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Heidegger: Briefwechsel mit Ernst Jünger

 

Heideggers Briefwechsel mit Ernst Jünger

 Der Verlag Ernst Klett trug sich nach dem Krieg mit dem Gedanken, eine konservative Zeitschrift mit dem Titel „Pallas“ herauszugeben. Als Herausgeber war Armin Mohler vorgesehen, als Mitarbeiter u. a. Ernst Jünger, Friedrich Georg Jünger, Martin Heidegger und Werner Heisenberg. Allerdings hatten insbesondere die Brüder Jünger und Martin Heidegger ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit wegen Bedenken, publizi­stisch mit einer eigenen Zeitschrift an die Öffentlichkeit zu treten. Es kam zu einem Briefwechsel zwischen Ernst Jünger und Martin Heidegger, der jetzt zusammen mit erläuternden Dokumenten in Buchform erschienen ist:

Ernst Jünger/Martin Heidegger: Briefe 1949 – 1975. Unter Mitarbeit von Simone Maier herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Günter Figal 318 S., kt., 2008, € 29.90, Klett-Cotta/Vit­torio Klostermann.

 „Wir alle befinden uns ja in einer Lage, in der man der Polemik möglichst nur den Stoff gibt, der unbedingt notwendig ist“, schreibt Ernst Jünger im ersten Brief, datiert 11. 6. 1949, an Heidegger. Eine Mitarbeit hielt er allerdings für unbedenklich, nur sollte diese – sei es auf dem Titelblatt, sei es in der Werbung – nicht nach außen treten. Heidegger antwortet ihm, es vergehe kein Tag, an dem er nicht an dieses Vorhaben denke: „Der Wille, das Eigene der abendländischen Überlieferung ursprünglicher zu entdecken und sichtbar zu machen, die Wartenden zu sammeln, Suchende zu bestärken, muß bezaubern.“

 

Jünger war, wie Günter Figal in seinem Nachwort ausführt, seit Erscheinen des Essays Der Arbeiter im Jahr 1932 für Heidegger von großer Bedeutung. Es war Jünger, der Heideggers Aufmerksamkeit auf die umfassende Technisierung der Welt lenkte. Jünger war für Heidegger zugleich der bedeutendste Nachfolger Nietzsches, er attestierte ihm, aus dessen „metaphysischer Grundstellung“ heraus konsequent weitergedacht und die moderne Welt beschrieben zu haben. 1948 organisierte der Verlag Vittorio Klo­stermann ein Treffen zwischen beiden Autoren in Heideggers Hütte in Todtnauberg. Jünger war davon begeistert: „Hier wie dort spürte ich die ungesonderte geistige Macht, die das Gesonderte hervorbringt.“ Heidegger kommt in seinem Brief an Jünger auf dieses Zusammentreffen zurück: „Ich erinnere noch genau der Stelle des Weges, auf der wir im vorigen Herbst von der äußersten Gefährdung derer sprachen, die heute versuchen, am Wesentlichen zu bleiben; dass es nicht Flucht sei, sondern höchste Freiheit, die Einsamkeit auszustehen.“

 Heidegger ist der Meinung, sie sollten auf das Zeitschriftenprojekt verzichten: „Wir dürfen der fortbestehenden, aber inzwischen schlauer gewordenen Rachsucht nicht das Letzte zum Fraß vorwerfen; wir müssen im eigentlichen unangreifbar bleiben.“ Jünger antwortet ihm, zwar sei „der Gedanke, ein Organ für die letzten selbständig Denkenden und Schaffenden zu bilden“, „verlockend“, aber er stimme Heideggers Lagebeurteilung zu und auch er gebe den Zeitschriftenplan auf.

 1950 kommt Heidegger anlässlich der Danksagung für Jüngers Beitrag in der Festschrift zu Heideggers 60. Geburtstag auf die Lage der Naturwissenschaften zu sprechen. Sie befinde sich in einer Sackgasse, aber mit ihren eigenen Mitteln sei sie nicht in der Lage, dies zu sehen. Zwar habe die herkömmliche Philosophie hier nichts mehr zu bieten, aber es gebe ein Denken, das imstande sei zu zeigen, was vor sich gehe. Damit spielt Heidegger auf die Unbestimmtheitsrelation der Quantenphysik an.

 Jahre später, 1966, sendet Jünger Heidegger einen Zeitungsausschnitt zu, in dem am Beispiel der modernen Linguistik gezeigt wird, wie die gegenwärtige Sprachwissenschaft arbeitet. Dabei wird spöttisch auf Heidegger Bezug genommen, dieser lasse sich von der kritischen Linguistik nicht davon abhalten, fröhlich Sprachmetaphysik zu treiben.  Jünger kommentiert den Text: „Wenn im Wort nicht noch etwas mehr steckte als Grammatik und Geschichte, brauchten wir weder Dichter noch Philosophen mehr. Man sollte sich freilich nicht darüber ärgern, sondern das Wort ‚Spezialist’ ein für alle Mal als eins der Synonyme für ‚Dummkopf’ ansehen.“ Heidegger antwortet Jünger: „Der ‚kritischen Lin­guistik’, der Semantik und der positivistischen Sprachanalyse gehört die von der Entwicklung des Computers bestellte Zukunft. …Was tun? Vorbeigehen und wissen, dass ‚die Wissenschaft’ nicht über die Wahrheit zu entscheiden vermag.“ Darauf Jünger: Mit ihren Zeilen „haben Sie wieder einmal den Nagel auf den Kopf getroffen“.

 Als ein Dr. Reboul sich 1966 bei Jünger nach Heidegger und dessen nationalsozialistischer Vergangenheit erkundigt, gibt Jünger eine merkwürdige Antwort. Er schreibt: „Was mich betrifft, so schätze ich Martin Heidegger nicht nur seines Werkes wegen, sondern auch deshalb, weil er sich politisch exponiert hat, während es viel billiger gewesen wäre, das nicht zu tun. Kann man ihm zum Vorwurf machen, dass die politischen Mächte sein Vertrauen enttäuscht haben? Ihnen als Psychoanalytiker braucht man nicht anzudeuten, was sich hinter der Anschwärzung eines überlegenen Geistes verbirgt.“ 1969, vor Heideggers 80. Geburtstag, kommt Jünger noch einmal auf dieses Thema zurück: „Ehe das Gewicht jener Schicksalsstunden erkannt wird, müssen noch viele Jahre vergehen, und muss sich noch viel in der Welt ändern.“ Dabei mokiert sich Jünger über Jaspers, der Heinrich Heine und nicht Schopenhauer als den geistigen Repräsentanten seines Jahrhunderts sah: „Das notiere ich als  einen der Tiefpunkte deutscher Philosophie.“