PhilosophiePhilosophie

STELLUNGNAHMEN

Reinhard Brandt, Hans-Johann Glock, Peter Janich, Markus Wild :
Was ist mit dem Wissen der Tiere?

Wo müssen wir bei der Unterscheidung von Tier und Mensch einsetzen?

Hans-Johann Glock: Zunächst einmal ist festzuhalten, dass auch wir Menschen Tiere sind. Zweitens, es ist schwierig, Merkmale anzugeben, die einerseits allen Menschen gemein sind, andererseits aber keinem nicht-menschlichen Tier zukommen. Das Genom hat nicht die ihm von genetischen Deterministen zugebilligte zentrale Bedeutung für die Natur einer Spezies. Aber selbst wenn dem anders wäre, so bliebe der Umstand, dass sich die menschliche DNS-Sequenz zu ca. 98% mit der von Schimpansen überschneidet. Auch der Phänotypus liefert keine Merkmale, die notwendiger Weise allen und nur Menschen zukommen. Das liegt vor allem an den von der angewandten Ethik her bekannten ‚Grenzfällen‘. Es gibt Menschen (d. h. Mitglieder der Spezies Homo Sapiens), welche die traditionell in Anschlag gebrachten menschlichen Eigenheiten nicht aufweisen: sie sind nicht zu rationalem Denken oder Handeln fähig, besitzen keine sprachlichen Kompetenzen, verfügen nicht über Selbstbewusstsein, usw.

Oft wird eingeworfen, selbst diese Menschen hätten die einschlägigen Eigenschaften zumindest ‚potentiell‘. Aber in Fällen schwerer Behinderung kann dies nur auf einen kontrafaktischen Konditionalsatz hinauslaufen: hätte das Individuum ein anderes Genom besessen und wäre es anderen Umwelteinflüssen ausgesetzt gewesen, dann wäre es vernunftbegabt (etc.). In diesem schwachen Sinn besitzen jedoch auch Vertreter anderer Arten die angeblichen Eigenarten. Gentechnologische Entwicklungen könnten einen ‚Über-Affen‘ nicht nur denkbar, sondern sogar machbar werden lassen. Außerdem entschärft die Replik nicht Grenzfälle von der anderen Seite. Es gibt z. B. Menschenaffen und Delfine, denen Verhaltensforscher sprachliche Fähigkeiten antrainiert haben, die ungefähr denen von 3-jährigen Kindern entsprechen. Und damit eröffnen sich solchen Tieren auch bestimmte Formen von Rationalität und Selbstbewusstsein.

Ein auch nur einigermaßen präziser biologischer Begriff des Menschen muss genealogisch angelegt sein: es gehören alle Lebewesen dazu, die auf der Homo Abstammungslinie liegen, die sich vor ca. 6 Millionen Jahren von derjenigen der Schimpansen abgespalten hat. Eine für unser Selbstverständnis wichtige ‚anthropologische Differenz‘ ergibt sich dagegen nur, wenn wir von der Ebene von Individuen auf die Ebenen von Gemeinschaften übergehen. Es gibt bestimmte Fähigkeiten, die zwar nicht allen und nur Menschen zukommen, die jedoch für die Existenz menschlicher Gesellschaften und damit für die menschliche Lebensweise unabdingbar sind, während sie bei anderen Arten keine derartige Rolle spielen. Dazu gehören:
- Eine besondere Plastizität: die Fähigkeit, sich unterschiedlichsten Umweltbedingungen anzupassen, und zwar aufgrund von außerordentlichen kognitiven Leistungen (notabene durch Technik).
- Eine komplexe und flexible soziale Organisation, aufgrund von Kooperation, Normen und Arbeitsteilung.
- Ein einzigartiges System der Kommunikation, das (1.) und (2.) erst ermöglicht: die menschliche Sprache.

Peter Janich: „Mensch“ und „Tier“ in ihrer lebensweltlichen, alltagssprachlichen Unterscheidung sind die Bedingung der Möglichkeit naturwissenschaftlicher, genauer evolutionsbiologischer Thesen über deren Verhältnis: alle heutigen Menschen und alle heutigen Tiere stammen von denselben Individuen ab, die nach heutiger Mensch-Tier-Unterscheidung keine Menschen, sondern Tier-Ähnliche waren. Wir müssen also, erkenntnistheoretisch gesehen, die Unterscheidung von Mensch und Tier in den aktuellen (biologisch: „rezenten“) Formen in das naturhistorische Erklären der Entstehung des Menschen einsetzen, „investieren“. Die Mensch-Tier-Unterscheidung ist nicht Ergebnis, sondern unverzichtbare Grundlage der (übrigens nur von Menschen gemachten) Evolutionsbiologie.

Dabei rekurrieren wir auf die (kulturabhängigen) faktischen Unterschiede (a) der Wertschätzung von Mensch und Tier sowie (b) der moralischen und (c) der rechtlichen Ungleichbehandlung von Mensch und Tier. Zu (a): Beim Großbrand auf einem Bauernhof rettet die Feuerwehr zuerst Menschen aus dem Wohnhaus, dann Tiere aus den Ställen und dann Maschinen aus der Garage. Zu (b): Wir Menschen machen nur Menschen für ihre Handlungen und deren Folgen verantwortlich, nicht aber Tiere für ihr natürliches Verhalten, so wenig wie andere Naturgegenstände (Atmosphäre, Meer) für Naturereignisse (Gewitter, Tsunami). Zu (c): Kulturhistorisch jung ist die rechtliche Freistellung des Tieres von Zurechenbarkeit: Kommt ein Mensch durch ein Tier zu Schaden (Schafherde im ICE-Tunnel), werden nicht Tiere, sondern nur wieder Menschen (Schäfer, Tierhalter) haftbar gemacht. Kauf, Besitz, Nutzung und Verkauf von Tieren ist weder moralisch noch rechtlich beanstandet, aber Sklaverei und Menschenhandel sind moralisch und rechtlich geächtet.

Der Begriff „Mensch“ wird in seiner Zweideutigkeit häufig missverstanden: einerseits ist er ein Reflexionsbegriff und betrifft die „typisch menschlichen“ Kulturleistungen (nur der Mensch treibt Wissenschaft, betritt den Mond, schreibt Natur- und Kulturgeschichte, etabliert einen Rechtsstaat); andererseits ist „Mensch“ ein terminus technicus (für homo sapiens sapiens) der Evolutionsbiologie und bezeichnet ein naturhistorisch und genetisch bestimmtes Taxon. Selbst „Tierphilosophen“ übersehen oft diese begriffliche Verschiedenheit in ihren Tierbeschreibungen gegenüber dem Menschen.

Reinhard Brandt: Tiere sind untereinander vielfach differenziert durch Körperbau, Lebensräume, Nahrung, Fortpflanzung, Kooperation (man denke an die jetzt bekannter gewordenen Superorganismen der Termiten, Bienen u. a.) und ihre ausgeprägten Zeichensysteme in akustischen, optischen oder chemischen Medien. In diese Unterscheidungen ordnet sich auch der Mensch ein. Orientiert man sich an der Frage des Wissens, besteht eine harte Zäsur zwischen Mensch und Tier darin, dass nach unserer Kenntnis nur der erstere über den öffentlichen Gebrauch von propositional verfassten sprachlichen Symbolen verfügt, damit über Begriffe von Objekten, die Differenz von Bejahung und Verneinung und die Unterscheidung von wahr und falsch. Diese in der Natur sonst nicht bekannte Wissensmöglichkeit mit ihrer Speicherung und Mitteilbarkeit in verschiedenen Realisierungsformen (Sprachen) wirkt sich vielfach aus auf die gesamte Natur des Menschen und vertieft so die Differenz von Mensch und Tier in der fortschreitenden Kultur. Der Vogel weiß, wo sein Nest ist. Aber dieses und sein übriges Wissen ist sicher nicht propositional organisiert und sollte deswegen nicht als Denken bezeichnet werden. Tiere denken nicht und haben keine Gedanken.

Markus Wild: Es gibt Unterschiede ganz unterschiedlicher Art zwischen Mensch und Tier: natürliche Sprachen, historisches Bewusstsein, Kontrolle der Hand, Bandscheibenvorfälle usw. Ich würde gerne eine andere Frage vorausschicken: Müssen wir bei der Frage ansetzen, wo der Unterschied zwischen Mensch und Tier anzusetzen ist? Eine Reihe großer Philosophen haben beim Unterschied angesetzt. So hat Descartes zwischen beseelten Wesen und bloßen Körpern unterschieden, Kant zwischen Personen und Dingen. Dies führt zu Schwierigkeiten, weil Tiere in keine Kategorie passen, jedenfalls nicht ohne (auch unmetaphorisches) Pressen. Dieses Problem hat B.A.G. Fuller 1949 mit dem Titel „The Messes Animals Make in Metaphysics“ auf den Punkt gebracht. Eine alternative Zugangsweise (die Methode des Assimilationismus) bestünde darin, bei den Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Tier anzusetzen. Das hat bei empirisch ausgerichteten Philosophen wie Aristoteles, Locke oder Hume Tradition. Natürlich wird dies auch darauf hinauslaufen, Unterschiede zu finden. Man beachte den Plural! Es ist nicht gesagt, dass wir auf den einen Unterschied stoßen, der für die zahlreichen Unterschiede zwischen dem Menschen und anderen Tieren – übrigens eine Formel, die ich im Gegensatz zu Herrn Janich nicht für gedankenlos halte – ausschlaggebend ist. Der eine große Unterschied (die anthropologische Differenz) wäre jener, der für alle anderen Unterschiede den Grund abgibt. Aber warum soll es diesen einen gemeinsamen Grund geben? Meines Erachtens gibt es eine Reihe von Unterschieden, die im Wesentlichen dazu führen, dass der Mensch als Gattungswesen in einer von ihm erschaffenen ökologischen Nische lebt. Dies führt z.B. dazu, dass der Mensch, als Einzelwesen, sein Leben zu führen hat. Er ist ein Wesen, das nicht nur lebt, sondern ein Leben führt. Welcher Aspekt ist grundlegender, der Mensch als kulturelles oder der Mensch als biografisches Wesen? Mir scheint, dass die Idee der einen anthropologischen Differenz der Philosophie lange genug den Verstand verhext hat.

Können wir einem Tier berechtigterweise Bewusstsein, Wissen, Meinung oder Absichten zuschreiben und warum?

Markus Wild: Ja. Ich will mich auf die Frage „Können Tiere denken?“ konzentrieren. Man muss drei Fassungen der Frage unterscheiden. Erstens: Haben Tiere Gedanken? Zweitens: Können Tiere nachdenken? Drittens: Können Tiere gedankenlesen? Ich glaube, dass nicht-menschliche Tiere in allen drei Bedeutungen der Frage denken. Ich will mich der ersten Fassung zuwenden. Ich stütze meine positive Antwort auf Folgendes:

Erstens: Wir schreiben Tieren Gedanken zu, wenn wir ihr Verhalten und ihre Wahrnehmungen beschreiben und verstehen. Eine sorgfältige Analyse der dabei verwendeten Begriffe zeigt, dass das Verhalten der Tiere die Anwendungsbedingungen für diese Begriffe erfüllt. Also haben Tiere Gedanken. Zweitens: Das Haben von Gedanken besteht darin, dass Tiere Repräsentationen ihrer Umwelt bilden, die ihr Verhalten lenken. Vielleicht sind Repräsentationen als Hirnzustände realisiert, die diese kausale Rolle aufgrund ihrer Struktur spielen. Der Zustand, der diese Rolle spielt, entsteht aufgrund gewisser Inputs (Wahrnehmungen) und veranlasst bestimmt Outputs (Verhalten). Bei einem Wesen, das lernfähig, aufmerksam, neugierig und flexibel ist, nennen wir einen solchen Zustand einen Gedanken. Diesen funktionalistischen Aspekt kann man naturalistisch wenden, indem man die verhaltenslenkende Rolle eben als kausale Rolle versteht. Drittens: Man kann zur Stützung der eben genannten Überlegung auf die Naturwissenschaften verweisen. Naturwissenschaftliche Antworten sind die besten Antworten, die wir über natürliche Phänomene haben. Sicher gehört das Verhalten von Tieren zu den natürlichen Phänomenen. Wenn die Naturwissenschaft gute Gründe dafür anführt, das Verhalten von Tieren mithilfe von Gedanken (im eben erläuterten Sinn) zu erklären, so sollten wir diese Gründe akzeptieren. Nun haben sich im Gefolge der Ethologie die Belege dafür verdichtet, dass gute Gründe für die ganz unmetaphorische Zuschreibung von Gedanken Tieren gegenüber bestehen.

Hans-Johann Glock: Die erstaunlich weit verbreitete Skepsis bezüglich des Bewusstseins bei Tieren beruht oft auf einer begrifflichen Verwirrung. Man muss zwei Arten von ‚Bewusstseinszuständen‘ unterscheiden. Zum einen gibt es Zustände, durch die sich das Subjekt auf andere Dinge bezieht und auf diese reagiert, vor allem in Empfindung und Wahrnehmung. Zum anderen gibt es Zustände, deren sich das Subjekt bewusst ist. Letztere stellen eine Form von Selbstbewusstsein dar. Das mag wiederum an Sprache gebunden und daher für sprachlose Wesen unerreichbar sein. Aber für Bewusstsein im ersten Sinn gilt das nicht. Wer diese elementare Unterscheidung eingesehen hat und dennoch bezweifelt, dass höhere Tiere sich ihrer physischen und sozialen Umwelt bewusst sein können, der ist wahrscheinlich ‚vernagelt’.

Laut Thomas Nagel haben alle Bewusstseinszustände einen qualitativen Charakter – es fühlt sich irgendwie an, sich in dem Zustand zu befinden. Das gilt jedoch nur für Empfindungen wie Schmerzen, nicht aber für Wahrnehmungen. Und bei Nagels ‚wie es sich anfühlt (eine Fledermaus zu sein, einen Tisch zu sehen, usw.)‘ handelt es sich um grammatische Monster von geradezu Heideggerschen Ausmaßen. Schlimmer noch, die mit Bewusstseinszuständen einhergehenden ‚Qualia’ sollen wesentlich privat und prinzipiell nicht mitteilbar sein. Aber die Cartesianische Idee, Bewusstsein sei ein geheimnisvolles inneres Glühen völlig unabhängig von Wahrnehmungs- und Verhaltensfähigkeiten wurde spätestens durch Wittgenstein zu Grabe getragen. Wer aber dennoch an dieser Idee festhält, muss konsequenter Weise zum Solipsist werden und auch Bewusstseinszustände bei seinen Mitmenschen anzweifeln.

Für die Zuschreibung von Wissen, Überzeugung und Absichten an Tiere spricht, dass dies die beste und oft sogar die einzige Erklärung der Verhaltensweisen höherer Tiere darstellt. Deswegen sind solche Zuschreibungen nicht nur integraler Bestandteil des gesunden Menschenverstandes und der Umgangssprache. Nach Überwindung der behavioristischen Dogmen haben sie auch in den Verhaltenswissenschaften Einzug gehalten und zu den Erfolgen der ‚kognitiven Ethologie‘ beigetragen.

Obwohl die Fruchtbarkeit solcher Zuschreibungen unbestreitbar ist, tun sie einige Philosophen als bloße Redensarten ab. Ein genereller apriorischer Einwand lautet wie folgt: Überzeugungen und Absichten setzen Begriffsbesitz voraus; Begriffsbesitz setzt Sprache voraus; also können Tiere keine Überzeugungen oder Absichten haben. Die zweite Prämisse dieses Arguments ist pro blematisch. Tiere haben nicht nur die Fähigkeit, vielfältige und subtile Unterscheidungen zu treffen. Manche von ihnen tun dies auch auf flexible und bedachte Weise und sind dazu in der Lage, ihre Unterscheidungen zu korrigieren. Es gibt keine zwingenden Gründe dagegen, dies als Begriffsbesitz anzuerkennen. Auch die erste Prämisse steht auf wackligen Füssen. Ihr zugrunde liegt die Vorstellung, der Gehalt von Überzeugungen sei eine ‚Proposition’, ein komplexer abstrakter Gegenstand, der aus Begriffen zusammengesetzt ist. Aber ‚Gehalte‘ sind keine echten Objekte, sondern einfach Projektionen von dass-Sätzen. Die Zuschreibung von Überzeugungen ist unproblematisch bei allen Subjekten, bei denen wir angeben können, was sie glauben, etc. Ein positives Argument für Überzeugungen bei höheren Tieren ist, dass sich ihr Verhalten nur durch die Wahrnehmung erklären lässt, dass bestimmte Dinge der Fall sind. Und seeing is believing!

Peter Janich: Aktuell greift unter naturalistischen Vorzeichen die Verwendung von „zuschreiben“ (meist synonym mit „zusprechen“ und „zurechnen“) versus „beschreiben“ wie eine Epidemie um sich, als ginge es dabei um ein paar gute Gaben, die nach Gunst und Großzügigkeit beliebig zu verteilen sind. Dagegen wird alltagssprachlich etwa ein Kunstwerk einem Künstler (wegen Handlungsurheberschaft) oder einem Besitzer (in Folge einer Beziehungshandlung) zugeschrieben, im begründungsbedürftigen Falle aufgrund wahrer Beschreibungen (wie der Herstellung oder der Qualitäten des Kunst-Werks bzw. der „Geschichte“ als vollzogenen Beziehungshandlungen des Kaufens, Schenkens, Stehlens usw.). Auch die rechtliche Zurechnung einer Tat zum Täter durch einen Richter ist lebensweltlich analog üblich und für die Lerngeschichte des Individuums (in Lob und Tadel) unverzichtbar.

Wissenschaftlich sind „zuschreiben“ und „beschreiben“ (a) pragmatisch, (b) semantisch und (c) syntaktisch verschieden: Zu (a): „Beschreibungen“ sind, abhängig vom Objekt und den sprachlichen Mitteln, wahr oder falsch; „Zuschreibungen“ sind dagegen, abhängig von der Vorgeschichte, berechtigt oder verfehlt. Zu (b): Eine Beschreibung betrifft die Qualität des beschriebenen Gegenstandes, eine Zuschreibung die Beziehung eines Gegenstandes zu einer menschlichen Handlung. Zu (c): „beschreiben“ ist ein zweistelliger Prädikator („P beschreibt g“), „zuschreiben“ dagegen ein dreistelliger Prädikator („P1 schreibt P2 ein h zu“) (P: Person, g: Gegenstand, h: Handlung, Handlungsfolge).

Wenn die Begriffe (sh. Frage!) Bewusstsein, Meinung, Wissen, Absicht in der Rede von Menschen für Menschen über Menschen hinreichend geklärt sind, also deren Zuschreibungen in menschlicher Kooperation und Kommunikation gelingen, ist ihre übertragene (metaphorische) Zuschreibung zu Tieren genau soweit berechtigt, als (a) deren metaphorischer Charakter stets mitgedacht wird, und (b) entsprechende menschliche Leistungen von Tieren hinreichend ähnlich erbracht werden.

Da wir für die Rede über Leistungen von Tieren (mit extrem seltenen Ausnahmen etwa der Jäger- oder Tierzüchtersprache) keine andere Sprache zur Verfügung haben als für die Rede über menschliche Leistungen, ist diese anthropologische Metaphorik unvermeidbar. Sie bleibt aber in Anwendung auf Tiere eine „façon de parler“ und ist nicht mit einer wahren wissenschaftlichen Beschreibung zu verwechseln, wie dies etwa in den faktisch falschen, weil eine sprachabhängige Zweckrationalität zuschreibenden Thesen über einen rationalen Werkzeuggebrauch bei Tieren unter Biologen verbreitet ist.

Reinhard Brandt: Wie unseren Mitmenschen und uns selbst zu gewissen Zeiten, so schreiben wir auch Tieren die genannten mentalen Eigenschaften in unterschiedlichen Stufungen zu. Dass dies vernünftig und folglich berechtigt ist, wurde in der Geschichte der Menschheit wohl nur auf spekulativen Abwegen bestritten (Tiere seien eine bloße „res extensa“, hätten keine Seele, kein Bewusstsein u. ä.). Tiere äußern Lust und Schmerz, die von ihnen wie vom Menschen bewusst empfunden werden; Hordentiere folgen einer Rangordnung und müssen entsprechend ein Selbst-Bewusstsein ihrer jeweiligen Plazierung haben. Sie wissen häufig, wie schwer ungefähr ihr Körper ist, sie wissen bei bestimmten Gelegenheiten, dass sie gesehen werden, und ergreifen Gegenmaßnahmen. Tiere haben nicht-propositionale Meinungen; so meint der Hund von Pawlow, nach dem Klingelzeichen warte das Fressen auf ihn. Der Hund von Davidson meint, die Katze sei auf dem Baum, aber sie ist längst zu Hause. Tiere können eigene und fremde Handlungsverläufe in einer imaginären Raum- und Zeitarena entwerfen und den Plan in der realen, mit uns geteilten Raum-Zeit-Welt durchführen. Man wird von einem absichtlichen Handeln sprechen müssen. Wie das alles möglich ist, wissen weder sie noch wir. Stichworte sind: Gene; Algorithmen. Ein propositional verfasstes, zur Bildung von Syllogismen fähiges Denken dürfte jedenfalls nach allen Indizien nicht zur Verfügung stehen.

Wenn Tiere eine Art von Wissen hätten, was würde dies für die Anthropologie bedeuten?

Peter Janich
: Schon bei Anwendung auf Menschen bedeutet „Wissen“ niemals nur propositionales, also sprachgebundenes Wissen, das Tieren natürlich unzugänglich ist. Kultürliche Formen von Wissen, wie durch Lernen erworbenes Können, (z. B. kinetisch: schwimmen, radfahren, tanzen; poietisch: kochen, schreinern, aufräumen; praktisch: beschenken, bestehlen, verletzen, heilen, loben/tadeln, versprechen, gratulieren, kondolieren) kann in den kultürlich verschiedenen Erscheinungsformen Anlass für eine analoge, metaphorische Beschreibung tierlicher Leistungen sein. Da aber evolutionsbiologisch immer die Gegenwart das in naturgeschichtlicher Rekonstruktion aus dem Vergangenen zu Erklärende ist, ist auch der Mensch („anthropologisch“) der methodisch primäre und das Tier der methodisch sekundäre Gegenstand der Erklärung.

Die metaphorische Zuschreibung von Wissen zu Tieren hat also, für verschiedene Typen von Wissen jeweils verschieden, nur Bedeutung für die Herkunft unseres Beschreibungssystems für Tiere aus der Anthropologie, aber keine Bedeutung für deren Fundierung oder Ausgestaltung. Die Vermutung, aus einer veränderten Tierbeschreibung würde sich eine veränderte Anthropologie ergeben, verkennt die Gegenläufigkeit des kultürlichen Verstehens- und Erkenntnisprozesses der Naturgeschichtsschreibung relativ zur zeitlichen Abfolge des natürlichen Evolutionsgeschehens.

Markus Wild: Für propositionales Wissen (das übrigens keineswegs als sprachgebunden verstanden werden muss) wird oft gefordert, dass ein Subjekt seine Überzeugung rechtfertigen kann. Tieren scheinen die relevanten Faktoren, die eine Überzeugung rechtfertigen könnten, kognitiv nicht zugänglich zu sein. Der Hund weiß demzufolge nicht, wo sein Futter ist, auch wenn er das Futter mit eignen Augen sieht, auch wenn er es zuverlässig findet, auch wenn er es verzehrt. Schlimmer noch, weil er nicht weiß, wo die Futterschüssel ist, kann er auch nicht sehen, wo die Schüssel ist, selbst wenn er über ein ausgezeichnetes Sehvermögen verfügt. Doch wenn ein Subjekt nicht nur ein X sieht, sondern sieht, wo X ist (sieht, dass X vor ihm auf dem Boden neben der Wand steht), dann weiß es auch, wo X ist. Aber natürlich sieht der Hund die Schüssel. Also weiß er, wo die Schüssel steht. Ich teile die Auffassung nicht, dass zu Wissen Rechtfertigung gehört. Zu Wissen gehören zuverlässige kognitive Vermögen. Das haben auch Tiere. Sie müssen diese Vermögen einsetzen können. Das ist das Kowing-how, das dem Knowing-that der Tiere zugrunde liegt.

Ich glaube jedoch nicht, dass eine positive Antwort auf diese Frage, die ich durchaus zu geben bereit bin, zu größeren Veränderungen in der Anthropologie führen würde, als die oben genannten Zuschreibungen. Die philosophische Anthropologie lebt im Wesentlichen von der anthropologischen Differenz. Die Wissenszuschreibung gegenüber Tieren ist nur ein weiterer Stein, der das Bild des Menschen als natürlichem Wesen vervollständigt bzw. die Zyklopenmauer der anthropologischen Different zu Fall bringt.

Reinhard Brandt: Da es eine Wissenschaft vom Menschen (peri physeos anthropou; de homine) seit der Antike gibt und man immer schon wusste, dass Tiere über vielfältiges Wissen verfügen, dürfte sich in dieser seit dem 15. Jahrhundert auch „Anthropologie“ genannten Wissenschaft vom Menschen eigentlich gar nichts ändern. Es wäre wünschenswert, dass in Disziplinen wie der Erkenntnistheorie, der Psychologie, der gesamten Leib-Seele-Diskussion der Blick auf identische oder parallele Phänomene bei den Tieren zur Normalität wird.

Hans-Johann Glock: Den Abschied von traditionellen Dichotomien. Dass Tiere wissen können, wie bestimmte Dinge zu tun sind, sollte unkontrovers sein. Und für das Vermögen zu wissen, dass etwas der Fall ist sprechen nicht nur gesunder Menschenver stand und Verhaltenswissenschaften, sondern auch die oben angeführten Argumente. Dieses Zugeständnis bedeutet nicht, dass es zwischen Mensch und Tier keine qualitativen Unterschiede geben kann. Viele Arten von Überzeugungen, Wünschen und Absichten lassen sich in nicht-sprachlichem Verhalten einfach nicht manifestieren. Wie Wittgenstein bemerkte: ein Hund kann glauben, sein Herr sei an der Tür, aber nicht, sein Herr werde übermorgen zurückkehren. Gedanken über die weitere Vergangenheit und Zukunft, über allgemeine kausale Zusammenhänge und abstrakte Gegenstände, sowie moralische und ästhetische Urteile sind daher bei Tieren auszuschließen. Wir glauben, wissen und beabsichtigen eben sehr viel mehr als Tiere. Aber, um eine dialektische Denkfigur wiederzubeleben, dieser scheinbar quantitative Unterschied läuft auf einen qualitativen hinaus.

Woher stammt dieses plötzliche Interesse der Philosophie an den Tieren?

Hans-Johann Glock: Ein solches Interesse gab es bereits in der Antike und der frühen Neuzeit. Die Wiederbelebung verdankt sich verschiedenen Faktoren. Erstens den überraschenden Entdeckungen der kognitiven Ethologie. Zweitens den Debatten über die Tierethik. Drittens zwei entgegengesetzten Strömungen in der zeitgenössischen Philosophie des Geistes: dem Naturalismus auf der einen Seite, dem Neo-Aristotelianismus auf der anderen. Und schließlich stellen uns nicht nur Tiere, sondern auch Computer, Roboter und die Möglichkeit künstlicher Prothesen und Implantate verschärft vor die Frage, worin denn nun das eigentlich Menschliche besteht.

Peter Janich: Diese letztlich empirische Frage kann nicht über einen einzigen Aspekt plausibel gemacht werden: ein dogmatischer Vegetarier wird andere Gründe für seine Mensch-Tiervergleiche (Kannibalen/Raub tiere) haben als ein engagierter Tierschützer; ein die Evolutionsbiologie naturalistisch missverstehender Tierphilosoph hat andere Gründe als ein dogmatischer Anhänger einer religionsbasierten Anthropologie, und ein ästhetisierender Philosophiehistoriker andere Interessen als ein Phänomenologe.
Wenn sich die Frage auf das spezifisch philosophische Interesse richtet, ist das Thema Tierphilosophie (außerhalb von Fragen nach dem moralischen und rechtlichen Status der Tiere) vor allem durch die aktuelle Flut ethologischer Beispiele der Vermenschlichung von Tieren zu erklären. Kaum dass (letztlich in aristotelischer Tradition: der Mensch als animal rationale, ludens, pudens, ridens usw.) eine spezifisch menschliche Leistung benannt ist, findet sich ein Biologe, der diese auch (zumindest rudimentär) bei Tieren nachweisen möchte. Hier schlägt die mangelnde Reflexion auf die sprachlichen Mittel von Be- und Zuschreiben im anthropologischen Bereich auf die (als nichtmetaphorische sinnlose) Zuschreibung von Leistungen zu Tieren durch. Das „plötzliche Interesse an Tieren“ in den Wissenschaften und in der Philosophie ist also Ausdruck eines begrifflich und methodisch unreflektierten Naturalismus.

Reinhard Brandt: Die Tiere werden zunehmend aufgewertet. Insgesamt bauen wir Kommandostrukturen ab und ersetzen sie durch Partnerschaften (Gesellschaft versus Staat); in sie werden auch Tiere integriert, zumal sie kaum noch zu körperlicher Arbeit gepeitscht werden und das Töten so separat stattfindet wie das Sterben der Menschen und ihr Abtransport. Grausamkeit ist in gleicher Weise gegen Menschen wie Tiere verpönt und z. T. strafbar. Es spielen weitere Phänomene eine Rolle: Die Verhaltensforschung tritt mit so populären Autoren wie Konrad Lorenz und jetzt Tomasello auf; sodann ist wichtig die auch in anderen Gebieten zu beobachtende Neigung zur Grenzüberschreitung der Disziplinen; wichtig ist sicher auch die populistisch-naturalistische, leider wohl falsche These, es gebe keinen Hiat zwischen Mensch und Tier, auch Tiere könnten im definierten Sinne denken. Sollte sich allerdings „Information Philosophie“ auch an nicht-menschliche Tiere (etwa im Basler Zoo) gewendet haben und authentische Antworten erhalten, bitte ich den letzten Halbsatz bzw. meinen gesamten Beitrag zu streichen.

Markus Wild: Das Interesse ist so plötzlich nicht. Die Frage, ob man Tieren einen Geist zuschreiben kann, hat Menschen vermutlich seit den Gemälden in Lascaux beschäftigt. Der britische Philosoph Richrad Sorabji hat 1993 in seinem wundervollen Buch Animal Minds and Human Morals (1993) sehr schön aufgezeigt, wie Aristoteles’ Schwierigkeiten, zwischen Menschen und Tier deutlich zu unterscheiden, ohne die Kluft zu klein bzw. zu groß zu machen, für die antike Philosophie zu einem bestimmenden Problemkomplex wurde. Analoge Studien existieren für die Philosophie der Neuzeit. Jacques Derrida scheint in seinem Buch Das Tier, das ich also bin (2010) endlich jene binäre Opposition gefunden zu haben, der er auf seiner Jagd durch die Philosophiegeschichte auf der Spur gewesen ist, nämlich die anthropologische Differenz. Man muss den Gedanken nicht überbewerten, dass die Suche nach der Unterscheidung zwischen Mensch und Tier eine der treibenden Kräfte in der Philosophiegeschichte war, aber diese Hinweise dürften doch den einseitigen Eindruck ausgleichen, es handle sich hier um ein neues Phänomen. Freilich sind in den letzten 40 Jahren die empirischen Einsichten in die Fähigkeiten von Tieren auf erstaunliche Weise gewachsen und die Untersuchungsmethoden und experimentellen Paradigmen mit viel Fantasie verfeinert worden. Darin zeichnet sich ein Muster ab: Engels meinte, dass kein Tier ein Werkzeug verfertigen, Plessner sagte, dass kein Tier sich im Spiegel erkennen, Siehe da: Schimpansen verfertigen Werkzeuge, Elefanten erkennen sich im Spiegel! Man muss die Resultate nicht einmal überbewerten, um zu bemerken, dass diese Forschungen – die ja mit unseren alltäglichen Weisen des Sprechens und Denkens über Tiere weitgehend harmonieren – auf die philosophische Reflexion explanatorischen Druck ausüben. Dies gilt sowohl für die theoretische als auch für die praktische Philosophie. Ich empfinde diesen Druck als durchaus heilsam und anregend für die philosophische Reflexion.

UNSERE AUTOREN:

Reinhard Brandt und Peter Janich sind emeritierte Professoren für Philosophie an der Universität Marburg, Hans-Johann Glock ist Professor für Philosophie an der Universität Zürich, und Markus Wild ist Privatdozent für Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin.