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UNTERRICHT

Markus Tiedemann:
Philosophiedidaktik und empirische Unterrichtsforschung

Philosophiedidaktik und empirische Unterrichtsforschung
Markus Tiedemann über einen Unterrichtsversuch


Das Verhältnis von Philosophiedidaktik und empirischer Unterrichtsforschung lässt sich mit Hilfe der Gesten des Platon und des Aristoteles in Raffaels Fresko „Die Schule von Aristoteles“ darstellen. Während Platon mit erhobenem Zeigefinger dazu anhält allgemeine Prinzipien und Ideale zu verfolgen, fordert Aristoteles mit ausgestreckter Hand dazu auf, die Fülle empirischer Daten nicht zu vernachlässigen.

Traditionell pflegt die Philosophiedidaktik einen analytischhermeneutischen Zugriff auf ihre Forschungs und Lehrgegenstände. Gegenwärtig wird aber die moderne Bildungsdebatte von nahezu ökonomischen Kriterien wie Outputorientierung und Effizienz geprägt und als Legitimationskriterium von Bildungsprozessen wird ausschließlich die empirische Unterrichtsforschung akzeptiert.

Wie soll die Philosophiedidaktik darauf reagieren? Soll sie das humboldtsche Bildungsideal stilisieren und empirische Forschungsmethoden generell zurückzuweisen? Sie würde es versäumen, zwischen dem Wert eines Gegenstandes und der Güte seiner Vermittlung zu differenzieren. Unbestritten ist der Wert des Philosophierens, nicht aber der des Philosophieunterrichts. Hat ein Gemeinwesen, das in die Bereitstellung von schulischer Bildung investiert, nicht das Recht zu erfragen, ob diese auch die gewünschten Effekte zeitigt? Der Einwand, die Philosophie sei für empirische Messmethoden unzugänglich, blendet erneut den Unterschied zwischen der reinen Wissenschaft und dem Bildungsprozess ihrer Vermittlung aus. Längst ist der Unterricht in anderen Geisteswissenschaften mit durchaus interessanten Ergebnissen evaluiert worden. Längst ist man dazu übergegangen, Indikatoren zu definieren, deren Registrierung das Eintreten der untersuchten Unterrichtseffekte wahrscheinlich macht. Zwar kann die Kultivierung von Urteilskraft mit empirischen Mess¬methoden weder verbindlich nachgewiesen noch bestritten werden – sehr wohl aber können Indikatoren registriert werden, die die Aneignung von Urteilskraft mehr oder weniger wahrscheinlich machen.

Jeder Philosophielehrer, der die Möglichkeit bestreitet, philosophische Kenntnisse und Kompetenzen bewerten zu können, begibt sich in die delikate Situation, den Prozess seiner eigenen Notenfindung rechtfertigen zu müssen. Jede Philosophieklausur erhebt den Anspruch, philosophische Fähigkeiten testen und beurteilen zu können. Auch vermittelt der Philosophieunterricht ein Fachwissen, das abgefragt werden kann. Eine pauschale Zurückweisung der empirischen Unterrichtsforschung stünde der Philosophiedidaktik daher schlecht zu Gesicht.

Empirische Studien zum Philosophieunterricht

Es geht nicht um die Wahl zwischen humanistischem Bildungsideal oder empirischer Unterrichtsforschung. Es geht um ein sowohl als auch, das möglich und praktisch realisierbar ist. Im wesentlichen geht es um die Vermittlung von Wissen, Können und Haltung. Wissen ist als Erwerb von Fach und Sachkenntnissen zu verstehen. Können steht für die Aneignung von Kompetenzen und das Beherrschen fachspezifischer Methoden und Techniken. Die Haltung repräsentiert die Aneignung eines philosophischen Ethos. Während die ersten beiden Kategorien, Wissen und Können, sich testen und bewerten lassen, bleibt die Haltung dem Prinzip Hoffnung überlassen. Gleichwohl könnte über den normativen Anspruch an den Philosophie und Ethikunterricht weitgehende Klarheit erzielt werden.

Anders verhält es sich mit der Frage, wie Philosophie von Schülerschaft und Gesellschaft aufgenommen wird, was Philosophieunterricht konkret zu leisten vermag und welche Methoden, Lernarrangements und Sozialformen dazu geeignet sind. Hier hat empirische Unterrichtsforschung ihren berechtigten Ort.

Seit jeher greifen Philosophiedidaktiker auf empirische Grundlagenforschung zurück. Untersuchungen wie die von Piaget, Kohlberg oder Milgram zählen nicht nur zu den Gegenständen des Philosophieunterrichts, sie waren auch Bezugspunkt, wenn über die richtige Form des Philosophierens mit Kindern und Jugendlichen gestritten wurde. Selbiges gilt für die Shell Jugendstudien oder die PisaStudie. Forscherinnen und Forscher Barbara Born, Ulrich Gebhard, Reto Fetz oder Georg Lind haben Untersuchungen vorgelegt, die auch für Philosophiedidaktiker von Interesse sind. Und die Philosophiedidaktik selbst hat sich auf den Weg gemacht. Besondere Beachtung verdient nach wie vor der Schulversuch Praktische Philosophie, den das Land Nordrhein Westfalen in mehrjährigen Studien durch das pädagogischempirische Institut Koblenz Landau begleiten ließ und der eine in der Philosophiedidaktik noch nicht da gewesene Datenfülle sicherte. Weitere Studien folgten. Volker Steen¬block untersucht in einer umfangreichen Studie welchen Beitrag der Philosophieunterricht zur Lesekompetenz leisten kann. Die Universität Oldenburg hat ein interdisziplinäres Forschungsprojekt ins Leben gerufen, welches den Einfluss des Philosophierens mit Kindern auf die ethische Urteilskraft von Jugendlichen untersucht. Ich selbst habe den Einfluss des Philosophieunterrichts auf die ethische Orientierung von Jugendlichen analysiert. Daniela Camhy (Graz) hat die Auswirkungen des Philosophierens mit Kindern auf die Entstehung von Stereotypen und Vorurteilen untersucht. Eva Marsal (Karlsruhe) hat vergleichende Studien zu den Assoziationen und Argumenta¬tionen von japanischen und deutschen Kindern vorgelegt. Anita Rösch befragt Fachleiter danach, was diese als die Quellen, der von Ihnen erworbenen Kompetenzen ansehen. Hinzu kommt der reiche Schatz an empirisch ausgerichteten Staatsexamensarbeiten, die in den Studienseminaren der Bundesländer schlummern.

Dennoch: Auf der Ebene der empirischen Effizienzforschung steckt die Philosophiedidaktik noch in den Kinderschuhen. Auch das Vorzeigeprojekt, die empirische Begleitung des Schulversuches Praktische Philosophie hat vor allem die Akzeptanz, nicht aber die Effizienz des neuen Unterrichtsfaches gemessen. Der im Folgenden dargestellte Unterrichtsversuch kann daher als Pionierarbeit verstanden werden.

Beispiel einer empirischen Untersuchung

Ziel dieser Untersuchung war zum einen die Erhebung der philosophischen Qualität des Unterrichtsprozesses. Gemessen wurde diese an der Realisierung philosophischer Methoden. Zum anderen wurde die Effizienz des Unterrichtes bezüglich seiner Auswirkung auf die Kenntnisse, die Problembezüge und die Urteilskraft der Schülerinnen und Schüler untersucht. Das quantitative Versuchsdesign entsprach einer klassischen PrePostMessung.

Der Versuchsaufbau

Um ein Minimum an Repräsentativität zu gewährleisten, wurden drei Gruppen am Versuch beteiligt. Zwei Lerngruppen bildeten die eigentlichen Versuchsgruppen, die dritte diente als Kontrollgruppe und wurde ohne einen entsprechenden Unterricht getestet.
Gemessen wurde die Effizienz des Unterrichtes durch den Vergleich von Testergebnissen jeweils zu Beginn und am Ende der Unterrichtseinheit. Beiden Versuchsgruppen wurde der Fragebogen mit offenem Antwortformat unangekündigt vorgelegt. Anschließend durchliefen beide Versuchsgruppen die Unterrichtseinheit um abschließend mit demselben Fragebogen noch einmal konfrontiert zu werden. Keine der beiden Versuchsgruppen wusste, dass sie denselben Test noch einmal würde bearbeiten müssen. Durch den Vergleich beider Testergebnisse sowie die Analyse der Unterrichtsbeiträge sollten Veränderungen in Kenntnissen, Fähigkeiten und Haltungen der Schülerinnen und Schüler festgestellt werden. Um auszuschließen, dass die festgestellten Veränderungen allein auf die allgemeine Entwicklung der Schülerinnen und Schüler oder die Einflüsse anderer Fächer zurückzuführen sind, wurde die Kontrollgruppe hinzugezogen. Dieser wurde zu dem Zeitpunkt, an dem die beiden Versuchsgruppen den Fragebogen zum zweiten Mal bearbeiteten, der Test erstmals vorgelegt, ohne dass ein entsprechender Unterricht durchgeführt worden war. Die Erhebungen fanden jeweils in derselben Woche in den regulären Ethikstunden der Klassen statt. Der maximale Zeitabstand zwischen den Erhebungen betrug 3 Unterrichtstage.

Der Fragebogen

Kenntnisse
1. Was weißt du über die Arbeit von Genforschern? Woran arbeiten sie?

2. Erkläre bitte den Begriff Klonen!

3. Erkläre bitte den Begriff Stammzelle!

4. Erkläre bitte die Abkürzung PID!

5. Erkläre bitte den Begriff Genom!

6. Woher hast du deine Kenntnisse gewonnen?

Problembewusstsein
7. In diesem Teil geht es darum zu erfahren, was du von der weiteren Entwicklung der Biotechnologie erwartest. Bitte unterteile deine Angaben in Ängste, Hoffnungen und Erwartungen.

Beurteilung
8. Sollte aus deiner Sicht die Forschung an menschlichen Embryonen verboten werden? Bitte begründe deine Meinung!
9. Bitte beurteile den folgenden Fall. Im Bundesstaat Texas (USA) möchte ein Elternpaar ihren an Knochenkrebs erkrankten Sohn klonen lassen. Der Klon soll das lebensrettende Knochenmark spenden und dann als normales Kind zusammen mit seinem geretteten Bruder in ihrer Familie aufwachsen. Würdest du diesem Vorgehen zustimmen? Bitte begründe deine Meinung.

Die Versuchsgruppen und die Auswertung

Drei Klassen der Gesamtschule Bergedorf waren im Rahmen des Faches Praktische Philosophie am Unterrichtsversuch beteiligt. Dadurch, dass es sich um eine Gesamtschule handelt, ließ sich die Wirkung des Faches auf Schüler und Schülerinnen mit unterschiedlichen intellektuellen und sozialen Fähigkeiten beobachten.

Die Bewertung der Durchführung des Unterrichtsprozesses stützte sich auf die Beobachtungen während des Unterrichts, auf schriftliche Leistungen der Schülerinnen und Schüler sowie Tonbandaufzeichnungen der Unterrichtsgespräche. Die Erfassung und Beurteilung der Effizienz der Unterrichtseinheit stützt sich auf den Vergleich der ersten und zweiten Fragebogenerhebung. Um die Ergebnisse der Fragebögen systematisch erheben zu können, wurde eine Tabelle mit den Spalten Kenntnisse, Problembezüge und Urteilskraft verwendet.

Auswertung

Bei der Auswertung des Unterrichtsversuchs wurde zwischen der Durchführung des Unterrichts als Prozess und der Effizienz der Unterrichtseinheit unterschieden. Die Bewertung des ersteren stützt sich auf die Beobachtungen während des Unterrichts, auf die schriftliche Leistungen sowie Tonbandaufzeichnungen der Unterrichtsgespräche. Die Erfassung und Beurteilung der Effizienz der Unterrichtseinheit stützt sich auf den Vergleich der ersten und zweiten Fragebogenerhebung. Hierfür war ein deutlich umfangreicheres Instrumentarium erforderlich. Um die Ergebnisse der Fragebögen systematisch er
Ergebnisse in der Versuchsgruppe 1
Kenntnisse Problembezüge Urteilskraft
Anzahl der richtigen Antworten Genauig
keit
14 Quelle
(Nach Anzahl der Angaben) Ängste Erwartungen Hoffnungen Davon irratinal
Differen
ziertheit
1 – 4 Konsistenz

1 – 4 Begriffliche
Genauigkeit
1 – 4
Erste
Messung 1,7 1,76 TV
Zeitung Eltern 1 0,76 0,94 0,12 1,59 1,59 1,76
Zweite
Messung 4,9 3,05 Schule
TV
Zeitung 3,11 1,76 1,65 0,06 2,88 2,88 3,11
Ver
änderungen +
3,2 + 1,29 Schule
TV
Zeitung + 2,11 +
1 + 0,61 0,06 + 1,29 + 1,29 +
1,35


heben zu können, wurde eine Tabelle mit den Spalten Kenntnisse, Problembezüge und Urteilskraft verwendet. In der Spalte Kenntnisse wurde die Anzahl der richtigen Antworten auf die Fragen eins bis fünf, sowie deren Genauigkeit auf einer Skala von 1 bis 4 festgehalten. Weiterhin wurden die von den Schülerinnen und Schülern angegebenen Informationsquellen dokumentiert. In der Spalte Problembezüge wurde die Anzahl der, mit dem Unterrichtsgegenstand verbundenen Ängste, Erwartungen und Hoffnungen notiert. Darüber hinaus wurde vermerkt, wie viele dieser Aussagen als irrational bezeichnet werden können. Irrational meint hier logisch widersprüchlich und medizinischtechnisch unbegründet bzw. nicht realisierbar. In der Spalte Urteilskraft schließlich, wird die im dritten Teil des Fragebogens vorgetragene Argumentation nach Differenziertheit, Konsistenz und begrifflicher Schärfe, jeweils auf einer Skala von 1 bis 4 bewertet.

Um den Grad der Objektivität bei der Beurteilung der Schülerantworten zu überprüfen, wurden alle Messergebnisse von zwei Gutachern getrennt bewertet. Der Grad der Übereinstimmung beider Gutachter wurde an je vier Schülerarbeiten aus jeder Messung überprüft. Die Auswahl der Arbeiten erfolgte nach dem Zufallsprinzip. Wäre es zu einer starken Abweichung in der Beurteilung der Gutachter gekommen, so hätten die erfassten Daten ihre Aussagekraft verloren. Es erschien zudem sinnvoll, diese Überprüfung nicht nur einmalig, sondern in jeder Versuchsgruppe und jeder Messung durchzuführen. Es war zu erwarten, dass eine objektive Beurteilung mit steigender Komplexität der Antworten immer schwieriger werden würde. In den ersten Testergebnissen fanden sich sehr oft keine oder offenkundig falsche Antworten, während die Antworten im zweiten Test ein besseres sachliches und argumentatives Niveau besaßen. Aus diesem Grund wurden auch die Testergebnisse am Ende der Unterrichtseinheit dem Zweitgutachter vorgelegt.

Eine vergleichbare Differenz wurde aufgrund der unterschiedlichen intellektuellen Beschaffenheiten der Versuchsgruppen vermutet, weshalb ein Zweitgutachter auch für die Beurteilung jeder Versuchsgruppe herangezogen wurde. Die Beobachterübereinstimmung erwies sich als sehr hoch. Beurteilung der sachlichen Richtigkeit lag bei den Fragen 1 bis 5 stets bei hundert Prozent. Die Abweichungen in anderen Kategorien war nie größer als einen Punkt auf der Skala von 1 bis 4 (75%).

Ergebnisse

In beiden Versuchsgruppen ist neben der reinen Vermittlung von Sachkenntnissen eine deutliche Steigerung der Problembezüge und der formalen Urteilskraft zu verzeichnen. Durch die tabellarische Auswertung wird eine deutliche Steigerung in den Bereichen Problembewusstsein und Urteilskraft dokumentiert. Diese trifft auch auf die Kategorie Kenntnisse zu.

Ins Auge fällt der gravierende Wandel in der Hierarchie der Informationsquellen. Die Schule, die noch bei der ersten Messung kaum Erwähnung fand, wird nun als vorrangige Informationsquelle genannt. Auffallend ist die rückläufige Bedeutung des Fernsehens: In der Versuchsgruppe 1 sinkt die Bedeutung des Fernsehens als Informationsquelle um den Faktor 3 und in der Versuchsgruppe 2 sogar um den Faktor 8. Was die Steigerung der Problembezüge betrifft, so ist der Zuwachs der mit dem Unterrichtsgegen¬stand verbundenen Ängste, Erwartungen und Hoffnungen relativ hoch. Die artikulierten Ängste stiegen um den Faktor 2,11 in der Klasse 9f bzw. 1,23 in der Klasse 9a an. Bei den Erwartungen kam in beiden Versuchsgruppe ein Wert von 1,0 hinzu, während in der Kategorie Hoffnungen ein Zuwachs von 0,61 bzw. 0,54 zu bezeichnen ist. Bemerkenswert ist, dass die Anzahl der als irrational bewerteten Angaben auf niedrigem Niveau stagniert, obwohl die größten Zuwächse unter die Kategorie „Ängste“ fallen. Offensichtlich verbinden die Schülerinnen und Schüler den Unterrichtsgegenstand mit einer stark gestiegenen Anzahl potenzieller Entwicklungen, ohne dabei irrationalen Vorstellungen zu erliegen.

Ein ähnlich positives Bild zeigt sich im Bereich der Urteilskraft. In beiden Versuchsgruppen konnten deutliche Steigerungen in den Bereichen Differenziertheit, Konsistenz und sprachliche Genauigkeit erzielt werden. Die Steigerungen liegen zwischen 0,92 und 1,35.

Obwohl die beiden Versuchsgruppen sich auf unterschiedlichem sprachlichem und intellektuellem Niveau befinden, wird in allen Bereichen ein vergleichbarer Zuwachs erzielt. Die Frage, ob eine Beschulung in Praktischer Philosophie in Lerngruppen mit unterschiedlichen Leistungsniveaus gleichermaßen sinnvoll ist, wird durch die Ergebnisse des Unterrichtsversuchs eindeutig positiv beantwortet.

Die genannten Veränderungen sind mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Unterrichtseinheit zurückzuführen, da die Ergebnisse der Kontrollgruppe den Resultaten der Versuchsgruppen bei der ersten Erhebung entsprechen.

Fazit: Auf der Grundlage des Unterrichtsversuches lässt sich daher annehmen, dass der Unterricht im Fach Praktische Philosophie geeignet ist, die Sachkenntnisse, vor allem aber die Problembezüge und die Urteilskraft einer Lerngruppe, unabhängig von deren Leistungsniveau, deutlich zu verbessern

Kritische Anmerkungen

Der hier dargestellte Unterrichtsversuch mag zeigen, dass die Philosophiedidaktik von der empirischen Unterrichtsforschung zu profitieren vermag. Insbesondere die Effizienzmessung kann helfen den Ertrag des Philosophieunterrichtes zu erfassen. Selbstkritisch sei allerdings angemerkt, dass die Anzahl von zwei Probandengruppen und einer Kontrollgruppe eine nur echt dünne Argumentationsgrundlage bieten. Eine umfangreichere Wiederholung vergleichbarer Studien wäre wünschenswert. Zudem könnte eingewendet werden, dass die Identität des Pre und des Posttestes, die Aussagekraft der erzielten Verbesserungen relativiert. Mit Blick auf die Kategorie „Kenntnisse“ ist dies zweifelsohne richtig, zumal die entsprechenden naturwissenschaftlichen Fakten explizit im Unterricht besprochen wurden. Auf die Kategorien „Problembezüge“ und „Urteilskraft“ trifft der Einwand allerdings nicht zu, da diese Bereiche des Testbogens zu keinem Zeitpunkt der Unterrichtseinheit besprochen wurden. Dennoch hatte sich das Profil der angegebenen Problembezüge und die inhaltliche und formale Bewertung der Entscheidungsfrage messbar verändert. Was die Untersuchung der Langzeitwirkung und der Übertragbarkeit erworbener Kompetenzen auf andere Problemfelder betrifft, so sei erwähnt, dass die beiden Versuchsgruppen nach vier Monaten aufgefordert wurden, unvorbereitet zum Thema Todesstrafe schriftlich Stellung zu beziehen. Die dort gezeigte Urteilskraft wurde nach den Kriterien des Unterrichtsversuchs analysiert. Die durchschnittlichen Ergebnisse lagen nur wenig unter den Werten der zweiten Testung. Allerdings standen weder ein Zweitgutachter noch eine Vergleichsgruppe zur Verfügung.

Raffaels „Die Schule von Athen“ bleibt ein attraktives Sinnbild. Traditionelle Philosophiedidaktik und empirische Unterrichtsforschung, in Gestalt von Platon und Aristoteles, bringen ihre unterschiedlichen Ansätze durch eindeutige Gesten zum Ausdruck, ihre Blicke allerdings bleiben einander zugewandt. Während Sokrates noch diskutiert, hat Pythagoras bereits mit Begeisterung begonnen, Zahlen zu notieren. Euklid entwirft eifrig ein erstes Versuchsdesign. Diogenes und Heraklit indes begegnen den empirischen Neuerungen mit der notwendigen Gelassenheit. Während Diogenes erste Vorschläge betrachtet, stellt Heraklit nüchtern fest, dass alles im Fluss sei, eben auch die Philosophiedidaktik.

UNSER AUTOR:

Markus Tiedemann ist promovierter Philosophiedidaktiker und arbeitet gegenwärtig an einer systematischen Erfassung der bisherigen empirischen Forschungsprojekte zur Philosophiedidaktik, sowie einer kritischen Bewertung der verwendeten Methoden und der gewonnenen Resultate. Von ihm ist zum Thema erschienen:

Ethische Orientierung für Jugendliche. Eine theoretische und empirische Untersuchung zu den Möglichkeiten der praktischen Philosophie als Unterrichtsfach in der Sekundarstufe I. 256 S., kt., € 17.90, 2004, Philosophie und Bildung, Band 2, Lit, Münster.