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DISKUSSION

Hegel: Warum Hegel?

 

Herbert Schnädelbach:

Warum Hegel ?

 

Auf unsere Berliner Hegel-Debatte, die ich im Juli 1998 mit dem nachstehenden Bei­trag eröffnet hatte, wurde inzwischen wie­derholt an ganz verschiedenen Orten publi­zistisch Bezug genommen: z.B. in einer al-bernen Glosse der FAZ vom 24.2.1999, durch Volker Gerhardt mit seinem Beitrag "Die Größe Hegels" im "Merkur" vom Juni 1999, und nun auch in der "Information Philosophie" auf S. 132f. des Juni-Heftes; es sollte aber auch irgendwo zu lesen sei, was ich damals wirklich gesagt habe.

 Nach einer Statistik des Junius-Verlages Hamburg, die er auf aufgrund der Vorle­sungsverzeichnisse für das WS 96/97 durch­führte, ist Hegel der Autor, des­sen Texte am zweithäufigsten ‑ nach Kant ‑ in den universitären Lehrveranstaltun­gen des Fa­ches Philosophie behandelt werden. Diese Tatsache ist umso er­staunlicher, als es heute fast keine Philosophen mehr gibt, die einen Idealismus Hegelschen Typus für möglich halten; der Marxismus, für den Hegel der wichtig­ste "Vorläufer" war, kann dafür auch nicht als Erklärung dienen, denn der ist fast tot. Warum also dieser breite Raum für He-gel in unseren Seminaren? Es handelt sich dabei doch um eine Philosophie, die nie­mand mehr selbst vertritt ‑ von Vitto­rio Hösle einmal abgesehen ‑ und von der ich meine, daß man sie auch nicht ver­treten kann, so daß bei ihm nur zu lernen ist, wie es nicht geht. Eine Kantische Philosophie hingegen können wir vertreten, und dies geschieht auch in vielen Va­riationen.

 Natürlich kann man einwenden, wir be-handelten doch auch andere philosophische Entwürfe, die wir ebenfalls nicht vertreten können (Platon, Aristo­teles, Augustinus, Descartes, Spinoza, Leibniz z.B.), aber der Unterschied zu He­gel besteht meines Erach-tens darin, daß die Philosophie Hegels nicht einmal mehr Anknüp­fungspunkte für uns enthält, wovon später. Dabei nehme ich ausdrücklich die Rechtsphilosophie aus, die sachlich vom System unabhängig ist und eine eigene Vor‑ und Wirkungsgeschichte hat. Ich spreche auch nicht von den un-beabsichtig­ten Nebenwirkungen, die Hegels Philosophie zeitigte, d.h. von ihrer Bedeu­tung für die Entstehung der Geisteswissen­schaften, die Hegel selbst in ihrer späteren Gestalt freilich niemals als Wissenschaften akzeptiert hätte.

 Der deutsche Idealismus ist ein philoso­phiehistorisches Unglück, das die deutsche Philosophie für fast 50 Jahre von der inter­nationalen Entwicklung abge­koppelt und in spekulativem Hochmut von den modernen Wissenschaften ent­fremdet hat. Er ist ver­antwortlich für die einhellige Philosophie­verachtung der Mitte des 19. Jahrhunderts, und es bedurfte philosophierender Wissen­schaftler wie Helmholtz und vieler anderer, die Philosophie zu rehabilitieren. Die Philo­sophieprofesso­ren waren zuvor schon mehr­heitlich in die historischen und hermeneuti­schen Geisteswissenschaften geflüchtet, wo sich viele heute noch aufhalten.

 Insgesamt ist der deutsche Idealismus der Versuch, den Spinozismus auf der Grund-lage der Kantischen Philosophie zu wiederholen; als Grundlage dient eine unhaltbare Theorie des Selbstbewußtseins, der- zufolge das Subjekt sich zugleich Objekt sein soll. Nach der Liquidierung des Dinges an sich, in dem Kant unsere Endlichkeit zu denken versucht hatte, fällt diese vermeint­liche Objektivität des Selbstbewußtseins mit der Objektivität überhaupt zusammen, und es entsteht der Anschein, nunmehr könne man die Substanz des Spinoza "ebensosehr" als Sub­jekt denken. Das Fich­tesche ICH, das sich bei Hegel zum absolu­ten Geist aus­wächst, ist eine Chimäre; es ist ein semanti­scher Schein, wie sich schon bei Kant ler­nen läßt, und darum ist der deutsche Idealis­mus eine zum System gewordene Konfu­sion.

Hegel hat in der Phänomenologie des Gei­stes versucht, dieses ICH prozessual zu deuten als den In­begriff seiner Erfahrungen, die sich in theoretischen, praktischen, ästhe­tischen und historischen Kontexten entfal­ten. Damit steht er am Anfang der von Vico vor­bereiteten historisch‑hermeneutischen Tradition, die von der Einsicht bestimmt ist, daß das Bewußtsein nicht als "reines" einer Welt gegenübersteht, sondern we­sentlich zu dieser Welt hinzugehört. Der idealistische Systemzwang, dem sich auch Hegel unter­stellt, nötigt ihn aber dazu, die Vergewisse­rung der "Arbeit der Weltgeschichte" zu einer bestimmten Weltstunde als Selbstver­gewisserung des Absoluten auszugeben; in diesem Sinne will seine Philosophie, die ja auch nicht mehr sein soll als "ihre Zeit, in Gedanken gefaßt", zugleich absolute Philo­sophie sein. So ist es nicht erstaunlich, daß die Hermeneutiker wie Dilthey oder Gada­mer nur die eine Hegelhälfte festhalten und die andere fallen lassen.

Wie Hegel dazu kommt, historisch‑herme­neutisches Wissen als absolutes Wissen auszugeben, kann man nur theologisch erklären. Er transformiert das Fichtesche ICH‑Modell in die durch Hölderlin inspirierte spekulative Grundfigur eines sich selbst entfremdenden und sich mit sich wiedervereinigenden Absoluten, bei dem es sich um säkularisierte Christologie handelt. Hegel projiziert diese Figur schon in den Wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts (1802) in die sittliche Welt und in die Weltgeschichte, und seine Phi­loso­phie steht und fällt mit dem Anspruch, sie in allen gedanklichen, natürlichen und kul­turellen Phänomenen ‑ also auch in der eigenen kontingenten Gegenwart ‑ als wirk­same Grundstruktur nachweisen zu können.

Diese letztlich theologische Präsupposition, daß alles Endliche Erscheinung des sich selbst verendlichenden Absoluten sei, hat Hegel niemals bewiesen. Die Phänomeno­logie des Geistes kann nicht als ein solcher Be­weis gelten, weil alle dialektischen Über­gänge immer schon von ihr Gebrauch ma­chen; unabhängig davon sind sie nicht über­zeugend. Hegels "Kreis von Kreisen" exem­plifiziert zwar ganz konsequent das Ideal vollständiger Begründung des Wissens; der Preis dafür ist aber, das es kei­ne "Einlei­tung", keinen Einstieg in diesen Kreis gibt und es letztlich eine Sache der Dezision ist, wie Hegel zu philosophieren oder nicht; er sagt, wir sollten es uns einfach zutrauen und dann mit dem Anfang anfangen ‑ aber mit dem spekula­tiven Begriff des Anfangs.

 Der Preis dafür ist systematische Hermetik der Philosophie Hegels, der man zwar viele anregende Einzelmotive entnehmen kann, die aber eine von Hegels Prämissen unabhängige Anknüpfung nicht zuläßt. Die Phä­nomenologie des Geistes ist eine großartige und geniali­sche Rhapsodie, von der nie­mand behaup­ten kann, sie repräsentiere ein konsi­stentes System. Die Wissenschaft der Logik als die argumentative Grundlage des Hegel­schen Werkes läßt nur immanente Para­phrasen zu oder "Entzifferungen", so als hätte Hegel gar nicht gewußt, wovon er in diesem Werk handelt. Zu diesen entzif­fernden Deutungen gehören nicht nur die von Marx, Lenin und den Hegelmarxi­sten, sondern auch die von Theunissen und Ste­keler‑Weithofer. Hegel selbst wußte aber genau, was er wollte, nämlich die Transfor­mation der transzen­denta­len Logik Kants in eine neue Meta­physik auf säkularisiert‑chri­stologischer Grundlage; die berühmte Rede von der "Darstellung Gottes" ist ernstzuneh­men. Weil dies aus prinzipiellen Gründen, die sich aus unserer Endlichkeit ergeben, nicht fortsetz­bar ist, enthält die Philosophie Hegels für uns keine systematischen An­knüpfungs­punkte.

Ich habe nichts gegen Hegel‑Veranstaltun-gen, wenn dabei deutlich wird, daß es sich bei dieser Philosophie um einen schönen, aber ausgeträumten intellek­tuellen Traum handelt, und daß wir nicht im Stande sind, in der Perspek­tive des Absolu­ten zu philo­sophieren. Die Gefahren des Historismus, Relativis­mus oder Nihilismus mögen uns schrecken, aber deswegen haben Hegel und der  Hegelianismus noch lange nicht Recht. Der absolute Idealismus mag als "große" Philosophie attraktiv sein; wir aber brau­chen eine wahre.

 

Herbert Schnädelbach ist Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität Berlin. Von ihm ist dieses Jahr erschienen:

"Hegel zur Einführung" (192 S., DM 24.80, 1999, Junius)

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