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FORSCHUNG

Religion: Peter Strasser verteidigt die Religion gegen die

 
Peter Strasser verteidigt die Religion gegen die „Neuen Atheisten“.
 
Der Agnostizismus sei eine weit verbreitete Haltung, so der Grazer Philosoph Peter
Strasser in seiner Streitschrift
 
Strasser, P: Warum überhaupt Religion? Der Gott, der Richard Dawkins schuf. 112 S., kt., € 14.90, 2009, W. Fink, München.
 
Es handele sich dabei aber in der Regel weniger um eine philosophische Position als vielmehr die Weigerung, eine solche einzunehmen: „Ich weiß nicht, ob Gott existiert“. Man kann so etwas Agnostizismus nennen. Aber die Haltung, die dahinter steht, ist jene, die meint, entweder sei die Existenz Gottes nicht überprüfbar oder das Wort „Gott“ sei überhaupt sinnlos, punktum! Strasser sieht hinter einer solcher Aussage eine Selbstbescheidung, die nicht Ausdruck wahrer Gei­stigkeit, sondern vielmehr deren Verkümmerung bedeutet. Sobald der Pfeil des Geistes nicht mehr aufs Absolute zielt, also über das Menschenmögliche hinaus, kann für Strasser nicht mehr davon die Rede sein, dass der Mensch sein Wesen durch die Philosophie verkörpert. Und auf Dauer ist er ohnehin unfähig, die Verkörperung seines Wesens zu unterdrücken.
 
Ein äußeres Zeichen für die Unfähigkeit zur Selbstbescheidung in metaphysischen Belangen ist die Tatsache, dass sich der denkende Mensch durch die Versicherung, er könne an dieser oder jener Stelle nicht mehr weiterdenken, und falls er es doch tue, verstünde er sich selbst nicht mehr, noch nie hat abhalten lassen, weiterzudenken. Für Strasser hat die Haltlosigkeit des Denkens hier nichts mit Irrationalität oder Unbeherrschtheit zu tun, sondern damit, dass in allen menschlichen Erfahrungen semantische, ontologische bzw. metaphysische Überschüsse enthalten sind, deren Nichtanerkennung zur Folge hätte, Begriff und Erfahrung der Welt selbst zu zerstören. Das ist für das religiöse Denken von größter Bedeutung, weil es aus diesen Überschüssen erst erwächst.
 
Der in religiösen Fragen entscheidende Punkt ist der, auf welche Weise wir als endliche Wesen an die Grenzen unseres Denkens und Erfahrens stoßen. Wir wollen, bildhaft gesprochen, zumindest etwas über die Grenze selbst wissen, wenn wir schon nicht ins Innere des Heiligtums eindringen dürfen. Ein großer Teil des reflektierten religiösen Denkens ist von dieser unermüdlichen Bemühung getragen: wissend, dass wir nichts wissen können, dennoch die Grenzen unseres Verstehens und Unverstehens gegenüber dem Absoluten, dem Göttlichen auszukundschaften. Für Strasser gibt es kein Sinnlosigkeitskriterium des Redens. Alle solchen Kriterien sind selbstfabriziert. Denn das Einzige, was in der menschlichen Verständigung letzten Endes wirklich zählt, ist der Eindruck von informierten Menschen, die sich mit    einer Sache wahrheitsstrebig und wahrhaftig beschäftigen, sie könnten einander verstehen.
 
Angesichts der unausrottbaren Neigung des Menschen, über seine eigene Endlichkeit hinauszufragen, bliebe vom religiösen Agno­stizismus am ehesten noch eine Art Glaubensbekenntnis nach dem Motto: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“. Indem ich mich, agnostisch gepolstert, als „religiös unmusikalisch“ und dergleichen bekenne, kann ich dem Gläubigen „mit Respekt“ begegnen. Diesem religiösen Agnostizismus erwuchs jedoch ein Hauptwiderspruch aus der Wissenschaft selber, der sich durch ein Wort markieren lässt: Naturalismus. Naturalismus bedeutet eine Art Totalkompetenzanmaßung der Naturwissenschaft als methodisches Postulat. Der Naturalist ist der Meinung, dass alles, was Teil unserer Welt ist, sich erklären lässt und dass jede gute Erklärung eine naturwissenschaftliche Erklärung sein muss. Davon ist der religiöse Glaube nicht ausgenommen. Strasser sieht die Pointe darin, dass damit nicht bloß der Glaube als psychologisches, institutionelles und politisches Phänomen gemeint ist, sondern ebenso der Glaube als ein Phänomen, das sich aus bestimmten Inhalten zusammensetzt, die     über unsere Welt hinausweisen. Da der Naturalist davon ausgeht, dass alle Bewusstseinsinhalte im Gehirn erzeugt werden, glaubt er sich zu der Aussage berechtigt, dass ebenso alle Bewusstseinsinhalte religiöser Natur vom Gehirn erzeugt werden. Das führt zum Ergebnis, dass die allen religiösen Gefühlen und Überzeugungen immanente Evidenz, sie bezögen sich auf Außerweltliches, Jenseitiges, Transzendentes, zur Illusion erklärt wird.
 
Es waren die neuen Methoden der Gehirnforschung zusammen mit alten Fragestellungen, die in neuen Experimenten zur genetischen Programmierung des Menschen wiederaufgenommen wurden, welche dem Naturalismus als sozusagen weltanschaulichen Überbau bei der Erforschung der menschlichen Seele eine besondere Attraktivität verliehen. Es schien nun, als ob man die Idee, dass Gott in der Welt als Schöpfer eine unverzichtbare Rolle spielte, selbst als eine im Gehirn genetisch verankerte Illusion naturwissenschaftlich dekonstruieren könne.
 
Nun ist der naturalistisch auftretende Atheismus mit einer lachhaft siegessicheren Ignoranz gegenüber der Eigenlogik religiöser Themen, ihrer Geschichte und Entwicklung verbunden, mit der er gegenüber der Weisheit der Tradition auftritt. Typisch dafür ist Richard Dawkins, dessen Buch Der Gotteswahn Immanenzverblendung und Transzendenzwahnsinn ausstrahlt: Dawkins kann in religiösen Haltungen immer nur etwas Wahnhaftes erblicken. Wieso sich der Gotteswahn in unseren aufgeklärten Gesellschaften nicht längst in einige dunkle Winkel psychiatrischer Anstalten zurückgezogen hat, bedarf natürlich der Erklärung: Er sieht darin einen unvermeidlichen „Unfall der Evolu­tion“. Die Evolution stattet unser Hirn mit der Fähigkeit aus, Erfahrungssituationen von Anfang an sozial zu deuten (Mutter, Vater). Dadurch werden wir von der Evolution zu der Fehlleistung verführt, Ordnung in der Welt als Ausdruck eines dahinter stehenden Willens und einer damit verbundenen Absicht entschlüsselt. So entsteht der Glaube an Gott.
 
Unsympathisch daran ist für Strasser nicht die genetische Erklärung des religiösen Phänomens an sich, sondern der durchlaufende Subtext: Was erklärt werden soll, ist der Gottesglaube als zwanghafte Fehlleistung des menschlichen Gehirns. Denn die Frage der Entstehung dieses Glaubens ist etwas grundsätzlich anderes als die Frage seiner Wahrheit. Strasser erinnert an die Autisten, also Personen, die an einem angeborenen Gehirndefekt leiden. Das ändert nichts an der Richtigkeit ihrer Rechenergebnisse, vorausgesetzt, ihre Ergebnisse sind richtig. Strasser sieht denn auch etwas Verbissenes an Dawkins: Ihm fehle der Großmut und der großherzige Schwung, wie ihn Nietzsche seinem Zarathustra andichtete. Hinzu kommt, dass für Dawkins Natur Chemie ist. Der Atheismus der toten Natur kämpft dagegen an, dass ihm etwas tief Unverständliches innewohnt: Wie entsteht aus dem Toten das Leben?
 
Das Allerseltsamste an dieser Geschichte der Selbstabtötung sieht Strasser nun darin, dass die inbrünstig gläubige Gegenseite den Ball aufnimmt: Wissenschaft gegen Wissenschaft. Wenn Gott existiert, dann muss er sich empirisch belegen lassen, nach allen Regeln der empirischen Kunst.
Den Menschen ist es noch nie leicht gefallen, ohne die Tröstungen des starken Gottes zu leben. Für Strasser ist es insbesondere wichtig, dass es zumindest jenen Kulturen, die sich auf hohem technischem und zivilisatorischem Niveau als Erben der Aufklärung    etablierten, einigermaßen gelingt, einen Rückfall in latent oder offen vernunftfeindliche Trostversprechen des Mythos zu verhindern. Dass das nicht selbstverständlich ist, zeigt etwa die Tatsache, dass es in Österreich mehr Menschen gibt, die an Wunder glauben als daran, dass der Urknall stattgefunden hat. Auch der ungeheure Aufschwung der Sekten mit verspieltem bis hartem Aberglauben weist darauf hin, dass der rationale Westen am Vorabend einer Remythologisierung steht.
 
Umgekehrt ist es nicht ausgemacht, dass eine religionslose Gesellschaft eine bessere Gesellschaft ist. So ist sogar für viele Menschen, die nicht gläubig sind, geschweige denn eine Religion praktizieren, die Vorstellung einer Gesellschaft ohne Religion trostlos. In einer solchen Gesellschaft würde die ganze Kultur einem tiefgreifenden Wandel unterliegen, einem Wandel zumal, den wir uns nur schwer vor Augen zu führen vermögen. Denn zweifellos sind in den uns vertrauten Gesellschaften viele der wertvollsten Artefakte und Institutionen ohne religiösen Hintergrund, ohne religiöse Rahmung und Färbung gar nicht denkbar. Ein großer Teil der weltlichen Kunst des Miteinander-Um­gehens beruht auf einer religiösen Grundierung, die erst bemerkt wird, wenn sie nicht mehr vorhanden ist. Strasser bringt ein Beispiel: Nichts ist trauriger als das Begräbnis eines Menschen, der sich für seinen letzten Weg jede Einmischung der Religion verbeten hatte. Denn es gibt einen Unterschied zwischen dem lebendigen Ritual, hinter dem ein Glaube steht (mag er stillgelegt sein) und dem toten Ritualismus derer, die das, was sie tun, entweder aus reiner Konventionalität praktizieren oder weil ihnen eben nichts Besseres einfällt.