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Erster Weltkrieg

 

Der Erste Weltkrieg und die Philosophen

Gustav Landauer hat einmal gesagt, nicht einmal die Feldpost habe im Ersten Weltkrieg so versagt wie die Intellektuellen. Kurt Flasch, vielen bekannt als Mittelalter-Forscher, ist dieser Thematik seit Jahren nachgegangen, seine Bibliographie zum Thema umfasst 13'000 Titel. Seine Darstellung des philosophischen Denkens im Ersten Weltkrieg liegt vor in dem Buch

Flasch, Kurt: Die geistige Mobilmachung. Die deutschen Intellektuellen und der Erste Weltkrieg. 445 S., Ln., € 34.—, 2000, Alexander Fest Verlag, Berlin.

Am Nachmittag des 1. August 1914 befahl Kriegsminister Erich von Falkenhayn die deutsche Mobilmachung. Deutschland erklärte Russland am 1. August, Frankreich am 3. August den Krieg. Die handelnden Staatsmänner beriefen sich dabei auf allgemeine Prinzipien wie Gerechtigkeit, Notwehr, Schutz der neutralen Staaten, unbedingtes Recht der Selbsterhaltung und Bedrohung der Kultur. Dadurch wurde der Erste Weltkrieg sofort ein Kampf der Argumentationen in den Medien; viele liebten feierliche Ausdrücke und sprachen von einem „Geisteskrieg“ oder „Kulturkampf“. Mit der militärischen kam es zu einer intellektuellen Mobilmachung, die geistigen Führer der Nation hielten vor Tausenden von Zuhörern vaterländische Reden. Die wichtigsten davon wurden umgehend und oft in einigen Nachauflagen gedruckt.

Im Jena etwa sprach im August 1914 Rudolf Eucken, damals neben Ernst Haeckel der bekannteste Professor der Universität und zugleich der repräsentativste Philosoph des Kaiserreiches. Er hatte eine allgemeinverständliche, argumentativ gemäßigte quasi- idealistische Lebensphilosophie entwickelt, die sich gegen den Naturalismus, aber auch gegen den Intellektualismus wandte. 1908 hatte er – als einziger deutscher Philosoph überhaupt – den Nobelpreis für Literatur erhalten. Ingesamt hielt Eucken im ersten Kriegsjahr 36 Reden. Die erste hatte den Titel Die sittlichen Kräfte des Krieges, in einer zweiten Rede sprach er über Die weltgeschichtliche Bedeutung des deutschen Geistes. Diese beiden Reden lieferten die Stichworte für viele weitere Redner und boten den Kanon dessen, was ein gebildeter Deutscher 1914 über den Krieg denken sollte. Eucken stellte fest: Man muss je nach deren Charakter zwei Arten von Kriegen unterscheiden. Die Einwände gegen die Moralität des Krieges träfen zu, wenn der Krieg „aus Haß und Neid, aus Ruhmsucht oder Eroberungsgier“ entspringt. Dann ist der Krieg „ein schweres Übel und kann nur zum Bösen wirken“. Ist er aber „der Kampf eines ganzen Volkes für seine Selbsterhaltung und für die Wahrung seiner heiligsten Güter, ist er eine Abwehr gewaltsamer Angriffe, so kann er eine Quelle sittlicher Stärkung werden“. Nimmt der einzelne oder ein Volk die moralische Herausforderung des Krieges nicht an, dann sind die Menschen des Krieges und auch des Sieges nicht würdig. Eucken setzt voraus, dass die Absicht oder die moralische Intention des Handelnden für die Bewertung des Krieges maßgebend sei; Flasch nennt dies moralischen Intentionalismus, und dieser wird zur Prämisse vieler Kriegsreden. Zu den Standardtechniken der intellektuellen Kriegsrechtfertigung gehört das Ausblenden der faktischen Kriegsentstehung; auch hierin wurde Eucken zum Vorbild.

Eucken entwickelt ein zweites Argument, das den guten Charakter dieses Krieges beweisen soll: dass er die Verfechtung einer guten Sache sei, beweise die „Wirkung, die er auf unsere Seelen ausübt, die durchgreifende Läuterung und Erhebung, die er an ihr vollzieht“. Dieses bedenkenlose Hinüberwechseln vom eigenen Inneren zum fremden, von der Intention zur Realität ist eine durchgehende Prämisse deutscher Texte zur Rechtfertigung des Krieges. Ein weitertreibendes Stichwort dieses und vieler anderer Kriegsreden ist „das Ganze“. Vom gerechten Krieg, so Eucken, gehe eine „stählerne Kraft“ aus, weil er uns lehre, dass wir vom Ganzen abhängen. Und der Krieg hat sittliche Kraft, weil er alle Uneinigkeiten beseitigt. Er vereine uns untereinander und verschaffe dem deutschen Volk gemeinsame Erlebnisse. Schließlich gehe durch den Krieg „ein tiefer religiöser Zug, weit über alle einzelnen Dogmen und über alle einzelnen Bekenntnisse hinaus heute durch das deutsche Volk“. Denkt man dies alles zusammen, dann „zeigt sich von allen Seiten, dass ein Krieg, wie wir ihn führen, gewaltige sittliche Kräfte entbindet“. Euckens Reden gaben an eventuell Zweifelnde die Parolen aus, die man von jetzt an unbedenklich gebrauchen konnte: Der Krieg als Läuterung und Erhebung, als Erfahrung des Ganzen und Höheren, ein „gerechter Krieg, ja wir dürfen sagen: ein solcher heiliger Krieg“.

Mit diesen beiden Reden zeigte Eucken, wie man die Philosophie mobilisieren kann: sie schlägt mit geschichts- und religionsphilsophischen Worten faktische Einwände nieder. Als die Situation düsterer wurde, entdeckte Eucken eine weitere Funktion der Philosophie: Er fing an zu trösten. 1915 veröffentlichte er das Buch Die Träger des deutschen Idealismus. Darin löst er den Pflichtbegriff Kants vom allgemeinen Vernunftbe­griff ab und deutet ihn als Aufforderung, „allen Gegnern draußen und drinnen zu trotzen“. Insgesamt, so Flach, hat Eucken die terminologische Massenware markiert, die andere Intellektuelle im Weltkrieg schlicht weitergaben oder originell abwandelten.

Auch die Mitbewerber Euckens um die gei­stige Führerschaft Deutschlands meldeten sich bald zu Wort. Schon am 2. August sprach Ernst Troeltsch auf einer von Stadt und Universität einberufenen vaterländischen Versammlung. Seine Rede Nach Erklärung der Mobilmachung ließ er umgehend in insgesamt vier verschiedenen Organen veröffentlichen. Dieser Text zeigt die philosophisch-theologische Weltkriegsrhetorik in statu nascendi. Troeltsch ruft auf zu militärischer Entschlossenheit und formuliert die „Losung“ des Tages: „Zu den Waffen, zu den Waffen“. Troeltschs Diktion fällt ins neoro­mantische Klischee, beschwört den „Zauber männlich-heldischer Gesinnung“ als das Kriegsentscheidende und feiert den Zauber heroischer Gesinnung. Das Haus der Kultur, das die Deutschen erbaut haben, sieht er bedroht durch „die Flammen der Unvernunft und Bosheit, des Hasses und des Neides“. Daraus ergibt sich das Kriegsziel für Deutschland: Es geht um „Sein und Leben“. Troeltsch nennt auch die Namen der wichtigsten intellektuellen Gegner: Es sind Anatole France, Henri Bergson, Emile Boutroux, G.B. Shaw und H.G. Wells, Maurice Maeterlinck und Emile Verhaeren sowie im noch neutralen Italien Gabriel D’Annunzio. Die Vorstellung von einer einheitlichen europäischen Kultur sei eine der Friedenstäuschungen gewesen, die jetzt durchschaubar geworden seien, führte Troeltsch aus. Als deutsche Antwort auf die jetzt zu Tage tretenden Gegensätze sieht er die „Selbstbesinnung und die Selbstvertiefung in das Wesen des deutschen Geistes“. Er entwickelt vier Charakteristiken dieses deutschen Wesens:

Das deutsche Volk ist monarchisch, militärisch, unendlich arbeitsam, und es verbindet einen außergewöhnlichen Ordnungssinn mit strengem Einordnungs- und Pflichtgefühl. Das letztgenannte wird ausgewogen durch „Familiensinn und Heimatgefühl, dessen schönstes Symbol das deutsche Weihnachtsfest ist“. Ordnungssinn und Gemütstiefe vereinen könne das deutsche Volk deshalb, weil beide einen gemeinsamen Quellpunkt haben, nämlich den „deutschen metaphysisch-reli­giösen Geist“. Alle vier herausgearbeiteten Charakteristika fließen zusammen in der „deutschen Idee von der Freiheit“, dem „germanischen Individualismus“.

Der Kriegsausbruch von 1914 war die Stunde der Intellektuellen, der Philosophen und der philosophierenden Schriftsteller. Dabei zei-gen sich in den massenhaft veröffentlichten Texten viele Gemeinsamkeiten. Kaum einer verzichtet auf den Bezug auf die alten Germanen und ihre Tugenden. Nicht selten ver-

Bindet sich dieser Gestus mit Rassentheorien und Überlegenheitswahn. Diese Texte belegen auch, wie gut vorbereitet der Rassismus, aber auch die Ostpolitik des Nationalsozialismus war. Eine auffällige Rolle spielt auch das Mittelalter als Idealzeit. Man erinnert an die Größe der deutschen Kaiserzeit und an die Macht des Reiches. Besonderes Interesse verdient Kant in der Behandlung der Philosophen. Man stand vor der Wahl, ihn entweder preußisch-militaristisch umzudeuten oder ihn als Utopisten des ewigen Friedens zu kritisieren. Beide Möglichkeiten wurden wahrgenommen. So findet sich in Schelers Texten von 1917 eine Abrechnung mit Kant als dem Urheber des freudlosen preußischen Pflichtethos. Fichte hingegen wurde als der deutscheste aller deutschen Philosophen gefeiert. Seine Reden an die deutsche Nation wurden mehrfach neu herausgegeben, zum Beispiel auch von Eucken.

Die Materialschlachten von 1916, die mangelnde Versorgung der Bevölkerung und die abnehmende Siegeszuversicht gestalteten auch die intellektuelle Landschaft um. Dies betraf selbst das Bild, das man sich von der Philosophie vergangener Zeiten machte.    Einige alte, bisher wenig beachtete Bücher erhielten neue Aufmerksamkeit. Es waren Werke, die den allgegenwärtigen Tod und das Versagen der bürgerlichen Alltagssicherung zu denken gestatteten. So vermittelten Übersetzungen von Pascals Pensées einer aufgewühlten Generation ein neues Konzept unakademischen Philosophieren und nichtangepassten christlichen Denkens. Noch wichtiger wurde die Einwirkung Kierkegaards. Sie ermöglichte nicht nur die sich    dialektisch nennende Theologie, sondern begünstigte auch neue philosophische Perspektiven und zwar bei so verschiedenen Denkern wie Georg Lukàcs, Martin Heidegger, Gustav Landauer und Theodor Haecker. Kierkegaards Entgegensetzung des Einzelnen zum System, von systematisierender Philosophie und Existieren, von Vernunft und Entscheidung schienen verwertbar für die Analyse der Kriegserfahrungen. Nach 1916 wurde Kierkegaard der Denker der Stunde. Er sprach die Verdüsterung des Welthorizontes und des Vereinzelungsbewusstseins des Missbrauchten aus und verband dies mit einem paradoxen, überkonfessionell genießbaren Hoffnungsschimmer. Mit dem Kriegsende fand der Anarchismus, der unter Deutschen immer einen schweren Stand hatte, zunehmend Interesse. Aufsehen erregte Landauers Aufruf zum Sozialismus von 1919, wozu dieser zu einem Sozialismus aufrief, der jede kollektive Wahrheitsverwaltung ausschloss: Kunst, Philosophie und Religion sollten strikt Sache des Einzelnen bleiben. Und seit 1921 erschien in Berlin eine dreibändige Bakunin-Ausgabe, 1923 publizierte Ricarda Huch  eine Monographie über ihn. Wer die ursprünglich prätendierte Rationalität der metaphysisch-idealistischen Gesamtdeutung retten wolle, musste zu irrationalistischen Zusatzhypothesen Zuflucht nehmen. Wie sehr die theologisch veranlagten Deutschen nach     einem Ausweg dieser Art verlangten, zeigt Flasch zufolge der außerordentliche Erfolg von Rudolf Ottos Buch Das Heilige. Es erschien 1917 zum ersten Mal und erreichte bis 1958 zwanzig Auflagen.

Flasch unterscheidet sieben Hauptmotive, die in den Reden zum Krieg rhetorische Kristallisationspunkte bilden. Das erste Motiv ist das „Erlebnis“ von Kriegsbeginn und Mobilmachung. „Erlebnis“ wurde um die Jahr- hundertwende zu einem modischen Ausdruck, zu dessen Verbreitung Georg Simmel und Max Scheler beitrugen. Erst unter dem Einfluss Heideggers kam es wieder außer Mode. Einen zweiten Schwerpunkt bildet die Gerechtigkeit der deutschen Sache. Unser Kampf ist gerecht, denn wir sind überfallen worden, lautete die Botschaft. „Er ist ein von den mächtigsten Staaten des Erdreiches geplanter Überfall, der Ausbruch einer Verschwörung“, sagte der Philosoph Adolf Lasson am 25. September 1914. Der Kriegsausbruch habe den Pazifismus widerlegt, lautete ein dritter Topos. So frage Lasson spöttisch: „Wo sind die Herren Pazifisten geblieben, die Männer des ewigen Friedens mit ihrem Deutschland überfallen haben. Ein vierter Topos bringt die minderwertige Philosophie der Feindvölker in Verbindung mit der moralischen Minderwertigkeit der deutschen  Kriegs­gegner. Der Idealismus der deutschen Philosophie beweise die Überlegenheit der Deutschen. Die historische Geisteswissenschaft tritt so in den Dienst der Kriegspropaganda. Lasson, damals ein alter Herr von mehr als 80 Jahren, galt als Repräsentant der Fortdauer der Hegelschen Philosophie. Auch die Tiefe der deutschen Seele war ein beliebtes Motiv der Redner: „Alles tiefere, lebendige Naturgefühl ist deutschen Ursprungs“ (Lasson). Eine Standardformel der Selbstcharakteristik wurde die Wendung: Wir haben „Kultur“, die Westvölker haben nur „Zivilisation“. Aber auch der Ausdruck „Gefolgschaft zum Führer“ ist hier schon zu finden. Einen sechsten gemeinsamen Topos bildet der Versuch einer geschichtlichen Selbsteinschätzung. Die Kriegsredner mussten nachweisen, dass Bismarck der wahre Erbe Luthers und Goethes sei und dass das Volk in Waffen noch das Volk der Dichter und Denker. Als letzte Gemeinsamkeit sieht Flasch den Einsatz religiöser Affekte. Die Redner beschreiben das Ereignis der Mobilmachung in messianischen Wendungen: „Selig die Augen, die es geschaut haben“ (Lasson).

Unter den deutschsprachigen Autoren theoretischer Kriegsbücher steht Max Scheler an erster Stelle. Er war der produktivste und farbigste von ihnen. Während der Ethiker Scheler den Weltkrieg als Probe auf sein philosophisches Exempel ansah, klammern neuere Bewertungen seiner Philosophie die Kriegsbücher lieber aus. Das Thema Krieg ließ Scheler von 1914 bis zu seinem Tod nicht mehr los. 1914 schrieb er das Genius des Krieges und der Deutsche Krieg, 1916 veröffentlichte er Krieg und Aufbau und 1917 schrieb er über die Ursachen des Deutschenhasses. Aus der Krieg ausbrach, hatte Scheler sein System der materialen Wertethik auf seine auf das Solidaritätsprinzip gegründete Kritik am Kapitalismus formuliert. Seine Kriegsbücher hielt er für konkrete „Anwendungen“ der im Formalismus ausgesprochenen Grundsätze. Eine Kritik an ihnen muss infolgedessen auch Schelers Grundpositionen von 1913/14 in Mitleidenschaft ziehen. Was war das für eine Ethik, die den Krieg von 1914 als moralische Reinigung feierte? Schelers materiale Wertethik konfrontierte das Ethos der Gegenwart, „das sich in steigernder Auflösung“ befindet, mit der ewigen Ordnung der Werte. Im Genius des Krieges übertrug er das bereits zuvor erprobte Verfahren der phänomenologischen Wesenserkenntnis auf das Wesen des Krieges. In diesem geht es um Höheres als um das Dasein, nämlich um Macht und um die „mit ihr fallende und stehende politische ‚Freiheit’“. Im Wesen des Krieges liege es, nicht auf die Vernichtung menschlicher Gruppeneinheiten auszugehen, „sondern auf die Neuverteilung der kollektiven geistigen Willensmächte über diese natürlichen Einheiten“. Scheler urteilte über den Krieg vom Gesichtspunkt einer „absoluten Ethik“, im Namen der „Rangordnung der Werte“ und wollte nachweisen, dass der Krieg eine Zeit gesteigerter Werterfahrung sei. Gerade in ethischer Hinsicht bedeute der Friedenszustand ein reduziertes Leben. Denn im Frieden würden die Aggressionen nur verdrängt, der Krieg hingegen offenbare den wirklichen Zustand der Menschheit. Weiter wollte Scheler beweisen, dass der Krieg Ursprung der Werterfassung und Steigerung der Liebe sei. Scheler zufolge ist der Krieg moralisch, wenn er die Macht des Besseren durchsetzt. Wiederholt kritisierte er den Pazifismus, dessen christliche Legitimation er noch 1927 bestritt.

Im Laufe des Krieges änderte Scheler seine Position. 1916 ließ er beiläufig die Wendung fallen, der Krieg sei „so merkwürdig wenig“ von Ideen getragen. Scheler interessierte sich mit solcher Ausschließlichkeit für das Ethos, dass ihm politische, ökonomische und historische Realitäten entglitten. Da für ihn die Vitalwerte unter den ethischen Werten stehen, ist für ihn die Tötung von Personen in einem ethisch gerechtfertigten Krieg kein Problem. Scheler verteidigte auch den deutschen Militarismus. Dieser ist die Orientie rung an der objektiven, feststehenden  Wertordnung, in der das Edle über dem Nützlichen und Angenehmen steht, der Militarismus ist die „Ausdrucksgeste für das     Ethos eines Volkes“. 1927 spricht Scheler völlig anders. Die Idee des ewigen Friedens kann nicht nur hohle Illusion sein, sie hat vielmehr ihre Realität und innere Verpflichtung. Das Bismarck-Reich, kritisiert er, sei zu einseitig auf Blut und Eisen gebaut. Der Gesinnungsmilitarismus ist nun plötzlich die prinzipielle Leugnung des Wertes des ewigen Friedens und die Heroisierung des Soldaten die Hochstilisierung eines beschränkten Ideals.

 Mit Recht konnten sich „Deutsche Christen“ der Nazizeit auf den Theologen und Philosophen Ernst Troeltsch berufen. So stellt er in seiner 1914 erschienenen Schrift Deutscher Glaube und Deutsche Sitte in unserem großen Kriege den „dekadenten“ französischen Kulturhochmut der „deutschen Kraft und dem deutschen Ernst“ entgegen und rühmt die deutsche „Kriegs-Schriftstellerei“, denn sie mehrt das Eisen in unserem wissenschaftlich verdünnten Blute“. Der Krieg habe bewiesen, dass die Ideen von Gewaltlosigkeit, Fortschritt und wehrlosem Christentum      „überrannt“ sind von der „Wirklichkeit und an ihre Stelle die entscheidende Kraft der Tat und des die Gelegenheit gestaltenden Willens“ getreten sind, und der Wille habe nur „die einzige Aufgabe“, den „fremden Willen durch die Gewalt zu brechen“. In Gottes Namen fordert er zur Rücksichtslosigkeit auf: „Die Mittel, die zum Zwecke nötig sind, müssen unbedenklich anerkannt und gewollt werden. Es muss über Leben und Tod gehen…“, denn die Situation zwingt uns, den deutschen Staat als „nationale Menschwer- dung des göttlichen Geistes“ zu schützen. 1915 ändert er aber plötzlich seine Meinung. Nun haben weder die westliche Demokratie noch das deutsche Mischwesen von starker Monarchie und eingeschränkter Parlaments­macht bleibenden naturrechtlichen Charakter; sie sind keine theologisch zu beschreibenden Inkarnationen Gottes mehr, sondern soziologisch zu beschreibende Formen der Aus-einandersetzung mit einer gegebenen geographischen und historischen Situation. 1917, nachdem Amerika in den Krieg eingetreten war, fordert er eine „Demobilisierung der Geister“, die er ausdrücklich in Gegensatz stellt zu der Mobilmachung des Jahres 1914, an der er selbst mitgewirkt hatte. Nun wollte er Frieden, Vertrauen und Vertrag als Wert anerkannt sehen. Nicht das Pochen auf Gewalt und Sicherung, sondern allein der Geist der Milde könne den Frieden bringen. Troeltsch löste damit heftigen Widerspruch aus. Der siebzigjährige Leipziger Philosophieprofessor Hans Volkelt, der sich bislang publizistisch zurückgehalten hatte, veröffentlichte eine Schrift Demobilisierung der   Geister. Eine Auseinandersetzung vornehmlich mit Ernst Troeltsch. Darin entwickelte Volkelt eine Philosophie des Durchhaltens und des Siegeswillens. Er will zeigen, dass auch die machtpolitische Denkweise ihre philosophische Größe, ihre Ethik und innere Konsequenz habe. Dabei zitiert er Fichte, wonach nicht die physische Stärke, sondern die Kraft „des Gemütes“ den Sieg erkämpft. Es gebe nicht, wie Troeltsch voraussetze, zuviel, sondern zu wenig Macht- und Siegeswillen.

Hermann Cohen unternahm den Versuch, aus dem Eigentümlichen des deutschen  Geistes seine Weltsendung abzuleiten. Er pries den Krieg zwar nicht, aber war dennoch der Meinung, der Krieg werde ausgleichend und sittlich verbessernd wirken. Paul Natorp, wie Cohen ein Vertreter des Neukantianismus, ging in seiner unermüdlichen literarischen Kriegsproduktion darüber hinaus und verwandelte das wilhelminische Programm der „Weltpolitik“ in den ethisch-kulturell-sozialen „Weltruf“ der Deutschen, ihre überlegene Auffassung von Wissenschaft und   Ethik in unendlicher Annäherung anzustreben und für das Heil der Welt durchzusetzen. Mehr als der Neukantianismus erwies sich die Lebensphilosophie als besonders geeignet, die Herzen der Krieger zu präparieren. Der Krieg habe „dem Leben eine ungeheure Intensität gebracht“, seine „metaphysische Leistung“ sei es, „Licht und Finsternis, das Edle und das Gemeine geschieden zu haben“, schrieb Georg Simmel. Ein Krieg mit der ganzen Welt sei die Gelegenheit, eine „absolute Situation“ zu erben, und die Entscheidung dazu komme aus der „höchsten Instanz unseres Wesens“, nämlich dem „Vermögen, ein Unbedingtes zu erfassen“. Gesucht werde nun die Idee eines neuen, „ganzen“ Menschen, und dabei zeigte sich die „mysteriöse Innenseite“ des Krieges. Und wer erwartet hatte, dass Fritz Mauthner, der Altmeister gesellschaftsbezogener Sprachkritik, der die Philosophie kritisiert hatte, sie habe falsches Vertrauen in die Sprache gesetzt, scharf auf diesen rhetorischen Überschwang der Sprache reagieren würde, wurde eines Besseren belehrt. 1914 setzt Mauthner Bergson, den er vorher noch gelobt hatte, in gehässigem Ton herab. Mauthners Freund Landauer reagierte darauf entsetzt und nannte dessen Kritik „rundheraus und ungemildert Chauvinismus“. Er könne, so Landauer, nicht einsehen, wie ein Philosoph in dieser Schicksalstunde das Philosophieren auf später verschieben wolle. Mauther war von der Kritik tief getroffen und reagierte darauf, indem er in seinem Tagebuch nochmals seine Position zusammenfasste: „unbedingte Hingabe an die deutsche Sache, bis zum tödlichen Hass gegen England, dabei festhalten an der Sehnsucht nach dem Frieden, Vorbereitung und Rückkehr zur Kultur“.

Auch der Philosoph Heinrich Scholz begann seinen Aufstieg im Übergang von der evangelischen Theologie zur Philosophie mit kriegsfreundlichen Schriften, worin er bewies, „dass der Idealismus der Träger des Kriegsgedankens“ sei und dass Aktionen des Staates ihre eigene Sittlichkeit hätten, die „nicht mit den kleinlichen Maßstäben der Privatmoral“ zu messen seien. Scholz entwarf ein Programm der Rechtfertigung dessen, was er „Realpolitik“ nannte, wobei er ausdrücklich die Mitarbeit seines Freundes Eduard Spranger hervorhob. Die Philosophen Bruno Bauch und Johannes Volkelt standen dem Block der Alldeutschen nahe. Innerhalb des rechten Spektrums und offen rassistisch schrieb Houston Stewart Chamberlain, der Schwiegersohn von Richard Wagner.

Insgesamt haben diese Reden und Texte zum Krieg eine Tendenz, die Stimmungen in den Mittelpunkt zu stellen. Fakten, die genannt werden, stehen vor einem Gefühlshorizont, der auch darüber entscheidet, welche Fakten- fragen nicht gestellt werden. Zum Klischee gewordene romantische Sprachmuster werden aufgenommen. Er zeigt sich eine klare Tendenz hin zur Maxime: Gut ist, was deinem Volke nützt. Weiter stellt Flasch eine „Theologisierung“ des Krieges fest: Fast alle gedruckten Texte assoziieren „Gott“ oder „Vorsehung“ mit „Vaterland“, „Kaiser“ und „Heldentod“.

Allerdings gibt es auch einige wenige zurückhaltende Stimmen. Eine politisch wichtige Persönlichkeit als rechte Hand des Reichskanzlers war der Philosoph und Philologe Kurt Riezler. Er hatte kurz vor dem Kriegsausbruch unter dem Namen J.J. Ruedorffer das Buch Grundzüge der Weltpolitik in der Gegenwart veröffentlicht. Er verbindet darin ein hohes philosophisches Methodenbewusstsein mit diplomatischer Erfahrung und politischer Konkretheit. Von den vielen Weltkriegsbüchern ist es nach Flasch eines der wenigen heute noch lesenswerten. In allen Nationalstaaten, so Riezler in seinem Buch, dränge eine aktive nationalistische Opposition mit Macht auf Expansion und sei entschlossen, selbst einen Krieg zu riskieren. Die sich dadurch ergebende Instabilität in den einzelnen Staaten werde noch gesteigert durch die Kompliziertheit einer Weltsituation, in der zunehmend alles mit allem zusammenhänge und in der die komplizierten Bündnissysteme die einzelstaatlichen Entscheidungen mitbestimmten. Riezler hielt den Krieg bereits vor dessen Ausbruch für unvermeidbar, aber für extrem riskant. Riezlers Buch hat aber nichts Auftrumpfendes, gar Kriegstreiberisches an sich, sondern ist in seiner theoretischen Haltung abwägend, misstrauisch-vorsichtig und in seiner Stimmung sanft melancholisch.

Max Weber hatte seit 1913 darauf bestanden, dass Bekennertum nicht zur Universität passe. Er kritisierte Kathederbewertungen als bloß subjektive Ansprüche der Lehrenden und verspottete die Professorenphilosophie. Seine öffentlichen Äußerungen beginnen 1915, zu einem Zeitpunkt, als die Welle der großen Kriegsreden verebbt war. Weber plädierte für eine langfristige Verständigung mit England und betonte, Politik müsse klug gemacht sein, gegen die nationalen Phrasen und gegen Moralismus. Er kritisierte die Konzeptlosigkeit der deutschen Außenpolitik und verwarf jede Gefühlspolitik und die Einmischung eines christlichen Moralismus in die politische Rationalität.

Fritz Klein hat im Neuen Deutschland Blindheiten in Flasch’s Buch kritisiert. So würden die linken Intellektuellen, die gegen den Krieg waren, insbesondere Rosa Luxemburg, die ihr Leben lang gegen den Militarismus kämpfte, ausgeklammert. Unbefriedigend sei aber auch die Tendenz von Flasch, die von ihm vorgestellten Zeugnisse auf einer vom realen Geschichtsverlauf weitgehend abstrahierenden Ebene zu diskutieren. Es gelinge Flasch nicht, so Tilmann Bendikowski in der Tageszeitung, die einzelnen Autoren und ihre Texte argumentativ miteinander zu verknüpfen. Viel zu vieles, was Flasch vortrage. so Thomas Karlauf in der Zeit, sei lediglich von akademischem Interesse, und die Auswahl der Texte sei höchst selektiv, im wesentlichen auf Ordinarienphilosophie beschränkt.