PhilosophiePhilosophie

DISKUSSION

Tierrechte: Argumente pro und kontra

 

Argumente pro und contra Tierrechte  

Von Jean-Claude Wolf


Tierethik

In der traditionellen Kasuistik erscheint die Tierethik als ein vom Bereich der Humanethik isolierter kasuistischer Sonderbereich. Dahinter steht die Auffassung, Tierethik sei eine Sonderethik, die man entwickeln und verfeinern kann, ohne sich um die Nachbardisziplinen der Ethik zu kümmern. Vordenker des Tierschutzes und Kritiker des Speziesismus (d.h. der moralischen Privilegierung aller Mitglieder unserer Spezies gegenüber den Mitgliedern aller anderen Spezies) haben dieses Bild einer separaten Domäne für die Tierethik zerstört. Ihnen zufolge kann man nicht eine vernünftige Auffassung von Tierrechten entwickeln, ohne dabei die Frage der Rechte von menschlichen Föten und Neugeborenen mit einzubeziehen. Man könnte auch sagen, alle Ethik sei Tierethik, da auch Menschen Tiere seien. Die moralischen Pflichten richten sich allerdings nur an jene menschlichen Tiere oder Lebewesen, die Verantwortung übernehmen können. Eine interessante Frage lautet, ob z.B. gut erzogene Schäferhunde gegenüber den ihnen anvertrauten Schafen eine Art von Verantwortung übernommen haben bzw. ob es, wie z.B. Steven F. Sapontzis glaubt, bei einigen Tieren ein Analogon von moralischer Pflicht und Tugend gibt. Das moralanaloge Verhalten von Tieren scheint dort zu beginnen, wo soziale Rollen im Rudel übernommen werden.

Zwei Gesichter des Speziesismus

Demgegenüber vertritt der Speziesismus eine strikte Trennung von Menschen und Tieren. Im Blick auf die Menschen verlangt er eine spezielle Solidarität mit allen Mitgliedern unserer Spezies. Er geht davon aus, dass alle Menschen einen gleichen Wert haben (Egalitarismus). Dies ist das aufgeklärte, humanistische Gesicht des Speziesismus. Das andere Gesicht des Speziesismus ist die Exklusion oder zumindest die kategorische Abwertung aller nicht-menschlichen Lebewesen. Die Menschen werden gegenüber allen Wesen, die nicht zur Spezies homo sapiens gehören, privilegiert. Damit ist der Speziesismus extrem anthropozentrisch. Dies ist sozusagen der Schatten des Humanismus, der auch als Humanchauvinismus bezeichnet wurde. Diese Haltung ist willkürlich und unbegründet wie die Haltung eines Despoten, der glaubt, dass ihm seine besondere Macht über andere Lebewesen auch besondere Rechte verschaffe.

Gleichwohl wird auch ein Speziesist, der die Fähigkeit zum Mitgefühl hat, nicht behaupten, Mitleid mit Tieren sei ein anderes Mitleid als jenes mit Menschen. Es gibt auch für einen Speziesisten kein moralisches Prinzip, das nur auf Tiere Anwendung findet. Mitgefühl und sogar Freundschaft sind Prinzipien oder Einstellungen, die wir auch auf Tiere anwenden können, auch wenn wir glauben, mit leidenden Menschen mehr Mitleid und mit Menschen intensivere und reichere Formen von Freundschaft haben zu können oder haben zu sollen. Selbst der Speziesist kann nicht einen Kanon von Prinzipien oder Einstellungen formulieren, die nur auf Tiere Anwendung fänden. Insofern gibt es keine Tierethik, sondern die Anwendung von moralischen Einstellungen und Prinzipien auf Tiere.

Tierbefreiung?

Die Rede von Tierbefreiung („animal liberation“) ist mehrdeutig; sie operiert mit verschiedenen Begriffen und Bildern von Freiheit, die unterschieden werden sollten. Wenn ich provokativ sage: Es gibt keine Tierbefreiung, dann meine ich lediglich: Es gibt keine von Tieren selber angeführte und organisierte Befreiungsbewegung: das kann es nicht geben, da sich Tiere – abgesehen von der physischen Flucht - nicht von sich aus dem Herrschaftsbereich der Menschen entziehen können. Auch gibt es keinen eindeutigen Begriff von Freiheit, sondern eine Reihe von Begriffen von Freiheit, die Tieren zugeschrieben werden:

- Freiheit der Wildnis.
- Freiheit von Zucht.
- Freiheit von Domestikation.
- Freiheit von Ketten und Käfigen.
- Freiheit für Bewegung und Auslauf.
- Freiheit zu artgemäßen Lebensformen.
- Freiheit von genetischen Eingriffen.
- Freiheit von Eingriffen in die körperliche
Integrität
- Freiheit von Schmerzen, Streß und anderen
Depravationen
- Freiheit zur Entwicklung von Fähigkeiten
- Freiheit zu einer artgemäßen Lebensdauer.
Tierethik. Neue Perspektiven für Menschen und Rechte, 150 S., kt., € 18.50, 2. Auflage, 2005. Harald Fischer, Erlangen. Erstmals 1992 erschienen. Für die Neuausgabe wurde der Text durch ein Nachwort und eine Bibliographie zu den Neuerscheinungen seit 1992 ergänzt.