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02 2008

Jürgen Große:
Der Philosoph Eduard von Hartmann (1842-1906)

Pessimismus, Naturwissenschaft, Spekulation

Zu den Grundannahmen des philosophischen Pessimismus gehört die Überzeugung, das Dasein sei etwas, was eigentlich nicht sein solle. Diese Überzeugung kann sich aus einer entsprechenden Lebensgestimmtheit ihrer Vertreter speisen oder aus einer schuldtheologischen Weltdeutung, die das Leben als verdiente Strafe ansieht. Der Pessimismus kann sich aber auch – z. B. unterm Eindruck kulturbedeutsam gewordener Naturwissenschaft – psychologisch, physiologisch oder ähnlich spezialwissenschaftlich zu rechtfertigen suchen; dies geschieht verstärkt seit dem 19. Jahrhundert. Dabei werden leibseelische Erfahrungen und Selbsterfahrungen wichtig, die belegen sollen, dass die metaphysische Wahrheit des Pessimismus bereits im Physischen bzw. Psychischen des Einzelwesens gegründet sei, ja mehr noch: dass man am eigenen Körper und seinen mentalen Überbauten den lebenslänglichen Beweis für die Tatsache besitze, dass alle Lust illusionär, weil bloßes Antriebsmittel überindividueller Mächte sei. Bei derlei Überlegungen assoziiert man heute vor allem den Namen Arthur Schopenhauers; als Mittel der Kulturdiagno-stik und Weg der Anpassung an das naturwissenschaftlich geprägte Bewusstsein der Zeit wurden sie von den Schopenhauer-Schülern der 1840er Jahrgänge entwickelt – von Paul Deussen, Philipp Mainländer, Eduard v. Hartmann. Das philosophische Werk des Letztgenannten, oft als Eklektiker und Epigone geschmäht, kommt in seinem Bemühen um Wissenschaftsnähe und Popularität dabei manchem zeitgenössischen Philosophieren bemerkenswert nahe. Die v. Hartmannschen Schriften suchen den aufstrebenden Naturalismus und Evolutionismus noch einmal mit dem Vokabular der idealistischen spekulativen Systeme zu versöhnen; sie suchen die Einbindung eines evolutionsbiologisch hergeleiteten ‚Individual-Eudämonismus’ in den überindividuellen Sinn einer Erzählung vom ‚Weltprocess’. Welcher heutige ‚Biophilosoph’ hegt nicht einen vergleichbaren Ehrgeiz?

Der Erfolgsautor im Krankenbett

Eduard von Hartmann ist einer der wenigen Philosophen, die Berlin hervorgebracht hat und die dort auch für den Rest ihres Lebens blieben. 1906 starb der Begründer des ‚konkreten Monismus’ in Lichterfelde, seinem letzten Wohnsitz. Nur zu Kurreisen hatte der Philosoph die Stadt verlassen. 1842 war v. Hartmann als Sohn eines Artillerieoffiziers in der Linienstraße zur Welt gekommen. Eine Knieverletzung setzte der geplanten militärischen Laufbahn früh ein Ende, kurze Versuche als Maler und als Komponist schlugen fehl. „Bankerott an allem, nur an Einem nicht: dem Gedanken“, habe er sich gefunden, so der junge Premierleutnant der Reserve in einer autobiographischen Notiz. Schon während des Dienstes in der Kaserne Spandau war eine psychophysiologische Studie: Die Geistesthätigkeit des Empfindens (1859) entstanden. Die endgültige Wendung zur Philosophie hat v. Hartmann später als Rückkehr ins Allereigenste gedeutet – er sei „nun erst, mit der Rückkehr zur Wissenschaft, und zwar in der Gestalt des freien philosophischen Denkens, zu seinem wahren Beruf zurückgekehrt.“ Nicht zufällig nennt v. Hartmann Philosophie und Wissenschaft in einem Atemzug. Entscheidend war für ihn die Lektüre-Begegnung mit Schopenhauers Die Welt als Wille und Vorstellung, doch ebenso der naturwissenschaftlich gebildete Freundeskreis des Elternhauses. Als Autodidakt studiert der junge v. Hartmann die spekulativen Systeme Schellings und Hegels, bleibt aber in lebenslänglichem Kontakt mit der physiologischen und medizinischen Forschung. Sein früh erschienener Bestseller will, so der Untertitel, „Speculative Resultate nach inductiv-naturwissenschaftlicher Methode“ geben: Die Philosophie des Unbewussten (1869) begründet v. Hartmanns Stellung als Publikumsschriftsteller außerhalb der akademischen, von Neukantianismus und Positivismus beherrschten Zunft. Mehr als 60 weitere Werke folgen. Damit ist v. Hartmann selbst für Maßstäbe des 19. Jahrhunderts ein überaus produktiver Autor. Einen Großteil seines Werkes schrieb der Gehunfähige vom Ruhebett aus, assistiert von seiner gleichfalls schriftstellernden ersten Ehefrau Ada Taubert. Sie und – nach ihrem frühen Tod – Alma Lorenz halten die Verbindung mit dem hauptstädtischen Geistesleben aufrecht.
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