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EDITIONEN

Adorno: Vorlesungen zur Ästhetik

Adornos Vorlesungen zur

Ästhetik von 1958/59

 

Ab 1956 trug sich Adorno mit dem Plan, ein systematisches Buch zur Ästhetik zu schreiben. Eine entscheidende Rolle im Entstehungsprozess dieses Buches, das sein Haupt­we0rk werden sollte, spielten die Vorlesungen, die er zwischen 1950 und 1968 insgesamt acht Mal diesem Thema gewidmet hatte. Innerhalb der Reihe „Theodor W. Adorno. Nachgelassene Schriften“ hat der Suhrkamp-Verlag die Ästhetik-Vorlesungen des Wintersemesters  1958/1959 herausgebracht:

 Adorno, Theodor W.: Ästhetik (1958/59). Herausgegeben von Eberhard Ortland. 526 S., Ln., € 43.80, ,2009, Suhrkamp, Frankfurt

 Wie der Herausgeber in der „Editorischen Nachbemerkung“ mitteilt, ist dies die vierte Ästhetik-Vorlesung Adornos und die erste Vorlesung, die vollständig durch Transkriptionen von Tonbandaufnahmen, die seinerzeit im Institut für Sozialforschung angefertigt wurden, dokumentiert ist.

 Die Philosophische Ästhetik, so Adorno in der ersten Vorlesung, hat es im Bereich der Philosophie seit jeher schwer, sie ist zudem in Misskredit geraten und hat in den letzten dreißig Jahren nur eine unbeständige Behandlung gefunden. Das liegt unter anderem daran, dass es so etwas wie eine kontinuierliche Tradition des ästhetischen Denkens, wie man sie etwa im Bereich der Erkenntnistheorie und Logik im Zusammenhang mit der Wissenschaftstheorie vorfindet, nicht gibt: Die Ästhetik verläuft mehr oder weniger sprunghaft und schwankt dabei zwischen dem Versuch, aus bestimmten philosophischen Positionen ästhetische Theorien zu entwickeln, und demjenigen, deskriptiv auszusprechen, was in den Kunstwerken der Fall ist (um auf diese Weise zu einer Ästhetik zu gelangen). Adorno will sich in dieser Vorlesung darauf beschränken, den Studierenden einen Begriff davon zu geben, wie eine  Theorie der Ästhetik bzw. eine philosophische Ästhetik möglich ist; eine Ästhetik, die er für sehr dringend hält.

 Die Kantische Ästhetik ist die eines „interesselosen Wohlgefallens“ und geht zurück auf eine Reihe von Bestimmungen, wie sie nur für die Kantische Theorie spezifisch sind. Der Gedanke an ein an sich Schönes, ein Schönes also, das von unseren spezifischen Ausgangsformen unabhängig wäre, wird bei Kant nicht gedacht. Wenn wir überlegen, ob das, was wir mit Grund schön nennen, immer den Charakter des sinnlichen Wohlgefallens hat, dann verliert Kants zwar plausible Definition des Schönen doch viel an Plausibilität: die Ästhetik wird hier in die ganze Problematik der Philosophie Kants mit hineingerissen. Bei Hegel ist das Schöne „das sinnliche Scheinen der Idee“. Dabei wird der Begriff von Idee in einem fast platonischen Sinne als substantiell, als etwas, was erscheinen kann, vorausgesetzt: was in der Philosophie Kants gerade ausgeschlossen war. Diese großartige Definition Hegels verliert in einer geistigen Situation wie der Gegenwart, in der die Vorstellung einer Idee als wirkend als etwas Illusionäres oder Dogmatisches betrachtet wird, unendlich an Plausibilität. Das hilft einem für das Verständnis des realen Kunstwerkes, in dem nun ja keineswegs stets unmittelbar eine solche Idee sich realisiert, gar nicht.

 Adorno jedenfalls ist hier Hegel verpflichtet, indem er rekurriert, dass das Schöne selbst nicht bloß etwas Subjektives ist, sondern etwas in der Sache selbst. Adorno verspricht, anhand der Analyse der Kategorien zu zeigen, dass es so etwas wie eine ästhetische Objektivität tatsächlich gibt. Diese Objektivität des Ästhetischen kann sich jedoch nur aus der Analyse von Sachverhalten, Problemen und Strukturen der ästhetischen Gegen­stände, also der Kunstwerke, ergeben. Es gibt keinen anderen Weg zu dieser Objektivität, als sich in die Kunstwerke selber zu versenken. Die Logik oder Stringenz der Kunstwerke hat dabei nichts zu tun mit der üblichen Logik. Denn sie ist nicht als eine kausal-mechanische Logik zu verstehen, sondern im Sinne Hegels als eine Logik eigener Art, die die Logik eines in sich motivierten Sinnzusammenhanges ist.  Nach Hegel und dem Verfall der Hegelschen Philosophie hat die theoretische Spekulation sich jedoch nicht mehr in dieser Weise an die Sache gewagt, sondern hat immer versucht, sie auf psychologische Reaktionsformen zu reduzieren.

 Es kann sein, dass einem  Kunstwerke auf einmal fremd geworden sind, dass sie stumm werden. Man fragt sich dann: wozu ist es da, was sagt es? Dieser Zustand der Erfahrung kann nur durch eine theoretische Besinnung über Kunst bewältigt werden. Der Ausdruck „Ästhetik“ ist jedoch nicht auf Kunst beschränkt, er begreift den gesamten Bereich der sinnlichen Erfahrung in sich ein. Zentral in der Geschichte der Ästhetik ist die Unterscheidung zwischen Naturschönem und Kunstschönem. Im 18. Jahrhundert hat sich das Verhältnis auf eine merkwürdige Weise verschoben. Noch Kant behandelt die beiden mit derselben Dignität. Nach Kant findet ein Übergang statt von einer Ästhetik, in der der Begriff des Naturschönen vorwaltet, zu einer Theorie des Kunstschönen. Dies läuft zusammen mit einer Kritik der Formalästhetik  als den formalen Regeln des Wohlgefälligen zu einer inhaltlichen Ästhetik. Das Hervorheben des lebendigen geistigen Gehaltes gegenüber dem Formalen bzw. den mathematischen Verhältnissen der Kunst zeichnet insbesondere die Ästhetik Hegels aus. Allerdings wird dies bei ihm mit einem Überschuss von Stofflichkeit bezahlt, sodass man den Verdacht hat, bei all ihrer Großartigkeit sei diese Kunstphilosophie eigentlich der Erfahrung des Kunstwerkes selber gar nicht mächtig. Adorno glaubt, dass Hegel die Flüchtigkeit des Naturschönen – die Tatsache, dass das Naturschöne sich der Bestimmung des Geistes mehr entzieht als das Kunstwerk – dem Naturschönen zum Vorwurf gemacht hat. Für Adorno hat die Besinnung über das Problem des Naturschönen aber gerade an dieser Stelle anzusetzen: Das Naturschöne besitzt einen spezifischen Modellcharakter für das Kunstschöne, und es geht deshalb nicht an, in der Betrachtung des Schönen den Gedanken an das Naturschöne, so wie es die gesamte neuere Philosophie getan hat, auszuscheiden.

 Damit man ein Kunstwerk als Kunstwerk erfährt, muss einem im Kunstwerk die Erfahrung von etwas Eigenem entgegentreten. Das Urphänomen dazu stammt aus der Beziehung zur Natur. Wenn man sagt, „dieser Abend ist schwermütig“, dann ist das nicht eine Stimmung des Betrachters, sondern der Abend selber ist schwermütig. Jemand, der diese entscheidende Erfahrung nicht gemacht hat, weiß nicht, was ein Kunstwerk ist. Die Kunst, die zwar von Menschen gemacht ist, ist gleichzeitig durch die Natur vermittelt. Die Theorie des Kunstschönen ist deshalb von einer Theorie des Naturschönen nicht zu trennen. Dabei verdanken sich die Bereiche der Natur, an denen für uns wesentlich die Erfahrung des Naturschönen haftet – wie das Hochgebirge oder das Meer –, späten geschichtlichen Erfahrungen. In der Kantischen Ästhetik der Erhabenheit ist noch die Angst und das Grauen vor der pathetischen Natur fühlbar, aber gleichzeitig schon assoziiert mit jenem Gefühl des Erhabenen, das den Grund abgibt für die Erfahrung der Schönheit dieser Momente. Erst in einer Welt, in der Kathe­dralen aufgehört haben, das zu sein, was sie einmal waren und zu einem Stück Bildung, zu etwas Musealem geworden sind, erst in dem Augenblick gewinnt das Meer jene Art von Schönheit, die es im Hochmittelalter, als man die Kathedralen baute, nicht besessen hat. Solange die Natur mächtiger war als die Menschen, konnte man das Naturschöne gar nicht wahrnehmen.

 Zu der Schönheit gehört objektiv das Moment, dass wir frei sind – in dem Gefühl des Widerstands gegen das bloße Dasein ist die Utopie enthalten, dass dieses bloße Dasein nicht das letzte Wort habe. Das, wodurch uns die Kunstwerke schön erscheinen und was in ihrer Schönheit zugleich das unmittelbare Begehren von ihnen fernhält, hängt aufs

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

tiefste damit zusammen, dass in ihnen doch eben das Begehren als eine notwendige, aber dann doch wieder abgedungene Bedingung enthalten ist. Seit Platons Phaidros schließt alles Schöne ein seltsames Kräftespiel zwischen dem Begehren und dem Verbot des Begehrens ein. Und wenn dieses Moment des Begehrens nicht als ein Negiertes in der Idee des Schönen mit enthalten ist, dann wird der Begriff des Schönen selber eigentlich schal und nichtig.

 

Die Dignität der Kunstwerke hängt davon ab, dass in ihnen selber etwas lebt, was mehr ist als bloße Kunst. Auch wenn sie ihr eigenes Formgesetz erfüllen, sind sie mehr als Form, in dem sie sich auf jenes Wirkliche beziehen, das sie ausgeschlossen haben und auf das sie sich dann wiederum nur durch Ausschluss beziehen können.

 

In  der Geschichte der Menschheit ist das mimetische Verhalten, also das Verhalten der unmittelbaren Nachahmung, eines der primären. Dadurch, dass man irgendwelche Naturphänomene nachahmt, glaubt man, Gewalt über die Natur zu gewinnen. Im Prozess der wachsenden Aufklärung ist auf der einen Seite der Mensch der Natur gegenüber immer freier und mächtiger geworden, hat aber die Natur auf der anderen Seite immer mehr zu einem „Aktionsobjekt“, also zu einem praktischen Gegenstand herabgesetzt. Wenn nun die Kunst am mimetischen Verfahren festhält, dann ist sie in einer gewissen Weise infantil.

 

Der Schauer vor dem Kunstwerk, der Begriff des Erhabenen also, hat seine Wurzeln im sakralen Wesen des Unberührbaren, der großen göttlichen Macht. Dieser Anspruch, der sich im Kunstwerk manife­stiert, hat immer zugleich den Anspruch auf Totalität. Das Kunstwerk verspricht das Absolute, die absolute Erfüllung zu sein. Während in dieser Welt das Realitätsprinzip (dass man sich so verhält, dass man die Wirklichkeit möglichst umfassend meistert), ist die Realität der Kunst prinzipiell eine Negation dieses Realitätsprinzips. Die Kunst konstruiert eine Sphäre, deren Anspruch es ist, Schein zu sein. Gleichzeitig ist die Kunst in dieser Sondersphäre die Stimme des Unterdrückten.

 

Die Kunst kennt Fortschritt nur in einem begrenzten Sinne, im Sinne fortschreitender Materialbeherrschung bzw. fortschreitender Technik. Für den Künstler ist es unabdingbar, mit den fortgeschrittensten Techniken seiner Zeit umgehen zu können. Um den entsprechenden Fortschritt zu sehen, muss man jedoch so etwas wie eine primäre künstlerische Erfahrung besitzen. Allerdings darf man diesen Fortschritt der Materialbeherrschung nicht etwa mit einem Fortschritt der Kunst selber verwechseln.

 

Die Konstruktion ist das, was man in der Kunst mit der Natur macht, was sich an dem Naturmoment von der ursprünglichen Natur unterscheidet. Der Ausdruck beinhaltet dagegen das wiederkehrende Naturmoment, das Moment des nicht ganz Erfassten, der unmittelbaren Kundgabe der Regung. Der Ausdruck hat einen langen Prozess hinter sich, und die Reinheit des Ausdrucks steht