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Jacoby, Günther |
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Jacoby, Günther 1955 entschloß sich der Greifswalder Philosoph Günther Jacoby (1881-1969) zu einem folgenschweren Schritt. Er verfaßte eine "Denkschrift über die gegenwärtige Universitätsphilosophie in der Deutschen Demokratischen Republik". Während die DDR Jacobys philosophischem Hauptwerk Allgemeine Ontologie der Wirklichkeit durch Nichtbeachtung die Anerkennung versagte, führte Jacobys "Denkschrift" zur Beendigung seines Wirkens an der Greifswalder Universität. Wie Hans Christoph Rauh, der Wiederentdecker Jacobys, im Vorwort zur Publikation der Denkschrift Der Greifswalder Universitätsphilosoph Günther Jacoby und die DDR-Philosophie, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Heft 3/1994 ausführt, versandte Jacoby seine Gedenkschrift Anfang 1955 mit je einem Begleitbrief an den Präsidenten der Deutschen Akademie der Wissenschaften und an das Staatssekretariat für Hochschulwesen der DDR in Berlin. Jacoby war zu dieser Zeit der letzte "bürgerliche" Philosoph im DDR-Hochschulwe-sen, der trotz seines fortgeschrittenen Alters seine Lehrtätigkeit unbeirrt fortsetzte und aller Widerstände zum Trotz in Greifswald "bürgerliche Philosophie" lehrte. Jacoby war auch im Anschluß an den IV. Deutschen Philosophiekongreß 1954 in Stuttgart, dem letzten mit einer offiziellen DDR-Beteiligung, in den "Beirat des Vorstandes" dieser Gesellschaft gewählt worden. In Greifswald kämpfte der bereits 73jährige Jacoby - wie die Aktenbestände im Greifswalder Universitätsarchiv zeigen - um den Weiterbestand des "Fachgebietes Philosophie" als "Studienrichtung" an der Universität, um qualifizierte Assistenten und um einen Nachfolger an seinem Lehrstuhl. In der Denkschrift schlug Jacoby vor, bei der Neubesetzung seines Lehrstuhls darauf zu achten, daß der Inhaber das Fach "ohne politische oder weltanschauliche Bindung ausschließlich im Dienste der wissenschaftlichen Wahrheit als Forscher und Lehrer" vertreten solle. Er begründet dies damit, daß Philosophie ihre Bindung ausschließlich an die von ihr zu untersuchenden Sachverhalte habe, was "Freiheit von politischer oder weltanschaulicher Bindung" bedeute: "Diese Freiheit ist ihr Fundament". In der DDR sei diese Freiheit durch die Verfassung gesetzlich geschützt. Die Behandlung, wie sie die Philosophie gegenwärtig in der DDR erfahre, sei mit diesem Grundsatz aber nicht vereinbar. An allen Universitäten, mit Ausnahme von Greifswald, werde Philosophie nur nach marxistischen Maßstäben gelehrt. Danach gliedere sich die Universitätsphilosophie in Logik, dialektischen Materialismus und Ge-schichte der Philosophie. Was die Logik betreffe, so Jacoby, sei man auf westliche Fachliteratur angewiesen, denn "eine wissenschaftlich verwertbare marxistische ist mir unbekannt". Was den dialektischen Materialismus betreffe, so werde er selbst von marxistischen Fachvertretern als nicht mehr zeitgemäß beurteilt, und die Studenten würden den entsprechenden Unterricht als "Zwang, nicht als wissenschaftliche Förderung" empfinden. Und was die Geschichte der Philosophie betreffe, so sei ihm "kein von den heutigen marxistischen Universitätsphilosophen verfaßter, zureichend begründeter und wissenschaftlich anerkannter Beitrag des historischen Materialismus zu der Geschichte der Philosophie bekannt geworden". Die Philosophie der DDR steuere so "unabwendbar in eine Scholastik. Scholastik heißt: man fragt nach Autoritäten und ismen, nicht nach Sachen". Zur Abhilfe schlägt Jacoby vor: n Gründliche Bildung der Studenten in systematischer und historischer Philosophie. n Gemeinsamer wissenschaftlicher, dem modernen Stande der Forschung entsprechender Ausbau des dialektischen Materialismus unter Auswertung der einschlägigen Literatur über seine philosophischen Probleme und unter Herausstellung der heute für ihn ganz oder teilweise lösbaren. n Interne wissenschaftliche Konferenzen aller an der Universität Philosophie Lehrenden ein- oder zweimal im Sommersemester mit kurzen Berichten und Diskussionen über Probleme, die die Konferenzteilnehmer beschäftigen. n Berufung von uns nahestehenden, anerkannten westdeutschen Philosophen. Dabei schlägt Jacoby den Tübinger Logiker Bruno von Freytag Löringhoff, ein Anhänger Jacobys, vor. Jacoby sandte seine Denkschrift dienstlich-korrekt, unter Ausschluß der Öffentlichkeit an das Staatssekretariat für Hochschulwesen und bat seinerseits um "dienstliche Vertraulichkeit", wohl nicht ahnend, daß man sich nun ideologisch formierte, um - natürlich unter Auschluß der Öffentlichkeit - gegen ihn vorzugehen. An diesem Spiel waren viele der späteren "Kaderphilosophen" beteiligt, teilweise aber auch einzelne ihrer späteren Opfer. So urteilte etwa W. Harich: "Die Denkschrift ... enthält die bürgerlich-üblichen verleumderischen Angriffe auf den Marxismus und auf das kulturelle und geistige Leben in der Deutschen Demokratischen Republik, mit der besonderen Nuance, daß Jacoby .... mit unglaublich naiver Dreistigkeit sogenannte 'Reform'vorschläge unterbreitet". Noch bevor irgend eine Aussprache mit Jacoby stattgefunden hatte, beriet sich die Fachkommission für Philosophie über die weitere Vorgehensweise, wobei sie notierten, "die Genossen sind der Meinung, daß das 'Memorandum' Jacobys als ein Angriff gegen den dialektischen Materialismus und gegen die Errungen-schaften unseres Arbeiter- und Bauern-Staates zu betrachten ist und seine Anschauungen in einer breiten Form zerschlagen werden müssen." Im Mai 1955 fand an der Universität Greifswald eine SED-Delegiertenkonferenz statt, dabei wurde beschlossen: "Der Gen. Prof. Dr. Albrecht erhält die Aufgabe die unwiss. Theorien von Jakobi (im Original so geschrieben) u. seinen Jüngern öffentlich zu entlarven, Jakobi weiter zu isolieren u. der marx. Phil. zum Siege zu verhelfen". Genau das wurde in den nächsten zwei Jahren auch getan, Albrecht entlarvte Jacobys Ontologie als "mystisch-obskures" System. Dabei wurde aber nie auf den eigentlichen Hintergrund, die Denkschrift, hingewiesen.
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