Lehren lernen:
Fachdidaktik Philosophie in Köln
Ein Bericht von Thomas Nisters
Praxisfern, theorielastig, pseudowissenschaftlich, langweilig – mit diesen und ähnli-chen Vorurteilen hat sich die universitäre Fachdidaktik herumzuschlagen. In der Regel sicher zu Unrecht. Ganz gewiss aber zu Unrecht mit Blick auf den Lehramtsstudiengang „Philosophie“ am Philosophischen Seminar der Universität zu Köln. Die Ausgestaltung des Moduls „Fachdidaktik“ orientiert sich dort am programmatischen Grundsatz, dass Wissen nicht ohne weiteres Können impliziert. Aufs Lehren Lernen angewandt bedeutet das: Wer noch so ausführlich übers Unterrichten nachgedacht hat, beherrscht diese Kunst allein deshalb noch lange nicht. Und wer alle gängigen Theorien des Lehrens und Lernens vorwärts und rückwärts herunterbeten kann, mag trotzdem völlig hilflos vor einer Lerngruppe stehen. Was vielmehr Not tut, ist reflektierte Praxis. Und genau hierfür werden den Lehramtsstudierenden in Köln zunehmend Räume eröffnet. Wie diese Räume ausgestaltet werden, soll im Folgenden berichtet werden.
Alle Lehramtstudierende müssen – wie anderenorts auch – während des Hauptstudiums in ihren Fächern ein Fachpraktikum an einer Schule absolvieren. Die Betreuung im Zu-sammenhang mit dem Fachpraktikum wird in Köln äußerst ernst genommen. So bildet, eine passende Schule zu finden, für viele Studierende eine erste Hürde. Deshalb haben das Philosophische Seminar und unterschiedliche Schulen in der Umgebung vereinbart, dass Studierende des Philosophischen Seminars bevorzugt an diesen Kooperationsschulen ihr Fachpraktikum absolvieren können. Studierende werden auf Wunsch an eine der Partnerschulen vermittelt.
Das Philosophische Seminar bietet neben den regulären Seminaren zur Vorbereitung des Fachpraktikums eine individuelle Praktikumsberatung an. Dort wird überlegt, welche Funktionen das Fachpraktikum über die allgemeinen Ziele hinaus für den einzelnen haben könnte und sollte. Für manche Studierende ist klar: Sie wollen Lehrer oder Lehrerin werden. Hier steht die Vorbereitungsfunktion des Praktikums im Zentrum. Andere hingegen sind sich noch unsicher, ob sie die-sen Beruf ergreifen wollen. Das Praktikum dient in solchen Fällen eher der Klärung. Entsprechend ist das Praktikum je unterschiedlich zu planen und auszuwerten.
Ein notorisches Problem der Fachpraktika ist, dass der Aspekt der Unterrichtbeobach-tung überwiegt, während die Gelegenheiten, eigene Ideen auszuprobieren, eher selten sind. Hier wird versucht gegenzusteuern: Während des Praktikums haben die Studie-renden an den Kooperationsschulen die Möglichkeit, den Schülern und Schülerinnen eigene Angebote etwa in Form von Arbeitsgemeinschaften zu unterbreiten: „Wie schreibe und halte ich ein Referat?“ „Training für mündliche Prüfungen.“ „Coaching zur Facharbeit in Philosophie“ „Schnupper-kurs Praktische Philosophie in der Sekundar-stufe I“. Das Philosophische Seminar hilft bei der Planung und Realisierung dieser Angebote: Materialien werden bei Bedarf be-reitgestellt; methodische Tipps werden gegeben.
Nach ihrem Praktikum treffen sich die Studierenden in Kleingruppen zum Austausch und zur Reflexion. Denn wirkliche Erfahrung machen wir in aller Regel nur durch bedachtes Erleben! Diese begleitete Praxis im Rah-men des Fachpraktikums sollen zwei Lehrveranstaltungen, die regelmäßig angeboten werden, ausweiten und vertiefen: die Unterrichtspraktischen Übungen und das Philosophische Arbeitswochenende. Die Unterrichtspraktischen Übungen finden jedes Se-mester statt; das Philosophische Arbeitswo-chenende einmal im Jahr.
Die Unterrichtspraktischen Übungen sind ei-ne Art Unterrichtswerkstatt. Hier werden Un-terrichtsreihen geplant, Einzelstunden konzipiert und simuliert, Probleme erörtert und Lösungen ersonnen. All dies kann im Praktikum gleich auf seine Tauglichkeit hin getestet werden.
Noch dichter mit Schule und Praxis verzahnt ist das Projekt Philosophisches Arbeitswo-chenende. Studierende eines fachdidakti-schen Hauptseminars und Schülerinnen und Schüler eines Grundkurses „Philosophie“ des Max–Ernst–Gymnasiums (Brühl) fahren in die Thomas-Morus-Akademie in Bensberg. Als ehemaliges Priesterseminar bietet das Kardinal–Schulte–Haus, in dem die Thomas-Morus-Akademie sich befindet, genau das Maß an Ruhe und Abgeschiedenheit, das für konzentrierte philosophische Arbeit unabdingbar ist. Als modernes Tagungshaus stellt es all die Möglichkeiten bereit, die für kreative und innovative Seminar- und Unter-richtsarbeit nötig sind.
Das erste Philosophische Arbeitswochenende im Dezember 2006 widmete sich erkenntnis-theoretischen Fragen. Im Zentrum standen Descartes’ Meditationen. Beim zweiten Wo-chenende im Mai 2007 ging es um politische Philosophie. Textgrundlage war Lockes Zweite Abhandlung über die Regierung.
Die Schüler und Schülerinnen bereiten sich im Unterricht und durch eigene Lektüre in-tensiv auf das Philosophische Arbeitswochenende vor. Hans Vogelfänger, der am Max-Ernst-Gymnasium für die Kooperation mit dem Philosophischen Seminar zuständig ist, unterstützt sie dabei. Die Studierenden kommen vor dem Wochenende an ein, zwei Samstagen zusammen, um sich unter fachdidaktischer Perspektive auf das Seminar einzulassen: Es werden Konzepte entwickelt, wie der Text mit Schülern und Schülerinnen erarbeitet werden könnte. Es wird überlegt, welche Textteile besonders wichtig sind und warum. Es wird erwogen, wie die Inhalte des Textes mit der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler verknüpft werden können. Arrangements werden ersonnen, wie die Schülerinnen und Schüler einzuladen sind, eigene Fragestellungen zu entfalten, Theorieansätze zu wagen, kurz: selbständig zu philosophieren! Vieles von dem, was Studierende vorher entwickeln, findet Eingang in die tatsächliche Planung des Wochenendes.
Das Wochenende selbst ist dann ausschließlich der philosophischen Arbeit gewidmet. Hier sind zur Veranschaulichung einige Bausteine des Locke-Wochenendes:
Studierende halten Referate zum juristischen Vertragsbegriff und zur Elementarstruktur staatstheoretischer Vertragstheorien und moderieren die anschließende Diskussion. Plan-spiele stehen auf dem Programm: Schüler, Schülerinnen und Studierende stellen sich vor, sie würden auf eine kleine Insel verschlagen. Dort müssen sie sich über die Wasserverwendung eines Brunnens einigen. Die Einigung ist in Form eines Vertrages zu formulieren!
Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen erstel-len Mind-Maps über alle möglichen Staatsziele. Diese Staatsziele werden sodann auf ihre Tragfähigkeit geprüft. Hobbes’ düsteres Gemälde des Naturzustandes wird mit Lo-ckes lichterem Alternativentwurf verglichen.
Lektürekreise vertiefen sich in Lockes Deduktionen des Privateigentums. In Arbeitsgruppen versuchen sich Schüler und Studierende daran, einen zentralen Paragraphen aus dem Englischen ins Deutsche zu übersetzen.
Eine Vorlesung zur aristotelischen Theorie der Staatsgenese aus natürlichen Gemeinschaften bildet abschließend einen Kontrapunkt.
In Zukunft werden Studierende am Wochenende im überschaubaren Rahmen in noch höherem Maße Lehrfunktionen übernehmen. Nach dem Wochenende kommen die Studie-renden zur fachdidaktischen Nachbereitung an einigen Samstagen zusammen, um eine professionelle Evaluation durchzuführen, um über Planungsalternativen nachzudenken. Die Schülerinnen und Schüler hingegen, für die das Wochenende übrigens den Status regulären Unterrichts hat, knüpfen im Unterricht ans Wochenende an auf ihrem Weg zum Abitur.
Mittlerweile haben das Max–Ernst–Gymnasium und das Philosophische Seminar der Universität zu Köln einen Kooperationsvertrag geschlossen: Das Philosophische Ar-beitswochenende ist fester Bestandteil des Lehr- und Bildungsangebots von Schule und Universität. Die wissenschaftliche Unterstützung der Philosophischen Arbeitswochenenden wird intensiviert werden: Künftig wird an jedem Wochenende die Professorin oder einer der Professoren am Philosophischen Seminar eine Vorlesung vor Schülern, Schülerinnen und Studierenden halten, je nach Thema und Bedarf und passend zum Forschungsschwerpunkt. Auch der Kreis der be-teiligten Institutionen wird weiter gezogen: zum Max–Ernst–Gymnasium, zum Philoso-phischen Seminar der Universität zu Köln und zur Thomas–Morus–Akademie kommt das Hansa-Gymnasium (Köln) hinzu: Einige Oberstufenschüler oder -schülerinnen, die das Fach „Religion“ gewählt haben, aber philosophisch interessiert sind, können künf-tig am Philosophischen Arbeitswochenende teilnehmen.
Begabten Schülerinnen und Schülern, die am Philosophischen Arbeitswochenende teilge-nommen haben, will das Philosophische Seminar bevorzugt die Chance eröffnen, ihre Fragestellungen und Interessen im Rahmen des Projekts „Schüler an der Hochschule“ weiter zu verfolgen und zu vertiefen. Sie erhalten den Status von Schülerstudenten im Fach Philosophie.
Schließlich ist geplant, Philosophiereferendare und -referendarinnen des Max-Ernst-Gym¬nasiums stärker in die Planung und Durchführung der Wochenenden einzubinden.
Das hier vorgestellte Konzept steckt in den Kinderschuhen. Deshalb ist stetig zu fragen: Was war gut und tragfähig? Was ist problematisch und zu verbessern? Die Antworten auf diese Fragen werden gewiss dazu führen, dass einzelne Bausteine des Studiengangs „Fachdidaktik der Philosophie“ umgestellt oder modifiziert werden. Die bisherige Erfahrung allerdings bestärkt in der Annahme, dass die grundsätzliche Ausrichtung richtig ist: Die Lehrerausbildung ist nicht durch ein Mehr an Praxis, sondern durch eine qualifizierte, intensiv begleitete sowie individualisierte Praxis zu verbessern.
UNSER AUTOR:
Thomas Nisters ist promovierter Philosoph und lehrt als abgeordneter Lehrer Fachdidaktik am Philosophischen Seminar der Universität zu Köln.