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FORSCHUNG

Fichte: Der ganze Fichte

FICHTE

Der ganze Fichte

In Fichte sieht man in der Regel den Transzendentalphilosophen und „Systemdenker“. Gegen diese eingeschränkte Sichtweise sind nun die beiden FichteForscher Peter L. Oesterreich und Hartmut Traub angetreten: Sie plädieren in ihrem Buch

Oesterreich, Peter L. und Traub, Hartmut: Der ganze Fichte. Die populäre, wissenschaftliche Erschließung der Welt. 366 S., Ln., € 39.—, 2006, Kohlhammer, Stuttgart

für den „ganzen Fichte“; dafür, ihn als Gelehrten und philosophischen Lehrer zu sehen, dessen Wirken sich nicht auf die Wissenschaft beschränkt, sondern darüber hinaus auf eine Erneuerung der geschichtlichen Wirklichkeit zielt. Dabei treten die neben dem wissenschaftlichen System vernachlässigten Dimensionen seines Schaffens deutlicher hervor: seine populäre und angewandte Philosophie und seine metaphilosophischen Reflexionen. Damit wollen die beiden Autoren den weit verbreiteten szientistischen Reduktionismus korrigieren, der dazu neigt, das Gesamtwerk Fichtes auf seine wissenschaftlichen Systementwürfe zur Wissenschaftslehre zu verkürzen. Die Rehabilitierung der Populärphilosophie lässt das Gesamtwerk Fichtes nicht länger als einen undifferenzierten, geradezu monolithischen „Block“ philosophischer Wissenschaft erscheinen. Vielmehr stellt sie dem streng wissenschaftlichen Werk zur Wissenschaftslehre die populärphilosophischen Reden und Vorträge als selbständigen und gleichberechtigten Teil des Gesamtschaffens zur Seite.

Die Frage nach der Einheit in Fichtes Werk

Diese Freilegung der zweiteiligen Werkgestalt stellt auf einem anderen Niveau erneut die Frage nach der Einheit der Fichteschen Lehre: Zerfällt sein Werk in zwei zusammenhanglose Bereiche, in die streng wissenschaftliche Philosophie einerseits und die populäre und angewandte Philosophie andererseits? Oder fügen sie sich von einem übergeordneten Gesichtspunkt aus gesehen zu einem in sich differenzierten Gesamtwerk zusammen?

Laut Oesterreich/Traub ignorierte die bisherige szientistische Lesart weitgehend, dass Fichtes Philosophie ganz wesentlich WissenschaftsLehre ist. Ihr Ursprungsproblem, von dem her auch die vielen Versionen der Wissenschaftslehre verstehbar werden, ist die Lehrbarkeit des Absoluten: Wie lässt sich philosophisch überzeugend von dem Absoluten reden? Dabei differenziert sich das Problem der Lehrbarkeit wiederum in das der Darstellbarkeit einerseits und das der Mitteilbarkeit andererseits.

Die Wissenschaftslehre in specie und in genere akzentuiert das erkenntnistheoretische Darstellungsproblem und die populäre und angewandte Philosophie das psychagogische Mitteilungsproblem. Erst aus dieser more rhetorico vollzogenen Revision wird auch die volle Gleichwertigkeit der beiden Werkteile einsehbar. Die beiden Autoren orten aber noch einen dritten Teil des Werkes von Fichte: die über das Gesamtwerk verstreuten metaphilosophischen Reflexionen. Als eine Art „Philosophie der Philosophie“ thematisieren sie Grundidee und Möglichkeitsbedingungen der philosophischen Lehre. Diese Metaphilosophie Fichtes konzentriert sich in der Person des Gelehrten, der souverän über die gedanklichen und stilistischen Mittel philosophischer Kunst verfügt, um in der akademischen und öffentlichen Lebenswelt die philosophische Vernunft zur Geltung zu bringen

Der biographische Impuls, das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Leben zum Thema zu machen, beruht auf Fichtes enttäuschender Erfahrung der – seiner Ansicht nach gänzlich mangelhaften – Rezeption seiner wissenschaftlichphilosophischen Werke. Fichtes „Wesensmotiv der Tat“ und der zeitdiagnostische und gestalterische Grundlegung des Idealismus überhaupt verdichten sich angesichts der Erfahrung einer weitgehenden Wirkungslosigkeit zum Motiv einer tiefgreifenden Reflexion auf das Verhältnis von Theorie und Praxis, d. h. zu einer Neubestimmung der Beziehung zwischen Philosophie und Leben.

Das vorherrschende FichteBild radikal in Frage gestellt

Diese Wiederentdeckung stellt das bislang vorherrschende Bild des reinen Transzendentalphilosophen radikal in Frage. Die bisherige Diskussion, in der Reinhard Lauths einheitliche Sicht einer „Gesamtidee“ und Peter Baumanns These von der „verwirrenden Folge der fortwährend veränderten Systemgestalten“ als extreme Gegenpositionen einander gegenüberstanden, wird um eine zusätzliche Problemdimension erweitert, nämlich nach dem Verhältnis der Transzendentalphilosophie zur öffentlichen Lehre. Die personale PhilosophieIdee Fichtes, die in den programmatischen metaphilosophischen Vorträgen zur Bestimmung und dem Wesen des Gelehrten ersichtlich wird, lässt die Grundzüge eines Idealismus hervortreten, der sich selbst in der rhetorischen Differenz zwischen transzendentaler Wahrheit und lebensweltlicher Glaubwürdigkeit verortet und dem dominanten Bild des Deutschen Idealismus als eines identitätslogischen „Meisterdenkens“ widerstreitet.

Für Fichte heißt es nach der Vollendung der zehnjährigen Arbeit an den Grundlagen der Philosophie des Wissens und Lebens: Wahrhaft leben heißt, philosophierend leben, und wahrhaft philosophieren heißt. geistig leben und zwar nicht nur in einer spekulativen und spirituellen via contemplativa, sondern in einem ganz empirischen und pragmatischen Sinn. Die Vermittlungsdimension, die bei Fichte die Kluft zwischen Philosophie und Leben überbrückt, enthält die Funktion der Sprache als lebendige Rede und die Bedeutung des Gefühls als konstitutives Element der Weltanschauung. Fichte gibt dem Gelehrten in der Breite seiner Aufgaben, vom Schullehrer zum Staatslenker, eine emphatische Bedeutung, da sie „aktualer Durchströmungspunkt“ von Sinnenwelt und Geisterwelt sind: „Die Einheit der Lehre ist der Gelehrte selbst.“ Die Autoren glauben, die Analyse zur Einheit von Lehre und Lehrer sei auch als biographische Selbstbestimmung Fichtes zu lesen.

Der Ausgangspunkt von Fichtes Philosophie

Die Entwicklung des Idealismus nimmt ihren geschichtlichen Ausgang bei ungelösten Dar¬stellungs und Mitteilungsproblemen der Philosophie Kants. Diese führen zur rhetorischen Metamorphose der Transzendentalphilosophie, aus der dann das erste Hauptwerk des Idealismus, die Fichtesche Wissenschaftslehre von 1794, hervorgeht. In den letzten Jahren ist der Zusammenhang des Deutschen Idealismus mit der Rhetoriktradition verstärkt in den Blickpunkt der Forschung gerückt. Neben inhaltlichen Gesichtspunkten wie dem DingansichPro¬blem war es vor allem das ungelöste Darstellungs und Mitteilungsproblem der Kantischen Transzendentalphilosophie, das den Anstoß zu Fichtes eigener Denkentwicklung gab. Fichte will von Anfang an als Redner wirken. Er fühlt sich nicht zum indirekten Medium der Schrift, sondern zur Unmittelbarkeit der lebendigen Rede, insbesondere der Predigt, hingezogen: „Ich bestimmte mich also schon in den frühsten Jahren für die Kanzel.“ Sein Ehrgeiz in diese Richtung geht so weit, dass er praktischen Rhetorikunterricht bei einem Deklamationslehrer nimmt und nichts Geringeres vor, „als nach ihm der Erste in dieser Kunst werden“. Dieses außerordentliche Interesse für die redepraktische Vermittlung der Philosophie lässt schon im ersten Moment seiner Bekanntschaft mit der Kantischen Philosophie ihr Darstellungsproblem für ihn in den Vordergrund rücken: „Eine der Hauptursache von der Unverständlichkeit der Kritik scheinen mir die oftmaligen Wiederholungen und Digressionen, welche die Ideenreihe unterbrechen; und ich glaube, sie würde leichter seyn, wenn sie halb so dick wäre…. Sie ist über alle Vorstellung schwer, und bedarf es wohl, leichter gemacht zu werden.“ Die Entdeckung der Kantischen Philosophie führt bei Fichte also nicht zu einem Bruch mit der Rhetorik. Im Gegenteil soll durch sie endlich die auch von Kant gesuchte Popularität gewonnen werden.

In seiner theoretischen Philosophie fragt Fichte radikal nach dem Wesen des Wissens überhaupt. Jenseits der noch von Kant unterstellten methodologischen Leitbilder der Mathematik, Logik und Naturwissenschaften sucht er das Prinzip von Wahrheit und Gewissheit schlechthin zu ergründen. Dadurch wird Fichtes Wissenschaftslehre zur Grundlagendisziplin für die Ermittlung und Feststellung von Maßstäben und Kriterien von Wissenschaftlichkeit überhaupt. Vor aller Begründung der Metaphysik als Wissenschaft und Grundlage der Philosophie ist Fichte an der Klärung der Frage „Was ist Wissen?“ interessiert. Er hält die Vertiefung des Kantischen Ansatzes deshalb für notwendig, weil erst die Beantwortung dieser Frage die Basis sichert, die für eine Beurteilung spezifischer Formen des mathematischen, logischen, metaphysischen oder empirischen Wissens gebraucht wird. Das heißt, die Wissenschaftslehre misst sich nicht an einem spezifischen Wissenschaftsbegriff, sondern umgekehrt begründet die Wissenschaftslehre den Begriff des Wissens überhaupt und bestimmt von ihm aus die Besonderheiten verschiedener Modelle wissenschaftlichen Denkens.

Die wissenschaftliche Erschließung der Welt kennzeichnet einerseits der Versuch, auf der Grundlage eines unbezweifelbaren, allgemeingültigen und nachvollziehbaren Evidenzprinzips rational schlüssig ein System des Wissens und der Erkenntnis zu entwickeln, innerhalb dessen alle relevanten Fragen und Problembereiche des menschlichen Daseins, von der Logik über die Ethik, von der Staats zur Religionsphilosophie einer vernünftig abgesicherten Orientierung und Lösung zugeführt werden können. Andererseits gehört es zur wissenschaftlichen Erschließung der Welt, die Geltung nicht rational begründeter, religiöser, moralischer, politischer und pseudowissenschaftlicher Weltanschauungen entweder als gänzlich illegitime Dogmatismen und täuschende Ideologien aufzudecken oder sie in ihrer bloß bedingten Gültigkeit darzustellen und zu beurteilen.

Eine Veränderung der Lehre

Es ist nicht nur immer wieder gefragt worden, ob angesichts der vielfältigen Versuche Fichtes, seine Philosophie neu darzustellen, von einer „Veränderung der Lehre“ gesprochen werden könne, diese Frage ist zu einem „philosophiegeschichtlichen Zentralproblem in der Erforschung des Fichteschen Gesamtwerkes“ (W. Janke) geworden. In ihrer frühen Phase ist Fichtes Transzendentalphilosophie durch den Versuch geprägt, die Grundstrukturen des Denkens aus dem absolut freien und unbedingten Akt des SichSetzens des Ich abzuleiten. Alle Grundformen des Wissens, sowohl die logischen Urteilsformen, die erfahrungskonstitutiven Kategorien, als auch die Prinzipien praktischer Vernunft, sollen als Handlungsweisen des Ich nachgewiesen werden. Mit der Philosophie des Ich, die aus ursprünglichen Setzungsakten des Ich, den Tathandlungen, das System der Vernunft in ihrer praktischen wie theoretischen Dimension entwickelt, glaubte Fichte das Problem der Einheit der Vernunft gelöst zu haben. Auf der Grundlage der IchPhilosophie entwickelte er in den folgenden Jahren die materialen Disziplinen der Wissenschaftslehre: die Sittenlehre, die Rechtslehre u. a. Dabei zeigt sich das Verfahren eines konsequent schließenden und stringent deduzierenden Denkens aus einem Prinzip, d.h. Fichte entwickelt einen unhintergehbaren und rigorosen TranszendentalIdealismus, mit dem Anspruch, das gesamte System menschlichen Wissens aus einem Prinzip erklären und ableiten zu können.

Dieser IchPhilosophie der frühen JenaerZeit stehen die „Metaphysik“ und „Ontologie“ der mittleren und späteren Periode von Fichtes Denken gegenüber. Dieses entwickelt sich mehr und mehr zu einer „Ontotheologie“ mit „gnostischmystischem Charakter“. Gedanken wie die „Vernichtung“ von Ich und Freiheit, das Aufgehen des individuellen Ich in einem göttlichen Sein und Leben oder die Deutung der Geschichte als Ort der Offenbarung und des Heilsgeschehens göttlicher Offenbarung stehen jetzt im Mittelpunkt seiner Philosophie. Am schärfsten tritt der „Wandel“ in Fichtes Denken am Gegensatz des Verhältnisses von Sein und Ich hervor. Galt für die frühe Phase der Wissenschaftslehre, dass das Ich absolut gesetzt, das Sein dagegen als ein „Ungedanke“, als totes Projektionsresultat des sich nicht durchschauenden Denkens, negiert wurde, so wird in der Spätphilosophie umgekehrt die Vernichtung des Ich und die Absolutsetzung des Seins als Voraussetzung wahrhaften Philosophierens angenommen.

Für Oesterreich/Traub kann jedoch nur bedingt von einer „veränderten Lehre“ gesprochen werden, denn die Spätphilosophie beinhaltet eine Weiterentwicklung ursprünglicher Ideen, innerhalb derer auch die philosophische Konzeption der früheren Phase integriert und in ihrer Bedeutung erhalten geblieben ist.

Jacobis Kritik

Kein anderer Philosoph hat Fichtes Denken und Aufmerksamkeit in solchem Maße in Anspruch genommen wie F. H. Jacobi. Sein Vorwurf des Nihilismus gegen die Wissenschaftslehre und die Behauptung eines prinzipiell nicht rational erschließbaren Zugangs zu den Fundamenten geistigen Lebens waren „philosophische Brocken“, die Fichte bis in seine letzten Lebensjahre hinein keine Ruhe gelassen haben. Gerade neuere Veröffentlichungen aus dem FichteNachlass dokumentieren dies eindringlich.
Mit keinem anderen Denker außer Kant hat sich Fichte derart verbunden gefühlt wie mit Jacobi. Er hat die Jacobische Gefühls und Glaubenslehre im praktischen Teil der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre von 1794/1795 transzendental verwandelt. Reinhard Lauth, der Nestor der FichteForschung, sieht in Fichtes Wissenschaftslehre sogar „von Anfang an eine Synthesis der Konzeptionen Kants und Jacobis“. Klaus Hammacher verdanken wir die Erkenntnis, dass das berühmte Sendschreiben Jacobis an Fichte lediglich den Höhepunkt einer nie unterbrochenen Auseinandersetzung Fichtes mit Jacobi darstellt, in der sich der grundsätzliche Konflikt von Kritik und Leben widerspiegelt. Für Oesterreich/Traub ist Jacobi für den frühen Jenenser Fichte, während der Jahre des systematischen Aufbaues der Wissenschaftslehre, der Platzhalter für den auf dem transzendentalen Standpunkt notwendig abgeblendeten empirischen Realitätsgehalt des Lebens. Fichte hat diesen Realitätsverlust, den der Geist im philosophischen System erleidet, sehr wohl gesehen, und er hat in seiner „veränderten“ Lehre der Berliner Zeit das Projekt der Vermittlung von Spekulation und Leben in Angriff genommen. Dahinter steht nicht zuletzt Fichtes Überzeugung, dass die wissenschaftliche Philosophie als abstrakte Reflexionsform aus dem Leben hervorgeht und schließlich wieder in es hineinführt. Die Vernunftwissenschaft dient schließlich lediglich zur Gewissheitssicherung ursprünglicher Wahrheit, die sich in intuitiver Form schon im Evidenzgefühl des natürlichen Wahrheitssinns mitteilt. Damit ist er nahe bei Jacobis Philosophie des common sense.

Fichtes Hauptwerk

Es gibt gute Gründe, den zweiten Vortrag der Wissenschaftslehre von 1804 als das Hauptwerk der Philosophie Fichtes anzusehen. Ein großer, vielleicht der philosophiegeschichtlich bedeutsamste Teil der in den vergangenen Jahrzehnten veröffentlichten größeren und kleineren Arbeiten zur Philosophie Fichtes beschäftigt sich mit den Struktur und Sachproblemen dieser Vorlesungsreihe. Ergebnis dieser systematischen Untersuchungen ist die sich mehr und mehr verbreitende Einsicht, dass die geistesgeschichtliche Bedeutung der Philosophie Fichtes als einer originellen „Vollendungsgestalt des deutschen Idealismus“ (Janke) nicht, wie lange geschehen, ausschließlich in der IchPhilo¬sophie der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre von 1794 begründet ist, sondern vor allem auf die Systemkonzeption der Wissenschaftslehre von 1804 zurückgeführt werden muss. Denn erst in ihr kommen die Philosophie des Ich, des Wissens und des Absoluten in die durchreflektierte und stabile Balance, aus der das philosophische Gesamtwerk Fichtes seine maßgebenden Prinzipien erhält.

Forschungsrichtungen

In der seit über 100 Jahren betriebenen Forschung zur Philosophie Fichtes lassen sich zwei Hauptrichtungen ausmachen:

 Zum einen hat sich, mit Loewe und Wundt beginnend, eine Reihe von FichteForschern mit einer Analyse und Interpretation der systematischen Grundstrukturen der Wissenschaftslehre befasst. Dabei sind insbesondere die Arbeiten von Gurwitsch, Gueroult, Henrich, Lauth und Janke zu nennen. Im Mittelpunkt dieser Arbeiten steht der Versuch, die Grundlagen des Systems der Philosophie Fichtes unter der Berücksichtigung ihrer verschiedenen Entwicklungsstufen zu rekonstruieren. Diese Aufgabe stellt sich der Forschung zwangsläufig dadurch, dass Fichte selbst die Gesamtidee seiner Philosophie nicht hat vollenden können.

 Der zweite Bereich der Forschung beinhaltet eine Fülle von Einzelthemen. Es sind Fragen und Probleme der Philosophie der Moral, der Sitte und des Rechts, des Staates, der Wirtschaft und der Politik, der Bildung, der Religion und der Erkenntnis, die unter verschiedensten Hinsichten erforscht werden.

Eine der Hauptschwierigkeiten der Fichte-Forschung besteht darin, dass kaum versucht wurde, zwischen diesen beiden Forschungsrichtungen zu vermitteln. Denn im Hinblick auf die Gesamtidee der Philosophie Fichtes können die Analysen und Interpretationen zu den Grundstrukturen der Wissenschaftslehre nur als Fundamente und Ausgangspunkte, nicht aber als vollständige Durchführung und Entfaltung des Systems angesehen werden. Andererseits erhalten die Beiträge zu einzelnen Theorieaspekten der Philosophie Fichtes Sinn und Bedeutung nur aus dem systematischen Zusammenhang, in dem sie mit der Gesamtidee der Philosophie Fichtes stehen. Mit Recht hat Reinhard Lauth geurteilt, eine adäquate Interpretation der Wissenschaftslehre hänge ab von der Kenntnis bzw. „Unkenntnis seines (Fichtes) Gesamtverständnis von Philosophie“. Die Frage, die sich daraus ergibt, ist: Welches ist die ordnende und begründete Ansicht der Philosophie Fichtes, aus der heraus das Problem der Realität in seiner systematischen Bedeutung bestimmt werden kann?

Fichte hat in seiner Spätphilosophie einen Gedankenentwurf hinterlassen, die Formel von der „Fünffachheit des transzendentalen Wissens“, die es möglich macht, die Struktur seines Systems zu rekonstruieren. Glieder seiner Philosophie sind danach:

1. Das natürliche, auf dem Faktum innerer bzw. äußerer Natur begründete Realitäts¬bewusstsein.
2. Das sittlichlegalistische, auf dem Faktum sichmachender Vernunft, als Prinzip der Sittlichkeit und Legalität begründete Rechts¬bewusstsein.
3. Das moralischkünstlerische Realitätsbe¬wusstsein
4. Das Realitätsbewusstsein im Standpunkt der Religion
5. Das Selbst bzw. Realitätsgefühl der sinnlichen Gewissheit

Die letzten Gründe und das innerste Wesen der Wissenschaftslehre der mittleren und späteren Zeit sehen die Autoren in den Begriffen Liebe, Sein und Leben. Diese bringen auf je eigentümliche Weise Fichtes Philosophie des Absoluten zur Sprache.