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Heidegger: Briefe an seine Frau

HEIDEGGER

Heideggers Briefe an seine Frau



Gertrud Heidegger ist die Tochter von Jörg, dem Sohn Heideggers. Mit ihrem berühmten Großvater hatte sie wenig Kontakt, entweder brauchte dieser Ruhe zum Arbeiten oder war in Meßkirch bei seinem Bruder. Unvergesslich sind ihr aber die seltenen gemeinsamen Stunden in seinem Studierzimmer, wo sie „Peter und der Wolf“ hörten, Gedichte von Hebel lasen und wo sie Pfefferminzbonbons und Bitterschokolade aus seiner Schreibtischschublade bekam. Umso inniger war der Kontakt mit der Großmutter. 1977 übergab diese ihrer Enkelin einen Schlüssel zu einer Holzkiste. An diesem Schlüssel war mit einem Seidenbändchen ein Anhänger befestigt mit der handschriftlichen Bemerkung:
„Dieser Schlüssel gehört nach m. Tod ausschließlich meiner Enkelin Gertrud Heidegger.“ Großmutters Wunsch war es aber, die Briefe bis 1989, dem hundertsten Geburtstag Heideggers, unter Verschluss zu halten.

In der Holzkiste fanden sich über tausend Briefe, die Martin Heidegger im Laufe seines Lebens an seine Frau geschrieben hatte. Gertrud Heidegger hat nun die wichtigsten und schönsten, rund ein Siebtel der Briefe, ausgewählt und veröffentlicht:

„Mein liebes Seelchen!“. Briefe Martin Heideggers an seine Frau Elfride.
Herausgegeben, ausgewählt und kommentiert von Gertrud Heidegger. 416 S., Ln., € 22.90, 2005, Deutsche Verlagsanstalt, München

Dabei sind alle Briefe aus der Zeit von 1933 bis 1938 in das Buch aufgenommen. Auch sind, wie Gertrud Heidegger betont, alle antisemitischen und politischen Äußerungen bezüglich des Nationalsozialismus enthalten.

Die Briefe zeigen Heidegger als jemanden, der das Genre des Liebesbriefeschreibens durchaus kennt, sie zeigen aber auch jemanden, der sich von Anfang an seiner Bedeutung bewusst war, und sie zeigen jemanden, der selber keinen Sinn für Witz und Humor hatte (diesen aber bei seinem Bruder bewunderte).

Im Rahmen ihres Studium besuchte Elfride Petri ein philosophisches Seminar über Kants „Prolegomena“ bei dem 26jährigen Privatdozenten Martin Heidegger. Als Elfride ein Referat halten soll, bietet ihr Heidegger an, dabei zu helfen und lädt sie zu diesem Zweck zu sich ein. Bei beiden scheint es gleich gefunkt zu haben. „Das große Glück drückt mich zu Boden“, schreibt Heidegger gleich im zweiten Brief, um dann die Philosophie ins Spiel zu bringen: „Am Ende erleben gerade philosophische Naturen so ungewöhnliches Glück noch in seiner ganzen Fülle. Der Philosoph sieht aller Dinge Letztes, erlebt alles Daseins Urgründe, erschauert in diesem Gottgeboren wundersamen Glück.“ Heidegger erzählt Elfride, dass er als Bub bei allen Raubzügen und Soldatenspielen stets der Führer war; dass er, wenn er bei den Lateinprüfungen Fehler machte, sich bei der Mutter ausweinte; dass sogar die Zeitung darüber berichtete, dass er als Obertertianer einen ganzen „Schiller“ als ersten Preis nach Hause brachte. Er berichtet ihr aber auch, dass er seine grüblerische Verschlossenheit von seinem Vater geerbt habe und dass zu seinen Vorahnen ein berühmter Schweizer Theologe gehört habe (gemeint ist ein Joh. Henricus Heideggerus). Umgekehrt ist er ihr gegenüber kritisch: „Du mußt noch die ganze Weite und Tiefe der Probleme erfassen – rezeptiv, nicht selbst stellend und grübelnd – das widerstrebt der Frauennatur.“
Allerdings kam er damit nicht gut an, er muss sich im Brief darauf verteidigen:
„Was ich über das Fehlen der Grundlage sagte, war vielleicht missverständlich ausgedrückt: ich meinte nicht, dass Dir die Disposition fehlte – wie könnte ich das?“ – um dann gleich mitzuteilen, worum es ihm geht, nämlich um „Erkenntnis, letztes Begreifen und Deuten des Sinnes, danach geht rastlos der Drang“.



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Elfride beginnt mit dem Erlernen von Griechisch, Heideggers Lieblingssprache, und bildet sich in der Philosophie weiter. Am 6. März 1916 verloben sich die beiden, jedoch nicht offiziell, denn für die Eltern von Martin Heidegger ist eine protestantische Schwiegertochter schlicht nicht vorstellbar. Elfrides Eltern sind darob verärgert und untersagen ihrer Tochter den Kontakt zu ihrem Verlobten. Martin wiederum fällt es schwer, vor seinen Freunden und Bekannten an der Universität zu Elfride zu stehen. „Es ist vielleicht mein Fluch“, schreibt er seiner Verlobten, „dass ich die philosophische Begabung habe, vor deren Betätigung alles zurücksinkt und ich meine Lebensbezüge vernachlässige.“ Enttäuscht ist er aber, dass er mit seiner Universitätslaufbahn nicht weiterkommt. „Die Verjudung unserer Kultur und Universitäten ist allerdings schreckerregend und ich meine die deutsche Rasse sollte noch viel innere Kraft aufbringen um in die Höhe zu kommen“, schreibt Heidegger im Jahr 1916 seiner Verlobten, die zeitlebens eine antisemitische Einstellung beibehielt, während dies von Martin Heidegger der einzige eindeutig antisemitische Beleg im Briefwechsel ist.

Heidegger beginnt nun, sich mit Husserl zu beschäftigen, gewinnt aber dabei schnell Abstand: „Ich kann Husserls Phänomenologie, auch wenn sie zur Philosophie kommt nicht als Endgültigkeit annehmen – weil sie im Ansatz und entsprechend im Ziel zu eng und blutlos ist.“ 1918 kommt er als Soldat nach Berlin und schreibt: „Der Krieg ist noch nicht furchtbar genug für uns geworden. Die Menschen hier haben unsere Seele verloren… vielleicht kann das „geistige“ Berlin durch eine bodenständige Kultur an den Provinzuniversitäten überwunden werden – jedenfalls kommt die Gesundung unserer Jugend nur von da – wenn sie überhaupt noch möglich ist.“ Am 17. Oktober setzt er seine Gesellschaftsanalyse fort: „… wir haben uns in eine erschreckende Mißkultur und Scheinlebigkeit hinein verrannt – alle Wurzelfäden mit den Grundgedanken wahrhaften Lebens sind dabei bei der Großzahl der Menschen abgestorben.“ Dabei fühlt sich Heidegger seiner Aufgabe sicher: „Die große Berufung zu einer überzeitlichen Aufgabe ist immer auch notwendig eine Verurteilung zur Einsamkeit und es gehört zu ihrem Wesen, dass andere von ihr nicht wissen.“ Auch was die Beziehung zu Elfride betrifft, sieht er klar: „Wir sind doch auf dem Wege zu einer echten, einfachen und elementareren Ergreifung des Lebens – zu einer Schaffung des neuen Stils – nicht nach Programmen, sondern erwachenden Motiven des innersten Selbst.“ Die Rolle von Elfride sieht er nicht als Akademikerin, sondern als Mutter: „Die studierenden Frauen brauchst Du wohl kaum zu beneiden, denn sie sind nie ganz dabei und haben damit von vorn herein auf die Ergreifung des Eigentlichen verzichtet.“

Elfride nahm dennoch das Studium der Nationalökonomie wieder auf, auch um in einem Beruf tätig sein zu können, falls ihr Mann keine feste Anstellung finden würde. Martin ist davon nicht begeistert, er sieht im Studium etwas, „was – in der jetzigen Form, die vielleicht noch eine tastende ist – was Dich daran hemmt, Dir die frauliche Ganzheit zu geben die Du im Lebenszusammenhang mit mir und den Kindern haben kannst.“ Er selber ist nun soweit, dass er „von den gegenwärtigen Philosophen nichts mehr lernen kann und nur zu meiner eigenen Auseinandersetzung eine solche mit den für mich Entscheidenden der Geschichte durchfechten muss… man kann das Ziel nicht hoch und nicht einfach genug nehmen“.

1932 ärgert er sich: „Das ‚Niveau’ im Völkischen Beobachter ist z.Z. wieder unter aller Kritik – wenn nicht sonst die Bewegung ihre Mission hätte, könnte einem das Grauen fassen.“ „Je klarer mir wird, wo ich hingehöre“, schreibt er im folgenden Brief, „und was ich noch von meiner Arbeit und diesmal auch vom innersten Selbst verlangen muss… um so einsamer wird es…. Und vielleicht ist das notwendig, dass diese völlige Einsamkeit kommt – sie sichert einem allein die eigene Linie“. Heidegger fragt sich in dieser Zeit immer wieder, „wo wir hingeraten – nicht nur, dass Nichts Großes und Wesentliches da ist - es fehlen, was natürlich damit zusammengeht – alle Instinkte für Maßstäbe und Rang. Aber …. So viel Überwindung einem die Nazis abfordern, es ist immer noch besser, als diese schleichende Vergiftung, der wir in den letzten Jahrzehnten unter dem Schlagwort ‚Kultur’ und ‚Geist’ ausgesetzt waren.“ 1933 schreibt er über seinen Kollegen Jaspers: „Es erschüttert mich, wie dieser Mensch urdeutsch und mit dem echtesten Instinkt und der höchsten Forderung unser Schicksal und die Aufgaben sieht und doch gebunden ist durch die Frau“ (Jaspers’ Frau ist Jüdin). Er habe sich, so fährt Heidegger fort, in den letzten Tagen immer wieder besonnen, „ob und wie weit ein augenblickliches Eingreifen Sinn hat.“ Er glaube erst jetzt die eigenste geistige Form gefunden zu haben: „Über die großen Dinge muß man möglichst lange schweigen.“ Die im engeren Sinn politische Handlungsart dürfe aber nicht zum Maßstab des philosophischen Handelns werden: „Der Schein des Abseitsstehens wird bleiben und doch wird nur so die Metaphysik des deutschen Daseins in seiner Urverbundenheit mit dem Griechen zum wirkenden Werk werden können.“ Heidegger lehnt in der Folge Rufe nach Berlin und nach München ab.

1936 berichtet er aus seiner Hütte, bei seinen Arbeiten komme es nur darauf an, die rechte Gelegenheit zu schaffen, „dass es mir zuströmt – und es ist wirklich ein manchmal fast unheimliches Zuströmen – vor dem ich mich kaum retten kann – so dass ich nur festhalten muß“. Dabei geht er, wie er am 2. Juli 1937 schreibt, durch eine geistige Krise hindurch, die „ihre Heftigkeit bis ins Leibliche erstreckt“, und er hofft von seiner Frau, dass sie ihm dabei die stärkste Hilfe sei.
„Was will da angesichts der eigentlichen Wirklichkeiten und der unaufhaltsamen Dynamik der militärisch-technischen Gesamtorganisation des Volkes noch dergleichen wie ‚Brauchtum’ und ‚Symbole’: das sind ja nur Vorwände“, formuliert er 1938 seine Bedenken. Heidegger ist nun sehr besorgt um die politische Lage (die prekäre Situation der Juden wird aber im ganzen Briefwechsel nie berührt – obwohl viele von Heideggers Schülern Juden sind). Vielleicht müsse es diese besinnungslose Zeiten geben, gibt er zu bedenken. „Im Gegenwärtigen läßt ein Halt sich nicht finden und das Bisherige ist am Ende… So bleibt nur das, was stets das Bestimmende allein sein kann, das Kündige und die Art, wie wir dafür da-sind. Vielleicht bereiten sich jetzt Umwälzungen des Denkens und des Menschseins vor, deren Umrisse wir kaum ahnen.“ Heidegger bleibt auch nach dem Krieg, 1945, bei diesem Thema: „Was jetzt im Ganzen auf dem Planeten geschieht, ist von einer Art, dass sich darin ein wesenhaftes Ereignis verbergen muss, auch wenn wir es noch nicht sehen und noch nicht sagen können.“ Und, fährt er in einem anderen Brief fort, „aus diesem schmerzlichen Geheimnis kommt eine wunderbare Kraft“.

Wann die Zeit komme, da seine Arbeit „wirke“, könne man nicht wissen. Aber Heidegger ist davon überzeugt, dass seine Arbeit zu einer Zeit, da „wieder Philosophie wesentlich ist“, sie wirken werde, „unsichtbar und mittelbar“. Nach dem Krieg ist auch seine Krise überwunden, „das dichtende und denkende Sagen haben so eine ursprüngliche Einheit gewonnen und alles fließt leicht und frei dahin.“

Heidegger hatte seine Frau des öfteren betrogen, und diese hatte schwer darunter gelitten, aber jedesmal für die Ehe gekämpft. Als Hannah Arendt die Familie 1950 in Freiburg besuchte und die frühere Liebesbeziehung, von der Elfride nichts wusste, dabei an den Tag kam, brach eine Beziehungskrise aus. Heidegger beschwört, „dass ein Unzerstörbares zwischen uns waltet und bleibt“, das aber durch sein Verhalten all die Jahre immer wieder schwer bedroht worden sei. Elfride habe es aber immer wieder gerettet, „und jedesmal wurde ich in das Bleibende dieses schmerzlichen Glücks zurückgebracht“, Veranlagung und die Art der frühen Erziehung, „das Ungefestigte und Feige im Vertrauenkönnen und dann wieder das Rücksichtslose im Mißbrauche des Vertrauens“, das seien die Pole, zwischen denen er schwanke und „dadurch allzu leicht und allzu oft das Maß gegen Hera und gegen Eros verfehle und verkenne“. Der Missbrauch und die Zerstörung des Vertrauens seien „wohl mit in dem Unvermögen gegründet, die Gaben des Schwingenden in den echten und dadurch mithelfenden Grenzen zu empfangen und wachsam zu sein.“ Heidegger ändert sich aber nicht. Er arbeitet sehr gerne mit Frauen zusammen und lässt sich dabei mit ihnen ein, worunter Elfride sehr leidet. Was sich aber ändert, ist seine Rechtfertigung. Er schreibt nun, er müsse „im Eros leben, um das Schöpferische, das ich noch als Ungelöstes und Letztes in mir spüre, noch wenigstens in eine unvollkommene Vorform zu bringen“ und fährt fort, „Dein Vertrauen habe ich zu sehr missbraucht, als dass Du hier in einem sicheren Gewährenlassen ruhig sein könntest“. Und er beruft sich auf sein „Ja – als Du mir von Hermann sagtest.“ Hermann Heidegger, der Nachlassverwalter, ist nicht der leibliche Sohn Heideggers (was von der Familie bis zur Gegenwart geheim gehalten wurde).

Heidegger ist nun öfters für Wochen unterwegs, hält Vorträge, arbeitet mit seinem Bruder in Messkirch oder ist auf der Hütte. Seine Frau bleibt in Freiburg und vereinsamt dabei geistig und emotional. Weder ihren Freundinnen noch ihren Söhnen offenbart sie ihre Not (und ihre Eifersucht), stattdessen hält sie die Fassade ihrer Ehe nach außen aufrecht. Ihre Enttäuschung schreibt sie aber in Briefen nieder, die sie nie abschickt. Sie fragt, was es denn sei, dieses Unzerstörbare, dass zwischen ihnen walten solle: „Liebe ist’s nicht, Vertrauen ist’s nicht, bei anderen Frauen suchst Du ‚Heimat’ – ach Martin, wie sieht’s in mir aus – und diese eisige Einsamkeit.“ Heidegger schreibt ihr quasi als Antwort: „Es ist schon viel Zeit unseres Lebens verflossen und dennoch bitte ich Dich erneut, laß mir Zeit, den Weg zu finden und wieder zur inneren Ruhe und Sammlung zu kommen. Und das Unzerstörbare unserer Liebe, die im gemeinsamen Leben und Wirken sich erfüllte, wenngleich manches dagegen sprach, wird erneut Dich tragen und offen halten für manches Schöne, was noch auf uns wartet.“ Elfride wird in den nächsten Jahren schwer depressiv, ab 1960 verlässt sie das Bett kaum noch, sie bekommt dagegen Schlafmittel und Psychopharmaka von Heideggers Freund, dem Zürcher Psychiater Boss verschrieben und ängstigt sich, ob diese nicht etwa Nebenwirkungen haben. Für Heidegger kein Grund, sein Verhalten zu ändern: Er ist in der Regel außer Haus, seine Frau wird von einer Haushaltshilfe und deren Cousine versorgt. „Immer denke ich, wie es Dir geht; ich weiß, dass ‚ich selbst’ das beste Heilmittel werden und sein kann.“