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STELLUNGNAHMEN

Exzellenzinitiativen und die Philosophie

aus Heft 2/2012, S. 20-25

Stellungnahmen von Rainer Forst, Petra Gehring und Michael Quante

„Die Exellenzinitiative hat Auswirkungen auf das ganze Hochschul- und Wissenschaftssystem“ heißt es in einer Expertise. Welches sind die Auswirkungen im Fach Philosophie?

Rainer Forst
: In der Tat hat die Exzellenzinitiative die deutsche Hochschullandschaft stärker bewegt, als man anfangs dachte. Nicht nur die beträchtlichen Mittel, die Bund und Länder in diesem Rahmen aufbringen, tragen dazu bei, sondern auch das Renommee, das mit Erfolgen verbunden ist – woraus freilich nicht zu schließen ist, dass wissenschaftliche Exzellenz nur noch dort existiert, wo Mittel aus dieser Initiative hingeflossen sind. Aber an diesen Orten sind – je nach Fördermittel der Zukunftskonzepte, der Cluster oder der Graduiertenschulen – eine Reihe interessanter Institutionen entstanden, an denen die Philosophie beteiligt ist, auch wenn in der gesamten Initiative die Natur-, Lebens und Ingenieurwissenschaften den weitaus größten Teil des Kuchens erhielten.

Es ist nicht leicht, die Auswirkungen auf das Fach Philosophie zu bilanzieren, nicht zuletzt deshalb, weil mir zumindest entsprechende belastbare Erhebungen fehlen; so kann ich nur aus der Erfahrungsperspektive des Sprechers eines „Exzellenzclusters“ urteilen, der die neue Landschaft ein wenig kennengelernt hat, ohne zu beanspruchen, sie ganz überschauen zu können. Ich sehe ganz unterschiedliche Auswirkungen für die Philosophie, generell aber gilt, dass durch den Zuschnitt der Initiative dort, wo größere Forschungszusammenhänge oder Graduiertenschulen zustande kamen, die Philosophie deutlich in interdisziplinäre Zusammenhänge eingerückt ist. Darin liegt immer eine Herausforderung, da sich alle beteiligten Wissenschaften darauf einlassen müssen, ihre eigene Perspektive mit der der anderen zu konfrontieren und wo möglich zu kombinieren. Daraus können neue Sichtweisen entstehen, aber man muss wissen, dass „Interdisziplinarität“ nicht auch schon „Transdisziplinarität“ heißt: Ob die definierten Forschungsinteressen wirklich gemeinsame oder nur ausreichend überlappende sind und ob gar gemeinsame methodische Herangehensweisen entwickelt werden können, muss man im Einzelnen und realistisch sehen, ohne extreme Scheu und ohne vorschnelle Identitätsrhetorik. Denn die Interdisziplinarität insbesondere lebt davon, dass die einzelnen Perspektiven sichtbar bleiben und daraus produktive Kooperation entsteht. Vorteilhaft ist es freilich, dass sich die institutionelle Landschaft in Bezug auf die Projekte der Initiative generell ausgeweitet hat; die Kontakte zwischen universitärer Forschung etwa und der Forschung an Max-Planck-Instituten ist durch die Zusammenarbeit wesentlich enger geworden als zuvor, und auch das kommt der Philosophie an manchen Orten entgegen.

Es ist in einer Gesamtschau wichtig zu sehen, wie vielfältig die Beteiligungsformen der Philosophie im Rahmen der Initiative sind. Was die universitären Zukunftskonzepte angeht, so sind etwa die Kollegs hervorzuheben, die an einer Reihe von Orten entstanden sind und an denen Forschungsaufenthalte unterschiedlicher Dauer möglich sind. Das schafft Freiräume für Forschung, und davon profitieren auch Kolleginnen und Kollegen der Philosophie. Daneben sind an einer Reihe von Universitäten interdisziplinäre Forschungszentren gegründet worden, an denen die Philosophie beteiligt ist, so auch an den Technischen Universitäten, wo etwa bei Fragen der Technikentwicklung ethische Aspekte betrachtet werden. Was die Graduiertenschulen angeht, so sind Philosophinnen und Philosophen an einigen beteiligt, und in diesem Rahmen sind, ebenso wie im Kontext der Exzellenzcluster, auch einige neue Stellen bis hin zu Professuren geschaffen worden. Zusätzliche Professuren haben zumal dort, wo sie auf Dauer installiert werden, natürlich eine deutliche Auswirkung auf das Fach, aber auch die vielen Möglichkeiten, jüngere WissenschaftlerInnen auszubilden. In dem Zusammenhang wird oft eine Schwemme an DoktorandInnen beklagt, die ich aber nicht sehe; eher denke ich, dass mit entsprechenden Mitteln Promovierende besser gefördert werden können – oft an Orten, an denen es auch früher schon viele DoktorandInnen gab.

 

 


In diesem Zusammenhang ist eine weitere Auswirkung zu konstatieren: die stärkere Internationalisierung der Forschung. Die Initiative legt großen Wert auf internationale Sichtbarkeit, und Orte, an denen größere neuere Projekte entstanden sind, haben in diesem Sinne auch Aufmerksamkeit erregt, was den begrüßenswerten Effekt hat, dass wir weniger gute junge Leute an die USA etwa verlieren und einige zurückgekehrt sind. Zu hoffen ist, dass sie hier auf Dauer einen Platz finden werden, aber auch dann, wenn sie wieder ins Ausland gehen, hat dies positive Auswirkungen für künftigen Austausch, auch auf der Ebene von Studierenden.

Michael Quante: Die erste und zweite Förderlinie der Exzellenzinitiative, also die Einrichtung von Clustern und Graduiertenschulen, hat für die Philosophie vor allem die Auswirkung, die bereits vorhandene Tendenz zur fächer- und auch fakultätsübergreifenden Forschung und Graduiertenausbildung weiter zu verstärken. Aus Sicht eines Faches, das in viele sowohl geistes- als auch naturwissenschaftliche Forschungsfelder gut einbezogen werden kann, ist diese Entwicklung in doppelter Hinsicht eine große Chance: Zum einen kann die Philosophie zeigen, dass sie für nahezu alle komplexen Fragestellungen ein unverzichtbarer Kooperationspartner ist; zum anderen kann sie sich neue Themenfelder und Fragestellungen eröffnen.

Ein großes Problem, vor welches die Exzellenzinitiative in ihrer jetzigen Form nicht nur das Fach Philosophie stellt, ist darin zu sehen, dass keine langfristigen strukturellen Effekte in den Instituten des Faches selbst hervorgerufen werden. Den verbesserten finanziellen Rahmenbedingungen für Qualifikationen im Fach, dies betrifft Dissertationen und Habilitationen gleichermaßen, stehen nicht in gleichem Maße verbesserte Möglichkeiten gegenüber, in der Universität dauerhaft angestellt zu werden.

Petra Gehring: Die Initiative etabliert thematische Cluster, und sie schafft große, teils sehr große Verbünde. Offenkundig stehen Philosophen keineswegs abseits dieser Dynamik, die politisch gewollt war und auch entstanden ist: Philosophen sind mit eingestiegen, haben sich auf langfristige Teamarbeit eingelassen und richten sich methodisch wie inhaltlich entsprechend ein. Aus der Ameisenperspektive sind die Folgen ambivalent. Man kann für die Verhältnisse des Faches ungewöhnlich viel Geld ausgeben – was insbesondere heißt: Gäste haben und Nachwuchs ausbilden. Man hat aber auch die kraftraubenden Mühen der Ebenen zu bewältigen: Interdisziplinäre Verbundarbeit findet nicht unbedingt am Schreibtisch statt und es gilt viele Dinge zu sagen und zu schreiben, die (gemessen an den Standards des Faches) einen halb-populären Charakter und auch eine unklare Adressierung haben.

Wie kann sich das Fach Philosophie in solche Exzellenzcluster einbringen?

Petra Gehring
: Philosophen sind diskussionsfreudig, dankbar, wenn man ihnen zuhört und haben jede Menge Sprachkompetenz und Reflexionswissen zu bieten. Das ist in Verbünden (vor allem in der Phase der Antragsstellung) hoch willkommen. Die Frage ist, wie es dann nach Projektbewilligung weitergeht. Im besten Fall trägt die Philosophie Wesentliches für die Theoriearbeit bei und produziert regenerative Energien fürs Ganze. Im schlimmsten Fall ist man für das interne Begleitprogramm und die Reflexionsübungen von Verbund-Kollegen zuständig, gewinnt aber für die gestandene philosophische Arbeit nichts zurück – und schafft unter dem Strich weniger, als man ohne den Verbund hätte leisten können. Allerdings ist unser Fach auch wunderbar aufnahmefreudig: Aus den Anregungen eines Verbundes lässt sich philosophisch fast immer auch „eigenes“ herausziehen. Allerdings handelt es sich oft um ganz andere Dinge als die im Verbund beantragten und man gewinnt Erkenntnisse dann sozusagen nebenher.

Michael Quante: Dies kann auf so vielfältige Weise geschehen, dass jeder Versuch, auf diese Frage eine allgemeine Aussage zu geben, zum Scheitern verurteilt sein muss. Da die Philosophie zu allen anderen Disziplinen in gleicher Distanz steht, kann sie sich sowohl in klassisch geistes- als auch in gesellschafts- und naturwissenschaftliche Kontexte gut einbringen. Neben der historischen Dimension sind hier allgemein methodologische und wissenschaftstheoretische Aspekte zu nennen wie auch all die normativen Fragestellungen, die sich in unserer Gesellschaft gegenwärtig stellen; man denke nur an den Komplex der Lebenswissenschaften, der Medizin oder der Biopolitik.

Rainer Forst: Die großen Forschungscluster stellen eine besonders interessante Form der Förderung dar; sie stellt freilich die Geisteswissenschaften vor besondere Aufgaben. Denn hier muss interdisziplinär nicht nur ein gemeinsames Thema gefunden werden, sondern auch eine innovative Herangehensweise, die die beteiligten Disziplinen eint und zugleich ihnen ihren Raum belässt. Die Philosophie ist an einigen solcher Cluster produktiv beteiligt, etwa in Münster, Konstanz oder Berlin. Dort spielen philosophische Fragen zum Verhältnis von Religion und Politik, zur Integration moderner Gesellschaften, zur Analyse von Gefühlen oder zum Verständnis der Antike eine wichtige Rolle.
Frankfurt mag dabei – mit allem Vorbehalt der Parteilichkeit – eine besondere Rolle einnehmen, da hier mit dem Thema der „Herausbildung normativer Ordnungen“ und zentralen methodischen Begriffen wie „Rechtfertigungsordnung“ oder „Rechtfertigungsnarrativ“ die philosophische Rekonstruktion der Binnenperspektive in normativ geltenden Ordnungen ins Zentrum des Unternehmens rückt (vgl. dazu Information Philosophie 4/2011, S. 120ff.). Das ist nicht selbstverständlich. Denn man könnte zwar meinen, dass die Sozial-, Rechts- und Geschichtswissenschaften mit der politischen Philosophie etwa ein gemeinsames Thema in der Analyse der Herausbildung normativer Ordnungen immer schon haben und man diese Perspektiven nur zusammenbringen müsste. Aber von der empirischen politikwissenschaftlichen Beschreibung und Analyse solcher Prozesse, etwa im transnationalen Raum, führt kein direkter Weg zu der Frage, was denn in diesem Raum Gerechtigkeit heißt bzw. heißen kann und soll; hier muss die Geltungsperspektive als eine eigene ins Spiel kommen, und das heißt, dass die empirische und die normative Perspektive spannungsreich zusammenkommen müssen, auch wenn in vielen unserer Forschungen das empirische Material selbst aus Normen oder auch normativen Einstellungen besteht. Die philosophische Geltungsfrage ist etwas Besonderes, und sie muss auch in diesem Projekt als eine besondere erhalten werden. Ich denke mit meinen KollegInnen, dass dies gelingen kann und viele neue Möglichkeiten der Kooperation eröffnet.

Die Mittel, die ein Cluster bietet, erlauben es in dem Fall, in dem die jeweilige Universität die Nachhaltigkeit dieser Schwerpunktsetzung unterstützt, neue Professuren zu schaffen. Die sind in Frankfurt gleich mehrere mit philosophischen Schwerpunkten, etwa die Professur für Praktische Philosophie, die für Internationale politische Theorie oder die für Gender/Postkoloniale Studien. In dem Fall, in dem der Cluster verlängert wird, sollen weitere Professuren mit rechtsphilosophischen Schwerpunkten etabliert werden. Insgesamt ist es hier – mit zugegeben guten Ausgangsbedingungen – gelungen, einen wirklichen „Cluster“ philosophischer Forschung zu bilden, zu dem unter den Hauptantragstellern neben den Sprechern K. Günther und R. Forst u.a. die KollegInnen N. Dhawan, S. Gosepath, A. Honneth, M. Lutz-Bachmann, C. Menke, P. Niesen, T. Schmidt, M. Seel, M. Willaschek gehören – von den vielen jüngeren WissenschaftlerInnen gar nicht erst zu reden. Hier hat sich die Philosophie nicht nur in ein Projekt „eingebracht“, sondern die Frage der Normativität wurde selbst zum Kern gemacht.

Befürchtet wird, dass es auch für die Philosophie zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft kommt: Universitäten mit hochrangiger Forschung und Universitäten, die sich auf die Lehre konzentrieren. Ist dies zu erwarten und wäre dies so negativ?

Petra Gehring: Eine Zweiteilung könnte drohen – die einen erhalten zusätzliche Ressourcen und Nachwuchswissenschaftler/innen, die anderen nicht. Allerdings scheint mir nicht ausgemacht, wo die „hochrangige“ Forschung am Ende sitzen wird. Denkbar ist auch folgendes Bild: Die einen werben die Mittel ein (sind aber überbeschäftigt), die anderen konzentrieren sich auf die wirklich interessanten Themen (haben Zeit am Schreibtisch) und sind dann immer mal wieder als eingeladene Gäste, Fellows, kurz: als die eigentlichen Ideengeber bei den anderen zu Besuch.

Michael Quante: Diese Frage zielt auf ein großes Problem, ist aber in doppelter Hinsicht falsch gestellt: Erstens hat es auch schon vor dem Start der Exzellenzinitiative eine ‚Mehr-Klassen-Gesellschaft’ gegeben. Hier kann also höchstens ein bereits bestehender Trend verstärkt worden sein. Zweitens möchte ich bezweifeln, dass der angesprochene Klassengegensatz global auf der Ebene der Universitäten angemessen verortet ist. An manchen Standorten ist es doch eher so, dass die so genannten Geisteswissenschaften, zu denen dann — fälschlicherweise wie ich meine — auch die Philosophie gezählt wird, als Lehrbetrieb angesehen und andere Fakultäten als forschungs-, weil drittmittelstark gelten.
Die generelle Abkopplung von Forschung und Lehre ist, dies gilt für die universitäre wie für die Ebene von Fakultäten oder einzelner Fächer, immer eine Fehlentwicklung gewesen, die man später mühsam zu korrigieren hatte oder haben wird. Die Einrichtung von Lehrprofessuren oder Lehrkräften mit besonderen Aufgaben, deren Stellenprofil eine Forschungstätigkeit im Rahmen der Stelle nahezu ausschließen, ist ein sehr kritisch zu betrachtendes Symptom. Allerdings soll hiermit nicht gesagt sein, dass diese Entwicklung ein Nebeneffekt der Exzellenzinitiative ist. Aber auch hier verstärken die finanziellen Möglichkeiten selbstverständlich unabhängig bereits vorhandene Tendenzen.
Neben den Effekten auf den oberen Ebenen produziert die Exzellenzinitiative auch in den einzelnen Fächern, d. h. innerhalb der einzelnen Institute, Gewinner und Verlierer. Es liegt auf der Hand, dass damit eine große Herausforderung für die Funktions- und Leistungsfähigkeit der jeweiligen Philosophischen Institute oder Seminare einhergeht. Auch hier gilt aber, dass die Exzellenzinitiative diese Effekte des Wettbewerbs nur verstärkt hat. Es wäre also unredlich, dieser Förderform etwas anzukreiden, was bildungspolitisch auf ganz anderer Ebene eingefordert worden ist.

Rainer Forst: Es wäre wie eingangs gesagt falsch, nur dort erstklassige Forschung zu vermuten, wo Projekte der Exzellenzinitiative anzutreffen sind. Die gibt es auch anderswo. Und das wird auch so bleiben, auch wenn bestimmte Konzentrationsbewegungen nicht erst seit 2007 zu verzeichnen sind. Das hängt auch mit Landesentscheidungen und neuen Studiengängen etc. zusammen. Aber die akademische Kultur insgesamt würde leiden, wenn es nur noch wenige produktive Zentren gäbe, in denen geforscht würde, denn das wäre nicht nur für die Lehre, sondern auch für den wissenschaftlichen Nachwuchs schlecht, der sich an „Lehruniversitäten“ wiederfände. Forschung und Lehre müssen generell zusammenkommen. Richtig aber ist es, mehr Mut zu Schwerpunktbildungen zu beweisen. Nicht nur an großen philosophischen Instituten kann es gelingen, mehr als einen renommierten Experten für ein Thema zu haben, und daraus können wichtige Dynamiken entstehen.

Wie sehen Sie die Gefahr, dass die Philosophie durch die Teilnahme an solchen Initiativen von ihren eigentlichen Fragen abgedrängt wird?

Michael Quante
: Um diese Gefahr überhaupt sehen zu können, müsste erst einmal geklärt sein, was die „eigentlichen“ Fragen der Philosophie sind. Mögliche Antworten können hier bekanntlich von „Rekonstruktion des Arguments x im Werk des Philosophen y“ bis hin zum „Praktischwerden der politischen Philosophie“ oder zur „Hilfe bei der Lebensführung“ reichen. Generell gilt, dass kein Fach seriös disziplinenübergreifend oder anwendungsorientiert arbeiten kann, ohne über exzellente Kompetenzen in der Grundlagenforschung zu verfügen. Dies ist auch für die Philosophie nicht anders.

Finanzielle Anreize, die der Forschung aus Programmen wie der Exzellenzinitiative gegeben werden, werfen zwei — miteinander zusammenhängende — Probleme auf: Erstens kann es durch die Attraktivität dieser Programme dazu kommen, dass die Fragestellungen dieser Forschungsverbünde nicht genuin aus den Disziplinen erwachsen, sondern sich nach gesellschaftlichen Konjunkturen richten. Dass die Wissenschaft solche transdisziplinären Herausforderungen annimmt, ist sicher richtig. Die Frage ist nur, in welchem Ausmaß dies geschieht. Zweitens kann sich das Problem ergeben, dass durch diese Anreizstruktur die Balance zwischen grundlagenorientierter, angewandter oder interdisziplinärer Forschung in einem Fach verloren geht. Damit muss sich jedes Fach, auch die Philosophie, kritisch auseinandersetzen.

Rainer Forst: Diese Gefahr sehe ich als nicht sehr groß an, denn die KollegInnen, die ich als Mitglieder solcher Verbünde kenne, sind selbstbewusst genug, um ihr Fach nicht als Magd anderer Wissenschaften zu verkaufen. Freilich müssen auch Universitätsleitungen und Ministerien sehen, dass die Existenz philosophischer Institute nicht von kurzfristigen Drittmittelerfolgen abhängig gemacht werden darf, und sie sollten keinen falschen Druck aufbauen. Diese Gefahr sehe ich als real an.

Petra Gehring: Ich sehe zwei Gefahren. Die eine betrifft die Themenwahl. Verbundforschung sorgt für eine philosophisch gesehen schwerfällige, über fünf oder gar zehn Jahre hinweg vorgreifende Taktung von Themen – und auch Kompromisse bei der Themenwahl: Wie will man Geld ausgeben, wenn man ein Teilprojekt nicht so anlegt, dass man arbeitsteilige Themenblöcke bildet und Arbeitspakete „delegiert“? Dergleichen ist im philosophierenden Kopf und auf dem Papier schlecht zusammenzuführen. Man erhält Dissertationen, Aufsatzbände, aber beispielsweise nur noch schwer Monographien zum „ganzen“ Thema.

Die andere Gefahr ist gravierender. Sie betrifft die Widmung und Besetzung von Professuren. Philosophische Institute sind klein. „Profilbildung“ für „Exzellenz“, also Stellenbesetzung zugunsten monothematischer Verbünde, kann hier tödlich sein, zumal wenn man im Rahmen der – in Verbünden mit allerlei Kompromissbildung einhergehenden – Berufungsverfahren auf die philosophisch Kernausbildung verzichtet und dann vermeintlich maßgeschneiderte, interdisziplinär sozialisierte Personen beruft. Diese Leute erlauben es dem Verbund zu punkten, können in der Philosophie jedoch nicht mithalten und schwächen das Fach. Mittelfristig ruiniert eine „Verclusterung“ der Ausrichtung von Philosophie-Stellen nicht nur den inneren Schwung der (ja stets fragil auszubalancierenden) Institute. Sie schadet auch der betroffenen Universität.

UNSERE AUTOR(INN)EN

Rainer Forst ist Professor für Politische Theorie und Philosophie sowie Sprecher des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ an der Universität Frankfurt a. M. Petra Gehring ist Professorin für Philosophie an der Universität Darmstadt und Sprecherin des Graduiertenkollegs „Topologie der Technik“. Michael Quante ist Professor für Philosophie an der Universität Münster, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Philosophie und Mitglied des Exzellenzclusters „Religion und Politik“.