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Habermas, Jürgen: Hermeneutische und analytische Philosophie Zwei komplementäre Spielarten der linguistischen Wende? |
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Jürgen Habermas: Hermeneutische und analytische Philosophie Zwei komplementäre Spielarten der linguistischen Wende?
Wilhelm von Humboldt hat als philosophierender Sprachwissenschaftler zusammen mit Herder und Hamann das Triumvirat einer romantisch inspirierten Kantkritik gebildet. Diese sprachphilosophische Anknüpfung an die Transzendentalphilosophie hat, ganz im Gegensatz zur idealistischen Spekulation, innerhalb des Faches ein spätes, dann allerdings folgenreiches Echo gefunden. Im Rückblick auf Humboldt, und belehrt durch die Humboldtsche Tradition der inhaltlich orientierten Sprachwissenschaft, hat erst Heidegger den paradigmenbildenden Charakter der inzwischen von Dilthey fortgeführten Hermeneutik erkannt. Etwa zur gleichen Zeit entdeckte Wittgenstein in der logischen Semantik von Frege ebenfalls ein neues philosophisches Paradigma. Was später die "linguistische Wende" genannt werden wird, ist also in einer hermeneutischen und einer analytischen Spielart vollzogen worden. Die Spannung zwischen Kritischem Rationalismus und Kritischer Theorie, die sich Anfang der 60er Jahre in der Polemik zwischen Popper und Adorno entlud, hat einen anderen, gleichzeitig politisch und sachlich konnotierten Gegensatz verdeckt. Eine durch die Nazizeit ununterbrochen fortgeführte Hermeneutik begegnete nach dem Ende des zweiten Weltkrieges den aus der Emigration zurückkehrenden Richtungen der analytischen Wissenschafts‑ und der kritischen Gesellschaftstheorie. Diese Spannung rumorte damals in den Köpfen einer Generation, die nach dem Krieg ihr Studium unter dem ungebrochenen Einfluß von Dilthey, Husserl und Heidegger begonnen hatte ‑ und diese Tradition in der Gegenwart kraftvoll fortgesetzt sah. Die durch Gadamer, Adorno und Popper bestimmte Konstellation erklärt jedenfalls die beiden Stoßrichtungen einer immanent ansetzenden Kritik an der Hermeneutik. Die philosophische Bedeutung von Humboldts Sprachtheorie Humboldt unterscheidet drei Funktionen der Sprache: die kognitive Funktion, Gedanken zu bilden und Tatsachen darzustellen; die expressive Funktion, Gefühlsregungen auszudrücken und Empfindungen hervorzuru-fen; schließlich die kommunikative Funktion. Unter dem semantischen Gesichtspunkt der Organisation sprachlicher Inhalte stellt sich das Zusammenspiel dieser Funktionen anders dar als unter dem pragmatischen Gesichtspunkt einer Verständigung zwischen Gesprächsteilnehmern. Während sich die semantische Analyse auf das sprachliche Weltbild konzentriert, steht für die pragmatische Analyse das Gespräch im Vorder-grund. So untersucht Humboldt die kognitive Funktion der Sprache einerseits im Zusammenhang mit den expressiven Zügen der Denkungsart und der Lebensform eines Volkes, andererseits im Zusammenhang mit den rationalen Eigenschaften von Gesprächen. Die Spannung zwischen einem Partikularismus der sprachlichen Welterschließung und dem Universalismus einer sachorientierten Verständigungspraxis zieht sich durch die ganze hermeneutische Tradition hindurch. Weil Heidegger und Gadamer diese Spannung zur einen Seite hin aufgelöst haben, ist sie für die nächste Generation zu einer Her-ausforderung geworden. Humboldt begreift Sprachen als "Organe der eigentümlichen Denk- und Empfindungsarten der Nationen". Lexikon und Syntax einer Sprache strukturieren ein Ganzes von Grundbegriffen und Auffassungsweisen, worin sich ein vorgängiges Verständnis von allem artikuliert, was den Angehörigen der Sprachgemeinschaft in der Welt überhaupt begegnet. Jede Sprache artikuliert für die von ihr geprägte Nation eine bestimmte "Ansicht" von der Welt im ganzen. So muß die Formel von der Sprache als dem "bildenden Organ des Gedankens" im transzendentalen Sinn der spontanen Weltkonstitution verstanden werden. Über die Semantik des Weltbildes strukturiert eine Sprache gleichzeitig die Lebensform der Sprach-gemeinschaft, jedenfalls reflektiert sich eines im anderen. Diese ‑ Kognition und Kultur gleichermaßen einbeziehende ‑ transzendentale Sprachauffassung bricht mit vier Grundannahmen der von Plato bis Locke und Condillac herrschenden Sprachphilosophie: • mit einer Theorie, wonach sich der Sinn komplexer Sätze aus den Bedeutungen ihrer Bausteine, also einzelner Worte oder elementarer Sätze zusammensetzt;
• mit der traditionellen Auszeichnung der kognitiven Funktion der Sprache. Die Sprache gilt nun nicht mehr in erster Linie als Mittel zur Repräsentation von Gegenständen oder Tatsachen, sondern als Medium des Volksgeistes;
• mit der instrumentalistischen Auffassung von Sprache und Kommunikation, wonach den vorsprachlich ausgebildeten Vorstellungen, Begriffen und Urteilen Zeichen gleichsam angeheftet werden, um Denkoperationen zu erleichtern und um anderen Person Meinungen oder Absichten mitzuteilen;
• mit dem Vorrang der Ideolekte der ein-zelnen Sprecher vor dem sozialen Charakter der Sprache. Eine Sprache ist nicht der private Besitz eines Einzelnen, sondern erzeugt einen intersubjektiv geteilten, in kulturellen Äußerungen und gesellschaftlichen Praktiken verkörperten Sinnzusammenhang. Als Gefäß des objektiven Geistes transzendiert die Sprache den subjektiven Geist und genießt diesem gegenüber eine eigentümliche Autonomie. Allerdings bereitet der Gedanke, daß die "objektive Welt" den Angehörigen verschiedener Sprachgemeinschaften als eine identische Welt "erscheint", gewisse Schwierigkeiten. Wenn wir den weltbildenden Charakter einer natürlichen Sprache streng transzendental, also im Sinne einer Konstitution der Welt möglicher Erfahrungsgegenstände verstehen, müssen die Weltansichten, die verschiedenen Sprachen eingeschrieben sind, für die jeweilige Sprachgemeinschaft eine apriori notwendige Geltung beanspruchen. Unter dieser Prämisse muß aber, wie schon Hamann in seiner Metakritik an Kants Kritik der reinen Vernunft bemerkt hat, das Sinnapriori der sprachlichen Weltbilder im Plural auftreten und die allgemeine Geltung eines transzendentalen Aprioris verlieren. Das von der einzelnen Sprache strukturierte Vorverständnis der Welt im ganzen ist viel-mehr "a priori willkürlich und gleichgültig, a posteriori aber notwendig und unentbehrlich." Dieser naheliegenden Konsequenz will Humboldt entgehen, indem er die kognitive Funktion der Sprache nicht nur unter semantischen Gesichtspunkten untersucht. Er verläßt sich auf die Arbeitsteilung zwischen der Semantik der sprachlichen Weltbilder und einer formalen Pragmatik des Gesprächs. Der Pragmatik fällt die Rolle zu, die universalistischen Aspekte des Verständigungsprozesses herauszuarbeiten. Die Realität ‑ die Gesamtheit von Gegenständen möglicher Beschreibungen ‑ wird zwar von vornherein in einen je spezifischen Bedeutungshorizont "hineingezogen". Aber unter dem pragmatischen Gesichtspunkt des "lebendigen Gebrauchs der Rede" zeigt sich eine zum semantischen Partikularismus gegenläufige Tendenz. Im Gespräch, das "gleichsam der Mittelpunkt der Sprache ist", wollen sich Teilnehmer gegenseitig verstehen und zugleich über etwas verständigen, also nach Möglichkeit Einverständnis erzielen. Und das gilt auch für die Verständigung über die Grenzen verschiedener Sprachgemeinschaften hinweg. Humboldt behandelt die Übersetzung als den Grenzfall, der den Normalfall der Interpretation beleuchtet, und betont beide Aspekte mit gleichem Nachdruck: sowohl den Widerstand, den die Sprachverschiedenheiten dem Versuch entgegensetzen, Äußerungen der einen Sprache in eine andere zu übersetzen, wie auch das Faktum, daß sich dieser Widerstand überwinden läßt. Tatsächlich hat ja die hermeneutische Tradition die Möglichkeit, Ausdrücke einer Sprache in alle anderen Sprachen zu übersetzen lassen, nie prinzipiell in Zweifel gezogen; die Frage war nur, wie sich die gleichsam transzendentale Tatsache der Überbrückbarkeit beliebiger semantischer Abstände erklären läßt. Der kommunikative Sprachgebrauch ist mit der kognitiven Funktion der Sprache insofern verschränkt, als sich beide Seiten aus ihrer je eigenen Perspektive auf den gemeinsam unterstellten Konvergenzpunkt einer objektiven Welt beziehen müssen, um sich die fremde Sprache verständlich zu machen. Diese Erwartung ist freilich nur begründet, wenn sich in der dialogischen Form und in den pragmatischen Vorausset-zungen von Gesprächen ein kritisches Potential nachweisen läßt, das den Horizont einer sprachlich erschlossenen Welt selbst affizieren und verschieben kann. Diesen Nachweis versucht Humboldt mit einer Analyse des in allen Sprachen wiederkehrenden Systems des Personalpronomina zu führen. Er unterscheidet von der Ich‑Es‑Beziehung des Beobachters die interpersonale Ich‑Du‑Beziehung, die für die Einstellung eines Sprechers im Vollzug seiner Sprechhandlung konstitutiv ist. Die Objektivität des eigenen Urteils erweist sich erst, wenn "der Vorstellende den Gedanken wirklich außer sich erblickt, was nur in einem anderen, gleich ihm vorstellenden und denkenden Wesen möglich ist." In der Erwiderung der zweiten Person auf die Äußerung eines Sprechers steckt nicht nur die sozialintegrative Kraft der zustimmenden Antwort, sondern auch die kritisch‑bewährende Kraft des Widerspruchs. Wir lernen von der Welt, indem wir voneinander lernen. Aber Humboldt stellt nicht nur einen internen Zusammenhang zwischen Verstehen und Verständigung her. In der Verständigungspraxis sieht er allgemein eine kognitive Dynamik am Werke, die zu einer Dezentrierung des sprachlichen Weltbildes beiträgt. Und mit dieser Dezentrierung verbindet er auch die Beförderung universalistischer Wertorientierungen. Allein, diese gleichsam horizontale Annäherung verschiedener Deutungsperspektiven erklärt noch nicht, wie wir in der vertikalen Dimension des Bezugs zur objektiven Welt Tatsachen erfassen und aus der Kontroverse über Tatsachenbehauptungen Erkenntnisse gewinnen können. Das Versäumnis, die Darstellungsfunktion der Sprache, also die Bedingungen für Referenz und Wahrheit von Aussagen überzeugend zu analysieren, bleibt die Achillesferse der gesamten hermeneutischen Tradition. Übereinstimmung in der linguistischen Wende Dieses Defizit spiegelt eine seit dem Renaissancehumanismus eingetretene Entfremdung der Rhetorik und der Grammatik von der Logik. Noch Humboldt teilt das Mißtrauen gegen die Abstraktion der Aussage von Äußerungsakt und Redekontext. Genau in dieser Weise konzentriertsich Gottlob Frege, der Mathematiker und Logiker, auf die Darstellungsfunktion der Sprache. Trotz seiner interessanten Bemerkungen zur assertorischen Kraft, die erst der Behauptungsakt der Aussage verleiht, beschränkt sich Frege im wesentlichen auf die logische Analyse der Form einfacher Sätze. Die formale Semantik nimmt die kommunikative Dimension der Sprache, in der Humboldt die Rationalität der Verständigung angesiedelt sah, von der logischen Analyse aus und überläßt sie der empirischen Betrachtungsweise. Allerdings hat Heidegger Humboldts Ansätze zu einer formalen Pragmatik ebenso ver-nachlässigt wie Frege. Heidegger hat nur den einen, den semantischen Strang der Humboldtschen Sprachphilosophie fortgeführt. Statt von der Darstellungsfunktion, geht er von der Welterschließungsfunktion der Sprache aus und konzentriert sich auf die semantische Analyse von grundbegrifflichen Strukturen und Sinnzusammenhängen, die der Sprachform als solcher innewohnen. So beschränken sich, von entgegengesetzten Punkten ausgehend, die analytische und die hermeneutische Philosophie auf semantische Aspekte, nämlich einerseits auf das Verhältnis von Satz und Tatsache, andererseits auf die der Sprache im ganzen eingeschrie-bene grundbegriffliche Artikulation der Welt. Beide Seiten benützen andere Instrumente: Mittel der Logik auf der einen, Me-thoden der inhaltlich orientierten Sprachwissenschaft auf der anderen Seite. Aber die holistisch ansetzende Inhaltssemantik nimmt dieselbe Abstraktion vor wie die elementa-ristisch ansetzende Aussagensemantik. Keiner von beiden rechnet damit, daß Struk-tureigenschaften der diskursiven Rede einen eigenen Beitrag zur Rationalität der Verständigung leisten könnten. Demgegenüber hatte Humboldt einen kategorialen Rahmen entworfen, der drei analytische Ebenen vorsieht. Auf der ersten Ebene wird der weltbildende Charakter der Sprache, auf der nächsten die pragmatische Struktur von Rede und Verständigung, auf der dritten die Repräsentation von Tatsachen thematisiert. Hermeneutische und analytische Ansätze bewegen sich jeweils auf der ersten oder der dritten analytischen Ebe-ne. Beide bekennen sich, je auf ihre Weise, zu einem Primat der Semantik vor der Pragmatik. Sie stehen deshalb vor demselben Problem: die anfängliche Abstraktion ohne falsche Reduktionen rückgängig zu machen. Humboldt hatte gesehen, daß man einen sprachlichen Ausdruck versteht, wenn man weiß, unter welchen Umständen man sich seiner zu Zwecken der Verständigung über etwas in der Welt bedienen könnte. Aber erst Frege erklärt diesen internen Zusammenhang von Bedeutung und Geltung auf der Ebene einfacher assertorischer Sätze. Er geht von Sätzen als den kleinsten sprachlichen Einheiten aus, die wahr oder falsch sein können. Auf diese Weise kann "Wahrheit" als semantischer Grundbegriff für die Explikation des Sinnes sprachlicher Ausdrücke dienen. Den Sinn eines Satzes bestimmen genau die Bedingungen, unter de-nen der Satz wahr ist. Die logische Analyse der Sprache gewinnt ihre philosophische Tragweite aber erst, als das Paradigma der Sprache die mentalistischen Grundlagen re-volutioniert. Russell oder Carnap verbinden die Methode, Formen des Denkens auf dem Wege der logischen Analyse von Sprachformen zu erklären, immer noch mit einer herkömmlichen empiristischen Erkenntnistheorie. Dieses methodologisch be-schränkte Verständnis der Sprachanalyse stellt das mentalistische Paradigma noch keineswegs in Frage. Erst Wittgenstein be-rührt mit seiner These, daß die Struktur des Aussagesatzes die Struktur möglicher Tatsachen bestimmt, die Prämissen der Bewußtseinsphilosophie selber. Er hat die Konzeption einer tatsachenabbildenden Universalsprache später aus guten Gründen aufgegeben. Aber am weltbildenden Charakter der Sprache hält er auch dann noch fest, als er deren transzendentale Spontaneität aus der Darstellungsdimension in die Handlungsdimension verlagert. Wittgenstein hat die Kritik am Mentalismus erst im Detail durchgeführt, nachdem die vielen Sprachspielgrammatiken, die für ebensoviele Lebensformen konstitutiv sind, die eine und allgemeine Tractatus‑Sprache abgelöst haben. So gibt erst Wittgenstein Freges intuitiver Unterscheidung zwischen "Gedanken" und "Vorstellungen" eine unmißverständliche Interpretation. Wir können den Sinn eines Satzes nicht "erleben", weil das Verstehen kein seelischer Vorgang ist, sondern vom Befolgen einer Regel abhängt. Heidegger gelangt auf anderen Wegen zu einer ähnlichen Kritik der Bewußtseinsphilosophie. Ohne einen Blick auf die Sprachphilosophie zu werfen, arbeitet er zunächst eine existentiale Analytik des menschlichen Daseins aus. Dabei verbindet er auf originelle Weise Anstöße, die er einerseits von Dilthey, andererseits von Husserl empfangen hat. Diese Anstöße erklären, warum sich eine ganz anders angelegte Untersuchung schließlich mit Humboldts Auffassung berührt, daß "nur Welt ist, wo Sprache ist". Nach Diltheys Auffassung sollten sich die im 19. Jahrhundert entstandenen historischen Geisteswissenschaften von den klassischen Naturwissenschaften dadurch unterscheiden, daß sie die traditionelle Kunst der Textauslegung zu einer Methode des Sinnverstehens ausgebildet haben. Nicht die nomologische Erklärung empirischer Vorgänge ist ihr Ziel, sondern das Verstehen eines Sinnes, der in symbolischen Äußerungen, kulturellen Überlieferungen und gesellschaftlichen Institutionen verkörpert ist. Diese ihrem Anspruch nach wissenschaftliche Operation des Verstehens löst Heidegger aus dem methodologischen Zusammenhang und radikalisiert sie zu einem Grundzug des menschlichen Daseins: "In jedem Verstehen von Welt ist (die eigene) Existenz mitverstanden". Dabei macht sich Heidegger den Grundriß von Husserls transzendentaler Phänomenologie zueigen, nachdem er das phänomenologische Modell der Beschreibung von Wahrnehmungen durch das hermeneutische Modell der Auslegung von Texten ersetzt hat. An die Stelle der Beobachterperspektive, aus der Gegenstände wahrgenommen werden, tritt die eines Interpreten, der sich den Sinn der Äußerungen und Lebenszusammenhänge anderer Personen verständlich macht. Der Blick der hermeneutisch gewendeten Phänomenologie richtet sich freilich nicht in erster Linie auf den manifesten Gehalt einer Äußerung, sondern auf den in ihrem Vollzug mitlaufenden Kontext. Heidegger untersucht die sprachliche Artikulation des vorgängigen Weltverständnisses im Spiegel der alltäglichen Vorhaben, Erwartungen und Vorgriffe, in deren Horizont uns etwas erst als etwas verständlich wird. Das Phänomen dieser "Vorstruktur des Verstehens" bringt Heidegger zu Humboldts transzendentaler Sprachauffassung zurück. Gleichzeitig zieht er aus dem Sinnapriori des sprachlichen Weltbildes eine Konsequenz von erheblicher philosophischer Tragweite. Wenn wir beispielsweise dem Auto, in dem die erwarteten Gäste endlich ankommen, die Eigenschaft "blau" zuschreiben, bestimmen wir dieses Fahrzeug als ein blaues. Von diesem "prädikativen Als" unterscheidet Heidegger das "hermeneutische Als", das sich der vorgängigen, aber impliziten Auffassung der Welt im ganzen verdankt. Nach bestimmten praktischen Hinsichten gliedert sich unsere Welt grammatisch in verschiedene Arten von Körpern, die sich bewegen und bewegen lassen, an denen wir uns stos-sen, die am Tage oder bei Nacht in anderer Beleuchtung erscheinen usw. Der strategische Zug, mit dem Heidegger alles weitere präjudiziert, ist nun die Unterordnung des "prädikativen" unter dieses "hermeneutische Als" einer grundbegrifflichen Gliederung des Seienden im ganzen. Demnach können wir bestimmten Objekten bestimmte Eigenschaften erst zu‑ oder absprechen, nachdem diese uns innerhalb der grundbegrifflichen Koordinaten einer sprachlich erschlossenen Welt zugänglich gemacht, d.h. als implizit schon ausgelegte, in relevanten Hinsichten bereits kategorisierte Gegenstände "gegeben" sind. Mit einem apriorischen Zuschnitt von Gegenstandsarten kommt die Sprache jeder speziellen Frage, von welchen Entitäten hier und jetzt welche Eigenschaften ausgesagt werden dürfen, immer schon zu-vor. Der Sprecher selbst kann nur noch innerhalb dieser semantisch vorgezeichneten Bahnen "entdecken", welche der sprachlich entworfenen Wahrheitsmöglichkeiten im aktuellen Fall jeweils realisiert ist. Für Heidegger ist das Zutreffen eines Prädikats auf einen Gegenstand, auch die Wahrheit eines entsprechenden prädikativen Satzes, ein abgeleitetes Phänomen, das von "Wahrheitsermöglichung" im Sinne einer vorgängigen Welterschließung als sprachlichem "Wahrheitsgeschehen" abhängt. Damit wird aber der universalistische Sinn von Wahrheit preisgegeben. Eine ontologische "Wahrheit", die sich mit dem Modus der Welterschließung wandelt, tritt nicht länger im Singular als die "eine und unteilbare Wahrheit" auf. Über die "Erschlossenheit" bestimmter Sorten von Gegenständen entscheidet vielmehr ein tranzendentales Faktum sprachlicher Welterschließung, das selbst weder wahr noch falsch ist, sondern einfach "geschieht". Dieser Vorrang des "hermeneutischen" vor dem "prädikativen Als" begründet den entscheidenden Unterschied zur wahrheitssemantischen Auffassung. Gewiß, auch nach dieser These bestimmt der Sinn der sprachlichen Ausdrücke die Wahrheitsmöglichkeiten eines mit ihrer Hilfe gebildeten Satzes. Aber damit ist noch nicht behauptet, daß auf semantischer Ebene unwiderruflich vor-entschieden sei, welcher Kategorie von Ge-genständen welche Eigenschaften auf Dauer zukommen können. Solange wir die Prädikation von Eigenschaften und die Referenz auf Gegenstände voneinander trennen und dieselben Objekte unter verschiedenen Beschreibungen wiedererkennen können, besteht die Möglichkeit, unser Wissen über die Welt so zu erweitern, daß daraus eine Revision unseres Sprachwissens folgt. Heidegger schließt eine solche Wechselwirkung von Sprach‑ und Weltwissen aus. Er kann die Möglichkeit einer Interaktion zwischen dem Sinnapriori der Sprache einerseits, den Ergebnissen innerweltlicher Lernprozesse andererseits gar nicht erst in Betracht ziehen, weil er der Semantik der sprachlichen Weltbilder uneingeschränkt Vorrang vor der Pragmatik der Verständigungsprozesse einräumt. Gegenüber Humboldt verschiebt er den 'locus of control' von den Leistungen der Diskursteilnehmer auf die Ereignisse der sprachlichen Welterschließung. Die eigentliche Rede ist einzig Verlautbarung des Seins; darum hat auch das Hören Vorrang vor dem Sprechen. Allerdings gelangt Wittgenstein, auf weniger mystifizierende Weise, zu einem ähnlichen Ergebnis. Wittgenstein rechnet wie Heidegger mit dem Hintergrund eines Weltverständnisses, das, ohne selber wahr oder falsch sein zu können, die Maßstäbe für wahre und falsche Aussagen im voraus festlegt.
Apels pragmatisch transformierter Kant
In der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts kommt es auf der einen Seite zu einer Synopse der beiden Heroen, Wittgenstein und Heidegger. Der höherstufige Historismus der Sprachspiele und der epochalen Welterschließungen ist die gemeinsame Inspirationsquelle für eine postempiristische Wissenschaftstheorie, eine neopragmatistische Sprachphilosophie und die poststrukturalistische Vernunftkritik. Auf der anderen Seite setzt sich die von Russell und Carnap ausgehende empiristische Sprachanalyse, die nach wie vor von einem bloß methodologischen Verständnis der linguistischen Wende geprägt ist, fort und gewinnt mit Quine und Davidson Weltgeltung. Davidson assimiliert von Anbeginn den Verstehensakt eines Ge-sprächsteilnehmers an die theoretische Interpretation eines Beobachters und gelangt schließlich zu einer nominalistischen Auffassung der Sprache, die den Ideolekten einzelner Sprecher Vorrang einräumt vor dem sozialen Universum des sprachlich verkörperten und intersubjektiv geteilten Sinns. Damit verliert die Sprache den Status einer gesellschaftlichen Tatsache, den Humboldt ihr mit dem Begriff des objektiven Geistes zugesprochen hatte. Für eine dritte Strömung stehen so verschiedene Positionen wie die von Putnam, Dummett oder Apel stehen. Diesen Autoren ist gemeinsam, daß sie die linguistische Wende im Sinne eines Paradigmenwechsels ernstnehmen, ohne dafür den Preis der kulturalistischen Angleichung des Wahrseins an ein Für‑wahr‑Halten zu entrichten. Charakteristisch ist eine doppelte Frontstellung, einerseits gegen eine halbherzige Sprachanalyse, die die alten Probleme von Kant und Hume nur mit neuen Mitteln lö-sen will, andererseits gegen einen aufklärungsfeindlichen semantischen Partikularismus, der sich über das rationale Selbstverständnis sprach‑ und handlungsfähiger Subjekte als vernünftiger Wesen hinwegsetzt. Diese doppelte Stoßrichtung charakterisiert bereits die Ende der 50er Jahre entstandene Habilitationsschrift von Karl‑Otto Apel. Darin wendet er sich einerseits gegen ein intentionalistisches Verständnis der sprachlichen Bedeutung und gegen eine instrumentalistische Auffassung von sprachlicher Kommunikation. Andererseits warnt Apel jedoch davor, die Funktion der sprachlichen Welterschließung gegenüber der kognitiven Funktion der Tatsachendarstellung zu verselbständigen. Er postuliert vielmehr ein "Verhältnis wechselseitiger Voraussetzung" und gegenseitiger "Durchdringung" von par-tikularem "Bedeutsamkeitsentwurfs" und "schlechthin allgemeingültigem Denkansatz". Dabei orientiert er sich an der Kantischen Architektonik von Vernunft und Ver-stand. Der Vernunft, als dem Vermögen weltbildender Ideen, entspricht das semantische Apriori des sprachlichen Weltbildes, das aber erst durch Verstand, d.h. die Kontrolle am Erfolg rationalen Handelns, einen Sitz im Leben der Gesellschaft erhält. Während der "poietisch" vorgeschossene Sinn bestimmte Auffassungsweisen festlegt, ist dieser Vorschuß umgekehrt auf die Bewährung in gelingender "Praxis" angewiesen. Damit ist das Problem einer "Vermittlung" von Sinn und Praxis klar gestellt; aber noch bleibt unklar, wie eine solche Vermittlung funktioniert. Damals mußte sich jede metakritische Entgegnung auf Heideggers Vernunftkritik in erster Linie, mit Hans Georg Gadamers 1960 erschienenen Werk Wahrheit und Me-thode auseinandersetzen. Auf den ersten Blick scheint auch Gadamer mit der kommunikativen Dimension der Sprache das universalistische Versprechen der Vernunft zu rehabilitieren. Auch nach seiner Auffassung tendiert der Versuch, einander zu ver-stehen, zur Erweiterung und schließlich zur Verschmelzung von anfänglich divergierenden Verständnishorizonten. Warum selbst diese, doch pragmatisch ansetzende Hermeneutik schließlich eine "ontologische Wendung" nimmt, wird verständlich, wenn man sich die Motive des Unternehmens klar macht. Gadamer entwickelt seine Hermeneutik als Antwort auf das "Problem des Historismus". Er will dem Objektivismus von Geisteswissenschaften entgegentreten, die die großen historischen Überlieferungen aus dem Kontext lösen und damit als "bildende Kraft" neutralisieren. Deshalb orientiert Gadamer sich am Beispiel der hermeneutischen Aneignung klassischer Werke. In Anbetracht klassischer Werke kann nämlich die Besinnung auf die hermeneutische Ausgangslage des Interpreten die Einsicht zutage fördern, auf die es Gadamer ankommt. Das Vorver-ständnis, das ein Interpret an den auslegungsbedürftigen Text heranträgt, ist, ob er will oder nicht, von der Wirkungsgeschichte des Textes selbst schon durchdrungen und geprägt. Aus diesem Umstand erklärt sich erstens, daß der Prozeß der Auslegung nur auf dem Boden eines gemeinsamen Traditionszusammenhangs möglich ist, der beide Seiten immer schon umgriffen hat. Weil der Interpret auf diese Weise ins Überlieferungsgeschehen eingerückt ist, besteht die Auslegung eines vorbildlichen Textes in der Anwendung eines überlegenen Wissens auf die gegenwärtige Situation. Die hermeneutische Vergewisserung des lebendigen Kerns einer Tradition ist auf ein unproblematisch vorgegebenes, insofern "tragendes Einver-ständnis" angewiesen. Und zwar artikuliert sich darin wiederum das vorgängige Selbst‑ und Weltverständnisses der eigenen Sprachgemeinschaft. So bilden "Wahrheit" und "Methode" einen Gegensatz. Die 'offenbarende' Wahrheit des Überlieferungsgeschehens wird durch ein methodisches Vorgehen, das die Wahrheit von Aussagen sichern soll, nur verstellt. Den alten hermeneutischen Grundsatz, einen Autor besser zu verstehen, als er sich selbst versteht, reduziert Gadamer darauf, ihn im-mer wieder anders zu verstehen. Demgegenüber beharrt Apel darauf, daß die Hermeneutik als eine wissenschaftliche Disziplin an Ziel und Maßstäben des "Besserverstehens" festhalten muß. Wenn der normative Begriff der Wahrheit nicht zugunsten eines faktisch eintretenden Epochenwandels der Welterschließung eingezogen werden soll, muß "die Geltungsreflexion in allem Verstehen gerettet werden". Die Kommensurabilität der verschiedenen sprachlichen Weltansichten will Apel mit Hilfe pragmatischer Universalien erklären. Dabei läßt er sich von der Idee leiten, daß sich das Sprachwissen an den Praktiken, die es zugleich mit dem kognitiven Weltumgang ermöglicht, auch selber indirekt bewähren muß. Dem Pluralismus der vermeintlich unkommensurablen Weltansichten begegnet Apel mit zwei theoriestrategischen Unterscheidungen. Vom semantischen Sinnapriori der sprachlichen Weltbilder, die nur im Plural auftreten, unterscheidet er die mit allgemeinen Strukturen des zweckrationalen Handelns und der Interaktion verschränkte Konstitution von Gegenstandsbereichen der Natur‑ und der Geisteswissenschaften. Dieses pragmatische Apriori bestimmt die Ge-genstände möglicher Erfahrung und zu-gleich den kategorialen Sinn von Aussagen, einerseits über Dinge und Ereignisse, andererseits über Personen, deren Äußerungen und Kontexte. Von diesem Erfahrungsapriori unterscheidet Apel zweitens ein Argumentationsapriori in Gestalt der allgemeinen pragmatischen Voraussetzungen für rationale Diskurse, in denen Wahrheitsansprüche geprüft werden. Anders als Kant trennt Apel also die Gegenstandskonstitution von der Geltungsreflexion, indem er die pragmatischen Bedingungen für die Objektivität möglicher Erfahrungen von den Kommunikationsbedingungen für die diskursive Einlösung von Wahrheitsansprüchen unterscheidet. Bei der pragmatischen Interpretation der Geltungsreflexion stößt Apel auf die kommunikativen Bedingungen für eine kooperative Wahrheitssuche. Dabei steht das von Charles S. Peirce entwickelte Modell einer unbegrenzten Kommunikationsgemeinschaft Pate, worin die Forscher ihre falliblen Behauptungen voreinander mit dem Ziel rechtfertigen, auf dem diskursiven Wege einer Entkräftung (jederzeit möglicher) Gegenargumente ein (grundsätzlich revidierbares) Einverständnis zu erzielen. Diese Idee gibt nicht nur den Anstoß zu einem Diskursbe-griff der Wahrheit, sondern markiert auch den Ansatzpunkt für eine Diskursethik, die eine intersubjektivistische Lesart für den Kategorischen Imperativ vorschlägt. Während Gadamer das hermeneutische Verstehen grundsätzlich aristotelisch, als die ethische Selbstverständigung einer durch gemeinsame Traditionen gestifteten Gemeinschaft begreift, bringt Apel ein Kantisches, auf Fragen der Gerechtigkeit zugeschnittenes Verständnis der Moral zur Geltung. Dieses umfassende Programm ist zwar von einem hermeneutischen Sprachbegriff inspiriert; aber abgesehen von einer an Peirce anknüpfenden Semiotik fehlt darin gerade das Kernstück einer Theorie der Sprache ‑ eine "Bedeutungstheorie", wenn man diesen Ausdruck im Sinn der analytischen Tradition versteht. Der Ausgangspunkt eines methodologischen Streits über Rolle und Reichweite der Operation des Verstehens erklärt, warum Apel sein Programm zunächst in erkenntnistheoretischen Begriffen entwickelt und dann in Richtung der Moraltheorie fortgeführt hat. Erst im Kontext einer Gesellschaftstheorie, die auf den komplementären Grundbegriffen des kommunikativen Handelns und der Lebenswelt aufbaut, ist das Defizit einer Sprachtheorie im engeren Sinne unübersehbar geworden. Für eine solche Bedeutungstheorie waren allerdings zwei Vorentscheidungen bereits gefallen: Zum einen die Entkoppelung der formalen Pragmatik der Verständigung von den partikularistischen Folgen einer Semantik der sprachlichen Welterschließung; und zum anderen die Differenzierung zwischen den Ebenen des Diskurses und des Handelns, mit der weiteren Unterscheidung zwischen zwei diskursiv einlösbaren Geltungsansprüchen ‑ Wahrheit und moralische Richtigkeit. Ein solcher formalpragmatischer Ansatz entfaltet den Begriff der Sprache aus dem Begriff einer diskursiven Verständigung zwischen Gesprächspartnern, die für ihre Äußerungen kritisierbare Geltungsansprüche erheben. Die kognitiv einlösbaren Geltungsansprüche differenzieren sich nach zwei Hinsichten: Wahrheit beanspruchen wir für Behauptungen über Dinge und Ereignisse in der objektiven Welt, und Richtigkeit für Aussagen über normative Erwartungen und interpersonaler Beziehungen, die, sozusagen auf gleicher Augenhöhe, zu einer nur in performativer Einstellung zugänglichen sozialen Welt gehören. Die kog-nitive Funktion der Sprache gewinnt eine relative Unabhängigkeit von der Funktion der Welterschließung, und zwar im Bereich der soziomoralischen Lernprozesse ebenso wie in der (im engeren Sinne "kognitiven") Dimension der Bewältigung der äußeren Realität. Aus diesem Grunde kann eine Theorie des kommunikativen Handelns, die sich auf diese Sprachkonzeption stützt, an eine materialistische Gesellschaftstheorie Anschluß finden. Eine Gesellschaftstheorie, die dem sozial‑evolutionärem Eigensinn in-nenweltlicher Lernprozesse Rechnung trägt, führt zu einer differenzierten Einschätzung der kulturellen und gesellschaftlichen Modernisierung, widersteht jedenfalls der pauschalen Abwertung der Moderne im Zeichen einer totalisierenden Vernunftkritik. Einer analytischen Sprachphilosophie, die sich mehr oder weniger auf den Problem-bestand beschränkt, den sie von der Erkenntnistheorie geerbt hat, fehlt im allgemeinen die Sensibilität für, und der rechte Zugriff auf zeitdiagnostische Fragen. So ist der philosophische Diskurs der Moderne seit Hegel eine Domäne der kontinentalen Philosophie geblieben. In dieser einen Hinsicht hat die ‑ sonst obsolet gewordene ‑ Gegenüberstellung der analytischen und der kontinentalen Strömungen noch einen gewissen Sinn. Selbst Wittgensteins Reflexionen über den Zeitgeist ‑ seine antiszientistische Gesinnung, seine Kritik an Wissenschaft und Technik, seine Fortschrittskepsis, sein Abscheu vor der Soziologie, der Gegensatz von "Kultur" und "Zivilisation", die Abwertung von "Talent" und Gescheitheit gegenüber dem "Genie", mit einem Wort: die Versatzstücke einer "deutschen Ideologie", die ihn unvorteilhaft von seinem Lehrer Bertrand Russell unterscheidet ‑ bleiben privates Rankenwerk, gewinnen jedenfalls keine strukturbildende Kraft für das unnachahmliche philosophische Werk selbst. Bei Heidegger durchdringt die Kulturkritik hingegen die ganze Philosophie. Schon der Autor von Sein und Zeit führt mit dem großen Gestus des Zeitkritikers Aristoteles und Kierkegaard, eine vorkantische Metaphysik und eine nachkantische Ethik zusammen. Nach der Kehre sind es dann eine ein-leuchtende Dekonstruktion des Cartesianismus und die Auseinandersetzung mit Nietzsche, welche die breitenwirksame Kritik an Wissenschaft und Technik, überhaupt an den totalitären Zügen des Zeitalters inspirieren. Heidegger liefert, indem er seine Gegenwartsanalyse mit Mitteln der Metaphysikkritik durchführt, das idealistische Gegenstück zur materialistischen Verdingli-chungskritik. Das von Heidegger diagnostizierte Schicksals der Moderne ‑ eine sich selbst ermächtigende und ringsum alles vergegenständlichende Subjektivität ‑ ist nicht als solche originell. Sie ist das Spiegelbild der Dialektik der Aufklärung. Heideggers Zutat ist, daß er die Phänomene einer wildgewordenen Selbsterhaltung zum Verhängnis einer in die Geschichte einbrechenden Schicksalsmacht stilisiert. Er begreift sie nämlich als Symptome eines die Neuzeit gefangennehmenden, alle Differenzen einebnenden und überwältigenden Welt‑ und Selbstverständnisses. Wenn wir die Hypostasierung der welterschließenden Funktion der Sprache vermeiden, kann ein differenzierteres Bild der Moderne entstehen. Sobald wir eine Dialektik zwischen Welterschließung und innerweltlichen Lern-prozessen zulassen, zerfällt nämlich der monolithische und schicksalhafte Charakter einer alles präjudizierenden Weltsicht. Zugleich verliert die Diagnose selbst ihren idealistischen Charakter. Denn dann lassen sich die Pathologien der Moderne nicht länger auf die Semantik eines unausweichlich deformierenden Weltverständnisses zurückführen.
Von der Redaktion gekürzte Fassung eines an der Universität Oldenburg vorgetragenen Textes, mit der der Autor ursprünglich eine vom Royal Institute for Philosophy in London zwischen Oktober 1997 und März 1998 durchgeführte Vorlesungsreihe zur "deutschen Philosophie seit Kant" abge- schlossen hatte. Der vollständige Text erscheint im April in: Habermas, J.: Wahrheit und Rechtfertigung. Philosophische Aufsätze. Ca. 300 S., Ln. ca. DM 58.--, kt. ca. DM 34.--, Suhrkamp, Frankfurt.
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