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FORSCHUNG

Feministische Philosophie: Feministische Phänomenologie


FEMINISTISCHE PHILOSOPHIE

Feministische Phänomenologie


Die Annäherung zwischen feministischer Philosophie einer- und Phänomenologie bzw. Hermeneutik andererseits hat sich nur langsam vollzogen und auf beiden Seiten war die Skepsis recht groß. Dass sich die Phänomenologie zudem als eidetische Wissenschaft versteht und eine Geschlechtermetaphysik mit sich herumschleppt, der zufolge es ein unveränderliches „Wesen“ von Mann und Frau gäbe, hat die Annäherung nicht leichter gemacht. Ein weiterer Hemmschuh ist die Tatsache, dass Husserls Phänomenologie eine Transzendentalphilosophie ist, bei der das transzendentale Ego vom empirischen, und damit auch vom geschlechtlichen Subjekt getrennt ist. Das Buch

Stoller, Silvia/Vasterling, Veronica und Fisher, Linda (Hrsg.): Feministische Phänomenologie und Hermeneutik. 304 S., kt., € 44.—, 2006, Orbis Phaenomenologicus, Königshausen und Neumann

belegt, dass insbesondere das Interesse der Feministinnen an der Phänomenologie gewachsen ist.

Was aber ist feministische Phänomenologie? Die Herausgeberinnen formulieren eine Minimaldefinition: „Feministische Phänomenologie und Hermeneutik sind eine phänomenologische und hermeneutische Philosophie in feministischer Perspektive.“

Dass sich so etwas wie eine feministische Phänomenologie entwickeln konnte, ist wesentlich auf die Wiederentdeckung des Körpers bzw. des Leibes in der Phänomenologie zurückzuführen. Dazu beigetragen haben insbesondere die poststrukturalistische Geschlechterforschung und Judith Butlers Unbehagen der Geschlechter von 1991. Innerhalb der feministischen Theorie folgt auf eine anfängliche Körperphobie mit den neunziger Jahren ein regelrechter und bislang ungebrochener Körperboom. Im Zuge dieser Hinwendung zum Körper kam der Phänomenologie eine wichtige Rolle zu, da sie explizit eine Philosophie der Leiblichkeit entwickelt hatte. Einigen Feministinnen galt diese Phänomenologie als eine hilfreiche Ressource für eine Schärfung des feministischen Körperbegriffs. Andere wiederum zeigten spezifisch anhand der phänomenologischen Theorie des Leibes die Grenzen eines poststrukturalistischen Körperbegriffes auf. Wieder andere bezogen sich auf phänomenologische Theorien der Leiblichkeit, um die so genannte „Leibverdrängung“ innerhalb der abendländischen Tradition aus feministischer Perspektive zu thematisieren. Zwar setzte die Wiedergewinnung der Leiblichkeit als Thema der Philosophie nicht erst mit der Phänomenologie ein, doch die eigentliche Rehabilitierung der Leiblichkeit im 20. Jahrhundert geht auf deren Konto. Dazu hat insbesondere die französische Phänomenologie mit Merleau-Ponty als einem ihrer Hauptvertreter beigetragen. Einzelne feministische Philosophinnen, die mit der phänomenologischen Tradition vertraut waren, haben schon früh das Werk von Merleau-Ponty für sich entdeckt, um es für eine Theorie der Geschlechterdifferenz zu nutzen. Iris Marion Youngs viel zitierter Aufsatz „Werfen wie ein Mädchen“ zählt diesbezüglich zu den frühesten Texten und kann als Initiationstext einer sich auf Merleau-Ponty beziehenden feministischen Phänomenologie gelesen werden. Um die Modalitäten weiblichen Körperverhaltens zu analysieren, kombinierte sie die Einsichten der Theorie des gelebten Körpers, wie Maurice Merleau-Ponty sie formuliert hat, mit der Theorie über die Situation von Frauen, wie sie sich bei Beauvoir findet. Auch Emmanuel Levinas ist zu einem bevorzugten Referenten im Rahmen der feministischen Phänomenologie avanciert. Insbesondere ist aber Luce Irigaray zu nennen, die sich ihrerseits intensiv mit Levinas auseinandergesetzt hat und durch diese Levinas bei den Feministinnen bekannt wurde. Für Irigaray sollte nicht – wie noch bei Beauvoir – die Herstellung von Gleichheit das Ziel sein, sondern die Kultivierung der sexuellen Differenz. Anstelle einer Angleichung an die männliche Norm im Zuge eines Prozesses der Gleichstellung geht es den Differenztheoretikerinnen um eine Aufwertung des Weiblichen in Absetzung von der hegemonialen Norm des Männlichen. Hier trifft sich Irigaray mit Levinas: Beide teilen die Fokussierung auf Differenz und Alterität, und beide verteidigen auf Basis einer Theorie gelebter Geschlechtlichkeit eine Asymmetrie der Geschlechter.

Gegen Husserl Transzendentalphänomenologie, so legt Christina Schües dar, gibt es hingegen aus feministischer Sicht starke Vorbehalte: Das transzendentale Ego repräsentiere die reine ungeschlechtliche Vernunft und gehe damit am Menschlichen vorbei. Diese Gleichsetzung des Menschen mit einem Neutrum sei eine „Ungeheuerlichkeit“ (Adriana Cavarero), der zwar einerseits ein gewisser Reiz anhafte, die aber tatsächlich eine Monstrosität sei. Denn die Existenz- und Seinsweise des Menschen ist geprägt durch Leiblichkeit, Situierung in der Welt, Geschlechtlichkeit und Geschichtlichkeit: es kann nicht vom Menschen in der Singularität ausgegangen werden. Für Schües sind Husserls Transzendentalphilosophie zwei Rätsel inhärent: die Beziehung zwischen dem Empirischen und dem Transzendentalen sowie die transzendentale Geburt. Denn es ist ein weibliches Ego, das den Anfang des neuen Menschen auf der Welt konstituieren kann. Das bedeutet, dass jedem Geborenen eine weibliche Andere vorausgesetzt ist, die diesen Anfang und dieses Geburtserlebnis mitkonstituiert.

Auch Heideggers Werk wurde von zwei in der feministischen Philosophie einflussreichen Denkern rezipiert: Luce Irigaray und Derrida. Sie stellten (wie dies Veronica Vasterling berichtet), eine Verbindung zwischen dem Thema der sexuellen Differenz und Heideggers Begriff von der ontologischen Differenz her. Da dieses Thema insbesondere in Heideggers Spätwerk eine wichtige Rolle spielt, hat sich die produktive Rezeption von Heideggers Denken aus feministischer Sicht auf das spätere, seinsgeschichtliche Denken konzentriert. So betont Irigaray, die sexuelle Differenz sei das „Ungedachte“, der westlichen philosophischen Tradition und Kultur, es sei ein blinder Fleck. Allerdings ist bei Heidegger Sexualität im Sinne von Geschlechtlichkeit einfach kein Thema. Und, so Vasterling, hat die Gleichsetzung der sexuellen mit der ontologischen Differenz in der feministischen Debatte zu diversen Sackgassen in Bezug auf die Sex-Gender-Differenz beigetragen.

Während die feministische Phänomenologie ein identifizierbarer Forschungsansatz geworden ist, kann man dies von der feministischen Hermeneutik nicht sagen, noch sind die Veröffentlichungen dazu spärlich: die Hermeneutik ist innerhalb der feministischen Tradition so etwas wie ein unentdeckter Kontinent. Dabei, so führt Gabrielle Hiltmann aus, stellt die hermeneutische Methode dem Feminismus ein differenziertes Instrumentarium zur Verfügung, um auf die Zugehörigkeit zu den gewollten oder ungewollten Ausschlüssen von Traditionen sowie das konstruktive Verändern und Herauswachsen von Traditionen zu reflektieren. Die hermeneutische Forschung schärft das Bewusstsein für die Komplexität des gedeuteten Gegenstandes, sei es ein Text oder die historische und soziale Realität, der mit einer eindeutigen Erklärung nicht erfasst werden kann.