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FORSCHUNG

Willensfreiheit: Michael Pauens Minimalkonzeption

WILLENSFREIHEIT

Michael Pauens Minimalkonzeption der personalen Freiheit


Der scheinbar objektiven naturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Problem der Willensfreiheit liegen bereits Maßstäbe zugrunde, was es heißt, frei zu handeln. Wie Michael Pauen in seinem Buch

Pauen, Michael: Illusion Freiheit? Mögliche oder unmögliche Konsequenzen der Hirnforschung. 272 S., Ln., € 19.90, 2004, S. Fischer, Frankfurt

darlegt, sind diese Maßstäbe aber rechtfertigungsbedürftig. Diese Rechtfertigung ist aber Sache der Philosophen.

Bei der Frage, ob eine Handlung frei ist oder nicht, stehen uns keine eindeutigen Kriterien zur Verfügung. Egal ob wir die Perspektive der ersten oder die Perspektive der dritten Person einnehmen: Es ist keineswegs offensichtlich, welchen Maßstäben eine Handlung genügen muss, damit wir sie als „frei“ bezeichnen können. Kriterien wie Indeterminismus und die Möglichkeit, anders zu handeln, sind alles andere als unumstritten. Auch dürfte es sehr schwierig sein, sich auch nur auf ein unstrittiges Beispiel für eine wirklich freie Handlung zu einigen, während man ohne größere Probleme einen Konsens darüber herstellen kann, was freie Handlungen nicht sind. So würden wir erzwungene Geschehnisse niemals als freie Handlungen bezeichnen. Aber auch zufällige Geschehnisse einer Person sind keine freien Handlungen. Freiheit grenzt sich also gegen Zwang und Zufall ab.

Pauen zufolge wird man diesen Bedingungen am besten gerecht, wenn man Freiheit mit „Selbstbestimmung“ übersetzt. Selbstbestimmung impliziert nicht nur Autonomie gegenüber externen Einflüssen, sondern auch die Abhängigkeit der Handlung von ihrem Urheber. Unbedingtes, voraussetzungsloses Handeln, unabhängig von allen eigenen Überzeugungen und Bedürfnissen, ist keine Freiheit, sondern gleicht der grundlosen Beliebigkeit eines Münzwurfs.

Freiheit, so Pauens These, ist auch in einer determinierten Welt möglich. Solange man Freiheit als Selbstbestimmung versteht und sich dabei an der Abgrenzung gegen Zwang und Zufall orientiert, kommt es nicht darauf an, ob eine Handlung determiniert ist. Entscheidend ist vielmehr, wodurch sie be-stimmt wird: Ist sie durch den Handelnden selbst bestimmt, dann ist sie eben selbstbe-stimmt und damit frei, hängst sie dagegen von äußeren Einflüssen oder von Zufällen ab, dann ist sie nicht selbstbestimmt und daher auch nicht frei.

Pauen entwickelt in seinem Buch auf der Ba-sis der Abgrenzung gegen Zwang und Zufall eine Minimalkonzeption der personalen Freiheit. Oder positiv formuliert: Seine Konzeption gründet auf den Prinzipien Autono-mie und Urheberschaft, und diese lassen sich durch den Begriff der Selbstbestimmung fassen. „Minimalkonzeption“ nennt Pauen seinen Ansatz deshalb, weil stärkere Konzeptionen der Willensfreiheit ausscheiden, weil sie gegen eines der beiden Prinzipien verstoßen.

Zwang ist ein externer Einflussfaktor, der das Zustandekommen einer Handlung gegen den Willen des Handelnden bewirken könnte. Sollte sich herausstellen, dass der vermeintliche Mörder nur durch einen für ihn nicht zu überwindenden äußeren Zwang zu seiner Tat gebracht werden konnte, dann könnte man ihn nicht mehr für die Tat verantwortlich machen. Das Autonomieprinzip schließt aus, dass freie Handlungen ausschließlich auf äußere Umstände zurückführbar sind.

Was ist über das Subjekt zu sagen, dessen Freiheit zur Diskussion steht? Pauen nennt die Merkmale, die das „Selbst“ ausmachen, „personale Merkmale“ und unterteilt diese wiederum in „personale Fähigkeiten“ und „personale Präferenzen“. Bei letzteren handelt es sich um spezifische Überzeugungen, Wünsche und Dispositionen, die eine Person als ein ganz bestimmtes Individuum gegenüber anderen Individuen auszeichnen. Diese Präferenzen spielen eine zentrale Rolle in der Erklärung darüber, dass eine Person eine bestimmte Handlungsoption einer anderen Option vorgezogen hat.

Wenn eine Person sich an ihren faktischen Wünschen und Interessen orientieren will, muss sie in der Lage sein, die Konsequenzen ihres Tuns zu erkennen. Eine zweite wichtige Voraussetzung für die Zuschreibung von Autonomie ist der rationale Umgang mit Konflikten zwischen den eigenen Wünschen, Überzeugungen und Bedürfnissen. Zwar sind die meisten alltäglichen Entscheidungen un-problematisch, aber fast immer ist es erforderlich, unterschiedliche Präferenzen und die entsprechenden Optionen gegeneinander abzuwägen. Im Allgemeinen wird die dazu er-forderliche Fähigkeit als „Willen“ bezeichnet. Ist man in der Lage, die eigene Entscheidung in die entsprechende Handlung umzusetzen, dann verfügt man über Willensstärke, kann man dies nicht, dann ist man willensschwach. Willensstärke ist eine not-wendige Bedingung für Selbstbestimmung: Wer nicht imstande ist, die von ihm als rich-tig erkennten Handlungsoptionen auch tatsächlich umzusetzen, der wird auch nicht in der Lage sein, sich selbst zu bestimmen.

Hinsichtlich der Bestimmung personaler Präferenzen plädiert Pauen für die „liberale Va-riante“. Für sie qualifiziert sich eine Einstellung genau dann als personale Präferenz, wenn sie möglicher Gegenstand einer wirk-samen selbstbestimmten Entscheidung ist. Das zentrale Kriterium dazu ist die Möglichkeit zu einer selbstbestimmten Distanzierung.

Nach Pauens Minimalkonzeption handelt eine Person, die in einer bestimmten Situation eine Option x statt einer Option y wählt, genau dann frei, wenn sich die Entscheidung für x und gegen y auf die personalen Präferenzen der Person zurückführen lässt.