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BERICHT

Sarah / Markus Tietz / Wild:
Philosophie des Geistes: Denken Tiere?

Was der Hund über die Katze denkt

Es gibt Tiere, die bestimmt denken, nämlich die Mitglieder unserer Spezies. Menschen denken permanent. Sie erfassen Gedanken, erwägen sie, verbinden sie zu Gedankenfolgen, bilden dadurch neue Gedanken, drücken dies bisweilen in Wort und Schrift aus und vieles mehr. Menschen denken, wenn sie Häuser bauen, wenn sie essen oder trinken. Menschen denken aber nicht nur, während sie handeln, sondern sie denken vor allem, um zu handeln. Gedanken sind die Grundlage dafür, dass Menschen bestimmte Handlungen im Gegensatz zu anderen vollziehen.

Wie aber steht es mit anderen Tierarten? Wenn ein Rabe sein Nest baut, denkt er dann, er baue ein Nest? Oder wenn eine Biene ihren Artgenossinnen mit einem Bienentanz zeigt, wo es Nektar zu finden gibt, weiß sie dann, dass sie eine Richtungsanweisung gibt? Kann ein Schimpanse überrascht sein, stutzen und einen aufsteigenden Zweifel haben? Können wir das Denken der Tiere überhaupt erfassen? Wenn ja, wie? Wenn nein, warum nicht?

Das sind schwierige Fragen. Denn ihre Beantwortung hängt von verschiedenen Faktoren ab: zum einen natürlich davon, was es überhaupt heißt, zu denken und zum anderen aber auch davon, wie man bestimmtes tierliches Verhalten zu deuten hat. Um diese verwirrenden Fragen besser in den Griff zu bekommen, kann das folgende Beispiel helfen. Es stammt von dem amerikanischen Philosophen Norman Malcolm (2005, S. 86) und ist sowohl in der philosophischen Diskussion als auch im Feuilleton oft benutzt worden:

Nehmen wir einmal an, unser Hund jage die Nachbarskatze. Diese rast mit Volldampf auf eine Eiche zu, schwenkt aber im letzten Moment plötzlich ab und verschwindet auf einem nahen Ahorn. Der Hund sieht dieses Manöver nicht und stellt sich, bei der Eiche angekommen, auf die Hinterbeine, kratzt mit den Pfoten am Stamm, als wolle er hochklettern, und bellt aufgeregt zu den Ästen hoch. Wir, die wir die Episode vom Fenster aus beobachten, sagen: „Er denkt, die Katze sei diese Eiche hoch geklettert.“

Weder ist es unverständlich noch unangemessen zu sagen, der Hund denke, dass die Katze die Eiche hoch geklettert sei. Damit können wir das Verhalten des Hundes gut erklären. Der Hund ist sozusagen auf dem Holzweg: Er denkt fälschlicherweise, dass die Katze sich auf der Eiche versteckt. Und weil er dies denkt, bellt er die Eiche empor.

Wir haben dem Hund einen bestimmten Gedanken zugeschrieben. Damit haben wir auch einen besseren Zugriff auf die Frage gewonnen, ob Tiere denken. Denken scheint so etwas wie Gedanken bestimmten Inhalts vorauszusetzen. Die Frage, die wir zuerst beantworten müssen, lautet mithin: Haben Tiere Gedanken? Das Beispiel legt eine positive Antwort nahe. Der Hund hat einen Gedanken. Was er denkt, erklärt, was er tut.

Doch hier ist Vorsicht geboten. Wir erklären uns das Verhalten des Hundes, indem wir ihm einen bestimmten Gedanken zuschreiben. Warum aber schreiben wir ihm diesen Gedanken zu? Einerseits natürlich aufgrund seines Verhaltens. Andererseits weil sein Verhalten durch diese Erklärung rational erscheint.


Der erste Teil der Antwort ist etwas unbefriedigend. Wir erklären nämlich das, was der Hund tut, durch seinen Gedanken, und wir erschließen seinen Gedanken durch das, was er tut. Drehen wir nicht im Kreis? Ist das Verhalten überhaupt explizit genug, um einen bestimmten Gedanken zu erschließen? Wir haben ja nichts unternommen, um alter- native Erklärungen des Verhaltens auszuschließen. Vielleicht folgt der Hund einfach einem uns bislang unbekannten genetischen Programm.

Auch der zweite Teil der Antwort ist leider etwas unbefriedigend. Das Verhalten des Hundes mag rational erscheinen. Aber ist der Prozess, der dieses Verhalten hervorgebracht hat, rational? Handelt der Hund aus Gründen? Kurzum: Vielleicht haben wir dem Hund nur Gründe untergeschoben, die wir an seiner Stelle hätten; vielleicht haben wir ihm einfach unsere innere Stimme verliehen. Dann haben wir das Verhalten des Hundes anthropomorphisiert, d.h. wir haben ihn geistig so behandelt, wie wir ein Mitglied unserer Spezies geistig behandeln würden. Damit haben wir aber nicht gezeigt, dass der Hund Gedanken hat, sondern nur, dass wir sein Verhalten so beschreiben können, als ob es von Gedanken gesteuert wäre. Oder mit Gary Larson gesprochen: Selbst wenn der Hund Ginger nach der Beschimpfung durch sein Herrchen nicht mehr vom Abfall frisst, so tut er dies nicht, weil er die Worte seines Herrchens verstanden hätte. Wie könnte er auch?

Bedingungen für Gedanken

Aufgrund dieser Schwierigkeiten ziehen es zahlreiche Philosophen daher vor, die Frage „Können Tiere Gedanken haben?“ direkt anzugehen. Was muss ein Wesen können, damit es überhaupt Gedanken haben kann? Was sind die Bedingungen für das Haben von Gedanken?

- Inhalt. Wenn wir sagen, jemand könne denken, dann meinen wir in der Regel, er sei in der Lage, etwas zu denken. Gedanken haben wir offenbar nie einfach so, sondern, wenn wir denken, dann denken wir immer etwas. Ein Merkmal von Gedanken ist es daher, einen Inhalt zu haben. Der Inhalt des Gedankens, den wir unserem Hund zugeschrieben hatten, war, dass die Katze auf dem Baum ist.

- Begriffe. Gedanken sind meist aus mehreren Bestandteilen zusammengesetzt. Die Hauptbestandteile des Hundegedankens sind: „Katze“ und „Baum“. Hierbei handelt es sich um Begriffe. Sie sind ein weiteres Merkmal von Gedanken. Wie es bei Kant heißt, erfolgt Denken immer in Begriffen. Wenn der Hund also tatsächlich den Gedanken hat, dass die Katze sich auf dem Baum befindet, dann muss er offenbar auf irgendeine Weise über die Begriffe „Katze“ und „Baum“ verfügen. Was aber sind Begriffe? Begriffe kann man als Klassifikationsprinzipien bezeichnen: Sie sind etwas Allgemeines, dem ein Besonderes, ein einzelner Gegenstand subsumiert wird. Die Subsumtion erfolgt anhand von Kriterien, die jener Gegenstand mit anderen teilt, die ebenfalls unter diesen Begriff fallen. Diese Kriterien müssen natürlich auf irgendeine Weise gewusst werden. Denn das Klassifizieren von Dingen ist nicht einfach eine Sache des Dispositioniertseins oder eine einfache Kausalreaktion auf Gegenstände mit denselben Eigenschaften. Vielmehr bedeutet einen Begriff haben, zu urteilen, dass bestimmte Dinge unter ihn fallen.

- Objektivität. Die vielleicht entscheidende Bedingung von Gedanken ist ihr Objektivitätsanspruch bzw. ihre semantische Evaluierbarkeit. Gedanken müssen wahr oder falsch sein können. Jemand, der einen Gedanken hat, muss in der Lage sein, diesen von dem, worauf er sich bezieht, unterscheiden zu können. Wenn also unser Hund denken können soll, dann muss er in der Lage sein, falsch zu glauben, dass ein bestimmter Umstand vorliegt. Denn nur dann besteht überhaupt die Möglichkeit, herauszufinden, ob sein Verhalten nicht lediglich eine Kausalreaktion auf gewisse Umstände darstellt, sondern vielmehr auf rationale Weise motiviert ist.

- Funktionalität. Wenn man nun einen Gedanken hat, dann hat man diesen in der Regel nicht einfach so. Gedanken sind nicht untätig in ihrem Träger, sondern erfüllen immer bestimmte Funktionen. So tritt ein Gedanke meist nicht allein auf, sondern ist mit anderen Gedanken auf systematische Weise verbunden. Weiterhin kann ein Gedanke einen Grund für ein Verhalten darstellen. Schließlich kann er seinerseits erwogen und bedacht werden. Gedanken sind also keine frei umherschwirrenden Entitäten, sondern bilden in ihrem Träger ein systematisches Netz, das gewisse Funktionen erfüllt.

Es stellt sich jetzt die Frage, welche Bedingungen ein Wesen erfüllen muss, um funktionale, semantisch evaluierbare Zustände mit einem Inhalt und einem begrifflichen Charakter haben zu können. Manche Philosophen meinen, hierfür müsse man über eine Sprache verfügen. Andere halten Sprachfähigkeit dagegen nicht für notwendig, um Gedanken haben zu können (vgl. Stephan 2004). Wir wenden uns zunächst der ersten Gruppe zu.

Gedanken mit Sprache

Hier gibt es zwei grundsätzliche Versionen. Die eine, besonders von Jerry Fodor vorgebrachte Version hält es für offensichtlich, dass auch Wesen wie z.B. höhere Tiere, die nicht über eine natürliche Sprache verfügen, denken können. Aus diesem Grund muss es eine Sprache „vor“ der Sprache geben, eine Sprache des Geistes. Problematisch an diesem Argument ist in unserem Kontext jedoch, dass es bereits voraussetzt, dass Tiere denken können. Aus diesem Grund wollen wir es hier nicht genauer betrachten.

Die zweite Version geht davon aus, dass nur Sprecher einer natürlichen Sprache Gedanken haben können. Einer der Hauptvertreter dieser Position ist der amerikanische Philosoph Donald Davidson. (1986; 2005). Sein Ausgangspunkt ist die Frage, wie sich der Inhalt von Gedanken im Allgemeinen bestimmen lässt. Kehren wir zu unserem Hundebeispiel zurück. Wie lässt sich bestimmen, dass der Hund in der Tat den Gedanken hat „Die Katze ist auf dem Baum“? Davidson meint, um dem Hund diesen Gedanken zuschreiben zu können, müssen wir sicherstellen, dass der Hund unter irgendeiner Beschreibung des Baumes glaubt, dass die Katze darauf geklettert ist. Das heißt, der Gedanke des Hundes muss einen Inhalt bzw. eine Bedeutung haben, die (von uns) interpretierbar ist. Nun bestimmt sich laut Davidson die Bedeutung eines Begriffes wie „Baum“ anhand von zwei Faktoren: Zum einen besteht sie in der Beziehung dieses Begriffes zu dem Gegenstand, auf den er sich bezieht, in diesem Fall auf Bäume; zum anderen bestimmt sich die Bedeutung eines Begriffes aus den inferentiellen Beziehungen, in denen er zu anderen Begriffen und Gedanken steht. Das heißt, wenn man über den Begriff „Baum“ verfügt, dann muss man, so Davidson, gleichzeitig viele allgemeine Baumgedanken haben, wie z.B. dass Bäume im Sommer meist grün sind und im Winter ihre Blätter verlieren. Wenn also ein Wesen einen Begriff oder einen Gedanken hat, dann nur deshalb, weil es bereits mehrere Begriffe bzw. Gedanken hat, die mit diesem in einem inferentiellen Zusammenhang stehen. Diese Kombination aus semantischem und epistemischem Holismus zwingt uns nach Ansicht von Davidson dazu, jemandem nur dann Gedanken zuzuschreiben, wenn er über ein Gedankennetz verfügt, das dem unseren weitgehend ähnlich ist. Für eine solche Annahme gibt es im Fall von Tieren, so Davidson, jedoch keine Grundlage.

Hinzu kommt, dass Tiere den Objektivitätsanspruch von Gedanken nicht erfüllen können. Denn hierzu bedarf es, wie bemerkt, der Fähigkeit, Fehler begehen zu können. Nun kann ein Wesen nur dann Fehler begehen, wenn es in dem Moment auch in der Lage wäre, richtig zu handeln. Das heißt, Fehler kann nur jemand begehen, der über die Unterscheidung zwischen Erscheinung und Wirklichkeit verfügt. Damit impliziert das Begehen von Fehlern, dass man auch in der Lage ist, eben dies zu erkennen. Und hierfür muss man fähig sein, einen (richtigen) Gedanken über einen (als falsch erkannten) Gedanken zu bilden. Man muss also Metagedanken bilden können. Und das Unterstellen einer solchen Fähigkeit bei Tieren hält Davidson schlicht für eine Überforderung derselben.

Gedanken ohne Sprache

Zahlreiche Philosophinnen und Philosophen haben in der jüngeren Vergangenheit den Versuch unternommen, einen Begriff des Denkens ohne Sprache zu entwickeln (Allen & Bekoff 1997; Bermúdez 2003; Dretske 1988; Millikan 1989; Proust 1997; Sterelny 2003). Ihr Ziel besteht darin, den Geist zu „naturalisieren“, d. h. ihm (und damit den Gedanken) einen Platz in der natürlichen Welt zuzuweisen, der mit den Erkenntnissen der Kognitionswissenschaften und der Biologie übereinstimmt. Naturgemäß wenden sich diese Autoren zuerst der Erklärung von Gedanken einfacher Lebewesen zu und nicht dem komplexen Geist des Menschen. Da aber der Mensch, wie alle Lebewesen, ein Produkt der Evolution ist, wird uns der Zugriff auf den Geist einfacher Lebewesen auch etwas über den menschlichen Geist verraten.

Für die Gruppe der Naturalisten ist der Begriff der mentalen Repräsentation (MR) zentral. Dieser Begriff wird jedoch sehr unterschiedlich artikuliert. Für den amerikanischen Philosophen Fred Dretske ist eine MR eine Struktur des Gehirns oder des Geistes, die für etwas Anderes steht. Sie koordiniert Wahrnehmungen (Input) und Verhalten (Output). Eine MR ist gleichsam eine Landkarte, mit der ein Lebewesen in seiner Umwelt navigiert, denn mittels seiner MRs bildet es seine physische und soziale Umwelt ab und lenkt sein Verhalten in ihr. Gedanken, so die These, sind MRs bestimmter Art. Ein Lebewesen, das Dinge in seiner Umwelt auf bestimmte Weise repräsentiert und sich infolgedessen verhält, denkt (Dretske 1997). Für Dretske sind MRs Strukturen in Gehirn, die aufgrund ihrer Geschichte die natürliche Funktion haben, Informationen über die Umwelt zu tragen, die wiederum Verhalten steuern (Dretske 1988). Natürliche Funktionen entstehen entweder durch Prozesse der Evolution oder werden durch Lernprozesse erworben (Dretske 1998). Dass das Auge eines Vogels imstande ist, Formen wahrzunehmen, ist das Resultat der Evolution (und eines Reifungsprozesses). Das Vogelauge hat eine (oder mehrere) angeborene natürliche Funktion, die der Orientierung des Vogels dient. Wenn der Vogel (etwa durch Trial-and-Error) lernt, gewisse Formen als übelschmeckende Insekten von anderen Formen zu unterscheiden, dann erwirbt der Vogel eine MR dieses Insekts, die ihn bei einer nächsten Begegnung veranlasst, nicht mehr nach dem Insekt zu schnappen, sondern es zu meiden. Nehmen wir an, der Vogel begegnet einem anderen, ungemein schmackhaften Insekt, das aber fast genau so aussieht wie das übelschmeckende. Der Vogel erblickt das Insekt, durchschaut aber die Mimikry nicht, fliegt davon und lässt sich einen Happen entgehen. Die MR hat in diesem Fall das zweite Insekt fälschlicherweise als übelschmeckendes repräsentiert.

Ist eine solche MR denn ein Gedanke? Erinnern wir uns an die vier Bedingungen für Gedanken. Erfüllt die MR des Vogels diese Bedingungen? Nun, die MR des Vogels handelt vom übelschmeckenden Insekt, das ist sein Inhalt. Im Beispiel verbindet der Vogel seine MR zwar nicht mit anderen Gedanken und denkt sicher nicht über seine MR nach. Aber die MR löst sein Vermeidungsverhalten aus. Der Vogel denkt, dass ein übelschmeckendes Insekt vor ihm krabbelt, aber er weiß es nicht. Er denkt das fälschlicherweise. Die MR zeigt also relativ zu ihrer Funktion etwas an, das nicht vorliegt. Bei Theorien, die Fehlrepräsentationen als Fehlfunktionen erklären, handelt es sich um teleosemantische Theorien (Dretske 1988, S. 64-70; Millikan 1989); Proust 1997, S. 213-34). Durch Trial-und-Error-Lernen erwirbt der Vogel die Fähigkeit, Nahrung von Nicht-Nahrung, Insekten von Nüssen, übelschmeckende von leckeren Insekten zu unterscheiden. Die Struktur, die diese Unterscheidungsfähigkeit steuert, ist für Dretske ein Begriff. Das Haben eines Begriffs zeigt sich auch hier in der Ausübung einer bestimmten Klassifikationsfähigkeit.

Es sieht so aus, als hätten wir in der natürlichen, erworbenen MR, die die Funktion hat, bestimmte Informationen über die Umwelt zu tragen und die das Verhalten eines Lebewesens steuert, eine valable Kandidatin für einen Gedanken ohne Sprache. Es ist jedoch leicht zu sehen, dass eine solche MR von begrenzter Reichweite ist.

Wenn Denken das Verbinden von und das Reflektieren über Gedanken ist, dann denkt der Vogel nicht, auch wenn er Gedanken hat. Es müsste also gezeigt werden, wie sprachlose Lebewesen ihre MRs verbinden und reflektieren. Hierzu finden sich bei José Luis Bermúdez (2003) weiterführende Überlegungen. Für eine Erklärung des Verhaltens müsste zudem gezeigt werden, wie Gedanken über die Umwelt mit den Trieben, Motivationen, Bedürfnissen oder Wünschen eines Lebewesens interagieren. Die Verhaltenssteuerung erfolgt vermutlich erst durch die Abstimmung von informierenden und motivierenden Zuständen.

Die Funktion einer MR legt fest, welche Information sie tragen soll. Nehmen wir an, das würde tatsächlich die Möglichkeit des Irrtums erklären. Die Frage bleibt, welche Information die MR trägt, was sie repräsentiert? Wir haben es hier wiederum mit dem Problem der Gehaltspezifikation zu tun. Noch fundamentaler fehlt zum Aufweis der Objektivität eine Theorie darüber, was es für ein Lebewesen heißt, seine Umwelt zu repräsentieren. Wie entsteht für ein Lebewesen eine Umwelt? Ab wann reagiert es nicht einfach auf sensorische Reize auf seiner Körperoberfläche, sondern verhält sich zu Dingen und Ereignissen seiner Umwelt? Weiterführende Überlegungen dazu stellen Joëlle Proust (1997) und Kim Sterelny (2003) an.

Über einen Begriff verfügen heißt, Unterschiede erwerben und treffen zu können. Trotzdem wird das Kriterium als zu schwach empfunden. Die normative Seite des Begriffs muss mitberücksichtigt werden. Colin Allen (2005) hat deshalb zwei weitere Kriterien vorgeschlagen. Nicht nur sollte ein Tier systematisch einige X von einigen Nicht-X unterscheiden könne, es sollte fähig sein, (a) einige seiner eigenen Fehlunterscheidungen festzustellen und (b) aufgrund von (a) zu lernen, besser zwischen X und Nicht-X zu unterscheiden. Proust (2005) hingegen verweist auf die soziale Dimension der Begriffe und fordert Sanktionen für Fehlunterscheidungen durch Sozialpartner.

Dretskes Ansatz kann also trotz seiner beschränkten Reichweite ausgebaut werden. Dabei werden Unterschiede zwischen den kognitiven Fähigkeiten von Menschen und anderen Tieren keineswegs verwischt. Ruth Millikan (1989) etwa weist auf sechs markante Unterschiede hin.

Die Idee, mentale Repräsentationen seien die nicht-sprachlichen Träger von Gedanken, wird nun aber nicht von allen geteilt, die es für möglich halten, Gedanken zu haben ohne gleichzeitig über eine natürliche Sprache zu verfügen. Es gibt eine Reihe von Philosophen, die im Anschluss an die Kritik durch Ludwig Wittgenstein und Gilbert Ryle den Begriff der MR für wenig nützlich erachten. So vertritt der deutsche Philosoph Hans-Johann Glock einen so genannten holodoxastischen Ansatz bei der Zuschreibung von Gedanken (Glock 2000; 2005). Hiernach handelt es sich bei Gedanken nicht um MRs. Auch schreibt man Gedanken nicht wie bei Davidson aufgrund der Zustimmung zu ganzen Sätzen, d.h. holophrastisch zu. Der Inhalt von Gedanken bestimmt sich nach diesem Ansatz vielmehr aufgrund von Verhaltensweisen, Körperhaltungen oder Gesichtsausdrücken. Damit soll nun aber kein Behaviorismus behauptet werden. Gedanken sind nach Glock nicht identisch mit Verhaltensweisen. Wohl aber lassen sich anhand von Verhaltensweisen die Inhalte von Gedanken – auch bei Tieren – bestimmen.

Bei einer holodoxastischen Zuschreibung von Gedanken an Tiere plädiert Glock für einen offensiven Umgang mit dem Anthropomorphismusvorwurf. Wenn Davidson nämlich recht hat und die Unterstellung gemeinsamer Gedankennetze der einzige Weg ist, den Inhalt von fremden Gedanken – egal wessen – zu bestimmen, so kommen wir auch bei Tieren nicht umhin, ihnen zunächst ein dem unseren weitgehend ähnliches Gedankennetz zu unterstellen. Diese Unterstellung hat nämlich die Funktion einer Kontrastfolie, vor der Abweichungen im Gedankennetz der Tiere überhaupt erst festgestellt werden können.

Für die Bestimmung des Inhalts von Tiergedanken hält sich Glock jedoch an dieselben Kriterien für Gedanken wie Davidson. So ist auch er der Ansicht, dass ihr Inhalt begrifflich ist. Da Begriffe Klassifikationsprinzipien sind, muss es sich bei dem diskriminativen Verhalten denkender Tiere also um Urteile handeln. Woran erkennt man jedoch, dass ein Grund dieses diskriminative Verhalten bestimmt hat und nicht vielmehr ein Reiz, auf den kausal eine bestimmte Reaktion folgte? Nun anhand der dritten Bedingung für Gedanken: ihrem Objektivitätsanspruch bzw. ihrer semantischen Evaluierbarkeit. Wir haben bereits gesehen, dass ein Gedanke auch dann bestehen können muss, wenn es nichts in der Welt gibt, worauf er zutrifft. Da bei Tieren ihr Verhalten als Kennzeichen für Gedanken gelten soll, muss man also zeigen können, dass sie in der Lage sind, falsch zu handeln. Hierfür sind nach Glock Absichtlichkeit, Regelgeleitetheit und Freiwilligkeit des tierlichen Verhaltens entscheidend. Das Tier muss also auch anders handeln können.

Nun haben wir bei Davidson gesehen, dass man, um falsch handeln zu können, in der Lage sein muss, Metagedanken zu bilden. Die Frage, die sich für Glock also stellt, lautet: Was wäre ein Anzeichen für Metagedanken? Wie wir bei Davidson gesehen haben, impliziert die Fähigkeit, Fehler zu begehen, die weitere Fähigkeit, eben dies zu erkennen. Aus diesem Grund kann z.B. Korrekturverhalten ein Anzeichen von Metagedanken sein. Es verlangt nämlich, dass der sein Verhalten Korrigierende einen (richtigen) Gedanken über einen (als falsch erkannten) Gedanken haben muss. Und Glock ist der Ansicht, dass sich ein solches Verhalten durchaus bei einigen Tieren beobachten lässt. So gibt es mittlerweile Untersuchungen mit Schweinen, die zeigen, dass diese nicht nur Gegenstandspaare nach Kategorisierungsschemata wie „eckig“ oder „rund“ unterscheiden können, sondern ihre Handlungen gegebenenfalls sogar berichtigen – und zwar bevor sie den Knopf betätigen, der richtiges Kategorisieren mit Futter belohnt (Allen 2005).

Wie auch immer man nun die Auseinandersetzung um die MR und die Naturalisierung bewerten mag, für die Frage „Denken Tiere?“ ist es offenbar in erster Linie wichtig, dass uns das Verhalten und die damit verbundenen Lernprozesse und Fähigkeiten den entscheidenden Schlüssel zu ihrer Bearbeitung und Beantwortung geben.

Bewusstes Erleben

Wir haben bislang über Denken und Gedanken gesprochen, nicht aber über das bewusste Erleben (das Bewusstsein) von Tieren. Eine sehr natürliche Frage lautet: Wie fühlen sich für ein Tier bestimmte Dinge an? Für die Frage nach dem bewussten Erleben ist es ratsam, von der Titelfrage abzukommen und sich eher auf Sinneswahrnehmungen oder Schmerzen zu konzentrieren, die oftmals exemplarisch mit dem bewussten Erleben in Verbindung gebracht werden. In der Philosophie des Geistes werden Fragen nach dem Inhalt von Gedanken und Wahrnehmungen (Intentionalität) und Fragen nach dem Bewusstsein (Phänomenalität) fast routinemäßig getrennt. Auch Verhaltensforscherinnen trennen die Frage nach der Tierkognition häufig von der Frage nach dem bewussten Erleben (Shettleworth 1998, S. 5ff.). Das hat seinen Grund darin, dass man nicht weiß, wie man das Vorhandensein von bewusstem Erleben bei sprachlosen Lebewesen nachweisen soll (Clayton et.al. 2001, S. 285).

Können wir überhaupt einen Zugang zu artfremden Subjekten gewinnen (Kaeser 2003)? Könnten wir beispielsweise wissen, wie es ist, eine Fledermaus zu sein? In einem berühmten Aufsatz hat der Philosoph Thomas Nagel die letzte Frage verneint (1984). Sein Argument lautet: Wenn ich kein fledermausartiges Wesen bin, dann verfüge ich nicht über die Perspektive einer Fledermaus. Und wenn ich nicht über die Perspektive einer Fledermaus verfüge, dann kann ich nicht wissen, wie es ist, eine Fledermaus zu sein. Man kann einwenden, dass dieses Argument auf einer Pseudoaufgabe beruht: Was folgt schon aus der Unmöglichkeit, etwas tun zu können? Ich kann nicht wissen, wie es ist, eine Fledermaus zu sein, weil ich keine Fledermaus bin. Aber daraus folgt nicht, dass es für eine Fledermaus irgendwie ist, eine Fledermaus zu sein. Anders formuliert: Warum ist sich Nagel der Zuschreibung von bewussten Erlebnissen gegenüber Fledermäusen so sicher? Das heißt, die eigentlich entscheidende Frage lautet: Fühlen sich für ein Tier bestimmte Dinge überhaupt irgendwie an?

Ein besonders drängendes Thema ist die Frage nach dem Schmerzerleben und der Leidensfähigkeit von Tieren. Das Deutsche Tierschutzgesetz (§1) hält fest: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schaden zufügen.“ Nun gibt es aber Philosophen, die Schmerzerleben und Leidensfähigkeit bei Tieren in Frage stellen (Dennett 2005), die vorgebrachten Argumente als unzureichend betrachten (Harrison 1991) oder für das bewusste Erleben hohe kognitive Fähigkeiten einfordern, die die meisten Tiere nicht erfüllen können (Carruthers 1989). Auch ausgewogene Beurteilungen kommen nicht zu eindeutigen Schlüssen (Allen 2005).

Ein altbekanntes und oft benutztes Argument geht von Ähnlichkeiten zwischen Menschen und bestimmten Tierarten aus. (Es findet sich sehr klar artikuliert bei Robinson 1996). Manche Tierarten sind anatomisch und physiologisch ähnlich gebaut wie Menschen. Was das Erleben von Schmerzen betrifft, sind sechs Kriterien besonders wichtig: Menschen verfügen über (i) Schmerzrezeptoren, (ii) ein Zentralnervensystem und (iii) eine Verbindung zwischen beiden: Verletzungen bewirken Ereignisse im zentralen Nervensystem und diese wiederum verursachen bewusste Schmerzerlebnisse. (iv) Man kann diese Erlebnisse durch Analgetika lindern. (v) Es gibt auch körpereigene Stoffe zur Schmerzlinderung (sog. endogene Opioïde). (vi) Verletzungen lösen ein spezifisches Schmerzverhalten aus, wir versuchen gemeinhin den schädigenden Stimulus zu fliehen, versuchen die Schmerzen loszuwerden und pflegen die Verletzung. Wenn eine Tierart nun alle diese Kriterien erfüllt, so ist es wahrscheinlich, dass eine ähnliche Art von Verletzung ähnliche bewusste Schmerzerfahrungen verursacht. Bei diesem Argument handelt es sich um ein empirisch gestütztes Analogieargument. Ein solches Argument kann die fragliche Sache nun aber lediglich plausibilisieren, beweisen kann sie sie nicht. Darüber hinaus lässt es im Einzelfall das Schmerzerleben von solchen Tierarten unbestimmt, die nicht alle der genannten sechs Kriterien erfüllen.

Obwohl es, wie gesagt, in der Philosophie des Geistes üblich ist, Fragen nach der Intentionalität von Gedanken und nach dem phänomenalen Bewusstsein zu trennen, hat sich in den letzten 15 Jahren eine Position etabliert, die Phänomenalität als eine besondere Form der Intentionalität betrachtet, der sog. Repräsentationalismus oder Intentionalismus (Dretske 1998). Diese Position erlaubt eine sehr natürliche theoretische Perspektive auf das Bewusstsein anderer Arten. Michael Tye (1996) etwa argumentiert wie folgt: Wenn man Tieren eine besondere Art von sensorischen Repräsentationen zuschreiben kann, dann kann man ihnen auch bewusstes Erleben zuschreiben, Tye nennt diese Repräsentationen PANIC-Zustände. Das Akronym steht nicht für völlig erschreckte Tiere, sondern für: verfügbarer (poised), abstrakter (abstract), nichtbegrifflicher (nonconceptual), intentionaler (intentional) Gehalt (content). Die sensorischen Repräsentationen der Blütenfarben durch Honigbienen beispielsweise beziehen sich auf ebendiese Farbe. Das ist ihr intentionaler Gehalt. Um Blütenfarben wahrzunehmen, brauchen Bienen, so Tye, keine Begriffe für diese Farben (genauso wenig wie wir). Der Gehalt ist nichtbegrifflich. Bienen sind hinsichtlich ihrer Unterscheidungsfähigkeit von Blütenfarben lernfähig. Der intentionale Gehalt ist also für weitere kognitive Prozesse (das Lernen) verfügbar. Wenn nun PANIC-Zustände identisch mit dem bewussten Erleben sind, dann haben Honigbienen bewusste Erlebnisse. Tyes Theorie ist elegant, denn sie erlaubt es, das bewusste Erleben an bestimmte Verhaltensweisen zu binden. Und sie ist stärker als das Analogieargument, denn sie geht von einer metaphysischen These über das Bewusstsein aus.

Die theoretische Relevanz der Frag
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Worin liegt die Bedeutung der Frage, ob Tiere denken können? Es gibt zum einen eine moralische Relevanz dieser Frage. Man kann argumentieren, dass lediglich das Interesse an der eigenen Zukunft ein Recht auf Leben verbürgt. Dann käme nur jenen Tieren ein Recht auf Leben zu, die in die Zukunft denken und sich eine Zukunft entwerfen können (Krebs 2003). Worin aber besteht die theoretische Relevanz der Frage? Hier drängen sich zwei Antworten auf.

Empirische Wissenschaften wie die Entwicklungspsychologie, die Anthropologie und die Ethologie betrachten nichtsprachliche Lebewesen (Kleinkinder, frühe Hominiden, Tiere) zunehmend als denkende Wesen. Es scheint, als würden diese Wissenschaften geradezu nach einem ausgearbeiteten und nicht in erster Linie in Analogie zur Sprache gebildeten Konzept des nichtsprachlichen Denkens verlangen (Bermúdez 2003). Insbesondere die kognitive Ethologie, d. i. die Erforschung der Informationsverarbeitung, der Denkprozesse, der Überzeugungen und des Bewusstseins von nicht-menschlichen Tieren, macht solche Grundlagenreflexionen erforderlich (Allen & Bekoff 1997).

Nun lassen sich empirische Untersuchungen über die Zuschreibungsmöglichkeit von Gedanken an Tiere natürlich nicht unabhängig von einer Kenntnis dessen führen, was eigentlich untersucht werden soll. Das heißt, für die Frage, ob man Tieren Gedanken zuschreiben kann, muss erst einmal geklärt werden, was Gedanken überhaupt sind. Und auf diese Weise gerät man unweigerlich in das Gebiet der theoretischen Philosophie – und zwar in deren gesamtes Gebiet. Denn Fragen nach dem Geist der Tiere greifen Themen sowohl aus der Erkenntnistheorie, der Sprachphilosophie, der Handlungstheorie als auch der Wissenschaftstheorie auf. Wie wir gesehen haben, gilt es nämlich unter anderem zu klären, was unter Begriffen als Bestandteile von Gedanken zu verstehen ist und wie sich deren Inhalt bestimmt. Hieran schließt sich die Frage, ob es für das Verfügen über Begriffe einer Sprache bedarf.

Immerhin sicher scheint zu sein, dass Tiere wohl nicht über eine Sprache mit einer Syntax verfügen. Da für die kognitiven Ethologen und Tierpsychologen tierliches Verhalten, ihre Mimik und ihre Körperhaltungen das Untersuchungsobjekt darstellen, muss man sich auch auf das Feld der Handlungstheorie begeben. Hier werden nämlich unter anderem die Bedingungen untersucht, unter denen ein Verhalten überhaupt als Handlung – und damit als rational motiviert – angesehen werden kann. Wann kann man einem Wesen Absichten unterstellen und was genau unterstellt man ihm da eigentlich, wenn man es tut?

Empirische Wissenschaften sind hier also offenbar auf philosophische Arbeit angewiesen. Nun sollte man jedoch nicht meinen, dass Philosophen sich hier lediglich als „Zuarbeiter“ der Naturwissenschaften gerieren würden. Diese Rolle wäre wohl auch vor allem für diese selbst eine Überraschung. Nein, die Beantwortung der Frage, ob Tiere denken können, hat auch einen philosophischen Eigenwert. Denn Tiere, so kann man sagen, stellen eine Art Testfall für Theorien des Geistes dar. An ihnen lässt sich nämlich exemplarisch zeigen, welche Tragweite solche Theorien haben, welche Phänomene sie zu erklären in der Lage sind und wo ihre Grenzen liegen. Wichtig hierbei ist jedoch, dass Philosophen solche Entscheidungen nicht allein aus ihren Lehnstühlen heraus treffen können. Sie sind hierfür unbedingt auf die Forschungsergebnisse der empirischen Wissenschaften angewiesen. Damit lässt sich die Beantwortung der Frage nach dem Geist der Tiere mit Recht als interdisziplinäres Projekt beschreiben, in dem empirische Wissenschaftler und Philosophen gleichermaßen von der Arbeitsweise des jeweils anderen profitieren können.

Fundamentaler noch dient die Frage nach dem Denken der Tiere auch der Selbstverständigung des Menschen. Was unterscheidet ihn vom Tier? Die Mensch-Tier-Unterscheidung dient der Beantwortung der (nicht nur kantischen) Frage, was der Mensch sei. Das Tier nimmt dabei eine Grenzposition ein. Es dient dazu, eine Grenze zu ziehen. Zwischen Mensch und Tier kann man auf vielfältige Art und Weise Grenzen ziehen und unterscheiden, aber worin besteht der Unterschied, der diese Unterscheidungen ermöglicht? Der Mensch ist ein Tier, doch die anthropologische Frage lautet, inwiefern der Mensch nicht Tier ist. Oft gerinnt sie in einer „Der-Mensch-ist-das-Tier-das-X-Formel“. Und klassischerweise ist der Mensch das Tier, das denkt oder das rational ist (zum Begriff der Rationalität bei Tieren vgl. die Beiträge in Hurley & Nudds 2006). Heute scheint diese klassische Unterscheidung aber massiv in Frage gestellt, sei es infolge der Berücksichtigung naturwissenschaftlicher Forschungen oder kulturwissenschaftlicher Reflexion (Dies ist freilich keine Entwicklung der jüngsten Vergangenheit, wie ein Blick auf Geschichte lehrt. Zum Abschluss wollen wir deshalb einige wenige ausgesuchte historische Arbeiten vorstellen.

Historische Arbeiten

Antike. Die Frage nach der Mensch-Tier-Unterscheidung gehört von Anfang an mit zur Geschichte der Philosophie, wie Richard Sorabji (1993) in seiner Aufarbeitung der antiken Debatte zeigt. Ausgangspunkt der Debatte ist Aristoteles, der den Tieren ein vernünftiges Vermögen abgesprochen habe und infolgedessen den Bereich der sinnlichen Wahrnehmung stark ausweiten musste, damit offensichtliche tierliche Fähigkeiten wie Erinnerung, Empfindung und Absicht darin untergebracht werden konnten. Aristoteles‘ Absage an eine Tiervernunft führte zu einer Krise, die die Philosophie des Geistes und die Moralphilosophie des Hellenismus nachhaltig prägte.

Frühe Neuzeit. Auch in der frühen Neuzeit findet sich eine intensive Diskussion um den Geist der Tiere. Eine besondere Brisanz gewann diese Diskussion, weil zum einen im Rahmen der sog. neuen Wissenschaft neue empirische Modelle zur Analyse des Tierverhaltens entworfen wurden und weil zum anderen die kognitiven Grundbegriffe einer radikalen Prüfung unterzogen wurden. Diese Diskussion wurde, anders als in der Antike, zunächst nicht durch die Verneinung eines vernünftigen Vermögens bei Tieren ausgelöst, sondern im Gegenteil durch die Verteidigung der Vernunft der Tiere durch Michel de Montaigne. Durch seine Reaktion auf Montaigne und die Behauptung, Tiere seien lebende Maschinen, hat René Descartes der Diskussion eine scharfe Kontur gegeben (Wild, im Erscheinen). Gary Steiner (2005) verfolgt in einer umfangreichen Studie den Wandel des Anthropozentrismus in der abendländischen Philosophie und der dadurch sich verändernden moralischen Einstellung gegenüber dem Tier.
Der Blick auf die Geschichte der Mensch-Tier-Unterscheidung zeigt, dass die Frage „Denken Tiere?“ stets in einem größeren Kontext zu betrachten ist. Nicht nur stellen sich dabei Fragen des moralischen und lebensweltlichen Verhältnisses des Menschen zum Tier, sondern auch theoretische Fragen eines humanen Selbstverständnisses. Diese Fragen, so scheint es, werden immer dann vordringlich, wenn sich epochale Veränderungen im Weltverständnis abzeichnen, wie die angeführten Arbeiten zur Antike und frühen Neuzeit exemplarisch zeigen. Heute werden diese Veränderungen durch die Lebenswissenschaften markiert. Denn nur wenige Denker haben unser Selbstverständnis so sehr in Bewegung gebracht wie Charles Darwin und der Ausbau seiner Evolutionstheorie. Fragen nach dem Selbstverständnis des Menschen und seinem Platz in der natürlichen Welt, werden nach wie vor über Fragen seiner Beziehung und seiner Unterscheidung vom Tier gestellt, Fragen wie „Denken Tiere?“

Literatur zum Thema

Einführungen, Übersichten:

(1) Der Geist der Tiere. Philosophische Texte zu einer aktuellen Debatte. Herausgegeben von Dominik Perler und Markus Wild. 450 S., kt., € 16.—, 2005, Suhrkamp, Frankfurt a. M.

Positionen, die Sprache für Gedanken notwendig halten:

(2) Davidson, Donald: „Denken und Reden“, in: ders.: Wahrheit und Interpretation, 408 S., kt., € 16.—, 1986, Suhrkamp, Frankfurt a. M., S. 224–46.

(3) Davidson, Donald: „Rationale Lebewesen“, in: (1) S. 117-31

Positionen, die einen Begriff des Denkens ohne Sprache vertreten:

(4) Allen, Colin & Bekoff, Marc: Species of Mind. The Philosophy and Biology of Cognitive Ethology, cloth £ 27.50, pbk. £ 13.95, Bradford Books, 1997, MIT Press, Cambridge (Mass.).

(5) Allen, Colin: „Eine neue Betrachtung der Tierbegriffe“, in: (1) S. 191-201.

(6) Allen, Colin: „Animal Pain“, in: Noûs 38 (2005), S. 617-43.

(7) Bermúdez, José Luis: Thinking Without Words, 2003, Oxford University Press (im Buchhandel vergriffen)

(8) Dretske, Fred: Explaining Behavior. Reasons in a World of Causes, 180 p., pbk., £ 11.50, 1988, MIT Press, Cambridge (Mass.).

(9) Dretske, Fred: „The Nature of Thought“, in: Sprache und Denken/Language and Thought, hrsg. von A. Burri, 1997, de Gruyter, Berlin, S. 288-300.

(10) Dretske, Fred: Die Naturalisierung des Geistes, 185 S., € 24.80, 1999, Mentis, Paderborn.

(11) Millikan, Ruth Garrett: „Biosemantics“, in: The Joural of Philosophy 86/6 (1989), S. 281-97.

(12) Glock, Hans-Johann: „Animals, Thoughts and Concepts“, in: Synthese 123/1 (2000), S. 35-64.

(13) Glock, Hans-Johann: „Begriffliche Probleme und das Problem der Begriffe“, in: (1), S. 153-87.

(14) Proust, Joëlle: Comment l'esprit vient aux bêtes, 391 p., € 24.—, 1997, Gallimard, Paris.

(15) Proust, Joëlle: „Das intentionale Tier“, in (1), S. 223-43.

(16) Stephan, Achim: „Sind Tiere „schwer von Begriff“?“, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 52 (2004), S. 569-83.

(17) Sterelny, Kim: Thought in a Hostile World. The Evolution of Human Cognition, 280 p., cloth £ 60.—, pbk. £ 19.—, 2003, Blackwell, Oxford.

Zugang zu artfremden Subjekten

(18) Kaeser, Eduard: „Der Zugang zum artfremden Subjekt“, in: Philosophia naturalis 40/1 (2003), S. 1-42

(19) Nagel, Thomas: „Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?“, in: ders.: Über das Leben, die Seele und den Tod, 1984, Philo, Berlin,, S. 185–99.

Bewusstes Erleben

(20) Carruthers, Peter: „Brute Experience“, in: Journal of Philosophy 86 (1989), S. 258-69.

(21) Clayton, Nicola et. al.: „Declarative and Episodic-like Memory in Animals: Personal Musings of a Scrub Jay“, in: The Evolution of Cognition, hrsg. von C. Heyes & L. Huber, 2000, MIT-Press, Cambridge (Mass.), S. 273-88.

(22) Daniel Dennett: „Das Bewusstsein der Tiere: Was ist wichtig und warum?“, in: (1) S. 389-407.

(23) Harrison, Peter: „Do Animals Feel Pain?“, in: Philosophy 66 (1991), S. 25-40.

(24) Robinson, William S.: „Some Nonhuman Animals Can Have Pains in a Morally Relevant Sense“, in: Biology and Philosophy 12/1 (1996), S. 51-71.

(25) Shettleworth, Sarah J.: Cognition, Evolution, and Behavior, 704 p., cloth £ 89.50, pbk. £ 32.50, 1998, Oxford University Press, Oxford.

(26) Tye, Michael: „Das Problem primitiver Bewusstseinformen: Haben Bienen Empfindungen?“, in: Bewusstsein und Repräsentation, hrsg. von F. Esken & D. Heckmann, 1998, Mentis, Paderborn, S. 91-122.

Historische Arbeiten

(27) Sorabji, Richard: Animal Minds and Human Morals. The Origins of the Western Debate, 224 p., cloth £ 40.—, pbk. £ 18.—, 1993, Duckworth, London.

(28) Wild, Markus: Die anthropologische Differenz. Der Geist der Tiere in der frühen Neuzeit bei Montaigne, Descartes und Hume, 350 S., geb., € 98.—, 2006, De Gruyter, Berlin.

Weitere Literatur

(29) Rational Animals? Edited by Susan Hurley and Matthew Nudds. 568 p., cloth £ 75.—, pbk. £ 29.95, Oxford, Oxford University Press 2006.

(30) Krebs, Angelika: „Sprache und Leben“, in: Tiere beschreiben, hrsg. von A. Brenner, 2003, Harald Fischer, Erlangen, S. 175-90.

(31) Malcolm, Norman: „Gedankenlose Tiere“, in: (1) S. 77-94.

UNSERE AUTORIN, UNSER AUTOR:

Sarah Tietz promoviert zum Thema „Können Tiere denken? Eine systematische Untersuchung zur Erklärung von Überzeugungen“ an der Humboldt-Universität Berlin.

Markus Wild ist wissenschaftlicher Assistent am Institut für Philosophie der Humboldt-Universität Berlin.