in Heft 4/2013, S. 8-13
1. Objektivität und Werte
Der Vorstellung einer wertfreien Wissenschaft und der Beschränkung der Erkenntnis auf den Bereich des Tatsächlichen liegt die Festlegung auf Objektivität zugrunde. Objektive Merkmale sind Teil der Phänomene und damit unabhängig von unseren Wünschen und Befürchtungen. Im Gegensatz dazu sind Werte subjektiv; sie hängen von unseren Wahlentscheidungen ab. Es ist daher durchaus naheliegend, das Eindringen von Werten als eine Bedrohung der Objektivität der Wissenschaft zu betrachten.
Der Begriff der Objektivität wurde von Francis Bacon geprägt. Bacons Begriff betont die wahrheitsgemäße Repräsentation der Phänomene und verlangt vom Wissenschaftler Neutralität und Distanz zum Forschungsgegenstand. Subjektive Werthaltungen stehen im Gegensatz zu diesem Objektivitätsverständnis. Bacons Objektivitätsbegriff ist individuum-zentriert. Zwar können Forschungsaufgaben auf eine Mehrzahl von Wissenschaftlern verteilt werden, aber der Wechselwirkung zwischen verschiedenen Wissenschaftlern wird keine besondere Bedeutung beigemessen. Arbeitsteiligkeit wird betont, nicht Interaktion.
Aber Wissenschaft lässt sich nicht ausschließlich durch den Bezug auf das Tatsächliche erfassen. Vielmehr werden in der Wissenschaft Leistungen von Theorien verlangt, die über die Übereinstimmung mit den Tatsachen hinausgehen. Dabei ist von epistemischen oder kognitiven Werten die Rede. Thomas Kuhn hat dazu „Listenmodelle“ zur Bestätigung wissenschaftlicher Theorien eingeführt. Kuhns Liste von Werten enthielt unter anderem Genauigkeit, Widerspruchsfreiheit und Anwendungsbreite. Danach wurde eine Vielzahl anderer Listen entwickelt, darunter von Helen Longino, die etwa Neuartigkeit, ontologische Heterogenität und Anwendbarkeit auf menschliche Bedürfnisse als Maßstäbe für die Beurteilung wissenschaftlicher Theorien angibt. Insgesamt geht es bei epistemischen Werten darum, bestimmte Formen von Erkenntnis und Erkenntnisgewinnung auszuzeichnen. „Wertgeladenheit“ von Wissenschaft meint dabei, dass Werte einen Einfluss darauf ausüben, was als wissenschaftliches Wissen akzeptiert wird.
2. Die pluralistische Objektivitätskonzeption
Im Gegensatz zu Bacons Festlegung auf abwägende Neutralität können wir einen tiefgreifenden Pluralismus in der Wissenschaft beobachten, der Theorien und Werte umfasst. Karl Popper und Imre Lakatos haben eine pluralistische Objektivitätskonzeption eingeführt, die um wechselseitige Kritik und gegenseitige Kontrolle kreist und Vorteile aus dem pluralistischen Ansatz zu ziehen versucht. Dieser Ansatz konzentriert sich auf die sozialen Beziehungen zwischen Wissenschaftlern, die wechselseitig ihre gegensätzlichen Theorien kritisieren. Wissenschaftliche Kontroversen sind ein exzellentes Instrument, um bei Wissenschaftlern blinde Flecken zu identifizieren und einseitige Denkansätze sowie wackelige Grundsätze aufzudecken. Solche Defizite werden am besten dadurch gefunden, dass man eine entgegengesetzte Position einnimmt. Aus diesem Grund ist Pluralismus im epistemischen Interesse der Wissenschaft; er trägt dazu bei, die Verlässlichkeit wissenschaftlicher Resultate zu erhöhen. Im Gegensatz zur Baconschen Objektivitätskonzeption ist der pluralistische Ansatz aber wesentlich sozial. Er lebt davon, Fehler dadurch zu korrigieren, dass man einen anderen Standpunkt einnimmt und verlangt entsprechend einen Austausch von Ansichten und Argumenten unter den Wissenschaftlern.
Pluralismus ist bei der Annahme von theoretischen Grundsätzen und Werthaltungen viel weiter verbreitet als oft angenommen wird. Feministische Archäologie ist ein Beispiel. Die traditionelle Archäologie betonte die männliche Perspektive und vernachlässigte dadurch die Rolle von Frauen in der Vorgeschichte. Zum Beispiel unterschied man herkömmlich zwischen dem Mann als dem Jäger und der Frau als der Sammlerin. Erst weibliche Archäologen brachten ans Licht, dass eine große Zahl von Daten dafür sprach, dass die prähistorische Frau an Jagd und Kriegführung beteiligt war. Diese Befunde waren konsequent ignoriert worden. Gräber von Frauen mit Pfeil und Bogen und mit Schwertern als Grabbeigaben waren gefunden, aber nicht als Anzeichen dafür anerkannt worden, dass Frauen auf die Jagd gegangen und eine Rolle in Kriegen gespielt hatten. Inzwischen haben systematische Untersuchungen zu Tage gefördert, dass charakteristische Abnutzungserscheinungen im Schulterbereich, die auf den regelmäßigen Gebrauch von Pfeil und Bogen zurückgehen, bei prähistorischen Frauen mit etwa der gleichen Häufigkeit vorhanden sind wie bei Männern. Es wurde deutlich, dass die Archäologen unbewusst das vorherrschende Familienmodell ihrer eigenen Zeit zur Deutung der vorzeitlichen Überreste herangezogen hatten, das Modell nämlich des außer Haus für den Lebensunterhalt sorgenden Mannes und der um das Haus besorgten Frau. Weibliche Archäologen stellten eine neue Perspektive bereit, die einen ganz anderen Sinn aus den fossilen Resten machte.
Dieses Beispiel soll zwei Punkte verdeutlichen. Erstens hat die Verfolgung alternativer Denkansätze die Erkenntnisleistung der Wissenschaft verbessert. Diese alternativen Ansätze haben verborgene Voraussetzungen zutage gefördert, neue Fragen veranlasst und neue Forschungslinien nahe gelegt. Die Weiterverfolgung der feministischen Alternative hat daher ein vertieftes und vollständigeres Verständnis der archäologischen Befunde ermöglicht. Zugleich ist zweitens dieser Erkenntnisfortschritt nicht dadurch erreicht worden, dass ein einseitiger Ansatz durch einen neutralen oder ausbalancierten Ansatz ersetzt worden wäre. Vielmehr beinhaltet das feministische Wissenschaftsprogramm ebenfalls ein soziales Rollenmodell oder politische Werte. Jetzt ist es das Rollenmodell des arbeitenden Paares und der politische Wert der Gleichheit der Geschlechter, die die Theoriebildung anleiten. Erkenntnisfortschritt ist auch dann möglich, wenn soziale oder politische Werte zum Tragen gebracht werden.
3. Die Tragweite des Pluralismus für die Erkenntnisleistung
Pluralismus in der Forschung kann also zur Erhöhung der Objektivität beitragen. Allerdings erlaubt es die pluralistische Vorstellung von Objektivität jedem Wissenschaftler, im Rahmen seines Lieblingsprogramms vorzugehen und Werte eigenen Beliebens zum Tragen zu bringen. Nun kennen wir wissenschaftliche Untersuchungen, deren Glaubwürdigkeit durch unangebrachte Parteilichkeit untergraben wird. Solche Untersuchungen werden nicht als Teil guter wissenschaftlicher Praxis betrachtet, sondern als verfehlt zurückgewiesen. Torsten Wilholt spricht von einem „Preference Bias“. also einer Einseitigkeit der Präferenzen, wenn sich die Vorlieben der Forscher auf „illegitime Weise“ im Ergebnis widerspiegeln. Forschungsresultate, die unter einer solchen Einseitigkeit leiden, werden in der wissenschaftlichen Gemeinschaft nicht anerkannt.
So werden Untersuchungen auf eine solche Weise angelegt, dass sie für relevante Faktoren weniger empfindlich sind, als sie es sein könnten. Eines von Wilholts Beispielen betrifft die Abschätzung der Gesundheitsrisiken von Bisphenol A, dessen biochemische Wirkungen dem Östrogen gleichen. Zu dieser Untersuchung wurde ein Stamm von Ratten eingesetzt, der besonders unempfindlich gegen Östrogen ist (Wilholt 2009, 93). Wilholt hält ganz zu Recht diese Studie für methodologisch fehlerhaft oder für epistemisch defizient und nicht etwa für einen berechtigten Ausdruck von Werten, die viele bloß nicht teilen. Danach treten einseitige Präferenzen dann auf, wenn Maßnahmen, die in der wissenschaftlichen Gemeinschaft epistemisches Vertrauen erzeugen sollen, diese Wirkung verfehlen (Wilholt 2009, 92, 98-99). Aber das führt auf die grundlegende Frage, durch welche Maßnahmen es gelingt, epistemisches Vertrauen zu fördern. Umgekehrt gefragt: Was macht eigentlich die epistemische Haltung aus, die durch einseitige Untersuchungen wie die genannten untergraben wird?
Der Vorwurf der Einseitigkeit von Präferenzen scheint zunächst im Konflikt mit einem pluralistischen Objektivitätsverständnis zu stehen. Nach diesem nämlich ist es gänzlich legitim, unterschiedliche Standpunkte einzunehmen, so dass keiner dieser besonderen Standpunkte ausgeschlossen werden kann. Tatsächlich kann aber der Pluralismus dieser Herausforderung gerecht werden. Es könnte vielversprechend erscheinen, hierfür die epistemischen Werte heranzuziehen, die in Abschnitt 1 skizziert wurden. Schließlich umreißen diese Werte, welche Art von Wissen wir für wissenswert halten. Aber dieser Versuch führt aus mehreren Gründen nicht weit. Erstens sind die genannten Werte vielfältig und gegensätzlich. Das Streben nach Präzision passt oft nicht gut mit dem Ziel eines großen Anwendungsbereichs zusammen; das Streben nach Bewahrung früherer Errungenschaften der Wissenschaft bildet unter Umständen einen Gegensatz zur Betonung der Gewinnung neuen Wissens. Zweitens müssen viele dieser Werte präzisiert werden, wenn sie eindeutige Urteile in besonderen Fällen anleiten sollen. Das zeigt sich an der Schwierigkeit, unter den genannten epistemischen Werten solche zu finden, die illegitime Einseitigkeit identifizieren und damit methodologische Fehler der vorhin erläuterten Art ausschließen könnten. Der Pluralismus erstreckt sich auch auf epistemische Werte, und dieser Umstand vereitelt Bemühungen, den Begriff des epistemischen Vertrauens auf seiner Grundlage zu rekonstruieren. Es gibt keine einhelligen Intuitionen dazu, wie eine exzellente wissenschaftliche Hypothese oder Theorie aussehen sollte.
Vielmehr ist der Missgriff, der sich in den fraglichen Untersuchungen findet, von anderer Art. Er besteht darin, dass diese Untersuchungen nicht diejenigen Fragen beantworteten, die sie vorgeblich behandeln. Im Fall von Bisphenol A war der strittige Punkt, ob ein Gesundheitsrisiko für den Menschen besteht. Dieser Punkt wird aber gerade umgangen, wenn man eine besonders robuste Rattenrasse auswählt. Das Gleiche gilt für den Vergleich von intravenös und oral verabreichten. Die hier verwendeten Verfahren sind nicht generell unangemessen oder nachlässig. Vielmehr können sie ausschließen, dass man fälschlich annimmt, es lägen Gesundheitsrisiken vor, während tatsächlich keine bestehen. Aber die Frage, die sie vorgeblich beantworten, ist die umgekehrte, nämlich auszuschließen, dass man irrtümlich glaubt, das Medikament sei sicher, während es tatsächlich gesundheitliche Nebenwirkungen hat. Das von ihnen nahe gelegte Resultat ist, dass keine Gesundheitsrisiken vorhanden sind. Der methodologische Fehler besteht hier darin, unter falscher Flagge zu segeln. Solche methodologischen Irrgänge oder Irreführungen können durch Pluralismus korrigiert werden. Eine Untersuchung der analysierten Art wird dann ergänzt durch eine andere Studie, die das Problem der Gesundheitsrisiken aufgreift. Da es keine allgemeine Regel gibt, welche Fragen angemessen zu stellen sind, ist Pluralismus tatsächlich das einzige Mittel zur Herstellung einer solchen Balance.
Ähnlich kann der Mertonsche Wert der Interessefreiheit pluralistisch rekonstruiert und als durch die wissenschaftliche Gemeinschaft realisiert aufgefasst werden. Robert Merton hat ein System von „kulturellen Werten“ angegeben, das wesentlich für das „Ethos der Wissenschaft“ sein soll. Darin enthalten ist der Wert der Interessefreiheit, demzufolge die Wissenschaft nicht bestimmte Ergebnisse vor anderen bevorzugt. Dieser Imperativ richtet sich aber an die Wissenschaft als Institution, nicht an einzelne Forscher. Die wissenschaftliche Gemeinschaft soll keine solchen Vorlieben haben, während individuelle Wissenschaftler durchaus danach streben können, Ergebnisse bestimmter Art zu erzielen. Die Interessefreiheit der wissenschaftlichen Gemeinschaft als Ganzer wird aber verkörpert durch den Gegensatz und die Auseinandersetzung zwischen konkurrierenden Denkschulen. Die Gemeinschaft teilt sich in kontroverse Ansätze auf und enthält deshalb keine gemeinsame Präferenz besonderer Forschungsresultate.
4. Die epistemische Haltung
Die beiden vorangehenden Abschnitte sollten zeigen, dass Pluralismus etwas zur Förderung von Objektivität beizutragen hat. Insbesondere kann das Problem der illegitimen Einseitigkeit und die Natur wissenschaftlicher Interessefreiheit in einem pluralistischen Rahmen rekonstruiert werden. Jedoch ist die pluralistische Vorstellung von Objektivität unzureichend, um die Objektivität der Wissenschaft sicherzustellen. Pluralismus muss verwurzelt sein in oder beschränkt sein durch die „epistemische Haltung“, wie ich sie nennen will. Diese Haltung läuft darauf hinaus, Wissen anzustreben, das bestimmte epistemische Auszeichnungsmerkmale aufweist. Der das Kontroverse in den Vordergrund rückende Pluralismus, der wesentliche Teile wissenschaftlicher Rationalität bestimmt, muss also gezügelt und befriedet werden durch ein gemeinsames Streben nach Übereinstimmung. Der Pluralismus kommt dann an ein Ende und weicht dem Konsens.
Um welche epistemischen Auszeichnungsmerkmale geht es? Einer der kritischen Faktoren, die einen solchen Konsens befördern, ist der gemeinsame Appell an die Erfahrung und die Verpflichtung auf Widerspruchsfreiheit. Wissenschaftler teilen das Ziel, konsistentes, verlässliches, erfahrungsgestütztes Wissen zu gewinnen. Die vielleicht nahe liegende Möglichkeit, die vorgenannten epistemischen Werte als die relevanten Auszeichnungsmerkmale zu betrachten, wird durch deren Vielfalt und Gegensätzlichkeit ausgeschlossen. Übereinstimmung muss deshalb auf einer anderen Ebene gesucht werden. Diese Ebene besteht in geteilten Anforderungen daran, wie Wissensansprüche in der Wissenschaft behandelt werden sollten. Bestimmte Regeln dafür, wie solche Behauptungen in der wissenschaftlichen Gemeinschaft erörtert und geprüft werden sollten, sind breit akzeptiert. Solche Regeln können zur Charakterisierung der epistemischen Haltung dienen.
Ein Beispiel sind Verfahrensstandards, die Longino für den Prozess der kritischen Prüfung in der Wissenschaft vorgeschlagen hat. Eine ihrer Forderungen ist die Aufnahme von Kritik und die angemessene Reaktion auf Einwände (Longino 1993, 267; Longino 2002, 129-130). Danach drückt sich der epistemische Geist der Wissenschaft darin aus, Herausforderungen ernst zu nehmen und ihnen zu begegnen zu versuchen. Ein anderer von Longinos Verfahrensstandards ist die „Gleichheit der intellektuellen Autorität“. Diese Gemeinschaftsregel soll persönliche und institutionelle Machtspiele ausschließen; Argumente sollten unabhängig von Hierarchien Beachtung finden. Überzeugungskraft sollte zählen, nicht die Unterdrückung aufkeimender Positionen (Longino 1993, 267; Longino 2002, 131).
Solche Verfahrensregeln sind ebenfalls mit Werten verflochten, aber mit Werten anderer Art, nämlich mit sozialen Werten der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Dabei handelt es sich um epistemische Werte eines besonderen Typus. Sie beziehen sich auf die erkenntnisorientierte Art der Behandlung von Wissensansprüchen und sind stabiler als die vorgenannten epistemischen Festlegungen. Der Grund ist, dass soziale Standards des Umgangs mit Hypothesen unbeeinträchtigt davon bleiben, was von einer guten Erklärung, einer exzellenten Theorie oder einem aussagekräftigen Experiment genau verlangt wird. Deshalb sind solche sozialen Werte der wissenschaftlichen Gemeinschaft für die Konsensbildung besonders geeignet.
5. Schluss
Diese Diskussion führt zu drei Schlussfolgerungen. Erstens beeinträchtigt Pluralismus die wissenschaftliche Objektivität nicht, sondern ist im Gegenteil ein Mittel, Objektivität zu erreichen. Eine pluralistische Vorstellung von Objektivität kann einschlägige Intuitionen rekonstruieren. Jedoch gibt es zweitens Grenzen für eine Begründung von Objektivität durch pluralistischen Gegensatz allein. Pluralismus kann nämlich nicht einem wesentlichen Charakteristikum der Wissenschaftspraxis Rechnung tragen, nämlich der Konsensbildung. Politische und religiöse Konflikte halten tendenziell unaufhörlich an und kommen allenfalls zum Stillstand, wenn die beteiligten Parteien ihrer überdrüssig geworden sind. Hingegen kommen wissenschaftliche Kontroversen häufig zu einem durch inhaltliche Gründe bestimmten Abschluss. Wissenschaftler bewegen sich nicht selten in ihren Auffassungen aufeinander zu. Zur Erklärung dieser Übereinstimmung ohne Zwang oder dieser freiwilligen Konsensbildung ist der Rückgriff auf geteilte Ansprüche oder gemeinsame Festlegungen unabdingbar.
Was drittens wissenschaftlichen Gemeinschaften gemeinsam ist, ist ihre epistemische Haltung, also ihre Festlegung auf die Gewinnung objektiven Wissens. Meiner Auffassung nach nimmt diese epistemische Haltung die Form von Verfahrensregeln der wissenschaftlichen Gemeinschaft an. Die epistemische Haltung zielt nicht direkt auf den Prozess der Hypothesenbeurteilung, sondern stattdessen auf Verfahren des Umgangs mit solchen Beurteilungen. Im Besonderen findet eine solche Haltung ihren Ausdruck darin, wie mit abweichenden Meinungen und empirischen Problemen umzugehen ist, wie Kritik aufzunehmen ist und wie Hierarchien innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft zum Tragen gebracht werden. Konkret sollen Argumente im Vordergrund stehen und eine Unterstellung der Gleichheit intellektueller Autorität herangezogen werden. Die epistemische Haltung bezieht sich entsprechend auf Regeln des Umgangs mit der Widerständigkeit der Natur und der Opposition von Kollegen. Gemeinsame Werte werden daher am Ende doch benötigt, aber diese beziehen sich auf Regeln für die Prüfung von Behauptungen.
UNSER AUTOR:
Martin Carrier ist Professor für Philosophie der Wissenschaften an der Universität Bielefeld.
Im Text zitierte Literatur:
Longino, Helen E. (1993), “Essential Tensions—Phase Two: Feminist, Philosophical, and Social Studies of Science,” in: L.M. Antony, & C. Witt (eds), A Mind of One’s Own. Feminist Essays on Reason and Objectivity, Boulder: Westview Press, 257-272.
Longino, Helen E. (2002), The Fate of Knowledge, Princeton: Princeton University Press.
Wilholt, Torsten (2009), “Bias and Values in Scientific Research,” Studies in History and Philosophy of Science 40, 92-101
Die ungekürzte Fassung erscheint unter dem Titel “Values and Objectivity in Science: Value-Ladenness, Pluralism and the Epistemic Attitude,” in Science & Education 22 (2013), 2547-2568.