiteren sollen aber zumindest zwei zentrale Fragestellungen erläutert werden, mit denen sich jeder auseinandersetzen muss, der eine philosophische Beschäftigung mit der Sinnfrage anstrebt: Die Frage, was wir eigentlich meinen, wenn wir nach dem Sinn des Lebens fragen und an welchem Ort sich Antworten auf sie finden lassen.

Die Semantik des Lebenssinns

Der erste Themenkomplex betrifft die Frage nach der Bedeutung des Syntagmas „Sinn des Lebens“: Was soll es eigentlich heißen, dass ein Leben sinnvoll ist? Was meinen wir, wenn wir davon sprechen, dass das Leben von Peter einen Sinn aufweist, der dem Leben von Klaus abgeht?

In diesem Zusammenhang herrscht weitgehend Konsens darüber, dass ein begrifflicher Unterschied zwischen dem sinnvollen und dem glücklichen Leben einerseits sowie dem sinnvollen und dem moralischen Leben anderseits besteht (Vgl. zur Verhältnisbestimmung Metz 2007). Wenn wir sagen, dass Peter ein glückliches und moralisches Leben führt, dann meinen wir in der Regel nicht, dass sein Leben auch notwendigerweise einen Sinn aufweisen muss. Ob hingegen das glückliche und moralische Leben eine notwendige Bedingung dafür ist, dass dem eigenen Leben eine gewisse Sinnhaftigkeit zukommt, ist umstritten und hängt nicht zuletzt von der inhaltlichen Fassung der relevanten Begriffe ab (pro Cottingham 2003, S. 24-28; contra Taylor 1999). Wie in diesem Fall das Urteil auch ausfällt, klar ist für die meisten der an der Diskussion Beteiligten: Weder Glück noch Moralität sind hinreichend, um ein sinnvolles Leben zu bestimmen. Wenn wir von einem Leben sagen, dass es einen Sinn aufweist, dann scheinen noch andere Bedingungen hinzuzutreten. Wie aber lassen sich diese „anderen“ Bedingungen definieren?

Die Zweck-Interpretation

Der philosophiegeschichtlich wirkmächtigste Versuch zu bestimmen, was ein Leben als sinnvoll ausweist, besteht darin, auf ein Ziel oder einen Zweck zu verweisen (Gerhardt 1996). Zu sagen, dass Peter ein sinnvolles Leben führt, bedeutet demnach zu behaupten, dass er erfolgreich ein noch näher zu bestimmendes Ziel gewählt oder bereits erreicht hat (Wohlgennant 1981; Hartshorne 1996, S. 10f.). Klassische Beispiele für eine inhaltliche Zielbestimmung sind etwa die Erfüllung des göttlichen Willens, der angemessene Vernunftgebrauch oder die Realisierung der naturgegebenen Anlagen.


Problematisch erscheint einigen Kritikern jedoch die vermeintliche Unterbestimmung eines solchen Sinnbegriffs. Dass wir etwa mit einem sinnvollen Leben meinen, dass ein bestimmter Zweck gewählt und/oder verwirklicht wurde, unterscheidet ein solches Leben noch nicht unbedingt von einem glücklichen oder moralischen Leben. Es muss eine Präzisierung des Zweckbegriffs erfolgen, sodass eine eindeutige Unterteilung möglich wird. Die Liste der vorgeschlagenen Kandidaten ist lang, und reicht von Kohärenz (Markus 2003) und Verständlichkeit (Thomson 2003, S. 8-13) bis hin zur Trans-zendierung der animalischen Natur (Levy 2005). Doch handelt es sich bei diesen Ergänzungen tatsächlich um notwendige Bedingungen? Und falls ja, ist die genannte Bedingungsliste auch hinreichend?

Hier setzt nun eine weitere Kritiklinie an, welche die Verknüpfung von Sinnhaftigkeit und Zweck zum Gegenstand hat. Denn beurteilen wir in der Alltagspraxis nicht auch ein Leben als sinnvoll, in dem kein Ziel verfolgt wird? (Bocheński 1987) Nicht selten wird etwa die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, zum Beispiel durch Geburt oder nachträgliche Zuordnung, bereits als ein hinreichendes Kriterium für die Sinnhaftigkeit eines Lebens gewertet. Es scheint also so, als ob die Wahl oder Realisierung eines Ziels nicht immer erforderlich ist, um zu bestimmen, dass das Leben von jemandem als sinnvoll beurteilt werden kann.

Die Transzendenz-Interpretation

Ein anderer Versuch zu fassen, was die Sinnhaftigkeit eines Lebens begründet, findet sich bei Robert Nozick (Nozick 1981). Folgen wir Nozick, dann können wir ermitteln, was Sinnhaftigkeit (engl. meaning) bedeutet, wenn wir die Verwendungsweise des Begriffs in anderen Kontexten beobachten. Wer etwa danach fragt, worin die Bedeutung einer Inflation besteht, wird beispielsweise auf ihre Folgen für die Ökonomie verweisen. Oder etwas technischer: Es wird ein Verweis auf etwas gegeben, was außerhalb der Extension des Begriffs „Inflation“ liegt. Eine analoge Überlegung lässt sich nun, so Nozick, auch im Zusammenhang mit der Frage nach dem Sinn des Lebens anstellen. Um zu erfahren, was Sinnhaftigkeit in diesem Kontext meint, fragen wir auch hier, wie der Begriff sich zu etwas Äußerem in Beziehung setzen lässt (Nozick 1981, S. 610). Was aber soll dieses „Äußere“ sein? Nozicks Vorschlag verweist auf die Verbindung zu einem dem eigenen Leben externen intrinsischen Wert. Sprechen wir demnach davon, dass ein Leben einen Sinn aufweist, so meinen wir, dass wir positiv auf eine von uns unabhängige Wertquelle reagieren.

Auch hier lassen sich Gegenbeispiele finden. So sind viele Kandidaten, die wir im Alltag als Quellen für Sinnhaftigkeit deuten, gerade keine vom eigenen Leben unabhängigen Werte im Sinne Nozicks. Wer beispielsweise Aufrichtigkeit gegenüber sich selbst beweist, persönliche Integrität ausbildet oder Verantwortung für seine Handlungen übernimmt, scheint gerade nicht in positiver Hinsicht zu etwas Externem, vom eigenen Leben Unabhängigem in Verbindung zu stehen. Der Verteidiger der Transzendenz-Interpretation kann auf diese Kritik auf verschiedene Weise antworten. Eine Möglichkeit besteht darin, den Gegenbeispielen durch eine Spezifizierung des Externalitätsbegriffs Rechnung zu tragen. Anders als bei Nozick muss der externe Wert, zu dem die für das eigenen Leben sinnstiftende Verbindung aufgebaut wird, nicht als unabhängig von der eigenen Person begriffen werden. Vielmehr handelt es sich um eine Wertquelle, die lediglich als unabhängig von den eigenen animalischen Lebensvollzügen gedeutet werden muss (Metz 2002; Levy 2005). Inhaltlich läuft diese Strategie dann häufig darauf hinaus, dass ein Leben als sinnvoll zu charakterisieren ist, insofern es den Gebrauch von höherstufigen Fähigkeiten involviert, die ein besonderes Merkmal der conditio humana sind, zum Beispiel der menschlichen Vernunft (Gewirth 1998, S. 174–189). Authentizität, Autonomie, Integrität und Selbstrespekt sind demnach zwar Werte, die in Abhängigkeit zur eigenen Person existieren, jedoch extern gegenüber unserer animalischen Natur sind, da sie höherstufige Fähigkeiten voraussetzen. Zu sagen, dass ein Leben sinnvoll ist, bedeutet also mehr, als lediglich positiv auf bestimmte Überlebensfunktionen zu reagieren (z. B. auf die Bedürfnisse nach Nahrung und Schlaf). Vielmehr soll man eine Verbindung zu intrinsischen Werten realisieren, die den Gebrauch von bestimmten, dem Menschen auszeichnenden Fähigkeiten voraussetzen.

Natürlich ist auch dieser Ansatz nicht unwidersprochen geblieben. Ein zentraler Gegeneinwand betrifft etwa die Feststellung, dass auch bei der Ausübung von niederstufigen Fähigkeiten die Sinnhaftigkeit eines Lebens nicht per se ausgeschlossen werden kann. Die in diesem Zusammenhang wohl prominentesten Überlegungen stammen von Richard Taylor (Taylor 1999, Kap. 18). Taylor geht in seiner Interpretation der antiken Sisyphos-Geschichte von dem Befund aus, dass unser Leben – und hier besteht die Analogie zu Sisyphos – in objektiver Hinsicht sinnlos ist. Es handelt sich wahlweise um ein Leben voller Frustration oder unendlicher Langeweile. In einer anderen, subjektiven Hinsicht kann es jedoch durchaus sinnvoll sein. Denn insofern wir einen intensiven Wunsch nach der objektiv sinnlosen Tätigkeit ausbilden, erhält das Leben seinen Sinn zurück – wenn auch nur aus der Perspektive des Wünschenden. Dieser Wunsch hingegen – und dies ist Taylors Pointe – ist nicht gebunden an die Ausübung bestimmter höherstufiger Fähigkeiten. Es scheint demzufolge Sinnquellen zu geben, welche die Transzendenz-Interpretation aufgrund ihrer theoretischen Grundstruktur nicht berücksichtigen kann.

Die pluralistische Semantik des Syntagmas

Blicken wir auf die Diskussion der verschiedenen semantischen Vorschläge, dann scheint jede der Optionen mit Einwänden konfrontiert zu sein, die weitere Überlegungen notwendig machen. Dieses Ergebnis lässt sich in verschiedene Richtungen interpretieren. Es kann zum Anlass für eine weitere Präzisierung der kritisierten Vorschläge genommen werden, aber auch zum Ausgangspunkt für eine Suche nach einem alternativen Ansatzpunkt. Eine solche pessimistische Reaktion besteht etwa darin, die Probleme der jeweiligen Definitionsversuche als Symptom dafür zu deuten, dass sich keine einheitliche und konstante Bedeutung angeben lässt (Metz 2001; Metz 2007). Notwendige Bedingungen, die zusammengenommen hinreichend sind, um zu bestimmen, was ein Leben als sinnvoll ausweist, sucht man vergebens. Vielmehr können wir nur im Sinne einer Familienähnlichkeit mehrere teilweise überlappende, aber kontingente Merkmale erkennen, die in unterschiedlichen Situationen die Bedeutung des Syntagmas konstituieren. Man kann also Verschiedenes im Auge haben, wenn man danach fragt, ob das Leben sinnvoll ist. Bei keinen dieser Fragen handelt es sich aber um die Frage nach dem Sinn des Lebens. Soweit die These des Ansatzes. –

Aber wie kontingent ist die Bedeutung tatsächlich? Ein Blick auf die gegenwärtige Forschungslage verspricht auch hier keine eindeutige Antwort. Denn dass sich trotz aller Ambiguität des Sinnbegriffs eben doch eine strukturelle Einheit herauslesen lässt, ist eine These, die die Vertreter der Zweck- und Transzendenzinterpretation natürlich bejahen. In diesem Zusammenhang lassen sich dann auch Stimmen ausfindig machen, die der Theorie der Familienähnlichkeit ablehnend gegenüberstehen und versuchen, ein Bündel von Merkmalen ausfindig zu machen, das notwendig und zugleich hinreichend ist, um einem Leben einen Sinn zuzusprechen (Vgl. exemplarisch Nozick 1989, Kap. 16).

Am Ende der semantischen Vorklärung angelangt, erreichen wir an diesem Punkt ein offenes Ergebnis. Es herrscht keine Einigkeit darüber, was wir eigentlich meinen, wenn wir von einem sinnvollen Leben sprechen. Dieses Resultat ist in einer gewissen Hinsicht ernüchternd, in einer anderen jedoch wenig überraschend. Ernüchterung stellt sich zunächst ein, da wir nicht einmal Einigkeit über die grundlegende Bedeutung desjenigen Syntagmas erreichen können, dass es zu analysieren gilt. Wie soll inhaltlich etwas über das sinnvolle Leben ausgesagt werden, wenn nicht einmal klar zu sein scheint, was wir überhaupt meinen, wenn wir einem Leben Sinn zusprechen? Überraschend ist dieses Ergebnis jedoch keineswegs. Bei der Frage nach dem Sinn des Lebens handelt es sich um einen komplexen Problembereich, in dem sich Fragen aus verschiedenen philosophischen Bereichen tangieren. Dies gilt auch für die Frage, was wir eigentlich unter der Zusammensetzung „Sinn des Lebens“ verstehen. Jeder der genannten semantischen Ansätze geht von theoretischen Hintergrundannahmen aus, die jeweils wiederum in Theoriezusammenhänge aus anderen Bereichen der Philosophie eingebettet sind. Aufgrund der Komplexität dieser Problemkonstellation kann es somit nicht überraschen, dass wir im Rahmen der semantischen Vorklärungen zu keinem eindeutigen Ergebnis kommen.

Der ontologische Status des Lebenssinns

Neben einer Fragestellung, die sich auf die Bedeutung der Sinnfrage bezieht, können wir aber auch nach der Ontologie des sinnvollen Lebens fragen. Die Antwort auf die erste Frage hat dabei die Funktion, uns zu zeigen, über was überhaupt gesprochen wird. Der Antwort auf die zweite Frage kommt demgegenüber die Aufgabe zu, den Ort dieses Gegenstands genauer anzugeben. Angenommen also, der Sinn des Lebens bezeichnete eine bestimmte Art von Zweck; wo können wir einen solchen Zweck dann ausfindig machen? Die beiden Fragen sind zwar nicht völlig getrennt voneinander zu behandeln, da die positive Charakterisierung des sinnvollen Lebens bereits mehr oder minder starke Vorgaben darüber macht, inwiefern ein solcher Sinn in unserer Welt aufgefunden werden kann, ebenso wie eine positive Antwort auf die zweite Frage die Möglichkeit von Antworten auf die erste einschränken wird. Dennoch macht es Sinn, beide Fragen getrennt zu behandeln: Denn trotz der wechselseitigen Abhängigkeiten wird jeweils nur der nähere Bereich eingegrenzt, ohne dass dadurch bereits alle relevanten Spezifikationen und Möglichkeiten erschöpft würden. Wird etwa der Sinn des Lebens als eine besondere Art von Wert betrachtet, der unserem Leben zukommen kann, bleibt offen, wie dieser Wert entsteht: Ist er von Gott geschaffen, durch uns selbst entworfen, oder besteht er an sich, ähnlich wie Bäume, Zahlen oder Erdumdrehungen?

Die Antworten auf die Frage nach der Ontologie des sinnvollen Lebens reichen von einer umfassenden Ablehnung aller angebotenen Optionen über die Lokalisierung des Lebenssinnes in einer spirituellen Welt bzw. Entität bis hin zur Identifikation von Lebenssinn mit einigen unserer mentalen Einstellungen oder „von außen“ vorgegebenen Sachverhalten. Quer dazu stehend besteht noch eine Konzeption, welche weniger den Sinn des Lebens als vielmehr das sinnvolle Leben in den Blick nimmt und seinen Untersuchungsgegenstand somit weniger als Objekt als vielmehr einen Prozess deutet.

Der Nihilismus oder: die Sinnlosigkeit des Lebens

Nach der zuerst genannten Alternative der radikalen Ablehnung ist der Sinn des Lebens in existenzieller Hinsicht mit dem Weihnachtsmann vergleichbar: In seinem Begriff wenigstens hinreichend wohlbestimmt (bärtiger Mann im roten Mantel, am Nordpol lebend und zur Weihnachtszeit Geschenke verteilend), gibt es nach Durchsicht der in dieser Welt aufzufindenden Dinge keine Person, auf welche diese Beschreibung zutrifft. Diese Diagnose kann zu besorgten Stimmen Anlass geben; insbesondere die Vorstellung der aus einem fehlenden Lebenssinn folgenden Absurdität eines Lebens, das auf etwas ausgerichtet werden will, was nicht existiert, hat in der Literatur einen breiten Widerhall gefunden (siehe klassisch Nagel 1971; für neuere Diskussionsbeiträge siehe Feinberg 1980 und – auch in Erwiderung darauf – Smith 2004). Inwiefern eine solche Absurdität unvermeidlich ist und wie mit ihr am besten umgegangen werden kann, ist nicht abschließend geklärt.

Die Erfolgstheorien des Lebenssinns

Diejenigen Forscher, welche der Existenz des Lebenssinnes bejahend gegenüberstehen, werden traditionell einander als Objektivisten und Subjektivisten gegenübergestellt. Zwar wird die Möglichkeit einer genauen Trennung dieser Positionen von einigen Philosophen angezweifelt (siehe Rosen 1994, S. 279), doch sie lässt sich grob derart charakterisieren, dass für Subjektivisten der Sinn des Lebens keine vorgegebene Instanz ist, sondern sich in einer noch näher zu bestimmenden Weise „herstellen“ oder „erfinden“ lässt (siehe hierzu Stemmer 1998, S. 38f.). Angelehnt wird dieses „Schaffen“ oftmals an bestimmte konative mentale Zustände, etwa Wünsche. Je nach Art der Theorie können an diese unterschiedlich starke Qualifizierungen geknüpft werden, was sich zum Beispiel in der Rede vom „aufgeklärten Interesse“ widerspiegelt (siehe dazu klassisch Frankfurt 1982, S. 271). Darin zeigt sich ein allgemeiner Trade Off, nach dem eine anspruchsvolle, hohen Anforderungen genügende Theorie des aufgeklärten Interesses die Willkür des Subjekts mehr und mehr zurücknimmt, sodass sich eine objektivere Fassung des sinnvollen Lebens ergibt, wenngleich die dadurch zustande kommenden Kriterien weniger (kantisch gesprochen) materielle denn formale Bedingungen des guten Willens ausbuchstabieren: Gefragt wird nicht, auf was der Wille der jeweiligen Person gerichtet sein soll, etwa welchen Zweck es letztendlich folgen soll; sondern welche Beschaffenheit ein solcher Wille oder Wunsch aufweisen muss, damit dessen Bezugsobjekt ein sinnvolles Leben garantieren kann.

In gegenteiliger Richtung wird bei gesenkten Bedingungen für einen „authentischen“, „eigentlichen“ oder eben „aufgeklärten“ Willen die Willkür der entscheidenden Person gestärkt. Dies führt dann häufig zu einer dezisionistischen Fassung des sinnvollen Lebens (siehe Eagleton 2007, S. 129). Abseits des Verweises auf den Willen des Einzelnen lässt sich dann nicht viel mehr über das sinnvolle Leben aussagen. Eine solche Position nähert sich mehr und mehr dem oben innerhalb der ersten Frage beschriebenen Standpunkt zum Gegenstand des sinnvollen Lebens an: Ein nicht weiter sanktionierbarer Wille, der willkürlich alles und nichts als Lebenssinn deklarieren kann, erweitert (und damit: entleert) den Begriff seines Gegenstandes bis zur Unkenntlichkeit.

Die verbleibenden Positionen lassen sich mehr oder weniger dem Objektivismus in seiner realistischen Spielart zuordnen: Gemeinsam ist ihnen die Ansicht, dass sich das sinnvolle Leben nicht bloß formal, sondern inhaltlich näher bestimmen lässt und der Person wesentlich von außen vorgegeben wird (was psychologische Einflussfaktoren nicht ausschließt, solange diese von der Person nicht wirklich beeinflusst werden können), sich mithin seiner unmittelbaren Kontrolle entzieht. Statt also den Lebenssinn selbst nach der ihr eigenen Vermögen zu formen, kann die Person ihn über ihre Fähigkeit der objektiven Erkenntnis bestenfalls annehmen – wenngleich dieses Annehmen in einem mehr oder weniger starken Sinne durchaus normativ-praktische Konsequenzen hat. Denn wie immer man das Verhältnis zwischen erkanntem Lebenssinn und praktischer Motivation des erkennenden Subjekts auch fassen mag: Ein prinzipiell ohne jeden Einfluss auf das eigene Handeln bleibender Lebenssinn scheint schlicht die Grenzen seines Begriffs zu überschreiten und daher a priori aus dem Kreis möglicher Kandidaten auszuscheiden.

Im Zusammenhang mit der Realismusdiskussion können klassischerweise drei unterschiedliche Sichtweisen unterschieden werden: Der Naturalismus bezieht das sinnvolle Leben auf Entitäten und Eigenschaften, wie sie von den Naturwissenschaften verwendet und operationalisiert werden können. Im Hintergrund steht hier häufig ein an deren Vorgaben und deren Grenzen orientiertes Weltbild, dem alle philosophisch relevanten Gegenstände und somit auch das sinnvolle Leben genügen müssen.

Natürlich hat eine naturalistische Sichtweise nicht notwendigerweise eine positive Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens zur Folge; im Gegenteil lassen sich alle der oben im Rahmen der Gegenstandsfrage dargestellten negativen Antworten darauf natürlich ebenfalls mittels eines naturalistischen Standpunktes begründen. Dementsprechend ist „Naturalismus“ hier viel stärker als positive Theorie zu verstehen, welche die Wirklichkeit eines Lebenssinnes zugesteht und den Anspruch erhebt, diesen Gegenstand zumindest letztendlich mit dem begrenzten Ressourcen eines naturwissenschaftlich geprägten Wirklichkeitsverständnisses vollständig beschreiben zu können.

Weiter differenzierend lässt sie sich von einem „starken“ Subjektivismus, der der Bildung eines sinnvollen Lebens durch das handelnde Subjekt großen Spielraum einräumt, dadurch abgrenzen, dass der Lebenssinn hier als von individuellen konativen Zuständen unabhängig betrachtet wird. Dies muss allerdings nicht mit einer völligen Absage ihrer konstitutiven Funktion für den Lebenssinn einhergehen; verneint wird lediglich, dass der Frage ihrer Genese die entscheidende Rolle bei der Identifikation eines sinnvollen Lebens zufällt. Indem beispielsweise bestimmte Interessen als universal vorhandene und anthropologisch vorgegebene Zielpunkte fungieren, die unserem Leben Sinn verleihen und unter Rückgriff auf naturwissenschaftliche Methodik als gültig anerkannt werden können, bildet das zusätzliche Faktum, dass die meisten Menschen solche Interessen innerhalb der Menge ihrer konativen Zustände vorfinden, nicht mehr den entscheidenden Begründungsschritt, sondern erweist sich lediglich als abgeleitet (Vgl. Taylors Analogie zwischen Tierarten und dem Menschen in Taylor 1999, S. 325f. u. 333. Eine weitere naturalistisch vertretbare Position, die sich nahe an der Grenze zum Nihilismus bewegt, vertritt Bernulf Kanitscheider 2008, Kapitel VII, VIII und XI).

Demgegenüber besteht der sogenannte Non-Naturalismus darauf, dass sich ein sinnvolles Leben zwar innerhalb der uns zugänglichen und lebbaren Welt, jedoch nicht innerhalb der durch die (Natur-)Wissenschaften vorgegebenen Parameter auffinden lässt: Als ein entscheidender Grund für die Einnahme einer solchen Position wird häufig dessen als immanent verstandene normative Komponente genannt. Diese lasse sich nicht mithilfe naturalistischer Ressourcen einfangen (Vgl. Audi 2005, S. 340f.; Adams 2002, S. 72). Dies besagt erstens, dass die dem Lebenssinn zugrundeliegende Normativität als solche (d. h. als eigenständige Eigenschaft) nicht Gegenstand naturwissenschaftlich sanktionierter Forschung sein kann; sowie zweitens, dass auch keine erfolgreiche Reduktion dieses aus dem Blickwinkel des Naturalismus problematisch bleibenden Phänomens möglich ist – jedenfalls nicht, ohne dass dabei als wesentlich eingestufte Bestandteile desselben verloren gehen.

Schließlich ergibt sich der Supernaturalismus aus einer Art Verschärfung (man könnte auch sagen: Konkretisierung) der vorangegangenen Option: Nicht allein erweist sich das gute Leben nicht durch die den Naturwissenschaften zugänglichen Entitäten erfassbar, sondern es ist gleichsam auch „nicht von dieser Welt“: Als Bestandteil der supernaturalen, d. i. übernatürlichen Welt gehören dessen ontologische Konstituenten einer völlig anderen Wirklichkeitsebene an und bilden etwa als Wille Gottes oder unsterbliche Seele Ursache oder Ziel unseres Lebenssinnes. Diese Option beschwert und verlagert die Debatte innerhalb des Realismus in wenigstens zwei Aspekten: Zum einen muss plausibel gemacht werden, dass die innerhalb des Realismus anerkannte normative Dimension des Lebenssinnes, welche zuvor auf der Ebene eines bestimmten Natur- oder Natürlichkeitsverständnisses geführt wurde, weitergehend in bestimmten Eigenschaften einer geistigen Substanz – der Allmacht Gottes, der Unsterblichkeit der Seele – lokalisiert werden kann. Zum anderen werden damit Entitäten postuliert, die auch innerhalb eines non-naturalistisch erweiterten Weltbildes nicht ohne Weiteres integriert werden können und somit Debatten notwendig machen, die innerhalb einer eigenen philosophischen Disziplin, namentlich der Religionsphilosophie, geführt werden. Tatsächlich wird sich der Supernaturalist die Frage gefallen lassen müssen, ob er nicht ein kontrovers diskutiertes Problem dadurch zu lösen versucht, indem er womöglich noch kontroversere Fragen einführt. Andererseits ist ihm zugute zu halten, dass seine beide unmittelbaren Kontrahenten ihre Karten jedenfalls in Teilen verdeckt halten, wohingegen er mit der bislang konkretesten Lösungsperspektive aufwarten kann. Allerdings dürfte wenigstens bei der Annahme eines sinnstiftenden Gottes eine rein philosophisch argumentierende Position kaum zu halten sein: Denn die philosophisch einzunehmende theistische Perspektive scheint bezüglich ihrer Ausgestaltung zumindest mittelbar eine dezidiert theologische Ergänzung nötig zu haben, um das Versprechen einer konkreten Antwort auf die Frage nach dem Ort des Lebenssinns einlösen zu können.

Schlussbemerkungen

Was ist der Sinn des Lebens? Wie die vorangegangenen Überlegungen gezeigt haben, lassen sich eine Vielzahl von unterschiedlichen Positionen unterscheiden. Dabei ist nach Lage der Debatte noch kein klarer Vorteil für eines der verhandelten Lager erkennbar. Da die Diskussion aber zunehmend an Bedeutung gewinnt, steht zu hoffen, dass sich in den kommenden Jahren weitere Verschiebungen ergeben, welche auch die Kernfrage voranbringen können, ob und wie der Sinn des Lebens inhaltlich bestimmt werden kann. Unser Beitrag soll hierfür eine einführende „Landkarte“ zur Verfügung stellen, die eine bessere Orientierung in der Debatte ermöglicht.

UNSERE AUTOREN:

Sebastian Muders promoviert als Stipendiat des Cusanuswerks über den Wahrheits- und Rechtfertigungsbegriff des metaethischen Relativismus. Er ist Mitarbeiter am Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin in Münster und forscht derzeit als Visiting Graduate Student an der Philosophischen Fakultät in Cambridge

Markus Rüther promoviert als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes mit einer Arbeit zur Realismusdebatte in der gegenwärtigen analytischen Ethik. Er forschte unter anderem als Academic Researcher an der Philosophischen Fakultät in Oxford und als Visiting Fellow am Institut für Philosophie in Harvard.

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