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FORSCHUNG

Religion: Vattimo findet zum Glauben zurück

Gianno Vattimo findet zum christlichen Glauben zurück

Als Student wollte Gianno Vattimo zu einem neuen, vom liberalen Individualismus wie vom marxistischen Kollektivismus befreiten neuen christlichen Humanismus beitragen. Dazu studierte er das Buch Christlicher Humanismus von Jacques Maritain, dem franzö-sischen neothomistischen Denker. Von Maritain erbte Vattimo das Misstrauen gegen die Dogmen der Moderne. Nach einer Dissertation über Aristoteles begann er, Nietzsche und Heidegger zu studieren, die ihm die radikalsten Kritiker der Moderne schienen. Paradoxerweise ist er aber, wie er in seinem neuesten Buch

Vattimo, Gianno: Jenseits des Christen-tums. Gibt es eine Welt ohne Gott? 192 S., Ln., € 19.90, 2004, Hanser, München

schreibt, gerade durch diese antichristlichen Autoren zum christlichen Glauben (oder etwas, das diesem ähnlich ist) zurückgekehrt.

„Gott ist tot“ bedeutet für Nietzsche, dass es kein letztes Fundament gibt – und nichts an-deres. Und Heideggers Polemik gegen die von ihm so genannte Metaphysik hat in Vat-timos Augen eine analoge Bedeutung. Mit Recht, meint Vattimo, denn wir leben heute in einer Epoche, in der man sich die Wirk-lichkeit nicht mehr als eine fest in einem einzigen Fundament verankerte Struktur denken kann. Die pluralistische Welt, in der wir leben, lässt sich nicht mehr mit einem Denken interpretieren, das sie im Namen einer letzten Wahrheit um jeden Preis in eine Einheit bringen will. Gerade dieser postmoderne Pluralismus, so ist Vattimo überzeugt, gestattet es aber, den christlichen Glauben wiederzuentdecken. Denn wenn Gott tot ist (was heißt, dass die Philosophie zur Kenntnis genommen hat, dass sie das letzte Fundament nicht mit Gewissheit ergreifen kann), dann ist auch die Notwendigkeit des Atheismus beendet. Nur eine „absolutistische“ Philoso-phie kann sich ermächtigt fühlen, die religiöse Erfahrung zu leugnen. Wenn es keine Philosophie mehr gibt, die meint, sie könne die Nichtexistenz Gottes beweisen, dann sind wir Vattimo zufolge wieder frei, das Wort der Heiligen Schrift zu hören. Wenn wir die Unhaltbarkeit der Anschauung vom Sein als ewige Struktur einsehen, dann können wir auf Grund der Erfahrung des postmodernen Pluralismus das Sein ausschließlich als Ereignis denken und die Wahrheit nicht mehr als Widerspiegelung einer ewigen Struktur des Realen, sondern als geschichtliche Botschaft, die es zu hören gilt und auf die zu antworten wir aufgerufen sind. Dabei wird es unausweichlich, die Bibel ernst zu nehmen, da sie eines der Bücher ist, die das „Paradigma“ der westlichen Kultur zutiefst ge-prägt haben.

Die natürliche Theologie, welche die scholastische Metaphysik konstruiert hatte, beruhte auf der Idee, man könne auf Grund des natürlichen gesunden Menschenverstandes die Existenz eines höchsten Wesens beweisen und dann auf dieser Grundlage zum Hören der Offenbarung übergehen. Der in der postmetaphysischen Moderne wiedergefundene Gott ist allein der Gott des Buches: der Gott, der sich uns nur im Buche gibt, der nicht als eine „objektive Wirklichkeit“ außerhalb der Heilsverkündigung „existiert“.

Für den modernen Zivilisationsprozess charakteristisch ist die Säkularisierung, die alle Auflösungsformen des Heiligen umfasst. Vattimo interpretiert diese Säkularisierung als Schwächung des Seins, die er aber paradoxerweise nicht als Schwächung des Phänomens der Religion, sondern als Verwirklichung der Heilsgeschichte interpretiert. Diese Verabschiedung des Heiligen ist nicht nur ein Teil der Geschichte der Religiosität des Abendlandes, sondern charakterisiert diese geradezu. Vattimo übernimmt die Lehre des Joachim von Fiore, wonach die von der Bibel verkündete Heilsgeschichte in den Ereignissen der Weltgeschichte verwirklicht wird. Diese Heilsgeschichte ereignet sich für uns auf dem Weg über die Geschehnisse der Moderne und schließlich über die ihrer Krise. Gegenwärtig ereignet sich diese Heilsge-schichte als Spiritualisierung des Christentums, die mit der genannten Schwächung des Seins einhergeht.

Vattimo führt die Schwierigkeiten, die sich der Anerkennung der Identität von profaner Geschichte und heiliger Geschichte entge-genstellen, auf die „buchstäbliche“ Interpre-tation der Heiligen Schrift zurück. Die aktive Gegenwart des christlichen Erbes ist nur un-ter der Bedingung zu erkennen, dass man die buchstäbliche und autoritäre Interpretation der Heiligen Schrift aufgibt. Erst dann kann man zahlreiche Aspekte der modernen Welt und unserer heutigen Zeit als echte Heilsgeschichte erkennen. Man entdeckt dann, dass das, was allein zählt, die Liebe (caritas) ist: Nur die Liebe stellt das Kriterium der Inter-pretation der Heiligen Schrift dar.

Die Schwächung des Seins, auf die Vattimo zufolge die Geschichte unserer Zivilisation ausgerichtet ist, lässt sich insofern als Heilsgeschichte verstehen, als sie ein Geschehen ist, das die Verschiebung des Realen auf die Ebene des Geistigen, des Ornamentalen und des Virtuellen vorbereitet.

Die Philosophie muss eine kritische Haltung gegenüber der Renaissance der Religion und deren fundamentalistischen Zügen einnehmen. Solange sie aber in trägheitsbedingter Fortschreibung vorangegangener metaphysi-scher Positionen sich als atheistisch oder agnostisch betrachtet, wird sie sich immer mehr vom allgemeinen Bewusstsein entfer-nen und sich in einer „esoterischen“ Position ansiedeln. Ein großer Teil der Philosophie, der in der Abgeschlossenheit universitärer Institute lebt und sich mit Spezialfragen beschäftigt, setzt sich diesem Risiko der „Unwirklichkeit“ aus. Die Philosophie kann es sich aber heute nicht mehr leisten, die gesellschaftliche Vitalität der Religion als eine Erscheinung kultureller Rückständigkeit zu betrachten. Sie muss vielmehr der religiösen Erfahrung eine Legitimität zugestehen, dies aber nur insofern, als sie das Ende der Metaphysik und die Auflösung der Metaerzählungen berücksichtigt. Denn die vielen Fundamentalismen, die aus dem Boden schießen, legitimieren sich philosophisch häufig im Namen des Endes der globalen Metaerzäh-lungen. Die Frage, welche sich die Philosophie stellen muss, lautet: Hat das Ende der Metaphysik als logisches Resultat nur die Legitimierung der Rückkehr zum Mythos? Eine Religion im Zeitalter der Postmoderne, so Vattimo, kann keine Religion der Rück-kehr zur Metaphysik sein, sondern nur ein Ergebnis der Auflösung der Metaphysik.

Wie schwer es man es sich im deutschsprachigen Raum mit den Gedanken Vattimos mache, so schreibt Carl Wilhelm Macke, zeige bereits die Übersetzung des Buchtitels: Mit „Dopo la cristianità“ meine Vattimo kei-nesfalls ein „Jenseits des Christentums“, vielmehr gehe es dabei „um eine politisch-philosophische Position die auf den Ruinen des alten, institutionalisierten, erstarrten Christentums die Umrisse eines neuen ‚Post-Christentums’ enthält. Der Essay, so schreibt Martin Meyer in der Neuen Zürcher Zeitung, lese sich „in vielem wie eine – sagen wir: etwas altklug erregte – Paraphrase auf den Prozesscharakter der spätmodernen Wirk-lichkeit“.

Es gelinge Vattimo, so schreibt Guido Heinen in der Welt, nicht so recht, eine Welt ohne Gott zu skizzieren. Vattimo verstricke sich in einem Gewirr postmoderner Vorgaben. Vattimos Gegner sei die katholische Kirche, schreibt Balthasar Haussmann in der Frankfurter Rundschau, auf dieser argumentativen Fixiertheit auf Rom basierten seine Taktlosigkeiten gegenüber anderen Religionen. Und Wolfgang Hellmich schreibt in der Neuen Ruhr Zeitung, Vattimos Religionsphilosophie sei nicht ohne Verdunklungen, die ihren Ursprung wohl in Heideggers Philosophie hätten.