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Aufklärung: Was ist Aufklärung? |
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Was ist Aufklärung? Eine Diskussion zwischen den Aufklärungsforschern Robert Darnton, Jean Mondot und Werner Schneiders unter Leitung von Harro Zimmermann
Darnton: Meine Sicht der Aufklärung ist von Voltaire und Diderot geprägt. Man spricht viel über Naturrecht und auch über Toleranz, aber für mich war die Aufklärung vor allem ein Kampf. Ein Kampf gegen die katholische Kirche. Aber nicht nur gegen die Kirche, sondern auch gegen politische Institutionen. Ich sehe die Aufklärung als etwas, das in Paris begonnen und sich von dort verbreitet hat. Wenn es eine Aktualität der Aufklärung gibt, dann findet man sie heutzutage in der Ukraine, in Rußland, ja überall in Osteuropa. Schneiders: Herr Darnton hat lange Jahre in Frankreich gelebt, und er ist von der französischen Aufklärungsforschung geprägt. Die deutsche Aufklärung war wesentlich eine protestantische, hat sich zeitweise sogar selbst als zweite Reformation gefühlt und hatte deshalb auch ein ganz anderes Verhältnis zum Staat. Also kein revolutionäres; es gab auch keinen Verbalradikalismus wie in Frankreich. Das deutsche Wort "Aufklärung" gibt es in anderen Sprachen eigentlich nicht gibt. "Lumières" ist etwas anderes ist als unser Terminus "Aufklärung" und "Enlightenment" ist ein Kunstwort des 19. Jahrhunderts, wenn es auf die Aufklärung angewendet wird, während das deutsche Wort "Aufklärung" als "Aufklärung des Verstandes" schon spätestens von 1690 an belegbar ist. Es hat beide Richtungen gegeben, die Aufklärung des Verstandes, also das, was man mit Reinigung der Begriffe beschreiben kann, und später die durch Kant betonte Aufklärung als Selbstbefreiung, Ausgang aus der "selbstverschuldeten Unmündigkeit" usw. Wenn man sich an beide Bedeutungen von Aufklärung in Deutschland anschließt, an die rationalistische wie die emanzipatorische, dann ist Aufklärung eine Aufgabe, die nicht vollendet ist und nie vollendet werden kann. Insofern ist Aufklärung so aktuell wie eh und je. Mondot: Ich teile die Auffassung von Herrn Schneiders. Und trotzdem würde ich sagen, daß das polemische Element auch in der deutschen Aufklärung vorhanden ist. Denn man darf Lessing nicht vergessen und den Kampf gegen die etablierte Autorität, den Kampf gegen die etablierte Kirche, auch nicht die Goeze‑Polemik in Hamburg, zuletzt mit der Veröffentlichung der Reimarus‑Fragmente. Das zeigt, daß diese polemische Seite durchaus in Deutschland vorhanden ist, allerdings etwas später als in Paris. Hier hatte Voltaire nicht nur den Kampf gegen die Kirche angetreten, sondern, was für Europa und auch Deutschland prägend ist, den Kampf um Gerechtigkeit. Die Calas‑Affäre zum Beispiel dokumentiert im 18. Jahrhundert ein wichtiges Moment der Bewußtwerdung der Rechte des Individu-ums. Und daß ein Schriftsteller gegen die Rechtsprechung des Königs, gegen diese hohen Tribunale, Gerechtigkeit geltend gemacht hat, das war ein Novum. Schneiders: Aber Sie dürfen nicht vergessen, daß es in weiten Gebieten, insbesondere in Preußen, eine aufgeklärte Bürokratie gegeben hat, die sich durchaus als staatstragend und zum Teil als kirchenfromm verstanden, und zumindest geglaubt hat, daß sie von ihrer Position aus Reformen bewirken könnte. Darnton: Ja, aber diese Angestellten und Bürokraten, wollten sie nicht eigentlich nur die Macht des Königs ergänzen? Schneiders: Nein, das glaube ich nicht. Darnton: Wie war es beim Volk? Die Menschen waren fast Sklaven in Preußen, man hat sich um das Volk gar nicht gekümmert. Es gab zum Beispiel die sogenannte Volksaufklärung, die Not‑ und Hilfsbüchlein. Die Hauptsache dabei war, daß das Volk ruhig bleibt und betet. Ruhe ist des Bürgers erste Pflicht. Schneiders: Wir können nicht von einer deutschen Aufklärung in dem Sinne sprechen, wie wir von einer französischen sprechen. Einfach weil Deutschland in soviele unterschiedliche Territorien zersplittert war, daß wir zwischen einer Göttingischen Aufklärung und einer Hamburgischen usw. un-terscheiden müssen. Und die preußische Aufklärung glaubte sich zunächst in Übereinstimmung mit Friedrich II, was sich nach dem Siebenjährigen Krieg dann änderte und nach dem Tode Friedrichs 1786 erst recht. Und in dieser Zeit kommen auch die Kampfpositionen auf. Darnton: In England sehe ich keine richtige Aufklärung, im Gegensatz zu Schottland. Zimmermann: Erstaunlich ist die außerordentliche Blüte der Auklärungsforschung. Die ISECS, die Internationale Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts. hat weit über 8000 Mitglieder weltweit, die Themeninnovation ist enorm, das Interesse ist groß, es wird debattiert. Ein vergleichbares Fortleben besitzen andere Epochen nicht, weder Renaissance, noch Romantik, noch Vormärz. Was steckt dahinter? Mondot: Diese Forschung über Aufklärung hat immer etwas zu tun ‑ entweder positiv oder negativ ‑ mit den politischen Zuständen in den jeweiligen Ländern. Aufklärung ist und bleibt also ein Politikum in allen Ländern und die Forschung über Aufklärung gedeiht, wenn die politischen Zustände es zulassen. So ist zum Beispiel in Südamerika die Aufklärungsforschung lange Zeit in Verzug gewesen, weil die Zustände das nicht zugelassen haben. Schneiders: Und die deutsche Aufklärungsforschung nach 1945 ist eine Antwort auf den Zweiten Weltkrieg. Mondot: Das bewahrheitet sich immer noch. In den islamischen Ländern, in den Maghreb‑Staaten etwa, kann von einer Aufklärungsforschung nicht die Rede sein, weil die politischen Zustände das nicht zulassen. Darnton: Ich stimme völlig zu. Aber warum haben Adorno und Horkheimer so schlecht über die Aufklärung geschrieben? Sie haben sehr viel über bürgerliche Heuchelei gesprochen usw. Hat das etwas mit den Zuständen in Deutschland zu tun? Schneiders: Sie spielen auf das Buch Dialektik der Aufklärung an. Es ist in den USA während des Krieges entstanden und gegen den Faschismus gerichtet. Mondot: Und den Kommunismus auch. Schneiders: Und den Stalinismus auch, ja. Aber wenn man den Text heute etwas distanziert liest, dann sieht man, daß er eigentlich gar nicht über Aufklärung handelt. Wenn Sie die Anfangsdefinition von Aufklärung in dem Buch lesen, dann wird Francis Bacon als erster genannt ‑ und das war 1600, da muß man schon den Aufklärungsbegriff sehr weit fassen. Und als zweites kommt Kant, das ist zweihundert Jahre später. Und dazwischen ist nichts. Also das, was wir als Aufklärungsforschung verstehen, kommt überhaupt nicht vor in dem Buch, abgesehen vom Marquis de Sade. Zimmermann: Wenn Aufklärung etwas mit Opposition zu tun hat, müßte sie gerade da wachsen, wo Restriktionen herrschen. Aber das ist offenbar nicht so. Darnton: Es ist sehr kompliziert. Vor zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren haben die sozialistischen Länder Aufklärungsforschung kräftig unterstützt. Warum? Das war bürgerlicher Fortschritt. So ist sie sozusagen in den Kanon eingetreten. Der Begründer der Aufklärungsforschung in Italien, Franco Venturi, war sozusagen ein Verfassungspatriot und sah ganz deutlich eine Verbindung zwischen der Aufklärung in ganz Europa und einem neuen Anfang des bürgerlichen Lebens in Italien. So war es in Frankreich nicht, auch nicht in Großbritannien. Aber heutzutage in Osteuropa versteht man die Aufklärung nicht als einen Anfang, der von Robespierre zu Lenin und Stalin führte, sondern als eine Bewegung, die die Menschenrechte verteidigte. Das ist etwas ganz anderes. Zimmermann: Welche entscheidenden Prozesse sind in der Aufklärung gelaufen? Vermittlungsformen in die Öffentlichkeit gab es ja auch schon in der Renaissance. Darnton: Wir wissen noch nicht genug, es muß weiter geforscht werden. Es stimmt, daß es während der Renaissance eine Art öffentliche Meinung gab, auch Schmähschriften, lustige Geschichten und verbotene Bücher, letztere betrafen meistens die Religion. Mondot: In der Renaissance findet der Anfang eines neuen Mediums statt, das ist die Presse. Aber im 18. Jahrhundert wird durch die Intensivierung des technischen Fortschritts eine neue Qualität der öffentlichen Meinung geschaffen. Und deshalb ist das eine Wende in der Geschichte des Abendlandes, in der Geschichte Westeuropas, weil allmählich alle diese kleinen Zeitungen und Zeitschriften eine wichtige öffentliche Meinung gebildet haben, vor der sich die Autoritäten zu verantworten hatten, ob sie wollten oder nicht. Schneiders: In der deutschen Sprache kann man Aufklärung einerseits als eine allgemeine Aufgabe, ein Programm oder einen Prozeß beschreiben, und andererseits als ein historisches Phänomen: Das Zeitalter der Aufklärung. Viele Leute halten das für eine Zweideutigkeit der Sprache, die man möglichst vermeiden sollte. Ich denke, man sollte beides zusammenhalten, das aktuelle und das historische Problem. Dann kann man nämlich fragen ‑ und ich sage es jetzt einmal ganz grob: Was lernen wir aus der Geschichte? Wir können studieren: wie ist die Aufklärung des 18. Jahrhunderts gelaufen, was ist z. B. in der Französischen Revolution negativ zu bewerten? Ist die Französische Revolution das Begräbnis der französischen Aufklärung, ein Fehltritt, oder ist sie die Vollendung der französischen Aufklärung usw. Und man kann natürlich auch die Frage sehr strittig diskutieren: Was hätte in Deutschland anders laufen können? Was natürlich dann wieder die Gefahr in sich birgt, daß wir unhistorisch werden. In letzter Zeit hat in Deutschland eine Diskussion über die Frage stattgefunden, ob man nicht den Aufklärungsbegiff aufgeben sollte zugunsten eines Begriffes von “Früher Neuzeit” der dann pauschal drei oder mehr Jahrhunderte umfaßt. Und ich denke, daß man das nicht sollte. Zimmermann: Wie problematisch oder un-problematisch ist es, Aufklärung vor allem als Epochenbegiff festzulegen und eben nicht als übergreifenden, strukturbildenden Begriff der letzten zweieinhalb Jahrhunderte?
Mondot: Man könnte vielleicht auch andere Momente des Aufklärungszeitalters hineinziehen. Wir haben nur den Inhalt definiert, aber es gab vielleicht auch einen Stil der Aufklärung. Es gab z. B. Ironie, Witz, einen Stil der Polemik, und das hat die Schriften dieses Jahrhunderts, die Haltung der Epoche ungemein charakterisiert. Und das ist auch ein Teil des Reizes dieser Epoche, in der die Schwerfälligkeiten des 19. Jahrhunderts noch nicht da sind. Darnton:... und dieses Barocke nicht mehr. Mondot: Aufklärung heißt also nicht nur Läuterung von Moral und Intellekt; der Gedanke inspiriert auch die Läuterung des Stils. Und wenn man sich die deutsche Sprache des 18. Jahrhunderts anschaut, wenn man etwa Lessing liest, spürt man: das ist ein ganz anderer neuartiger Schwung. Man merkt, das ist das moderne Deutsch, das plötzlich gebraucht wird. Das ist sicherlich ein Teil des Reizes dieses 18. Jahrhunderts: der Dialog, das Gespräch, die öffentliche Polemik, unterbaut mit Witz, Ironie und Sarkasmus. Voltaire ist auch, obgleich er es nicht zugeben wollte, ein Publizist ersten Ranges gewesen. Man wollte gelesen werden, man wollte gehört werden, man wollte verstanden werden ‑ und das prägte den Stil.
Schneiders: Man darf aber nicht übersehen, daß die Aufklärung nicht Witz, Zivilisation und Salonkultur hervorgebracht hat, man muß auch eine Verlustrechnung aufmachen: Die Aufklärung, weil sie oppositionell war, ist auch kritisch und negativ. Die Aufklärung zerstört, sie hat das ganze alteuropäische Leben verändert. Es gibt so viele Dinge, an die die Aufklärer zum Teil selbst noch geglaubt haben, die wir aber als Nachfolger der Aufklärung wegen der Aufklärung schon nicht mehr glauben. Die Aufklärung hat uns, grob gesagt, sehr viel Glauben genommen, sie hat nicht nur die Gespenster verscheucht, um es so auszudrücken, sondern sie hat uns auch den Glauben an die Engel weggenommen. Wir sind in dieser Hinsicht sehr viel ärmer. Und das bedeutet, daß wir bei unseren heutigen Bemühungen um Aufklärung vielleicht doch etwas reflektierter sein sollten als die Aufklärer des 18. Jahrhunderts, die ja zum Teil, wie Voltaire, einfach drauflos geschlagen haben.
Mondot: Da kommen wir auf Grundsätzliches. Der Grundsatz der Aufklärung ist schon in der Frühaufklärung vorhanden und heißt: Wie kann man sich moralisch verhalten, ohne z. B. an Gott zu glauben? Das ist immer das Problem gewesen. Wie kann ein Atheist sich moralisch behaupten? Wolff hat z. B. behauptet, er könne sich moralisch behaupten ‑und deswegen ist er aus Halle rausgeflogen.
Schneiders: Aber dann können Sie sofort weiterfragen: Warum soll ich mich moralisch verhalten?
Mondot: Diese Frage ist sicherlich eine Herausforderung nicht nur der Auflärung, sondern auch unserer Zeit. Schon Kant hat sich mit diesem Problem herumgeschlagen. Der französische Schriftsteller Peguy sagte, die Kantische sei eine schöne Moral, nur hätte sie keine Hände; d. h. damit könne man nicht handeln. Das ist natürlich die Frage. Entweder schöne Prinzipien, die aber nicht angewendet werden, oder man handelt und muß sich die Hände schmutzig machen. Dann ist es ein anderes Problem. Aus dieser Herausforderung sind wir heute noch nicht entlassen. Unsere Gesellschaften sind damit ständig konfrontiert. Denn je mehr man die-sen Glauben zurückdrängt, von dem Herr Schneiders sprach, also Glauben an Engel oder Teufel, desto einsamer ist man mit den eigenen Problemen.
Zimmermannn: Und was ist der Gewinn der Aufklärung?
Darnton: Selbstbewußtsein, Mündigkeit, Freiheit. Also ich sehe eine ganze Menge an Werten, die als Gewinn gelten können. Und als Verlust? Vielleicht sollten wir noch einmal Max Weber lesen, der über die Ent-zauberung der Welt gesprochen hat. Das war eine Phase in diesem allgemeinen Prozeß, der nicht nur auf das 18. Jahrhundert beschränkt ist. Die Frage ist furchtbar kompliziert, denn ich nehme nicht an, daß man die Welt heute so wie Thomas Jefferson oder Voltaire sehen kann.
Zimmermann: Muß Aufklärung, muß Vernunft auch vor sich selber auf der Hut sein, Herr Schneiders? Schneiders: Nein. Wenn man das Wort ‑ Vernunft ‑ vernünftig gebraucht! Zimmermann: Jetzt schaffen Sie das Problem definitorisch aus der Welt. Die gesamte Debatte um instrumentelle Vernunft, um Technokultur, alles was aus der postmodernen Sicht an Rationalitätskritik auf uns zugekommen ist, ist das alles gegenstandslos? Schneiders: Nein, das ist nicht gegenstandslos, das ist einfach eine Verwirrung der Begriffe. So weit es um erkennende Vernunft geht, ist im 18. Jahrhundert selbst, also hauptsächlich durch Kant, schon das Wichtigste gesagt worden. Eine Vernunft, die sich selbst als vernünftig betrachtet, weiß, daß sie nicht alles erkennt. Wenn es aber um die praktischen Aspekte geht, also das, was mit dem Stichwort instrumentelle Vernunft angeschnitten worden ist, so möchte ich die These wagen, daß die Aufklärung schon eine Antwort auf die moderne Wissenschaft war. Die Aufklärung ist also nicht mit der modernen Wissenschaft gleichzusetzen. Aufklärung ist ganz etwas anderes und sehr viel mehr als Erkenntnisfortschritt. Die Aufklärung war schon der Versuch einer Antwort auf die Existenz der modernen Wissenschaft, d.h. wie man mit den Problemen einer rationalisierten Welt fertig wird, ohne auf den Glauben zu rekurrieren. Die Antwort mag unzureichend gewesen sein, jedenfalls am Ende des 18. Jahrhunderts. Mondot: Wenn man die Antwort von Mendelssohn auf die Frage "Was ist Aufklärung?" liest, dann merkt man, er fragt sich, ob nicht alle Leute plötzlich dadurch, daß sie eine bessere Vernunft haben, und dadurch, daß sie nicht mehr glauben, zu Zynikern werden und ob das nicht schrecklich wäre. Es gibt dieses Moment der Angst in dem Text von Mendelsohn auch. Das bleibt immer auch ein Risiko der Aufklärung.
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