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BERICHT

Richard Schantz:
Wahrnehmung und Erkenntnis

aus Heft 1/2014, S. 12-18

Der größte Teil unserer Überzeugungen und unseres Wissens beruht auf der sinnlichen Wahrnehmung. Ich mag gerechtfertigt sein zu glauben, dass dort ein Sofa steht, weil ich es sehe, und dass Zucker in meinem Tee ist, weil ich ihn schmecke. Und ganz ähnlich verhält es sich mit den anderen sinnlichen Modalitäten. Es nimmt deshalb nicht wunder, dass der Empirismus lange Zeit die erkenntnistheoretische Diskussion beherrschte und dass sich die Philosophen seit vielen Jahrhunderten bemühen, die eigentümliche Rolle der sinnlichen Erfahrung im Erwerb von Wissen und in der epistemischen Rechtfertigung zu klären.

Historisch gesehen lieferte die Sinnesdatentheorie die populärste Analyse der sinnlichen Wahrnehmung und Erfahrung. Ihre zentrale These lautet, dass die direkten Gegenstände des Bewusstseins in der sinnlichen Wahrnehmung niemals äußere, physische Gegenstände, sondern immer nur eine besondere Art nichtphysischer oder mentaler Objekte sind, Objekte, für die charakteristisch ist, dass sie dann und nur dann existieren, wenn sie wahrgenommen werden: Descartes’ und Lockes „Vorstellungen“, Berkeleys und Humes „Sinneseindrücke“, John Stuart Mills und Ernst Machs „Empfindungen“ oder Bertrand Russells und G. E. Moores „Sinnesdaten“.

Die Sinnesdatentheorie ist vor allem im zwanzigsten Jahrhundert heftig unter Beschuss geraten. Ihre Widersacher weisen insbesondere auf ihre erkenntnistheoretisch verheerenden Konsequenzen hin. Sobald ihre zentrale These, dass die direkten Gegenstände des Bewusstseins in der Wahrnehmung immer Sinnesdaten, nie aber äußere, physische Gegenstände sind, einmal akzeptiert wird, sind im wesentlichen nur noch zwei Theorien der Wahrnehmung und der Außenwelt möglich: der Repräsentationale oder Indirekte Realismus und der Phänomenalismus.

Die Verfechter des Repräsentationalen Realismus, dessen prominentester und einflussreichster Fürsprecher, historisch gesehen, sicherlich John Locke ist, bestreiten gewöhnlich nicht, dass wir äußere, physische Gegenstände wahrnehmen – Gegenstände, deren Existenz und Natur unabhängig davon ist, dass wir sie wahrnehmen. Aber wir nehmen diese Gegenstände nur indirekt wahr, mittels der direkten Wahrnehmung der phänomenalen Erscheinungen, die sie infolge einer kausalen Interaktion in unserem Bewusstsein hervorrufen. Unser gesamtes Wissen von der objektiven Realität, selbst das, was wir gewöhnlich für direktes Wahrnehmungswissen halten, beruht auf dem noch direkteren Wissen von Sinnesdaten.

Aber wenn wir immer nur Sinnesdaten, nie aber die physischen Gegenstände und Ereignisse in unserer Umgebung direkt wahrnehmen können, dann stellt sich natürlich geradezu zwangsläufig die Frage, wie wir wissen können, welche Eigenschaften physische Gegenstände haben, ja, wie wir sicher sein können, dass sie überhaupt existieren. Die Sinnesdaten fungieren diesem Einwand zufolge als ein Schleier, der unseren perzeptiven und kognitiven Zugang zur Außenwelt blockiert. Die Sinnesdatentheorie reißt eine logische Kluft zwischen inneren Objekten, den Sinnesdaten, und der äußeren, physischen Realität auf, eine Kluft, die weder durch deduktive noch durch induktive oder abduktive Schlüsse jemals überbrückt werden kann. Wir sind gewissermaßen in der Welt unserer Sinnesdaten eingesperrt. Kein triftiges Argument, sondern allenfalls eine Form von Magie vermag uns von der hellen auf die dunkle Seite des Schleiers der Wahrnehmung zu führen. Der erkenntnistheoretische Skeptizismus scheint die unvermeidliche Konsequenz des Repräsentationalen Realismus zu sein.

Der Phänomenalismus, den George Berkeley als erster entfaltet und den John Stuart Mill dann in wesentlichen Punkten weiterentwickelt hat, stellt eine direkte Reaktion auf die erkenntnistheoretischen Schwierigkeiten des Repräsentationalen Realismus dar. Wenn die Wurzel des Skeptizismus in der Unterscheidung zwischen äußeren, physischen Gegenständen und unseren Sinnesdaten liegt, dann brauchen wir, so scheint es, diese Gegenstände nur mit den Sinnesdaten zu identifizieren, um den drohenden Skeptizismus zu untergraben. Der radikale phänomenalistische Vorschlag lautet daher, dass ein physischer Gegenstand nichts anderes als ein Komplex von Sinnesdaten ist. Das Problem der Außenwelt soll mithin durch eine ontologische Reduktion gelöst werden. Das notorische Problem mit diesem Vorschlag ist jedoch, dass es dem Phänomenalismus einfach nicht gelingen will, der gewöhnlichen Auffassung der physischen Welt als kontinuierlich und unabhängig davon existierend, ob sie wahrgenommen wird oder nicht, gerecht zu werden. Dies zeigt sich nicht zuletzt auch darin, dass das ehrgeizige Projekt des moderneren, im Zuge der sprachlichen Wende in der Philosophie aufgekommenen Analytischen Phänomenalismus, Aussagen über physische Gegenstände vollständig durch Aussagen über Sequenzen von Sinnesdaten zu analysieren oder in solche Aussagen zu übersetzen, fehlgeschlagen ist.

Eine Alternative: Der Direkte Realismus

Die gravierenden Schwierigkeiten des Repräsentationalen Realismus und des Phänomenalismus waren für viele Philosophen der Beweggrund, die zentrale These dieser beiden Theorien über Bord zu werfen, die These, dass wir immer nur Sinnesdaten direkt wahrnehmen. Sie entschieden sich im Gegenzug für eine Spielart des Direkten Realismus. Diese Auffassung ist eine Form von Realismus, weil ihr zufolge physische Gegenstände unabhängig davon existieren, dass sie wahrgenommen werden. Und sie ist eine direkte Form des Realismus, weil sie behauptet, dass wir gewöhnlich physische Gegenstände direkt wahrnehmen, ohne die epistemische Vermittlung von besonderen mentalen Bindegliedern. Wir brauchen unser Wissen von der Außenwelt nicht durch problematische Schlüsse aus einer rein subjektiven Basis herzuleiten. Aber mit dieser Behauptung kann es der Direkte Realismus nicht bewenden lassen. Er muss zudem eine plausible Form der sinnlichen Erfahrung entwickeln, die in der Lage ist, mit solchen Phänomenen wie Sinnestäuschungen und Halluzinationen zu Rande zu kommen, die nach der Meinung so vieler traditioneller Philosophen nur durch die Einführung von Sinnesdaten angemessen erklärt werden können.

Schauen wir uns zunächst diejenige Version des Direkten Realismus an, die die Verfechter der Glaubenstheorie der sinnlichen Wahrnehmung, allen voran David Armstrong, George Pitcher, aber auch Daniel Dennett befürworten. Diese Autoren sind davon überzeugt, dass eine plausible Theorie der Erfahrung formuliert werden kann, die als ihren zentralen Begriff den Begriff des Glaubens oder der Überzeugung verwendet. Sie zeichnen uns das folgende Bild von der sinnlichen Wahrnehmung: Physische Gegenstände und Ereignisse stimulieren unsere Sinnesorgane und als ein kausales Produkt dieser Prozesse erwerben wir direktes, nicht-inferentielles Wissen von ihrer Existenz und ihren Eigenschaften. Der Erwerb dieses Wissens ist die sinnliche Wahrnehmung.

Dieser Standpunkt scheint jedoch der Phänomenologie der Wahrnehmung nicht gerecht zu werden. Die schwierigsten Fälle für eine glaubenstheoretische Analyse phänomenalen Aussehens oder Erscheinens sind diejenigen, in denen die Dinge anders aussehen, als sie sind, in denen der Beobachter jedoch weiß, dass dies so ist. Wenn wir doch wissen, dass das zur Hälfte ins Wasser eingetauchte Ruder in Wirklichkeit gerade ist, dann werden wir weder glauben noch geneigt sein, zu glauben, dass das gekrümmt aussehende Ruder tatsächlich gekrümmt ist. Pitcher versucht, diese Fälle durch den Begriff einer „unterdrückten Neigung zu glauben" zu neutralisieren. Ich glaube nicht, dass Pitcher diese Situationen richtig beschreibt. Wenn das ins Wasser eingetauchte gerade Ruder gekrümmt aussieht, ich aber weiß, dass es in Wirklichkeit gerade ist, habe ich nicht die geringste Neigung zu glauben, dass es gekrümmt ist. Vor allem aber habe ich keine Neigung, die ich allererst unterdrücken oder überwinden müsste. Mein Hintergrundwissen verhindert die Ausbildung einer solchen Neigung.

Vermutlich schwebte Pitcher ein ganz anderer Punkt vor. Denn, was sich in dieser Situation nicht völlig unterdrücken oder überwinden lässt, auch wenn wir noch soviel über die physische Realität wissen, ist die phänomenale Präsenz eines gekrümmt aussehenden Ruders. Sinnliche Prozesse sind nicht im gleichen Maße reversibel wie kognitive Prozesse. Wir können durch kontinuierliches Lernen und Forschen unsere Überzeugungen über die Gegenstände unserer Wahrnehmung verändern. Aber wir können auf diese Weise nicht die phänomenalen Erscheinungen verändern, die die Gegenstände in uns hervorrufen, den qualitativen Gehalt der sinnlichen Erfahrung. Erfahrungen sind modular in dem von Jerry Fodor herausgearbeiteten Sinn: informational abgekapselt, durch unsere Meinungen und Erwartungen kognitiv undurchdringbar. Unsere perzeptiven Mechanismen haben keinen Zugang zu den Hintergrundinformationen, die den Subjekten der Erfahrung zur Verfügung stehen. Die Konsequenz davon ist jedoch, dass die Glaubenstheorie der Wahrnehmung mit ihrer Begrifflichkeit des Glaubens, der Neigung zu glauben und der unterdrückten Neigung zu glauben zum Scheitern verurteilt ist.

Eine andere Position vertritt Donald Davidson. Er befürwortet im wesentlichen einen kohärentistischen Zugang zur epistemischen Rechtfertigung und bestreitet demnach hartnäckig, dass das, was sich an unseren Sinnesorganen abspielt, irgendetwas mit Rechtfertigung oder Evidenz zu tun hat. Er attackiert den Dualismus von Begriffsschema und empirischem Inhalt als das „dritte Dogma des Empirismus“. Zu dem, was er mit „empirischem Inhalt“ meint, gehören Sinnesdaten, Empfindungen und sensorische Stimuli. Davidson behauptet, dass der Empirismus aufgegeben werden muss, weil sein Leitgedanke, dass Wissen und Bedeutung auf einer sinnlichen Evidenzquelle beruhen, nicht aufrechterhalten werden kann. Er glaubt, dass die Versuche, eine epistemische Basis für Rechtfertigung und Wissen außerhalb unserer Überzeugungen zu finden, in anderen Worten, Rechtfertigung letztlich auf das Zeugnis der Sinne zu gründen, alle vergeblich sind.

Die Idee, dass Rechtfertigung etwas anderes als eine Beziehung einzig und allein zwischen Überzeugungen sein könnte, beruht laut Davidson auf einer Verwechslung von Rechtfertigung und Kausalität. Erfahrungen und sensorische Stimulationen spielen eine kausale Rolle; sie sind kausale Vermittler zwischen äußeren Gegenständen und Ereignissen und unseren Meinungen über sie. Aber die Dimension der sinnlichen Erfahrung ist in Davidsons Kohärentismus epistemisch irrelevant. Eine Erfahrung kann nicht als Grund für eine Überzeugung fungieren und hat mithin keinen Einfluss auf die Frage, ob eine Überzeugung gerechtfertigt ist oder nicht. Einer Erfahrung eine epistemische Rolle zuzuschreiben, kann laut Davidson nur heißen, sie als epistemische Vermittler zwischen unseren Überzeugungen und der objektiven Realität aufzufassen. Und er ist fest davon überzeugt, dass eine solche Sichtweise zum Skeptizismus führen muss, weil wir nicht sicher sein können, dass solche Vermittler uns verlässliche Informationen über die Welt verschaffen. Durch die Aufgabe solcher epistemischen Bindeglieder hofft er, den unmittelbaren Kontakt mit den vertrauten Gegenständen wiederherzustellen, die unsere Aussagen und Überzeugungen wahr oder falsch machen.

John McDowell hat jüngst den Einwand erhoben, dass Davidsons kohärentistische Position, da sie nur kausale Beziehungen zwischen unserem Denken und unseren Erfah-rungen erlaubt, den Bezug unseres Denkens auf die objektive Realität zu verlieren droht. In Davidsons Bild wird, wie McDowell sich ausdrückt, der „rationale Zwang“ von der Welt her auf das sich entwickelnde Netz unserer Überzeugungen preisgegeben. Die Tätigkeit des Rechtfertigens empirischer Überzeugungen ist kein selbständiges, in sich geschlossenes Spiel, sondern muss dem Zeugnis der Sinne verantwortlich sein. Wenn wir verstehen wollen, wie der Gebrauch von Begriffen zu gerechtfertigten empirischen Überzeugungen über die äußere Realität führen soll, dann müssen wir laut McDowell rationale Beziehungen zwischen Erfahrungen und Überzeugungen anerkennen, das heißt, wir müssen Raum schaffen für die Idee, dass unsere Erfahrungen in Rechtfertigungsbeziehungen zu unseren Überzeugungen stehen können, dass Erfahrungen als Gründe und nicht nur als Ursachen für Überzeugungen dienen können.

McDowell hegt die Befürchtung, dass Davidsons Standpunkt, da er die epistemische Relevanz der Erfahrung leugnet, einen Rückfall in den Mythos des Gegebenen hervorrufen wird. Dies ist, wie sie McDowell im Anschluss an Wilfrid Sellars beschreibt, die Ansicht, dass der Raum der Gründe und Rechtfertigungen sich in dem Sinn weiter erstreckt als der Raum der Begriffe, dass rohe, nichtbegriffliche Gegebenheiten das Fundament unserer empirischen Überzeugungen bilden sollen. Die zugrundeliegende Idee ist, dass wir durch Bezugnahme auf ein gegebenes Element die erforderliche rationale Einschränkung von außerhalb des Bereichs unseres Denkens und Urteilens sicherstellen können.

McDowell teilt Davidsons Ansicht, dass der Mythos des Gegebenen unhaltbar ist, weil wir die Beziehungen, aufgrund deren eine Überzeugung gerechtfertigt ist, nur als Beziehungen zwischen begrifflich organisierten Entitäten verstehen können. Sie halten den Versuch, den Raum der Gründe so weit auszudehnen, dass er nichtbegriffliche Entitäten einschließt, für aussichtslos. Wenn Erfahrungen als nichtbegrifflich verstanden werden, dann können sie keine rationale Basis, keine Quelle der Rechtfertigung, für unsere Überzeugungen sein. So weit stimmt McDowell mit Davidson überein. Aber er kann Davidsons uneingeschränkten Kohärentismus nicht akzeptieren.

Um dem ständigen Schwanken zwischen dem Kohärentismus einerseits und dem Mythos des Gegebenen andererseits zu entkommen, ist McDowell bestrebt, eine neue Konzeption der Erfahrung zu entwickeln, deren wesentlicher Vorzug darin bestehen soll, dass sie als einzige einen rationalen Zusammenhang zwischen Erfahrung und Denken, zwischen Sinnlichkeit und Verstand, einräumen kann. Ihre zentrale Idee ist, dass Erfahrungen passive Zustände sind, Produkte der Rezeptivität, und dennoch schon begrifflichen Inhalt besitzen. Begriffliche Fähigkeiten werden nicht an einer nichtbegrifflichen Gegebenheit ausgeübt, sondern schon in der Rezeptivität in Anspruch genommen. Es verhält sich nicht so, dass Begriffe erst in Überzeugungen ins Spiel kommen, die auf der Erfahrung beruhen; sie sind schon in den Erfahrungen selbst am Werk. In einer nichttrügerischen Erfahrung werden wir gewahr, dass die Dinge soundso sind. Auf diese Weise hofft McDowell verständlich zu machen, wie Erfahrungen in rationalen, und nicht bloß in kausalen, Beziehungen zu Überzeugungen stehen können. Wie uns die Dinge erscheinen, ist nicht unter unserer Kontrolle, aber es ist an uns, zu entscheiden, ob wir glauben sollen oder nicht, dass die Dinge so sind, wie sie die Erscheinungen repräsentieren. Erfahrungen sind also McDowell zufolge begrifflich und propositional, aber nichtdoxastisch.

Sicherlich ist McDowells Sichtweise, weil sie die epistemische Signifikanz der sinnlichen Erfahrung anerkennt, Davidsons Kohärentismus vorzuziehen. Aber ich glaube, wir müssen noch einen Schritt weitergehen. Ich werde just eine Version der Auffassung verteidigen, die McDowell als einen Mythos brandmarkt, der Auffassung, dass es ein gegebenes Element in der Erfahrung gibt, das unabhängig vom Denken ist und das einen charakteristischen nichtpropositionalen und sogar nichtbegrifflichen Inhalt besitzt. Das Gegebene ist kein Mythos. Und ich werde zeigen, dass dieses gegebene Element, ordentlich externalisiert und naturalisiert, tatsächlich geeignet ist, eine wichtige epistemische Rolle zu spielen.

Demgegenüber deklariert McDowell, dass der Gedanke, dass Zustände mit nichtbegrifflichem Inhalt als Gründe, die ein Subjekt für eine Überzeugung hat, fungieren können, nicht verständlich gemacht werden kann. Er beharrt darauf, dass Gründe wenigstens „minimal“ artikulierbar sein müssen. Ich glaube hingegen, dass wir irgendeine Anforderung der Artikulierbarkeit nicht zuzubilligen brauchen und nicht zubilligen sollten. Solch eine Anforderung – die McDowells Internalismus über Rechtfertigung verkörpert – scheint mir letztlich auf einer Verwechslung zu beruhen zwischen dem Haben von Gründen und dem Geben von Gründen oder, mit anderen Worten, zwischen dem Zustand des Gerechtfertigtseins, eine Überzeugung zu hegen, und der Tätigkeit, die Überzeugung zu rechtfertigen, zu zeigen, dass sie gerechtfertigt ist. Wenn man diese wichtige Unterscheidung übersieht, dann wird man geneigt sein, anzunehmen, dass gerechtfertigt zu sein, die Fähigkeit impliziert, zu zeigen, dass man gerechtfertigt ist, das heißt, ein rechtfertigendes Argument zu formulieren. Natürlich müssen wir, um diese Tätigkeit des Rechtfertigens einer Überzeugung erfolgreich auszuführen, auf andere Überzeugungen oder andere begrifflich inhaltsvolle Zustände Bezug nehmen. Aber aus dem Umstand, dass wir eine Überzeugung nur rechtfertigen können, indem wir zeigen, dass sie in angemessenen Beziehungen zu anderen begrifflich inhaltsvollen Zuständen steht, folgt nicht, dass eine Überzeugung nur durch ihre Beziehungen zu anderen begrifflich inhaltsvollen Zuständen gerechtfertigt sein kann. Wir hätten nur recht wenige gerechtfertigte Überzeugungen, wenn ihre Rechtfertigung davon abhinge, dass wir erfolgreich die Tätigkeit ausgeführt hätten, ihren positiven epistemischen Status nachzuweisen.

Für die Rechtfertigung einer Überzeugung scheint es nicht einmal notwendig zu sein, die Fähigkeit zu besitzen, eine solche Aktivität auszuführen. Vielen Subjekten fehlen die intellektuellen und sprachlichen Fähigkeiten, die erforderlich sind, um ihre Gründe zu artikulieren. So mag ein Subjekt in der Weise, in der ihm ein Tier erscheint, einen adäquaten Grund haben, zu glauben, dass es ein Krokodil ist, ohne in der Lage zu sein, die Weise, in der das Tier ihm erscheint, zu beschreiben, und folglich, ohne in der Lage zu sein, ein rechtfertigendes Argument zu formulieren. Unsere Unfähigkeit, die signifikanten Aspekte unserer Erfahrung eines Gegenstandes zu spezifizieren, hindert uns jedoch nicht daran, in der Weise, in der er uns erscheint, einen Grund für die Überzeugung zu haben, dass er soundso ist.

Demgegenüber scheint McDowell zu glauben, dass unser gesamtes empirisches Wissen einen höherstufigen Charakter hat. Für ihn besteht epistemische Rechtfertigung im allgemeinen aus der reflektierten Tätigkeit des Gebens und Fragens nach Gründen, des kontinuierlichen Überprüfens und Kritisierens der rationalen Gründe, auf denen unsere Urteile beruhen. Es ist nicht hinreichend, dass unsere Wahrnehmungsurteile epistemische Autorität besitzen – zum Beispiel, weil sie das Resultat verlässlicher glaubensbildender Prozesse sind, das heißt, Prozesse, die wahrscheinlich zu wahren Überzeugungen führen. Im Kielwasser von Sellars` erkenntnistheoretischem Standpunkt beharrt McDowell darauf, dass die Autorität eines Wahrnehmungsurteils als solche von der Person, deren Urteil es ist, erkannt werden muss, und dies erfordert, dass die Gründe, die es stützen, zum Zweck der kritischen Untersuchung verfügbar sind.

Aber warum sollten wir annehmen, dass der Erwerb basalen empirischen Wissens wesentlich Wissen über den epistemischen Status unserer Überzeugungen beinhaltet? Ohne jeden Zweifel ist der Besitz solchen Metawissens in gewissen Kontexten äußerst nützlich –, wenn wir beispielsweise dem Skeptiker eine befriedigende Antwort geben wollen, oder wenn wir uns bemühen dem, was Robert Brandom McDowells „rational constraint constraint“ bezüglich Theorien empirischen Inhalts nennt, zu genügen, indem wir reflektiert die Verantwortung für die Gestalt unseres aktiven Denkens übernehmen. Wovor wir uns aber hüten sollten, ist, dass die kritische Bewertung unserer Überzeugungen, die in solchen besonderen Kontexten durchaus nötig sein mag, schon in die bloße Idee der Erfahrung oder empirischen Inhalts eingebaut wird. Es ist eine Konsequenz von McDowells Spielart der normativen Erkenntnistheorie, dass die Erfahrung der Welt auf Sprachbenutzer eingeschränkt ist. Im Gegensatz dazu erlaubt es meine Position, die starke Intuition zu bewahren, dass sich Tiere und vorsprachliche Kinder Erfahrungen genau derselben Arten erfreuen können wie Wesen, die eine Sprache beherrschen.

Meinem alternativen Bild zufolge sind Erfahrungen subjektive repräsentationale Zustände mit objektivem nichtbegrifflichem Inhalt. In meiner Kritik an Glaubenstheorien der Wahrnehmung haben wir gesehen, dass die Erfahrung wesentlich nichtdoxastisch ist. Für unser sinnliches Bewusstsein sind keine Überzeugungen erforderlich. Alles, was für meine Wahrnehmung eines Gegenstandes notwendig ist, ist, dass er mir phänomenal in einer gewissen Weise erscheint. Gewiss, etwas als einen Samowar zu erkennen, oder zu sehen, dass es ein Samowar ist, heißt die Überzeugung zu bilden, dass es ein Samowar ist, und wie alle Überzeugungen erfordert dies die Anwendung von Begriffen. Aber nicht jede Wahrnehmung ist eine Wahrnehmung als oder eine Wahrnehmung, dass. Es scheint offenkundig zu sein, dass wir einen Samowar sehen können, obwohl wir ihn nicht als solchen erkennen und obwohl wir nicht einmal den Begriff eines Samowars besitzen. Das Sehen eines Samowars besteht aus gewissen visuellen Erfahrungen, gewissen Weisen, in denen der Samowar für uns aussieht, und diese Erfahrungen erfordern keine Konzeptualisierung, kein Verständnis, was für eine Art Gegenstand ein Samowar ist.
Und diese nichtbegrifflichen subjektiven Erfahrungen können meiner Sichtweise zufolge als rationale Gründe für unsere empirischen Überzeugungen fungieren. Die epistemische Signifikanz der Erfahrung hängt nicht von ihrer Konzeptualisierung ab. Wenn einem Subjekt unter normalen Bedingungen ein Gegenstand rötlich erscheint, ist es dann nicht mehr gerechtfertigt zu glauben, dass er rot ist, als dass er blau oder gelb ist? Ich glaube schon. Es ist plausibel zu sagen, dass das Subjekt in der Weise, in der der Gegenstand für es aussieht, einen Grund für die Überzeugung hat, dass er rot ist. Wenn ich sage, dass ein Subjekt S in der Weise, in der ihm ein Gegenstand x erscheint, einen Grund für die Überzeugung hat, dass x F ist, dann will ich damit nicht behaupten, dass S durch einen Prozess des Schließens oder Ableitens zu seiner Überzeugung gelangt sein muss. Kein bewusster diskursiver Prozess braucht zwischen dem Umstand, dass x F für S erscheint, und der daraus hervorgehenden Überzeugung, dass x F ist, zu vermitteln. Die resultierende Überzeugung zeichnet sich vielmehr durch ihre psychische Unmittelbarkeit aus.

Für die epistemische Rechtfertigung unserer gewöhnlichen Wahrnehmungsüberzeugungen ist es nicht erforderlich, dass wir glauben, dass uns die Dinge soundso erscheinen. Es sind die Erfahrungen selbst, die Weisen, in denen uns die Dinge erscheinen, nicht unsere Überzeugungen über sie, von denen die Rechtfertigung abhängig ist. Wir haben selten Überzeugungen über phänomenale Erscheinungen. Unsere Wahrnehmungsurteile beziehen sich gewöhnlich auf äußere Gegenstände und Ereignisse – nicht, wie gerne gesagt wird, auf Qualia. Die Position, die ich verteidige, ist deshalb eine Form von Direktem Realismus. Wir erwerben durch die Sinne normalerweise direktes Wissen über physische Gegenstände und Ereignisse. Dieses Wissen ist direkt, weil es nicht auf anderem Wissen oder anderen Überzeugungen beruht.

UNSER AUTOR:

Richard Schantz ist Professor für Philosophie an der Universität Siegen.