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Augustins Frauenbild

Augustins Frauenbild

 

Augustin gilt als einer der christlichen Autoren, die eine stereotype und undifferenzierte Typologie der Geschlechter vertreten haben. Man wirft ihm auch vor, mitverantwortlich für die Jahrhunderte währende männliche Dominanz im christlichen Kulturkreis zu sein. Doch die Untersuchung von Dagmar Kiesel

 

Kiesel, D.: Lieben im Irdischen. Freundschaft, Frauen und Familie bei Augustin, 517 S., Ln., € 54.—, 2008, Symposion 130, Alber, Freiburg

 

zeigt, dass dieses Pauschalurteil der Weigerung entspringt, sich auf das Welt- und Menschenbild der spätantiken Epoche einzulassen, sowie dem Bestreben, eigene zeitgemäße Anschauungen und Erkenntnisse der hi­storischen Vergangenheit überzustülpen. Vergleicht man hingegen die Geschlechtertypologie des Augustinus mit anderen Philosophen und Kirchenlehrern, so kommt man zu einem differenzierten und milderen Urteil.

 

Für Aristoteles sind Frauen in zweifacher Hinsicht Mängelwesen: zum einen können sie sich im Mutterleib nicht zum vollendet menschlichen Zustand ausbilden, weshalb sie gleichsam unvollständige Männer sind. Zum anderen sind sie als geschlechtsreife Frauen nicht in der Lage, Samen zu produzieren, der das Potenzial zur Ausbildung eines Menschen enthält. Derjenige, der die Form des zukünftigen Menschen zur Verfügung stellt, ist ausschließlich der Mann, während die Frau lediglich für die stoffliche Ausstattung in Form der Ernährung zuständig ist.

 

Dieser fatale biologische Irrtum bildete über Jahrhunderte die Basis für die Abwertung alles Weiblichen und beförderte in Philosophie und Theologie einen anthropologischen Dualismus, der mit dem ontologisch-metaphy­sischen Dualismus von Geist und Körper, Ordnung und Chaos, Vernunft und Affekten korrespondierte und die negative Seite jeweils dem Weiblichen, die positive aber dem Männlichen zuordnete. Während die Frauen zur sinnlichen, irrationalen und physischen Welt gerechnet wurden, zählte der Mann zur intelligiblen, rationalen und schöpferischen Sphäre des Geistes.

 

Augustinus setzt bei der Frage nach der Frau zwei Prämissen voraus: Die Frau ist gleich dem Mann gewollte und bejahte Kreatur des göttlichen Schöpfers und erfüllt als solche eine Aufgabe, der nur ihre besonderen weiblichen Fähigkeiten gerecht werden können. Ausdrücklich wendet er sich gegen den Versuch, die Weiblichkeit als Folge der Ursünde zu sehen. Für ihn ist die Frau Teil des ursprünglichen Schöpfungsplanes. Deutlich distanziert er sich von der aristotelischen Auffassung, die Frau sei ein unvollständiger Mann oder ein degeneriertes Produkt ihres früheren fehlgeschlagenen Lebens als Mann: „Das weibliche Geschlecht ist ja kein Gebrechen, sondern Natur“.

 

Mann und Frau teilen in den psychischen Grunddeterminanten eine gemeinsame Natur, deswegen weilt die imago Dei im Geist beider Geschlechter. Zwar wohnt das göttliche Ebenbild auschließlich im rationalen männlichen Teil der Seele. Da jedoch auch die Frau einen rationalen Seelenteil besitzt, ist auch sie als imago Dei geschaffen. Zur Lösung dieser Problematik differenziert Augustin zwischen der seelisch-geistigen und der leiblichen Verfasstheit der Frau, zwischen ihrem inneren und ihrem äußeren Menschen: im Gegensatz zum Mann kommt der Frau nur in ihrer inneren Verfasstheit göttliche Ebenbildlichkeit zu.

 

In ihrer spezifischen Bestimmung als femina ist sie aus dem Mann erschaffen und ihm subordiniert und kann daher nur in der geistigen Gemeinschaft mit ihrem Gatten die      imago Dei realisieren. Doch die Differenz in der Manifestation der imago Dei besteht ausschließlich auf der körperlichen Ebene der physischen Schwäche der Frau und der daraus resultierenden Unterordnung unter die Dominanz des Mannes; an Geist und

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

                                                    Dagmar Kiesel

 

rationalem Erkenntnisvermögen ist sie dem Manne durchaus ebenbürtig und sie ist ebenso wie der Mann zur Kontemplation ewiger Wahrheiten befähigt.

 

Kiesel sieht einen gedanklichen circulus vitiosus in der Argumentation Augustins. Die Frau als solche reflektiert wegen ihrer adiutorischen Funktion sowie ihrer subordinierten Stellung nicht das Bild Gottes, sondern bedarf der Verbindung mit einem Mann: „Die Frau mit ihrem Mann“, so Augustin, „lebt im Ebenbild Gottes in der Weise, dass die Gesamtheit dieser menschlichen Substanz ein einziges Bild formt“. Als Mensch aber spiegelt die Frau ebenso wie der Mann in ihrem Inneren das Bild Gottes in gleicher Weise wie der Mann, weshalb ihr die imago Die nicht abgesprochen werden kann. Kiesels Urteil: „Augustins Bemühen, die weibliche Gottesebenbildlichkeit exegetisch zu verifizieren, ist zwar progressiv und durchaus für seine Zeit keine Selbstverständlichkeit, doch beweislogisch erweist sie sich als defizitär.“

 

Ist Augustin auf eine gleichrangige Bewertung beider Geschlechter bedacht, so ändert sich das Bild bei der Frage nach dem Zweck der Erschaffung eines weiblichen Partners für Adam und den daraus folgenden spezifischen Aufgaben der Frau. Augustin: „Erschaffen wurde die Frau also für den Mann, aus dem Mann, mit ihrem Geschlecht, ihrer Formung und der Verschiedenheit ihrer Organe, die das Kennzeichen der Frau sind.“ Die Hilfsfunktion der Frau erfüllt sich ausschließlich in ihrer Rolle als Mutter. Die Frage nach möglichen Alternativen für die Rolle der Frau stellt Augustin sichtlich vor ein Rätsel: „Wenn die Frau nicht dem Manne zur Hilfeleistung, um Kinder hervorzubringen, gemacht worden ist, zu welcher Hilfe ist sie dann gemacht worden?“ Der Gedanke, Mann und Frau könnten durch freundschaftliche Beziehungen miteinander verbunden sein, erscheint Augustin als abwegig, schließlich birgt der Umgang mit Frauen stets die Gefahr der Erotisierung in sich, welche die Reinheit des freundschaftlichen Umgangs trüben könnte. Zudem implizierte der antike Freundschaftsgedanke die Freundschaft unter Gleichen, die allein die notwendige Einheit und Verbundenheit zu erbringen vermag.

 

Ihre anthropologische Bestimmung als Gehilfin des Mannes verpflichtet die Frau in der ehelichen Beziehung zu spezifischen Pflichten und Wesenszügen. Augustin entwirft das Sittenbild einer christlichen Ehefrau mit den wesentlichen Tugenden des Gehorsams und der Sittsamkeit im Rahmen ihrer Aufgabe als treusorgende Mutter der aus der Ehe entsprungenen Kinder.

 

Augustin beschränkt die Möglichkeiten weiblicher Selbstverwirklichung wie seine christlichen Zeitgenossen auf die Ehe, die Witwenschaft und die Jungfräulichkeit, wobei er stets die Superiorität der Jungfräulichkeit hervorhebt. Paradebeispiel für die Vollendung des „züchtig-frommen Frauentypus“ ist Maria, da sie sowohl das Ideal der Jungfräulichkeit als auch das der Ehefrau und Mutter in Reinform repräsentiert. An ihr wird auch die androzentrische Perspektive des frühchristlichen Frauenbildes deutlich, denn Maria erscheint nie als eigenständige Persönlichkeit, sondern stets nur in ihrer Beziehung zu einem männlichen Partner: Sie ist die jungfräuliche Mutter, die Braut Christi und die folgsame Gattin Josefs, und ihre Aufgaben beschränken sich auf ihre dienende mütterliche Funktion.

 

Sexuelle Enthaltsamkeit ist für Augustin aber nur dann von moralischer Bedeutung, wenn sie in dem höheren sittlichen Zweck der exklusiven Bindung an Gott und der Abwendung von allem Weltlichen gründet. Selbst eine mehrfach verheiratete christliche Frau ist für Augustin besser als eine jungfräuliche Häretikerin, da die spirituelle Virginität auch ohne die des Körpers realisierbar ist und umgekehrt.

 

Allerdings gibt Kiesel zu bedenken, dass Augustins Frauenbild auf dem Boden einer asketisch geprägten eschatologischen Naherwartung entstanden ist und demzufolge alle irdischen Beziehungen unter dem Aspekt der Vorläufigkeit und Zweitrangigkeit zu betrachten sind.