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FORSCHUNG

Heidegger: Heideggers Sprache tiefensprachlich untersucht

Aus: Heft 4/2017, S. 58-68

 

Heidegger geht manchmal Umwege, Holzwege oder Feldwege. Immer aber ist sein Denken ein Unterwegssein mit und zur Sprache. Philosophischer Inhalt, sprachliche Darstellungsform und Erkenntnismethode bilden eine Einheit. Wie aber hängen diese zusammen? Bettina Kremberg ist diesem Verhältnis in ihrer Promotionsarbeit

Logik der Tropen. Tiefensprachliche Redemodi im Denkweg Martin Heideggers. 692 S., Ln., € 60.—, 2016, Alber Thesen Band 63, Karl Alber, Freiburg

dadurch nachgegangen, indem sie die Tropen der rhetorischen Rede Heideggers in ihrer tiefensprachlichen Logizität freimachte und als logische Vorstrukturierungen von Denkinhalten exponierte. Eine Ausblendung der tropischen Kontinuität und Dynamik, so ihre These, unterschätzt die Dimensionalität des Denkweges Heideggers in seiner Gesamtheit.

Rhetorik

Seit Platons Abgrenzung der Philosophie und Wissenschaft von bloß rhetorischer Sophistik wird in der Philosophie die Beschäftigung mit figurativer Rede gemieden. Zu Beginn der Neuzeit wurde die Sophistik gar aus dem Kreis der Wissenschaften ausgeschieden. Für Bettina Kremberg beruht dies auf einem Missverständnis dessen, was Rhetorik eigentlich ist, und das beinhaltet, dass die Lehre von den rhetorischen Schlüssen marginalisiert und als bloße Theorie des Redeschmucks missverstanden wurde. Übrig blieb die Kunst der Darstellung, bei der es Überschneidungen mit der Poetik gibt. Kremberg hingegen will Rhetorik in einem umfassenden Verständnis als logos verstanden wissen, als Verbindung von Denken, Sprache und kooperativer Praxisform. Indem diese Dimensionen sprachphilosophisch ausgeleuchtet werden, können Heideggers Anläufe, den Besinnungsraum der immer auch sprachlich-rhetorisch verfassten Metaphysik zu überschreiten, besser verständlich werden. Erst eine tropologische Analyse der Tiefen-strukturen der Dynamik in Heideggers Sprachgebrauch vermag die denkerische Bewegung von Sprache und Vernunft in ihrer praktischen Gegründetheit zu thematisieren. Dabei geht Kremberg davon aus, dass die Struktur der Sprache wesentlich geprägt ist durch und von den praktischen Lebensbewältigungsprozessen, in die Menschen verwickelt sind.

Heidegger macht immer wieder deutlich, dass die Wahl der philosophischen Erkenntnismethode eng mit der Wahl der Darstellungsform zusammenhängt. Er arbeitet etwa in Sein und Zeit appellativ, narrativ, etymologisch ausgreifend und evokativ. Innerhalb seines Denkweges wechselt er sein sprachliches Instrumentarium mehrfach. Sein Programm ist es, das menschliche Dasein in seinen Selbst- und Weltbezügen radikal und phänomenadäquat aus seinen kooperativen Praxisvollzügen und damit aus einer nicht vergegenständlicht gedachten Zeitlichkeit heraus zu verstehen. Dieser Denkungsart trägt Heideggers Darstellungsform im gesamten Denkweg kontinuierlich Rechnung. Im Unterschied zu seinen Schriften bis in den 30er Jahren, in denen Heidegger phänomenologische Analysen und damit situationsinvariante, den Praxisvollzügen enthobene Darstellungsformen bevorzugte, werden die späteren Texte, die der Rück-kehr zur „seinsgeschichtlichen Dimension" seines Denkens gewidmet sind, zunehmend verdichteter und poetischer. Sie enthalten weniger daseinsanalytische als welterschließende Kraft.

Die Funktion der Tropen

Ein zentrales Untersuchungsobjekt Krem-bergs sind die Tropen. Ein Tropus ist eine semantische Figur und bezeichnet die Ersetzung eines Ausdrucks durch einen anderen, der allerdings nicht synonym ist, also einem anderen Bedeutungsfeld zugehörig ist. Tropen sind also Wörter oder Wendungen, die nicht im eigentlichen, sondern in einem übertragenen, bildlichen Sinne gebraucht werden, etwa „Blüte" für „Jugend" und „Abend" für „Alter". Dazu gehört aber auch der „Allmächtige" als Definition für „Gott". Tropen sind semantische Figuren, weil sie auf neue Bedeutungsfelder verweisen. Tropen sind damit deviante, also abweichende Redemodi, und Kremberg sieht darin den Grund, warum sich die Philosophie von ihnen abgewandt hat. Die höchste poetische Reputation unter den poetischen Figuren genießt die Metapher. Auch sie gehört zu den Tropen (den Sprungtropen). Für viele Tropentheorien stellt sie das Paradebeispiel dar und wird oft als der Oberbegriff über alle rhetorischen und tropischen Figuren verwendet. Wie die Metapher gilt auch die Ironie als Sprungtropus. Tropen können etwa die Rezeption eines Buches lenken und leiten. Titel wie Herbst des Mittelalters oder Die fröhliche Wissenschaft erzeugen aufgrund der durch die Metaphorik evozierten rezeptionellen Grundstimmung vorab einen bestimmten konzeptionellen Rahmen. Mit ihrer starken Vororganisationsfunktion präfigurieren Tropen sprachliche Inhalte. Sie können Praxis- und Kooperationsformen in ein neues Licht setzen und aufgrund ihrer Wandlungsfähigkeit alternative Haltungen stiften. Mit der Beherrschung tropischer Rede wird eine praktische Kompetenz erworben, die es ermöglicht, auf bestimmte Weise mit bestimmten Phänomenen umzugehen, was heißt, einen Perspektiv- oder Orientierungswechsel im spielerischen Vollzug einzuüben.

 

Primärtropen, d. h. Idealtypen von Tropen, sind Grundtypen, die Welt anzuschauen. Sie fassen die Mannigfaltigkeit der Wahrnehmungseindrücke erst zu einer in sich logisch geformten Einheit, einem Anschauungskonzept, zusammen, einer Perspektive. Während Metapher und Ironie die beiden Sprungtropen sind, fungieren Metonymie und Synekdoche als Grenzverschiebungstropen und bilden den Anfangsboden und Ausblick dessen, was auf Heideggers Denkweg tropologisch her-auspräpariert werden kann.

Die Metonymie setzt einen Teil einer Sache für den Namen des Ganzen ein oder umgekehrt („Heidegger lesen" statt „Texte von Heidegger lesen"). Metonymien sind Instanzen einer systematischen Bedeutungsverschiebung. Ein Teil wird als äußerer Repräsentant eines Ganzen herausgestellt. Mit ihnen ist es möglich, sich mit ein und demselben Ausdruck auf Gegenstände sehr verschiedener, doch zugleich inhaltlich inhärent miteinander verbundener Gegenstände zu beziehen. Sie dienen damit vor allem der Sprachökonomie. Damit wird auch eine sachlich-distanzierende Haltung zum Darzustellenden möglich.

Synekdochen bezeichnen die Bestimmung eines Wortes durch ein anderes im gleichen Begriffsfeld. Der synekdochische Redemodus grenzt sich damit von der Metapher ab, die Wörter aus weit entfernten Begriffs-feldern in einen sinnhaften Zusammenhang bringt. Im Tropus der Synekdoche wird es möglich, zwei oder mehr Teile durch Integration in ein Ganzes den darzustellenden Sachverhalt so zu fassen, dass dieses Ganze sich qualitativ von der Summe der Teile unterscheidet. Sie wirkt integrierend, als alle Teile unter ein Ganzes, das kein Teil von ihm ist, subsumiert werden. Während sich im Metonymischen eher der tendenziell gegenständliche Weltbezug ausdrückt, ist es im Synekdochischen eher der umweltliche Weltbezug.

Heideggers Sprache

Kremberg stellt Heideggers Denkweg als eine kontinuierliche Denkbewegung dar, die Brüche aufweist. Sie sieht darin ein durchgängiges philosophisches Bemühen um Adäquatheit von Inhalt und Form bzw. Sache, Methode und Sprache. Auf die Sprache muss man sich aufgrund ihrer vielen „Neologismen" mit assoziativem Charakter erst einlassen. Das Spätwerk beinhaltet eine „appellative Titelwortrede". Titelworte stecken den groben Rahmen ab, was zum Thema bzw. zur Form gehört und was nicht.

Heidegger nutzt fast alle sprachlichen Möglichkeiten, die das Deutsche gewährt: eine Kombination und Mischung aus unüblichen Substantivierungen und Verbalisierungen, etymologische Übertragungen in Verbindung mit Analogiebildungen, Metaphorik, Binde-strichworte, Wortfeld- und Bedeutungsausweitungen, ungewöhnliche Konnotationen, Homophonien, Kreierungen von synonymen und antonymen Bedeutungen, freie Verfügungen über Prä- und Suffixe, mit denen er Nähe und Ferne bzw. bestimmte strukturell zusammengehörende Rede-Ebenen kenntlich macht, Polysemien, später auch Dialogformen und lyrische Metrik, Reim- und Versform. Das erschwert den Zugang zu seinen Schriften.

Drei weitere Eigenarten machen Heideggers Sprachdenken für die wissenschaftlich-analytische Tradition sperrig:

- Sein Denken ist wesentlich eine Philosophie der Praxis, damit des performativen Vollzugs des Denkens. Das bedeutet, dass sein Denken ein „Unterwegs- oder Auf dem Weg-Sein" beinhaltet.
- Heideggers Philosophie hat keinen genuinen Gegenstand wie andere Wissenschaften. Sie will nichts anderes außer sich selbst.
- Heideggers Philosophie ist einweisendes, zeigendes und im Wesen dialogisches Denken. Die Hauptinterpretationslast trägt der Rezipient, der sich auf den Mitvollzug seiner Denkbewegungen nachdenkend einlassen muss.

Was Heidegger über die Sprache denkt, wird in seinen Texten zu einem großen Teil praktisch umgesetzt. Sprache ist für ihn ein dynamisches Phänomen. Deshalb ist er um ihre Etymologie bemüht. Er vermutet in ihr etwas Ursprünglicheres, das dem Normalsprachlichen entgeht oder überdeckt wird. Heidegger ist zur Sprache unterwegs wie zu einer letzten Quelle der Weisheit und Erkenntnis. Im Gegenzug zum wissenschaftlichen räumt das nachsinnende Sprachdenken verschüttete Zu-gänge zur Sprache frei, um eine noch unverstellte, nicht zugerichtete Erfahrung mit ihr zu ermöglichen.

Im Leitmotiv des Weges als Methode kündigt sich Heideggers Wille nach strenger Adäquatheit von Darstellungsform und Erkenntnisweise an. Insofern bezeugt die Verbindung von Methode und Weg einmal mehr das Interesse Heideggers an der Herkunft der Sprache wie am Ursprünglichen des Denkens. Im Laufe des Denkweges wird Heideggers Sprache wortgewaltiger. Sie emanzipiert sich zusehends vom Standard wissenschaftlicher Darstellungsformen. Heideggers Denken nach Sein und Zeit bringt das dort feingliedrig Auseinandergelegte nicht einfach in eine synoptische Einheit zusammen, sondern integriert es in einen neuen logischen Redemodus. Stiftete nach Heidegger bis in die späten zwanziger Jahre noch der Mensch das Sein, so ist das Sein später kein Ereignis des Denkens mehr. Vielmehr wird der Mensch vom Sein „angesprochen", ist dessen „Hirte" und „Nachbar". Der Mensch ist nicht mehr nur in die Welt „geworfen", sondern vom Sein selbst in die „Wahrheit des Seins" geworfen. Das Denken ist auch nicht mehr nur ein Fragen, Verfügbarmachen oder Indienstnehmen bestimmter Erkenntnisse oder Methoden über Begriffs-klärung, sondern es wird zum „Hören" oder „Sichsagenlassen". Kremberg sieht hier eine erweiternde Akzentuierung, nicht aber ein anderes oder gar den frühen Überzeugungen widersprechendes Denken in Heideggers so genannter „Kehre". Die Missverständnisse sieht sie aufgrund von Übersetzungsschwierigkeiten und Inkompatibilitäten mit einer die gesamte Lebenswelt bereits durchzogen habenden Wissenschaftssprache, die sich eben gerade nicht mehr der gesamten Breite und Tiefe der Sprache bewusst ist, sondern aus einem technizistischen Verständnis heraus Sprach- und Denkpolitik betreibt. Dagegen gilt es für Heidegger, mehr „Demut" und „Frömmigkeit" walten zu lassen. Damit ist er sozusagen „on the road" gegen Fixierungen und Erstarrungen durch Vergegenständlichung, Schematisierung und Routinen.

Heideggers Denkweg

Kremberg sieht vier Etappen in Heideggers Denkweg. Die erste Etappe beinhaltet die Herkunft seines Denkens aus einer bestimmten zeitgenössischen Situation. Heidegger emanzipiert sich in der zweiten Etappe aus dieser disziplinären Geworfenheit und Gebundenheit (frühe Vorlesungen und Sein und Zeit) und entwirft sein eigenes philosophisches Projekt. In der dritten Phase räumt er Missverständnisse und Kritik gegenüber seinem philosophischen Programm aus, indem er die bisherige Blickrichtung wendet und nicht mehr vom Dasein her das Sein, sondern vom Sein her das Dasein beschreibt (Kehre). In der vierten Etappe schreitet Heidegger zur Frage nach dem Verhältnis von Sprache und Sein fort (Spätwerk).

Der frühe Heidegger

Am Anfang seines Denkens bringt Heidegger verschiedene Phänomene zusammen, steuert aber noch nicht auf eine Gesamtkonzeption zu, wie man sie im Rückblick auf den Denkweg erkennen kann. Gleichwohl schneidet er verschiedene Themen bereits zu Beginn an, zum Beispiel die Themen „Zeit", „Sein" und „Verdinglichung". Auffällig ist schon in den frühen Schriften ein antimechanizistisches Votum, das sich zum Beispiel in der Überzeugung der Gesetzlosigkeit der Logik zeigt. In seinen berühmt gewordenen Phänomenologischen Interpretationen zu Aristoteles im WS 1921/22 sucht er nach dem für ihn entscheidenden methodischen und thematischen Ansatz. Die eigene Denktradition versteht er als ein von lebensweltlichen Praxen entfremdetes Unternehmen. In der Auseinandersetzung mit Aristoteles entwickelt er sukzessive ein eigenes Begriffsinstrumentarium. Er nimmt hier den Begriff der „Existenz" erstmals mit emphatischem Nachdruck als Grundbewegung des menschlichen Lebens auf. Menschliches Leben „ist" nicht nur, sondern „es wird gewahr, dass es da ist". Das unterscheidet das menschliche Leben von jeder anderen Seinsform. Von hier aus eröffnet sich der Horizont von so etwas wie „Sorge" und „Zeit" überhaupt. Nur aus diesem Vollzugssinn heraus kann menschliches Dasein verstanden werden.

Heidegger scheint es notwendig, „die Philosophie zu sich selbst aus der Entäußerung zurückzuführen", wie er 1920 schreibt. Die Philosophie muss in ihrer speziellen kausal-mechanistischen Wirklogik bis ins Äußerste getrieben werden und sich vom Leben weitestmöglich entfernen, um dann die Rückbindung an die lebens-weltlichen Praxen wieder neu in den Blick zu nehmen. Heidegger nimmt in der Folge zunehmend Distanz zur eigenen philosophischen Tradition, in die er eingebettet ist. Dafür muss er den sprachdenkerischen Rahmen weiter stecken als seine Philosophenkollegen: weg von einem bestimmenden, definierenden und weltanschaulich-wertphilosophischen Denken der Wissenschaften hin zu einer sondierenden, vorbegrifflich-phänomenologischen Vollzugsanalyse menschlicher Praxis- und Ko-operationsformen.

In seinen ersten methodischen Ansprüchen versucht er, phänomenologische, hermeneutische, neukantianische und lebensphilosophische Ansätze miteinander zu vereinen. Er nimmt ihr grundlegendes Ideenpotential in das eigene Denken auf, negiert aber deren inkonsequente Umsetzung. Mit seiner Methode der phänomenologischen Untersuchung gewinnt er schon bald ein geeignetes Denkwerkzeug, das systematisch eingesetzt werden kann, um die Kritik in eine methodisch zwingende Form zu bringen. Dazu gehört, weit entfernte Bedeutungsfelder und Denkansätze miteinander zu vereinen und in eine neue Identitäts-beziehung zu bringen, so dass ein neues Denkmodell entsteht. Er will sich so auf die Phänomenologie einstellen, dass ihr Phänomenales von selbst aufscheint, mit all ihrer eventuellen Vorläufigkeit und Diffusität, die durch eine vortheoretische Einstellung zu den Phänomenen entsteht. Die Phänomenologie wird zu einem reinen Methodenbegriff. Ihr Ort ist nicht der distanzierte Zugriff auf Phänomene, sondern eine vor dieser theoretischen Einstellung liegende Einbezogenheit in praktische Vollzüge, aus denen heraus erst sich Phänomene beschreiben lassen. Eine Philosophie des Daseins, so wie sie Heidegger schon einige Jahre vor Sein und Zeit konzipiert, kann dem Dasein nicht betrachtend gegenüberstehen, sondern muss Ausdruck des Daseins selbst sein.

Sein und Zeit

Um die Vollzughaftigkeit menschlicher Praxisformen und damit ihre Zeitlichkeit besser artikulieren zu können, nutzt Heidegger weite Bereiche sprachlicher Erweiterungen. Es sind vor allem Bindestrich-worte, ungewöhnliche Prä- und Suffixe, tautologisch anmutende Wortungetüme und substantivierte Präposition-Kopula-Kombinationen, kreative Verbalisierungen und Nominalisierungen, eigenwillige Etymologien, Umdeutungen von Präpositionen und Appelle, die Heideggers Ringen um eine angemessene Darstellungsform in seinem Hauptwerk Sein und Zeit kennzeichnen. Kremberg sieht in solchen vermeintlich sprachlichen Extravaganzen keine Marotte, sondern eine ernsthafte Suche nach einer angemessenen Darstellungsform für das Neue, das er denken und sagen möchte. In der Tatsache, dass solche Bemühungen selbst dem Redemodus metonymischer Darstellungsweisen entsprechen, den er gerade für die Ideologie des Exakten und der Metaphysik verantwortlich macht, geschuldet ist, sieht sie ein wesentliches Merkmal eines schwierigen sprachdenkerischen Ablösungsmanövers. Heidegger will eine differenzierte, das heißt der sprachlichen Phänomenalität angemessenere Sicht und Sprache gewinnen und die Phänomen nicht noch länger im Denkmodell im weitesten Sinne „physischer Kategorialität" auffassen.

Ein erster Schritt, den anvisierten Perspektivenwechsel einzuleiten, besteht darin, die grundlegende Unterscheidung zwischen verschiedenen Redeformen über bestimmte Phänomene zu kennzeichnen. Dem Begriff „Kategorien" setzt er den neuen Begriff der „Existenzialien" gegenüber. Bloß Seiendes ist nicht existent im daseinsmäßigen Sinn. Das Dasein geht über seine bloße Seiendheit hinaus. Ebenso geht es nicht in kategorialen Beschreibungen seiner selbst auf. In Bezug auf die Umgebung des Daseins charakterisiert Heidegger das „In-der-Welt-sein", das „In-Sein", das „Sein-bei", die „Weltlichkeit der Welt" und die „Weltmäßigkeit der Umwelt" als Existenzialien. Alle diese Existenzialien sind äußerlich noch metonymische Darstellungsformen. Heidegger rekonstruiert eine ursprünglichere existenziale Welt hier noch mit den bedeutungserweiternden Mitteln der kategorial-metonymischen Sprache. Gleichzeitig kritisiert er in umgekehrter Weise die Übernahme existenzialer Redeweisen für nicht-existenziale Phänomene und schafft so Ordnung innerhalb der Phänomenbereiche. Die sprachlichen Präzisierungsversuche lassen Heideggers unbedingten Willen erkennen, den metonymischen Redemodus im kategorialen Sinne zu sprengen.

Worauf Heidegger mit der Existenzialanalyse insgesamt hinaus will, ist die Beschreibung einer vortheoretischen, vorana-lytischen Vollzugsebene des Daseins. Diese selbst wird jedoch mit dem Werkzeug des Begriffs- und Sachanalytikers metonymisch zusammengestellt. Für Kremberg drängt sich jedoch der Eindruck auf, dass für dieses Unternehmen die Sprache nicht angemessen ist. Sie hält es deshalb nicht für Hochstapelei, wenn Heidegger behauptet, dass die bisher gesprochene Sprache nicht ausreicht.

Mit der Unterscheidung der Begriffe „Realität" und „Wahrheit" nimmt Heideggers Existenzialanalyse einen neuen Ansatzpunkt. Indem er die traditionellen Wahrheitsbegriffe dekonstruiert, zeigt er auf, inwiefern die Wahrheitsbegriffe einer bestimmten Haltung zur Welt entstammen. Sie sind im tiefensprachlichen Modus des Metonymischen, nämlich in der uneigentlichen Auslegung des Daseins selbst zu verorten.

Heidegger geht jede der fundamentalen Existenzialien durch, grenzt sie vom üblichen alltäglichen und theoretischen Verständnis ab und zeichnet sie als existenziales Phänomen nach. Dabei wird deutlich, dass das Verstehen primär in der Zukunft gründet. Die Zukunft zeigt sich in ihrer eigentlichen Form als „Vorlaufen" und uneigentlich als „Gewärtigen". Heidegger zeigt dabei Verweisungen in der deutschen Sprache auf und nutzt sie, wie es bisher nicht üblich war. Alles, was sprachlich fixierende Wirkungen hat, wird von Heidegger gemieden oder aufgeladen. Er will die abendländische Ontologie-Tradition aus ihrer Vorhandenheitslogik herausholen. Es wird ihm immer klarer, dass er im Rahmen des metonymischen Denkmodells das existenziale Phänomen der Zeitlichkeit nicht phänomengerecht artikulieren kann. Die existenzial-zeitliche Analyse kommt da an ihre Grenze, wo es ums Räumliche, um Extensionen geht. Es bedarf der Erfassung der spezifisch generischen Ausdrucksweise, namentlich der synekdochischen Redeweise, um die Daseinsstruktur als Strukturganzes in ihrer in sich verwobenen und eigentlich untrennbaren Einheit als phänomengerecht darstellen zu können. Jede begriffliche Analyse als Auseinanderlegung ihrer elementaren und atomaren phänomenalen und begrifflichen Bestandteile ist deshalb nur ein notdürftiges und insofern uneigentliches Hilfsmittel, um auf ihre im Erlebnis unteilbare Ganzheitlichkeit zurückzuverweisen. Die gesamte Daseinsanalyse in Sein und Zeit bleibt damit ein Appell, die innere Verflochtenheit und Verdichtung der Strukturmomente in ihrem Facettenreichtum und ihrer Vielschichtigkeit synekdochisch zu verstehen. Was Heidegger in Sein und Zeit noch nicht leisten kann, ist eine Übereinstimmung von Denkmodell und Darstellungsform. Noch immer sind es zumeist die sich endlos aneinanderreihenden Bindestrichworte, die das dominierende Bild des Heideggerschen Denkens methodisch und optisch kennzeichnen. Gleichwohl zeichnet sich ein Übergang von einem metonymisch-objektivierenden zu einem davon abgehobenen synekdochischen Denken ab.

Nach der Kehre

Im Spätwerk wählt Heidegger vorwissenschaftliche und insofern reichere, weil ganzheitlichere, also in gewisser Weise undifferenziertere Formen der Sprache und des Denkens, um angemessen das Sein zu denken und sprachlich zu fassen. Damit setzt er das in Sein und Zeit angekündigte Denkprojekt, nämlich die Frage nach dem Sinn von Sein zu beantworten, in denkerischer Selbstverpflichtung fort. Eine Annäherung an Heideggers Texte nach der Existenzialanalyse wirbt noch viel stärker um ein Sicheinlassen auf den Mitvollzug des denkerisch Vorgeführten. Was Heidegger von seinen Lesern verlangt, ist eine Form des Einübens in neue bzw. uralte, zumindest aber andere Form, ja andere Logik des Denkens. Verlangt ist damit zugleich die Veränderung der Sprache und ihrer tropologischen Rahmung. Es gilt eine Sprache zu finden, die sich von dem Weltverständnis des zergliedernden Denkens entschieden absetzt, quasi dessen Gegenteil bildet, aber gleichzeitig das Metonymische in sich als Variante unter anderen integriert.

Das alles beherrschende Thema in Heideggers Denken nach Sein und Zeit ist die Suche nach einer Darstellungsform, die dieses Ganze als eine dynamische Bewegungsform nicht-kategorial ausdrückt. Heideggers Denken sucht nun seinen Pfad über ein ursprünglicheres Verständnis der Zeit und damit der Wahrheit des Seins. Die Zeit ist ein ganz anderes Wesen, als dass sie mit den Mitteln metonymischen Sprachdenkens überhaupt erfasst werden könnte. Weil diese metaphysische Begrenztheit nicht vom Menschen allein, sondern vom Seins- und Zeitverständnis selbst herrührt, nennt Heidegger sie auch „Seinsverlassen-heit". Seinsvergessenheit und Seinsverlassenheit bedingen sich: Das Dasein hat das Sein in seiner zeitlichen Reichweite vergessen, und es ist zugleich vom Sein verlassen, weil ihm kulturell-historisch nur bedingte Denk- und Sprach-Mittel zur Verfügung stehen.

Heideggers Denken nach der Kehre ist auf der Suche nach der angemessenen sprachlichen Fassung seines alternativen Denkansatzes, der die Phänomene zu retten versucht. Für ihn hat die seinsgeschichtliche Fokussierung auf das Seiende und das gleichzeitige Vergessen der Zeit durch dessen räumliche Vergegenständlichung zu gefährlichen Konsequenzen für den Menschen geführt. Die innere metaphysische Logik dieser Konsequenzen als einen Nihilismus aufzuzeigen, ist das hauptsächliche Projekt Heideggers seit der Mitte der 30er Jahre. Diesen Nihilismus sieht Heidegger am deutlichsten in den Schriften Nietzsches. Ab 1936 gibt Heidegger Nietzsche-Vorlesungen, in denen er Nietzsche als Vollender des Nihilismus interpretiert.

Auf dem Weg des Sich-in-die-Nähe-des-Sein-Bringens hat Heidegger die Regeln des normalen deutschen Sprachgebrauchs in seiner grammatischen und semantischen Begrenzung hinter sich gelassen. Er wendet das
Prosaische als Normalform des metonymisch-logizistischen Denkens ins Poetische, in eine Form des synekdochisch-holistischen Mitdenkens und Mitverstehens, denn ohne die empathischen Formen des kooperativen und kommunikativen Mitseins mit anderen ist menschliches Dasein nicht zu haben. Das Auseinanderlegende, Zählende, Rechnende, Analysierende, Begriffliche kehrt sich in sein Gegenteil, ins Zusammenziehende, Dichtende, Existenziale, Metaphorische. Weil das Dasein nicht mit dem Sein verschmelzen kann, kann es nur dessen Nachbar sein und sich in dessen Nähe aufhalten. Nähe ist der Schlüssel zu Heideggers Seinsverständnis, denn das Sein selbst ist dieses Verhältnis des Menschenwesens zum Sein bzw. des Seins des Menschen. Das Sein selbst ist Nähe. Nähe stellt den Inbegriff aller Verhältnishaftigkeit dar. Das Schlüsselwort „Nähe" bildet ein Prinzip, das Heidegger gegenüber einem metonymisch zergliedernden Denken als echte Alternative sprachdenkerischen Vermögens ins Felde führt. Nähe ist nicht nur als ein Substitut für die Wahrheit des Seins gemeint, sondern vor allem als deren intrinsisches Prinzip. Als Prinzip drückt es eine Form des immer schon Mitverstehenwollens aus.

Für Heidegger ist die Philosophie selbst Ausdruck einer Suche nach nicht metaphysisch überdeckter Nähe zum Sein. Sie ist insofern eigentliches „Heimweh", Sehnsucht nach einem Bezug zum Sein. In dieser Sehnsucht repräsentiert sie ein synekdochales tiefensprachliches Verhältnis, das verschüttet und immer wieder vergessen wird.

Heideggers antimetaphysische Geschichtsphilosophie beinhaltet die Thematisierung eines radikalen Verdinglichungs- und Entfremdungszusammenhangs als Grundlage für den Appell zu einem radikal anderen Selbst- und Weltbezug des Menschen. Der Rufer in der Wüste, als der Heidegger sich versteht, ist überzeugt, dass die moderne Industriegesellschaft vor allem Perversionen in Wissenschaft, Politik und Technik zutage bringt. Das Denken der Technik ist ein Denken in Ressourcen und Beständen, in Strategien des Verfügbarmachens. Heidegger sieht eine riesige technologische Textur die menschliche Lebenswelt immer dichter durchziehen. Aber sie erweitert nicht nur Handlungsmöglichkeiten, sondern versiegelt sie zugleich, schränkt sie auf bestimmte Seins- und Existenzweisen ein, die nicht mehr frei wählbar sind. Das Wesen der modernen Technik sieht er als „Gestell". Es ist letztlich die sich einsetzende Eigendynamik, die das technische Denken zur eigentlichen Gefahr macht.

Heideggers Sprache wird nun ungewohnt und ungewöhnlich. Sie wird gewissermaßen „unwohnlich". Es zeichnet sich ab, dass eine ganzheitliche Alternative zum Modus metonymischer Denk- und Redelogik innerhalb des geschickten Gestells nicht zu haben ist, da diese tendenziell auf technisch verfügbare Bestände aufbaut und die Nähe zum Sein zunehmend verbaut. Eine echte Alternative muss sich daher im ganz Anderen des Technischen zeigen. Es darf nicht selbst dem Gestellcharakter entspringen. Für Heidegger ist dieses ganz Andere die Kunst. Weil die Kunst für Heidegger nicht vollständig durch Technik einverleibbar ist, sondern die Nähe zum Sein wahrt, muss sich ein alternatives Denken und Reden den weltbildenden Formen der Kunst annähern.

Sprache ist für Heidegger nicht nur ein Werkzeug, sondern macht das ursprüngliche Wesen des geschichtlichen Seins des Menschen aus. In Form von Dichtung und Denken kann sie zum Ausdruck der Würde des Menschen eingesetzt werden. Die Dichtkunst stiftet die geschichtliche Welt des Menschen in seinem Seinsbezug. Das Wesen der Dichtung ist Gründung und Anfang von Wahrheit. Da die Sprache in der Nähe des Seins der Wahrheit entsprechender werden soll, muss Heidegger sich noch mehr zurücknehmen und selbst hörender werden. Das bringt es mit sich, dass sein Denken sich einem sprachlichen Verdichten, einer vieldeutigen Offenheit, weiten Urkonnotationen und assoziativen und anspielenden Polysemien Platz einräumt. Die Sprache wird bedeutungsoffen, (an)spielerisch. Indem sich Heidegger als Hinhörender und Angesprochener in Szene setzt, gleichen seine späten Texte den Predigten eines Weisen vom Berge, der vom Sein Winke bekommt. Gleichzeitig zieht er den Rezipienten mit in eine andere Welt.