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PORTRÄTS

Feuerbach

Ludwig Feuerbach
Josef Winigers brilliante Biographie


So berühmt und gleichzeitig so unbekannt wie Ludwig Feuerbach ist sonst kein Philo-soph der Neuzeit. Das letzte umfassende Werk über ihn erschien 1931, die letzte größere Biographie im Jahr 1909. Und doch kann man ihn offensichtlich nicht vergessen, immer wieder beruft man sich auf ihn, immer wieder ist er Seminarthema. Und auch vereinnahmt wurde er immer wieder: Die Marxisten interpretierten zumeist nur, was Marx und Engels über ihn gesagt hatten, und für die Theologen blieb er der sprichwörtliche Stachel im Fleisch. Erst Anfang der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts begann sich das genuine Interesse an Feuerbach wieder zu regen: seine wichtigsten Schriften erschienen in Taschenbuchreihen, und es gab wieder Bücher über ihn, die auch dem Nichtfachmann zugänglich waren. Gleichzeitig begann Werner Schuffenhauer mit der Edition von Werken, Briefwechsel und Nachlass in verlässlicher Form.

Auf Feuerbachs 200. Geburtstag im Jahr 2004 hin hat Josef Winiger eine neue, auf den Arbeiten Schuffenhauers basierende Biographie vorgelegt, die nicht zuletzt durch die Schönheit ihrer Sprache beeindruckt (der Autor, ein glänzender Stilist, hat über Feuerbach promoviert und ist im Hauptberuf Übersetzer):

Winiger, Josef: Ludwig Feuerbach. Denker der Menschlichkeit. Biographie. 398 S., kt., 2004, € 11.50, Aufbau-Verlag, Berlin.

Alle sieben Geschwister Ludwigs waren hochbegabt, drei von ihnen – neben Ludwig Anselm und Karl – in außerordentlichem Maße. Anselm, der Älteste, war die Künstlernatur schlechthin: Dichter, Musiker und Zeichner. Karl, der Zweitälteste, war ein genialer Mathematiker. Auch er hat ein Stück Wissenschaftsgeschichte geschrieben: Von ihm stammt die Beschreibung des als „Feuerbach-Kreis“ bekannten Neunpunktekreises. Doch beide, Anselm und Karl, waren depressiv: Karl hatte zwei Selbstmordversuche unternommen und starb als Sonderling mit 34 Jahren. Ein anderer Bruder, Erhard, von dem als einzigem der Feuerbach-Kinder Nachkommen existieren, wurde Professor der Jurisprudenz in München.

Entscheidend für Feuerbachs Entwicklung war die Atmosphäre im Vaterhaus. Der Va-ter, der Strafrechtler Anselm von Feuerbach, war schon damals eine berühmte Persönlichkeit und stand mit Gelehrten in ganz Deutschland, Holland und sogar Russland in Verbindung. Zeitlebens war er ein Rousseau-Verehrer und verfolgte zusammen mit seinen Söhnen engagiert die politischen Auseinandersetzungen der Aufbruchbewegung Anfang des ersten Jahrzehntes des 19. Jahrhunderts. Schon zwei oder drei Jahre vor dem Abitur war Ludwig klar: Er wollte Theologe werden. Im Abschlusszeugnis des Gymnasiums wurde ihm die Ernsthaftigkeit seines Selbststudiums bescheinigt: „Durch das fleißige Lesen der Bibel hat er es zu einer großen Fertigkeit in der Bibelsprache gebracht und dürfte es darin mit vielen Gelehrten aufnehmen.“ Im April 1823 immatrikulierte er sich an der theologischen Fakultät der Universität Heidelberg, doch er war schnell enttäuscht. So warf er in einem Brief an seinem Vater dem Theologen Paulus, dem theologischen Wortführer des Frühliberalismus, Unredlichkeit vor: „Sein Kollegium ist nichts weiter als ein Spinnegewebe von Sophismen, das er mit dem Schleimauswurf seines missratnen Scharfsinns zusammenleimt.“ Darin, dass Feuerbach sich nun von Paulus abwendet und nur noch die Kollegien Daubs hört, sieht Winiger ein Zeichen für Feuerbachs un-trügliches Gespür für intellektuelle Redlichkeit. Daub ist Hegelianer, sogar ein enger Freund Hegels. Seine Dogmatikvorlesungen sind durchdrungen von der Hegelschen Phi-losophie. In gedrängter Form führt er auch in diese Philosophie ein. Damit beginnt Ludwig Feuerbachs Begeisterung für eines der grandiosesten Gedankengebäude der abendländischen Philosophie.

In Heidelberg fasziniert den jungen Studenten noch etwas anderes: die Schönheit der Natur, vor allem entlang des Neckars und des Rheins. Er unternimmt eine große Fußreise über die bayerische Pfalz nach Bingen und von dort den Rhein entlang bis Köln. Im Januar 1824, mitten im Semester, bittet Feuerbach seinen Vater, sein Studium in Berlin fortsetzen zu dürfen. Im April reist er nach Berlin, größtenteils zu Fuß. Für Weimar hatte er ein Empfehlungsschreiben für einen Besuch bei Goethe, aber er fühlte sich „so unfertig, unreif und innerlich zerrissen“, dass er sich nicht traute, dem Dichterfürsten vor die Augen zu treten.

In Berlin zog ihn Hegel sofort in seinen Bann. Nun wurde Feuerbach klar: Nicht Theologie, sondern Philosophie wollte er studieren. Denn auch in Berlin lehnte er die Theologen ab: „Der theologische Mischmasch von Freiheit und Abhängigkeit, Vernunft und Glauben, war meiner Wahrheit, d.i. Einheit, Entschiedenheit, Unbedingtheit verlangenden Seele bis in den Tod zuwider.“ Von Hegel hingegen hörte er alle Vorlesungen, die Logik sogar zweimal. Und von Hegel erhielt Feuerbach auch das beste Zeugnis ausgestellt: „unausgesetzt fleißig“, „mit be-wiesenem ausgezeichneten Interesse für die Wissenschaft“.

Im Frühjahr 1826 kehrte Feuerbach in das Elternhaus nach Ansbach zurück. Im folgenden Jahr schrieb er sich erneut ein, diesmal in Erlangen und zwar für Naturwissenschaft. Doch allzu gründlich dürfte dieses Studium nicht gewesen sein, schließt er doch bereits ein Jahr später mit einer philosophischen Doktorarbeit De infinitate, unitate atque communitate rationis ab. Darin wischt er mit mildem Spott den Kantianismus seiner Elterngeneration vom Tisch: Die Schranken, die die Kantianer dem Erkenntnisdrang setzen wollten, seien bloß „kümmerliche Schreckmittel“. Feuerbach will das Allgemeine, das Verbindende, Universale. Und das findet er in der Vernunft. Sie ist das, was das Individuum aus seiner Beschränktheit und Vereinzelung heraushebt. Und er verwendet viel Mühe darauf, diese Identität des Allgemeinen und des Einzelnen im Falle des Denkens zu beweisen. Hegels grandioses Gedankengebäude war die existentiell prägende Erfahrung, die Hegelsche Spekulation das „Organ“ oder „Werkzeug“ seines Philosophierens. Die Schrift fand die Anerkennung des Vaters, sie verrate „einen großen Denker“, lobt er seinen Sohn.

Am 7. Februar 1829 erhielt Feuerbach die Erlaubnis, als Privatdozent in Erlangen (un-besoldete) Vorlesungen halten zu dürfen. Die Einkünfte beschränkten sich auf die Vorle-sungsgelder, die die Studenten bezahlten. Er lebte bescheiden in einem Erlanger Gartenhaus, das er, wie er an Schwester Helene schrieb, kaum verließ, und er ernährte sich entsprechend: „Vormittags ein Glas Wasser, abends ein Krug Bier nebst Brot und höchstens noch einen Rettich.“ 1830 veröffentlich-te Feuerbach anonym die Schrift Gedanken über Tod und Unsterblichkeit – aus den Papieren eines Denkers, nebst einem Anhang theologisch-satirischer Xenien. Die Schrift wurde sofort verboten. Der Autor wurde schnell bekannt, Feuerbach war damit verfemt, auf die Studenten wurde Druck ausgeübt, seine Vorlesungen zu meiden. „Demjenigen, der die Sprache versteht, in welcher der Geist der Weltgeschichte redet, kann die Erkenntnis nicht entgehen, dass unsere Gegenwart der Schlußstein einer großen Periode in der Geschichte der Menschheit ist und der Anfangspunkt eines neues geistigen Lebens“. Feuerbachs Kritik am Rationalismus der Spätaufklärung und am Pietismus der Romantik ist nicht akademisch motiviert, sondern emanzipatorisch. Feuerbach lehnt in einer Offenheit, die skandalisieren musste, den Personen-Gott ab – ein Thema, das ihn jahrelang beschäftigen wird. Doch sein Hauptargument erscheint bereits jetzt: Der Glaube an einen als Person gedachten Gott ist Egoismus. Zu wahrer Liebe fähig ist nur der Pantheist – „außer dem Pantheismus ist alles Egoismus“. Für Winiger ist Feuerbachs Schrift entgegen ihrem lange anhaltenden Ruf als Skandalschrift ein positiver Entwurf, der auch von jungen Intellektuellen begeistert aufgenommen wurde. Doch Feuerbach hatte es sich damit mit allen Autoritäten, akademischen wie politischen, verscherzt. Der Vater prophezeite ihm: „Diese Schrift wird Dir nie verziehen, nie bekommst Du eine Anstellung.“

Im Frühjahr 1832 brach Feuerbach seine Lehrtätigkeit in Erlangen plötzlich ab und ging für ein halbes Jahr nach Frankfurt, wo er bei einer Tante wohnen konnte. Was ihn dazu bewegte, geht aus den Quellen nicht klar hervor; zum einen reichten seine Einkünfte wohl selbst bei bescheidenstem Lebensstil nicht. Hinzu kam, dass sich sein einziger Freund an der philosophischen Fakultät, Christian Kapp, aus gesundheitlichen Gründen zurückgezogen hatte. Feuerbach stand nun als Hegelianer allein gegen die restaurativen Tendenzen, die sich vor allem an der theologischen Fakultät durchsetzten. Damit war aber auch die Aussicht auf eine besoldete Stelle für Feuerbach in Erlangen dahin. Feuerbach wollte sich nun mit Deutschstunden durchschlagen, er hoffte später im Buchhandel oder bei einer Zeitung etwas zu finden. Politisch setzte er seine Hoffnungen auf die Entwicklung in Frankreich; er nahm auch Französischstunden, doch auf eine Reise nach Paris musste er aus finanziellen Gründen verzichten. Schließlich kehrte er wieder nach Erlangen zurück und kündigte dort Vorlesungen an. Doch gehalten hat er sie nicht.

In der Zwischenzeit hatte Feuerbach eine Philosophiegeschichte geschrieben, die 1833 unter dem Titel Geschichte der neueren Philosophie von Bacon von Verulam bis Benedikt Spinoza erschien. Es sollte der erste von mehreren Bänden sein, in denen Feuerbach „die nach meiner Meinung noch nicht genug entwickelten und erörterten Grundideen der wichtigsten philosophischen Systeme der neuern Zeit zu klarer Anschauung und Erkenntnis zu bringen“ gedachte. Er fand mit diesem Buch in der Fachwelt auf Anhieb Be-achtung – und er hatte, was er noch längst nicht wusste, seinen Beruf gefunden: freier philosophischer Schriftsteller.

Anders als üblich lässt Feuerbach die „neuere Philosophie“ nicht mit Descartes beginnen, sondern mit Francis Bacon, dem er ein umfangreiches Kapitel widmet. Feuerbach geht es primär um Naturphilosophie. Eine Physik, die bloß angewandte Mathematik ist, lehnt er ab, weil sie die Natur nur quantitativ betrachtet, und die mathematischen Modelle lassen keine „keine wahre Anschauung vom Leben, von der Natur der Qualität, dem eigentlichen Physikalischen entstehen“. Das Problem ist, dass sich die Qualität der Natur nur der sinnlichen Wahrnehmung, dem sinnlichen Erleben offenbart; dem Denken hingegen ist sie nur „mittelbar“ Gegenstand. Diesen Dualismus gilt es für Feuerbach zu überwinden: Wie können Geist und Natur als Einheit gedacht werden?

Acht Jahre später löst er das Problem, indem er die idealistische Spekulation als untauglich verwirft. Doch einstweilen ist sein Vertrauen in sie noch ungebrochen, und sie „vermittelt“ den Widerspruch auch in ganz spekulativer Weise, indem er nämlich Hegels Geistbegriff pantheistisch ausdeutet. Spino-za, über den er besonders sorgfältig referiert, liefert ihm mit seinem Substanzbegriff die Vorlage: Geist und Materie sind Gott, und „Gott ist das absolut reelle, das absolut unendliche Wesen, das alle Realitäten in sich fasst“. Daraus folgt notwendig, „dass Gott keine von seinem Wesen unterschiedene, d.h. keine bestimmte und besondere (keine endli-chen) und damit keine eigene, für sich abgetrennte, keine persönliche Existenz hat“.

1834 folgt ein weiteres Buch, Abälard und Héloise oder Der Schriftsteller und der Mensch. Eine Reihe humoristisch-philosophischer Aphorismen. Ein Buch, geschrieben in humorigem Plauderton, der an Jean Paul und streckenweise an Lichtenberg erinnert und von einer stupenden Belesenheit des noch nicht dreißigjährigen Philosophen zeugt. Doch der Inhalt spiegelt Feuerbachs Gemütsverfassung in keiner Weise wider. Inzwischen war der Vater gestorben, und Feuerbach war dringend auf finanzielle Sicherheit angewiesen. Von einem entfernten Verwandten musste er Geld aufnehmen. „Hoffnungslos, aller ermunternden Anregun-gen von außen beraubt, stehe ich daher – ein isoliertes Individuum.“ Doch nun lernt Feuerbach in Bertha Löw die Frau seines Lebens kennen. Sie wohnt im ehemaligen markgräflichen Jagdschloss in Bruckberg und ist Teilhaberin der dortigen Porzellanmanufaktur. Feuerbach wird die nächsten zweieinhalb Jahrzehnte in Bruckberg leben und dort alle seine Hauptwerke schreiben. Doch vor der Heirat muss er etwas beichten: die Geburt eines unehelichen Sohnes stand unmittelbar bevor (möglicherweise, so Winiger, hatte Feuerbach sogar zwei uneheliche Söhne).

Feuerbach beschäftigt sich nun so intensiv mit Leibniz, dass der zweite Band seiner Phi-losophiegeschichte eine Leibniz-Monographie wird: Darstellung, Entwicklung und Kritik der Leibnizschen Philosophie. Von deren neunzehn Kapiteln sind fünfzehn der Monadenlehre gewidmet. In einem späteren Text gesteht Feuerbach, warum er sich so in das Thema verbissen hat: „Nur ein schwieriger Punkt dieser Philosophie, die Bedeutung der Materie“, habe ihn zur Darstellung gereizt. Er befragt die Philosophiegeschichte auf die Fragestellung hin: Wie lässt sich die Natur qualitativ anders fassen, als es die idealistische Philosophie seit Descartes getan hat? Denn die „Materie“ ist bei dieser Spekulation das Stiefkind, „das Andere des Geistes“, das bloß am Ende des Bewusstseinswerdungsprozesses des Geistes hereingeholt wird. Die Leibnizsche Monadologie scheint ihm nun den Ansatz zu enthalten, diese „Vermittlung“ der Einheit nicht erst im nachhinein – wie es die Hegelsche Logik tut – , sondern von vornherein zu bewerkstelligen. Feuerbach hofft, zu einem Materie-Begriff zu gelangen, in dem die Natur nicht nur das „Andere des Geistes“, sondern als sein „alter ego“ gefasst ist.

Feuerbach hat nun von der Universität Abschied genommen. Die ungebundene Existenz auf dem Land, im geliebten Bruckberg, entspricht ihm. Er macht ausgedehnte Wanderungen durch Land und Flur und zwar bei jedem Wetter. „Jede Lebenssphäre, jede Individualität, sie mochte noch so bescheiden und einfach sein“, interessierte ihn. Materiell war die Existenz auf bescheidenem Niveau durch den Mitbesitz an der Manufaktur gesichert. Und nun bietet Arnold Ruge, der die Hallischen Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst gründen will, Feuerbach die Mitarbeit an. Damit bekommt dieser ein Forum, worin er sich mindestens so frei, wie es die Zensur erlaubt, ausdrücken kann. Einen Großteil seiner kleineren Schriften schickt Feuerbach nun Ruge, der alles unternimmt, um sie drucken zu lassen. Und Feuerbach hat die Genugtuung zu hören, dass diese Wirkung und Einfluss ausüben.

Feuerbach beschäftigt sich nun mit Pierre Bayle. In der Art und Weise, wie dieser über¬kommenes und dogmatisches Wissen einer kritischen Diskussion unterwarf, wird für Feuerbach zum Musterbuch aufklärerischer Kritik überhaupt. In dem daraus entstandenen Buch Pierre Bayle nach seinen für die Geschichte der Philosophie und Menschheit interessantesten Momenten dargestellt und gewürdigt unterscheidet Feuerbach zwischen dem „Geist der Wissenschaft“ und dem „Geist der Theologie“. Ersterer ist der „universelle Geist, der Geist schlechthin“, der Geist der Theologie hingegen habe „ein beschränktes, ein befangnes, unfreies Interesse“ zur Basis, denn die Theologie habe keine echten Erkenntnisinteressen, sie wolle lediglich die Glaubenswahrheiten kommentieren und explizieren: „Das Fundament der Theologie ist das Mirakel, das Fundament der Philosophie die Natur der Sache.“
Feuerbach erklärt nun mit einer für die da-maligen deutschen Verhältnisse unglaublichen Radikalität: Der Glaube ist tot. Und bei Pierre Bayle kündige sich dies bereits deutlich an.

In der darauffolgenden Schrift Über Philosophie und Christentum in Beziehung auf den der Hegelschen Philosophie gemachten Vorwurf der Unchristlichkeit formuliert er diese Kritik an der Religion mit beißender Schärfe als Kritik reaktionärer Ideologien: Eine sich christlich gebende Philosophie ist nichts als Heuchelei und Lüge. In der Auseinandersetzung mit der Ideologie der reaktionären politischen Romantik, die zwischen Philosophie und Religion einen Unterschied höchstens der Form nach, nicht aber des Inhalts gelten lassen will, entwickelt Feuerbach eine qualitativ neue Religionskritik. „Kann denn ein menschliches Individuum in seinen Kopf oder sein Gemüt etwas aufnehmen, was nicht ursprünglich aus dem Wesen der Menschheit, aus seiner Gattung stammt?“ Oder in anderen Worten: Gott ist das Produkt des Menschen.

In dieser Zeit nimmt Feuerbach aber auch Abschied vom Hegelschen Idealismus. In seinem Aufsatz Zur Kritik der Hegelschen Philosophie, einer seiner wichtigsten Texte, stellt er den Erkenntniswert von philosophischen Systemen prinzipiell in Frage.

Nun arbeitet Feuerbach an seinem Haupt-werk, Arbeitstitel: „Kritik der unreinen Ver-nunft“. Es erscheint schließlich mit dem Titel Das Wesen des Christentums.
Für Winiger bringt dieses Werk gegenüber der herkömmlichen Religionsphilosophie seiner Zeit eine Wende, die schon fast als kopernikanisch gelten darf. Wenn die Philo-sophen des deutschen Idealismus über die Religion spekulierten, nahmen sie die christlichen Glaubensinhalte als gegebene Wahr-heiten hin, sie bauten sie in ihre Systeme ein, explizierten und demonstrierten sie als Ver-nunftwahrheiten. Für Feuerbach ist eine solche Religionsphilosophie „keinen Schuss Pulver wert“. Er entzieht der Religion vielmehr die übernatürliche Legitimation. Er sagt ganz einfach: Religiös sein, an Gott glauben, das ist menschlich – aber auch nicht mehr. Die Religion ist ein natürliches, ein anthropologisches Faktum, eines unter vielen. Sein anthropologischer Erklärungsansatz lautet: „Die Religion ist die Reflexion, die Spiegelung des menschlichen Wesens in sich selbst“, „Gott ist der Spiegel des Menschen“. Durch dieses Grundaxiom wird die Frage nach dem Wesen des Menschen auf neue Art gestellt. Sie wird nicht mehr vom Standpunkt des absoluten Geistes oder der Gottheit ge-stellt. Vielmehr ist Gott nun „das offenbar Innere, das ausgesprochne Selbst des Men-schen“. Und der sich als Religion betätigende Gottesglaube ist „die feierliche Enthüllung der verborgnen Schätze des Menschen“. Damit werden die Hauptinhalte des christlichen Glaubens anthropologisch gedeutet. Die Theologie wird damit zur Anthropologie, die Religion zum Humanismus.

Das Buch hat gleich Erfolg. „Überall, auch in Berlin, hat Ihr Buch einen gewaltigen Effekt gemacht und viel tiefer eingeschlagen, als die Menschen sich’s selber zu gestehn geneigt sind“, schreibt Ruge. Feuerbach war mit einem Schlag einer der berühmtesten Denker Deutschlands. Er stellt verwundert fest: „Leute, die vielleicht nie ein philosophisches Werk in die Hand nahmen, haben mein Werk angeschafft.“ Einfluss hatte Feuerbach insbesondere auch auf die entstehenden radikaldemokratischen und kommunistischen Bewegungen. Feuerbach sei, so schrieb Engels 1945, das „hervorragendste philosophische Genie in Deutschland“. Die deutschen Radikalen, ob sie nun im Lande journalistisch tätig waren oder im schweizerischen oder französischen Exil agierten, bezogen sich fast alle auf seine Philosophie.

Verabschiedet hatte sich Feuerbach auch von der Hegelschen Philosophie. In Hegels abso-lutem Geist sieht er nichts anderes „als den abstrakten, von sich selbst abgesonderten, sogenannten endlichen Geist“. Es ist der Gott der Theologie, der in der Philosophie „noch als Gespenst umgeht“. Was Feuerbach früher noch vehement verteidigt hat, wird nun ent-schieden verworfen: „Das Wesen der spekulativen Philosophie ist nichts andres als das rationalisierte, vergegenwärtigte Wesen Gottes.“ Feuerbach bekennt sich dagegen eindeutig zum Kommunismus: „Nur diesem hoffe ich noch meine Feder zu widmen“, schreibt er an seinen Verleger. Allerdings hält er dabei wenig von politischen Theorien, vom Spekulieren über bevorstehende Gesell-schaftsrevolutionen, er hält die meisten Sozialisten für „echte Theologen“ und vertraut dagegen vielmehr der Sinnlichkeit.

Dennoch schreibt er eine neue Abhandlung über die Religion, Das Wesen der Religion, in der er nachweisen will, dass jede Religion „zum Ausgangspunkt die Natur hat“. Und wer will die Stellung skizzieren, die der Mensch innerhalb der Natur hat, wenn man aus ihr den göttlichen Schöpfer weglässt. Feuerbach wird damit explizit zum Materialisten. Doch im Unterschied zum Materialismus des 18. Jahrhunderts zwängt er die Natur nicht in das Prokrustesbett mechanisti-scher Erklärungen, vielmehr ist er grundsätzlich offen für Zusammenhänge und Erklä-rungen, die zu seiner Zeit noch gar nicht absehbar sind. Der zweite Unterschied zum herkömmlichen Materialismus liegt darin, dass der seine anthropozentrisch ist: Die Natur (und der Mensch) wird nicht von einem quasi überirdischen, sondern von einem menschlichen Standpunkt aus betrachtet. Damit erhält das Individuum seinen Wert zurück.

1848 war die Bruckberger Porzellanfabrik plötzlich zahlungsunfähig, Feuerbachs Frau verlor ihr ganzes Vermögen, und die Familie musste aus Bruckberg ausziehen. Im ersten Impuls wollte Ludwig nach Paris, wo die Revolution ausgerufen worden war, „ohne Weib, ohne Kind, ohne Bücher“. Als in Deutschland allgemeine Wahlen zu einem Nationalparlament beschlossen wurden, kandidierte Feuerbach. Doch gewählt wurde ein anderer, ein Jurist. Feuerbach ging trotzdem nach Frankfurt, als „kryptopolitischer Privatier“ und mit der Hoffnung, dass sich für ihn dort irgendwelche neue Perspektiven auftäten. Nach fünfzehn Jahren Einsamkeit in Bruckberg genoss er anfangs die vielfältigen persönlichen Begegnungen. Allerdings musste er bald feststellen, dass die „besten, die Zukunft entscheidenden Kräfte und Köpfe“ nicht im Parlament saßen. Und neue Perspektiven taten sich auch nicht auf. Er sei, schreibt er an seine Frau, „oft im Zustand grässlicher Verzweiflung und Trostlosigkeit“. Da kam der Wunsch von Studenten, er möge in Heidelberg öffentlich Vorlesungen zu halten, gerade recht. Zwar verweigerte die Universität die Aula, doch der Heidelberger Bürgermeister war ein radikaler Demokrat und gab das Rathaus dazu frei. Arbeiter und Handwerker durften kostenlos auf der Tribüne zuhören, Bürger und Studenten mussten eine Eintrittskarte erwerben (Feuerbach hoffte, zumindest seinen Aufenthalt damit zu fi-nanzieren). Und etwa hundert Personen schrieben sich ein, weitere hundert saßen auf der Tribüne. Obwohl Feuerbach, wie der junge Gottfried Keller schrieb, „einen mühselig schlechten Vortrag“ hielt, hatte er mit seinen Vorlesungen nachhaltigen Erfolg und erntete am Schluss, wie er seiner Frau schrieb, „einen großen Beifallssturm“.

Endlich fand sich in einem kleinen Weiler außerhalb von Nürnberg ein günstiges Haus für die Familie. Doch als sich Feuerbach nach dem Einzug an das Schreiben machen wollte, erlebte er eine böse Überraschung: der Saal erwies sich als nicht heizbar, und durch den dünnen Bretterboden hörte man jedes Geräusch aus der darunter befindlichen Küche. Eine ruhige Dachkammer erwies sich schließlich als Ausweg, aber nur für die Sommerzeit, denn auch diese war nicht heizbar.

Feuerbach beschäftigte sich nun mit Mathematik und Physik. Er versuchte sich gezielt in den Themenkomplex um die Entstehung des Lebens und die physiologischen Grundlagen psychischer Phänomene einzuarbeiten. Die letzte große Schrift, die er zu Lebzeiten veröffentlichte, lautete Über Spiritualismus