Martin Heidegger und der Nationalsozialismus

"Reden und andere Zeugnisse eines Lebensweges": Band 16 der Gesamtausgabe

 

Unter dem von Heidegger noch selbst festgelegten Obertitel "Reden" sind seine zwischen 1910 und 1976 gehaltenen Reden, Ansprachen, Ankündigungen, Aufrufe, amtliche Äußerungen, Buchbesprechungen, Gedenkworte usw. im Rahmen der Gesamtausgabe erschienen:

Heidegger, Martin: Gesamtausgabe. I. Abteilung: Veröffentlichte Schriften 1910-1976, Band 16: Reden und andere Zeugnisse eines Lebensweges. 842 S., Ln. Eur 84.--, kt. Eur 74.--, 2000, Klostermann, Frankfurt

Auf das größte Interesse stoßen beim Leser die bisher noch nicht veröffentlichten Dokumente aus der Zeit des Nationalsozialismus. "Alle wichtigen, bereits bekannten, aber auch die unbekannten dienstlichen Schreiben Heideggers aus seiner Rektoratszeit 1933/34, die entweder von ihm selbst stammen oder von ihm nur unterschrieben, aber damit verantwortet wurden, sind, soweit ich sie in den verschiedenen Archiven aufgefunden habe, in diesem Band vollständig abgedruckt. Auch seine schriftlichen Stellungnahmen als ‘Betroffener’ nach 1945 werden in vollem Wortlaut, z.T. erstmalig, hier veröffentlicht", schreibt der Herausgeber, Martin Heideggers Sohn Hermann Heidegger, und fährt fort: "Auch wenige Briefe, die in bisherigen Veröffentlichungen über Heidegger durch Kurzkommentare der Autoren zerstückelt oder durch die Auswahl von Kurzzitaten eine besondere Zielrichtung erhielten, werden dem Leser jetzt in vollem Wortlaut zugänglich gemacht." Sein Vater, so Hermann Heidegger weiter, sei im Grunde genommen unpolitisch gewesen: "Bei einer Reichstagswahl wählte er 1932 die kleine unbedeutende Partei der württembergischen Weinbauern. Mitgerissen durch die nationale Aufbruchsstimmung, hat er sich 1933 in der Beurteilung des Nationalsozialismus und seines Führers mit vielen anderen bedeutenden Leuten politisch geirrt. Dies erkannte er bereits in der Zeit des Jahreswechsel 1933/ 34" (eine Entschuldigung, die sich übrigens ganz ähnlich auch beim Vater findet). Sein Denken habe mit "faschistischen Tendenzen" nichts zu tun. Es ging, so der Sohn, vielmehr zu den Ursprüngen des abendländischen Denkens zurück und versuchte, neue Wege einzuschlagen.

Hermann Heidegger berichtet auch, welche Bände mit Heideggers Briefwechsel (diese erscheinen außerhalb der Gesamtausgabe) in Vorbereitung sind. Es handelt sich danach um den Briefwechsel mit Rudolf Bultmann, Kurt Bauch, Jean Beaufret, René Char, Hans-Georg Gadamer, Fritz Heidegger und Ernst Jünger. Schließlich erfährt man, wer nach Hermann Heidegger die Nachlassverwaltung übernehmen wird. Es ist Hermann Heideggers Sohn, Rechtsanwalt Arnulf Heidegger.

In Heideggers erstem öffentlichen Dokument als neuer Rektor der Universität Heidelberg, einem Rundschreiben vom 27. April 1933, spricht er aus, was er als seine Aufgabe sieht: "Der Aufbau einer neuen geistigen Welt für das deutsche Volk wird zur wesentlichsten künftigen Aufgabe der deutschen Universität." Worin diese neue "geistige Welt" besteht, das bleibt auch in den folgenden Texten im Dunklen. Als in denselben Tagen das berüchtigte Gesetz zur "Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" in Kraft trat, das ein Berufsverbot für jüdische Professoren mit sich zog, schreibt Heidegger an die Dekane: "Ich bitte, für eine restlose und klare Durchführung .... Sorge zu tragen, andernfalls läuft die Universität Gefahr, jedes Eintreten für bedrohte Kollegen selbst aussichtslos zu machen." Hermann Heidegger betitelt dies etwas tendenziös als "Eintreten für bedrohte Kollegen". In einem Brief an seinen Bruder Fritz erklärt Martin Heidegger sein Engagement für die neue Bewegung: "Du darfst die ganze Bewegung nicht von unten her betrachten, sondern vom Führer aus und seinen großen Zielen. Ich bin gestern in die Partei eingetreten nicht nur aus innerer Überzeugung, sondern auch aus dem Bewußtsein, daß nur auf diesem Wege eine Läuterung und Klärung der ganzen Bewegung möglich ist." In einer bisher unveröffentlichten Immatrikulationsrede wird etwas deutlicher, worauf Heidegger hinauswill: "Das deutsche Volk im Ganzen hat zu sich selbst zurückgefunden unter einer großen Führung. In dieser Führung schafft das zu sich selbst gekommene Volk seinen Staat. Das in seinen Staat sich hineingestaltende Volk wächst hinaus zur Nation. Die Nation übernimmt das Schicksal ihres Volkes. Das Volk erringt sich seinen geschichtlichen geistigen Auftrag unter den Völkern und schafft sich seine Geschichte." Für Heidegger bedeutet die Immatrikulation die Einreihung in "die Kampf- und Erziehungsgemeinschaft jener, denen die geistige Sendung des deutschen Volkes das erste und letzte ist". Zu dieser kämpferischen Erziehung gehören, und das ist für Heidegger sehr wichtig, Arbeits- und Wehrdienst. Im Arbeitslager, davon ist Heidegger überzeugt, verwirklicht sich die "Stätte einer jungen umittelbaren Offenbarung der Volksgemeinschaft". Etwas weltfremd hofft der Philosoph: "Der junge Deutsche bleibt künftig beherrscht vom Wissen um die Arbeit, in der sich die Kraft des Volkes sammelt, um darin die Härte seines Daseins zu erfahren, den Schwung seines Wollens zu bewahren und die Vielfältigkeit seines Könnens neu zu schätzen". Zentral ist für eine solche Erziehung aber auch die Einbettung in das Volkstum: "Heimatberge, Heimatwälder und Heimattäler" und Heidegger schwärmt von den "einsamen Bauernhöfen des Schwarzwaldes", wo noch Männer und Frauen wohnen, "die Ihnen Wesentliches zu sagen haben, und sei es nur durch die Art, wie sie da sind und ihrem Land und seiner Not verbunden bleiben." Arbeitsdienst, das heißt für Heidegger, die Grunderfahrung der Härte und der Bodennähe.

Wichtig ist Heidegger aber vorrangig die wissenschaftliche Qualität seiner Hochschule: "Das große Aufbauwerk, dem wir dienen, für das die deutsche Universität eingesetzt werden soll, darf in keinem Augenblick und in keiner Lage dem Verdacht und Vorwurf preisgegeben werden, als wüßten wir nicht, was geistigen Rang und wissenschaftliche Qualität bedeuten." Und gegenüber seinen Studenten führt er aus: "Wir sind entschlossen, den schweren Gang unserer Geschichte zu gehen, der von der Ehre der Nation und der Größe des Volkes gefordert ist." Als dann aber später die Dinge nicht so laufen, wie es Heidegger gern gesehen hätte, er sozusagen die vielgepriesene Härte des Daseins selbst erfährt, zieht er sich kurzerhand ins Privatleben zurück. Doch vorher noch, in einem unveröffentlichten Text zur Sommersonnenwende 1933, spricht er im Universitätsstadion in emphatischem Ton: "Die deutsche Revolution schläft nicht, sie zündet neu umher und erleuchtet uns den Weg, auf dem es kein Zurück mehr gibt." Da ist es eigentlich nur verständlich, wenn Heidegger Kollegen, die anders denken, den Weg verstellt. So wendet er sich in einer Stellungnahme gegen seinen Kollegen Hönigswald mit der Begründung, bei ihm sei das Wesen des Menschen zu einer allgemeinen logischen Weltvernunft verdichtet, womit der Blick abgelenkt werde von der volkhaften Überlieferung des Menschen "in seiner geschichtlichen Verwurzelung und in seiner volkhaften Überlieferung seiner Herkunft aus Boden und Blut". Hönigswald, so kritisiert er, habe bereits viele junge Menschen enttäuscht und irregeführt, und seine Berufung an die Universität München sei ein Skandal. Man weiss (der Herausgeber verzichtet jedoch auf einen entsprechenden Hinweis), Hönigswald hat dieses Gutachten die Karriere gekostet.

In einer Tischrede bei der Feier des 50jährigen Bestehens des Instituts für pathologische Anatomie im August 1933 wird Heidegger etwas deutlicher, was aus seiner Sicht die Aufgabe des Nationalsozialismus ist. "Das deutsche Volk will sich selbst wieder finden zur wahrhaften Selbstverantwortung." Nur ein solches Volk könne auch verantwortlich handeln im Verhältnis zu und in der Auseinandersetzung mit anderen Völker. Ein von Selbstverantwortung getragenes Volk habe aber allein das Recht und die Pflicht, Vertrauen und verantwortliche Stellungnahme bei den anderen Völkern zu verlangen. "Und so geht unser innerster Glaube dahin, daß durch die nationalsozialistische Revolution das deutsche Volk sich nicht nur wieder gefunden hat, sondern daß aus diesem Geschehnis herauswachsen wird eine neue und echte Gemeinschaft der Völker und Nationen, aufgebaut auf der Eigenkraft und Ehre und Verantwortung der einzelnen Völker, getragen von der Treue zum Großen und Wesenhaften der menschlichen Geschicke."

Doch nun zeigen sich erste Zeichen davon, dass sich die Dinge nicht so entwickeln, wie es Rektor Heidegger gerne hätte. "Hier ist es leider sehr trostlos", schreibt er am 22. August, um gleich fortzufahren: "Die Sammlung der geistigen Kräfte, die das Kommende heraufführen sollen, wird immer dringender." Alles hänge an der Erziehung der Hochschullehrer. Diese als erste Erzieher müssten zuerst erzogen werden, wofür aber erst noch eine geeignete Form gefunden werden müsse. Widerstand gibt es aber auch gegen seine Plänen einer Gemeinschaftserziehung der Studierenden. Die großen staatspolitischen Erfordernisse, machten, so Heidegger, "eine straffe Gemeinschaftserziehung der Studentenschaft im nationalsozialistischen Sinne" notwendig. Immer mehr stellte sich Heidegger die Frage, "an welcher Stelle und auch welchen Wegen" er am fruchtbarsten in die von ihm gewünschte Richtung wirken könnte. Wehren muss sich Heidegger auch dagegen, dass zwar politisch korrekte, aber fachlich unbedarfte Professoren berufen werden.

Heidegger steht voll hinter Hitlers Austritt aus dem Völkerbund: "Einzig der klare Wille zur unbedingten Selbstverantwortung im Ertragen und Meistern des Schicksals unseres Volkes fordert vom Führer den Ausritt aus der ‘Liga der Nationen’. Das ist nicht Abkehr von der Gemeinschaft der Völker. Im Gegenteil - unser Volk stellt sich mit diesem Schritt unter jenes Wesensgesetz menschlichen Daseins, dem jedes Volk zuvorderst Gefolgschaft leisten muss, will es noch ein Volk sein."

In einer im vollen Wortlaut bisher unveröffentlichten Immatrikulations-Rede vom 25. November 1933 wird Heidegger hinsichtlich der philosophischen Grundlagen seines Nationalsozialismus-Engagements etwas deutlicher. Danach sind die Deutschen dabei, ein geschichtliches Volk zu werden. Geschichtlichsein heißt, wissend aus dem Vorgriff in das Kommende zu handeln, um so das Vergangene in seiner verpflichtenden Kraft zu befreien und seiner sich wandelnden Größe zu bewahren. Dieses Wissen verwirklicht sich in der Staatwerdung des Volkes, dieses Wissen ist der Staat. Aber auch die Natur spielt eine wichtige Rolle: Die Natur wird offenbar als Raum eines Volkes, als Landschaft und Heimat, als Grund und Boden. Die Natur wird frei als Macht und Gesetz jener verborgenen Überlieferung der Vererbung wesentlicher Anlagen und Triebrichtungen. Die Natur wird maßsetzende Regel als Gesundheit. Je befreiter die Natur waltet, um so großartiger und gebändigter ist die gestaltende Macht der echten Technik ihr dienstbar zu machen. In die Natur gebunden, von ihr getragen und überwölbt, durch sich befeuert und begrenzt, verwirklicht sich die Geschichte des Volkes. Dieses stellt sich maßgebend dar in der Kunst. Zum großen Stil kommt die Kunst, indem sie das ganze Dasein des Volkes in die Prägung seines Wesens nimmt. Die Wissenschaft schließlich bringt das ursprüngliche Wissen um die Mächte des Daseins des Volkes zur Entfaltung und festigt es in der Herrschaft des gewachsenen Begriffes. Angesetztsein auf die Eroberung dieses Zieles, dass heißt für Heidegger: Deutscher Student sein. "Geistige Arbeit" ist solche nicht, weil sie auf "höhere geistige Dinge" bezogen ist, sondern weil sie als Arbeit tiefer zurückgreift in die Not des geschichtichen Daseins eines Volkes und unmittelbarer - weil wissender - bedrängt ist von der Härte der Gefahr menschlichen Daseins. Die Entscheidung darüber ob es gelingt, fällt für Heidegger je nachdem, ob es gelingt, das unverbrauchte Alemannentum aus der überlebten Bürgerlichkeit und harmlosen Gleichgültigkeit gegenüber dem Staat umzuerziehen zum Mitwollen des nationalsozialistischen Staatswillens.

Am 14. April 1934 kündigte Heidegger dem badischen Minister seinen Rücktritt vom Amt des Rektors an, mit der Begründung, dass er "zu der unmittelbaren und durch Ämter unbehinderten Erziehungsarbeit innerhalb der Studentenschaft und der jüngeren Dozentenschaft" zurückkehren müsse. In einem bislang unveröffentlichten Text anlässlich eines Klassentreffens mit Datum 26./27. Mai 1934 spricht Heidegger über die im ersten Weltkrieg gefallenen Klassenkameraden: "Unsere Kameraden starben einen frühen Tod; aber dieser frühe Tod war der schönste und größte Tod. Der größte Tod - weil er das höchste Opfer für das Schicksal des Volkes werden durfte und so in seiner bergendsten Weise dies schon voraussah...... der schönste Tod .. weil dieses Sterben ein Sichverschwenden war aus der noch unentfalteten Fülle der Lebenskräfte einer Jugend." Heidegger kommt im Lauf des Textes noch einmal auf den Krieg zu sprechen: "Der Krieg hat ja in seinem unmittelbaren Ende noch keine Entscheidung gebracht ... diese steht erst bevor - und sie ist eine geistige und sie betrifft die ganze Erde. Es ist die Frage: welches Volk die innere Mächtigkeit aufbringt, der großen Erprobung gewachsen zu bleiben, die aus jenem Geschehen jetzt erst heraufkommt und offenbar wird. - Es ist die Frage an die Völker nach der Ursprünglichkeit ihrer volkhaften Ordnung, nach dem Rang und der Echtheit ihres staatlichen Herrschaftswillens, nach der Geschlossenheit ihrer geistigen Welt, nach der Gesundheit ihres völkischen Lebensdranges, nach den Widerstandskraft gegen den geschichtlichen Verfall." Dies verlangt Heidegger zufolge die völlige Umschaffung des ganzen Gefüges des Volkes, und diese Umschaffung soll das Werk einer langen Umerziehung sein. Diese wiederum steht unter zwei großen Grundbedingungen:

die Überwindung alles spießerhaften Wesens, d.h. jenes Wesens, das überall und zuerst nur das Widerwärtige, Unzulängliche sieht und sich am Kleinen und Halben festhält;

der Abbau der merkwürdigen Scheinwelt, die aus einem Gemisch aus unechtem Humanismus, eines leerem Patriotismus und einem entscheidungslos gewordenen Christentum besteht, woraus eine feige Verlogenheit in allem Wesentlichen resultiert.

Dieser Kampf muss, so Heidegger zu seinen ehemaligen Klassenkameraden, zum innersten Gesetz unseres Daseins werden. Dieser Kampf ist die große Prüfung alles Seins, in dem entscheiden wird, ob wir Knechte sind vor uns selbst oder Herren.

In zwei ebenfalls in diesem Band erstmals veröffentlichten Vorträgen in den Ausländerkursen der Freiburger Universität trug Heidegger am 15./16. August 1934 seine Kritik an der Universität vor: "Sie war dem neuen Geschehen nicht gewachsen; die Fakultäten haben nicht begriffen, was vor sich ging". Die Universität war außerstande, als geschlossene geistige Kraft an der Erweckung und Mitgestaltung der neuen nationalsozialistischen Ordnung mitzuarbeiten. Der Grund lag Heidegger zufolge darin, das sie eine in sich abgesonderte Insel war und ihr die ursprüngliche geistige Einheit und eine entschiedene weltanschauliche Macht fehlten. In dieser Rede wird auch deutlich, worin er die Haupterrungenschaft des Nationalsozialismus sieht: dass Hitler "jenen neuen Geist der Gemeinschaft zur gestaltenden Mach einer neuen Ordnung des Volkes erhöht und durchgesetzt hat".

1946 macht sich Heidegger in einem handschriftlichen Zettel Gedanken darüber, warum er nach dem Krieg nicht mehr als Professor an der Universität tätig sein durfte: "Meine Beseitigung hat im Grunde mit Nazismus gar nichts zu tun. Man spürt in meinem Denken etwas Unbequemes, vielleicht sogar Unheimliches, was man weg haben möchte; daß man sich gleichzeitig auch dafür interessiert, ist nur ein Beweis dafür." Heidegger schließt dann diesen Zettel mit: "Ich schweige im Denken nicht erst seit 1927, seit der Veröffentlichung von Sein und Zeit, sondern in diesem selbst und vorher ständig. Dieses Schweigen ist die Bereitung der Sage des Zu-denkenden und dieses Bereiten ist das Er-fahren und dieses ein Tun und Handeln." Als Heideggers Schüler Herbert Marcuse ein befreiendes Wort zu dessen Nazi-Engagement forderte, antwortete Heidegger: "Ein Bekenntnis nach 1945 war mir unmöglich, weil die Nazi-Anhänger in der widerlichsten Weise ihren Gesinnungswechsel bekundeten, ich aber mit ihnen nichts gemein hatte." Auf den Hinweis auf das Verbrechen an den Juden antwortet Heidegger, dass "statt ‘Juden’ Ostdeutsche zu stehen hat und dann genau so gilt für einen der Alliierten, mit dem Unterschied, daß alles, was seit 1945 geschieht, der Weltöffentlichkeit bekannt ist, während der blutige Terror der Nazis vor dem deutschen Volk tatsächlich geheimgehalten worden ist". 1950 schrieb Heidegger der Süddeutschen Zeitung einen Leserbrief, worin er ausführt, er habe 1933 den politischen Irrtum begangen, "wie es bei vielen auch unter den höchsten geistlichen und weltlichen Würdenträger der Fall war", in Hitler und seiner Bewegung aufbauende Kräfte für unser Volk zu sehen und sich dazu zu bekennen. Bereits in den ersten Monaten des Jahres 1934 habe er aber seinen Irrtum bekannt und unter Protest gegenüber Zumutungen des nationalsozialistischen badischen Kultusministeriums sein Amt als Rektor niedergelegt. Wie lange noch wolle man, schreibt er weiter, diejenigen diffamieren, die sich kurze oder längere Zeit politisch geirrt hätten und dies in einem Staat, nach dessen Verfassung jeder Mitglied und Kämpfer der kommunistischen Partei sein könne: "Eine seltsame Verblendung betreibt auf diese Weise die Zermürbung und innere Auflösung der letzten substantiellen Kräfte unseres Volkes."

1950 bringt die Schwiegertochter Heideggers der Witwe Husserls anlässlich ihres 90. Geburtstages einen Blumenstrauß mit einem Brief Heideggers. Darin schreibt letzterer: "Ich bitte Sie an diesem Tage, mir das menschliche Versagen, dem ich beim Heimgang Ihres Mannes anheim fiel, aus der weisen Güte Ihres Herzens zu verzeihen.... Ein Zeichen ... mag sein, daß in den schlimmen und für Sie und Ihre Angehörigen so überaus schmerzlichen Jahren niemals wie anderwärts sonst Edmund Husserls Werke aus seinem Seminar entfernt wurden."

Ludger Lütkehaus hat den Band unter dem Eindruck der gegenwärtigen Debatte über Euthanasie gelesen und stellt in der Zeit fest, Heidegger habe mit der eugenischen Ideologie des Nationalsozialismus sympathisiert. Beleg dafür ist ihm die genannte Tischreihe am Institut für pathologische Anatomie, wo Heidegger auf die Griechen zu sprechen kommt und ausführt, für diese habe Gesundheit "bereit und stark sein zum Handeln im Staat" bedeutet, und "wer den Bedingungen dieses Handelns nicht mehr genügte, zu dem durfte der Arzt auch im Falle der ‘Krankheit’ nicht mehr kommen" (Heidegger) - für Lütkehaus angesichts der Tatsache, dass die Griechen für Heidegger (wie auch sein Sohn im Nachwort beteuert) maßgebend waren, ein eindeutiges "Heilungsverbot für das staatsunwerte Leben" (Lütkehaus). Dazu gehört nach Lütkehaus auch Heideggers Satz: "Was gesund und krank ist, dafür gibt sich ein Volk und ein Zeitalter je nach der inneren Größe und Weite seines Denkens selbst das Gesetz." Auf einen anderen merkwürdigen Umstand macht Martin Scherer in der Süddeutschen Zeitung aufmerksam. Heidegger hat rückblickend die Zeit seines Einverständnisses mit dem Nationalsozialismus als April 1934, mit der Niederlegung des Rektorats, für beendet erklärt. Warum dann aber, so fragt Scherer, tritt Heidegger bei zwei späteren Vorträgen in Rom mit dem Parteiabzeichen auf?

1945 hat Heidegger an den "Vorsitzenden des Bereinigungsausschusses" der Universität Freiburg geschrieben, er habe niemals "den Geist und das Wesen der Wissenschaft und der Universität an die Partei preisgegeben, sondern die Erneuerung der Universität gesucht". Nach der Lektüre dieses Buches, so schreibt Michael Mayer in der Berliner Zeitung, lasse sich darüber trefflich streiten.

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