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PORTRÄTS

Förster-Nietzsche, Elisabeth und Rudolf Steiner

 

Rudolf Steiner und Elisabeth Förster-Nietzsche

 Daß Rudolf Steiner in der frühen Nietz­sche-Bewegung eine bedeutende Rolle ge-spielt hat, ist nicht nur bei den Antropo­sophen, sondern selbst in der Nietzsche-Forschung in Verges­senheit geraten. Rudolf Steiner hat nicht nur eine der ersten Nietz­sche-Monogra­phien überhaupt geschrieben, er war auch als Herausgeber von "Der Wille zur Macht" auser­sehen. Und nicht zuletzt ist er, wie David Marc Hoffmann in seiner Materialien­samm­lung

Hoffmann, D.M. (Hrsg.): Rudolf Steiner und das Nietzsche-Archiv.294 S., kt., DM 52.--, 1993, Rudolf Steiner Studien Band IV, Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz

zeigt, der erste öffentliche Ankläger gegen die selbstherrlichen Machenschaften von Elisa­beth Förster-Nietzsche.

 Begegnet sind sich Rudolf Steiner und Eli-sabeth Förster-Nietzsche, wie Hoffmann in der informativen Einleitung berichtet, im Weimarer Goethe- und Schiller-Archiv. Nietz­sches Schwester war dabei, ein eigenes Archiv zu gründen und wollte sich infor­mieren, wie das Goethe- und Schiller-Ar­chiv eingerichtet war. Ihr "liebenswürdiger Geist" fand damals, wie Steiner berichtet, seine "tiefste Sympathie". Elisabeth Förster-Nietzsche war nach dem Tod ihres Mannes aus Paraguay zurückgekehrt, und nahm sich - während die Mutter den geistig umnach­teten Bruder pflegte -  der ruhmverspre­chenden, und wie es sich zeigte, lukrativen Verwaltung und Herausgabe von Nietzsches literarischem Erbe an. Friedrich Nietzsches an. Als selbsternannte Nachlaßverwalterin ging sie im Frühjahr 1894 daran, im Hause der Mutter in Naum­burg ein Nietzsche-Archiv zu gründen.

In der Folge wurden Steiner und seine Weimarer Freunde öfters nach Naumburg ein­geladen. Frau Förster-Nietzsche war, wie Hoffmann mitteilt, "klein, fein, lebendig und behend, dabei durch eine große Kurzsichtig­keit ein wenig hilflos in den Bewegungen und nicht ohne die Koketterie der Hilflosig­keit. Eine von den Frauen ....., die unter ihrer scheinbar so gebrechlichen Hülle und ihrer Weltfremdheit eine Fülle von Energie und zäher Klugheit bergen." In Naumburg traf Nietzsche Fritz Koegel, den Heraus­geber von Nietzsches Werken, und wenn im Gespräch eine Pause eintrat, konnte man, wie Gabriele Reuter, die zu Steiners Wei­marer Freundeskreis gehörte, berichtet, "aus dem Ne­benraum ein dumpfes Murren und Brummen wie die Laute eines gefangenen Tieres hören.... Das war der kranke Nietz­sche, der dort drinnen saß und nichts mehr wußte von seinem Werk, vor dem wir uns schauernd beugten". Koegel hat zwischen 1894 und 1897 insgesamt acht Werk- und vier Nach­laßbände herausgegeben.

Elisabeth Förster-Nietzsche suchte neben Fritz Koegel einen zweiten Herausgeber, den sie schließlich in Eduard von der Hellen fand, dem zweiten Direktor des Goethe-Archivs in Wei­mar - ein Wechsel, der seinerzeit in Weimar Aufsehen erregte. Gleichzeitig teilte Frau Förster-Nietzsche Rudolf Steiner vertraulich mit, daß eigent­lich er, Stei­ner, der prädestinierte Heraus­geber wäre. In kurzer Zeit entstanden Span­nungen zwischen Koe­gel und von der Hel­len. Koegel sah sich in seiner Stellung als Hauptherausgeber be­droht, und van der Hellen schied in der Folge aus, wonach der zweite Herausgeber­posten wieder zur Ver­fügung stand. Steiner begann nun, in seiner Freizeit im Archiv zu arbeiten, wobei es aber, wie er feststellte, nie ein offizielles Ar­beitsverhältnis gab. Fest steht hingegen, daß er im Frühjahr 1895 gebeten wurde, ein Ver­zeichnis der Literatur über Nietzsche für einen Ver­lagsprospekt zusam­menzustel­len. Dieses Verzeichnis, die erste Nietzsche-Biblio­gra­phie überhaupt, erfaßt auf sieben Seiten 168 Einzelpublikationen. Zur glei­chen Zeit erschien Steiners Buch Friedrich Nietzsche, ein Kämpfer seiner Zeit, ein Buch, das Steiner als Kenner Nietzsches ausweist und das großen Erfolg hatte. Noch im selben Jahr wurde eine zweite Auflage ge­druckt.

Elisabeth Nietzsche-Förster plante eine Nietzsche-Biographie. Da sie wegen ihres Para­guay-Aufenthaltes über die letzten Jahre Nietzsches vor seinem Zusammenbruch schlecht unterrichtet war, reiste sie den Stationen der letzten Lebensjahre nach, um Freunde ihres Bruders zu treffen und ihnen Briefe von ihm für ihr Archiv zu entlo­cken. In Basel kursierte die Anekdote, Jacob Burckhardt habe sich bei ihrem Besuch als al­tersschwacher Trottel verstellt.

Rudolf Steiner fühlte sich in dieser Zeit nicht nur Nietzsche, sondern auch seiner Schwester eng verbunden. Diese sah sich als Archivleiterin vielfacher Kritik aus­gesetzt. Nicht nur die früheren Freunde ihres Bruders, Franz Overbeck, Hein­rich Köselitz und Erwin Rohde, auch die Mutter, Franziska Nietzsche und der Vetter der Schwester, Adal­bert Oehler, schauten mit Befremden auf ihre Aktivitäten. Deshalb kam sie auf die Idee, Rudolf Steiner um ein schriftliches Lob ihrer Arbeit zu bitten. Steiner ging auf die­sen Wunsch ein.

Im Januar 1896 kaufte Elisabeth Förster-Nietzsche die Exklusivrechte an Werk und Nach­laß ihres Bruders seinen Vormündern Franziska Nietzsche und Adalbert Oeh­ler ab und wollte ein Verzeichnis über Nietz­sches Bibliothek anfertigen lassen, wozu sie Steiner verpflichtete, der das ge­wünschte Verzeichnis mit großer Sorgfalt erstellte und auf 227 Seiten 1077 Bände und Broschüren in 19 Sachgruppen al­phabetisch auflistete - ein Ver­zeichnis, das zur Grundlage aller späteren Kataloge wur­de. Steiner übernahm diese Arbeit sehr gerne: "Es war eine schö­ne Aufgabe, die die Bücher vor meine Augen stellte, in denen Nietzsche gelesen hatte. Sein Geist lebte in den Eindrücken auf, welche diese Bücher machten ... Eine große Anzahl von Randbe­merkungen, aus denen man die Keime seiner Ideen auf-schießen sieht... Ich war tief ergriffen, ja erschüttert von dem Eindruck, den ich durch ein solches Nachgehen von Nietzsches Lek-türe bekam. Denn ich sah, welch ein Gegen­satz zwischen Nietzsches Geistesart und der seiner Zeitgenossen war." Und nach Ab­schluß der Arbeiten wurde Steiner, gleichsam als Dank, noch zum kranken Nietzsche geführt. Unmittelbar darauf no­tierte Steiner in seinem Notizbuch: "22. Januar 1896. Habe eben Nietzsche gesehen. Er lag auf dem Sopha, wie ein Denker, der müde ist und ein lang gehegtes Problem liegend weiterdenkt. Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen, obwohl er sie öfter auf­schlug und zu seiner Rechten blick­te, wie man es oft macht wäh­rend des Nachden­kens. Sein Aussehen ist das eines völlig gesunden. Keine Blässe. Keine weißen Haare. Der mächtige Schnurrbart wie auf dem Zarathustrabilde. O, diese mächtige Stirn, Denker und Künstler zugleich ver­ratend. Frische Röte über dem ganzen Ge­sichte. Friede des Weisen um sich verbrei­tend. ...... Die Mutter sprach wie mit einem Kinde, wie mit einem Kinde, das die Mutter sehr lieb hat. Gütige Worte waren es: Nicht wahr Du bist mein gutes Kind!"

Um der Einflußsphäre der Mutter zu ent­kommen, vor allem aber, um vom Nimbus der Klassiker profitieren zu können, zog Elisabeth Förster-Nietzsche im August 1896 mit dem Archiv von Naumburg nach Wei­mar. In dieser Zeit bekam Steiner allerdings auch die problema­tische Seite von Frau Förster-Nietzsches Charakter zu spüren. Im Zusam­menhang mit dem Umzug gingen Meldun­gen durch die Zeitungen, Steiner sei Mit­herausgeber der Nietz­sche-Ausgabe. Zwar konnte der Urheber der Falschmel­dung nie ausfindig gemacht wer­den, doch Hoffmann ist überzeugt, Nietzsches Schwes­ter habe dahintergesteckt. Steiner war dies höchst peinlich, wußte er doch, daß Koegel Wert darauf legte, in der Öffentlichkeit als al­leiniger Herausgeber zu gelten.

 Plötzlich äußerte Frau Förster-Nietzsche den Wunsch, Steiner solle ihr in Pri­vat­stunden die Philosophie Nietzsches erklä­ren. Steiner ging darauf ein, wohl wissend, daß er damit Koe­gel vor den Kopf stoßen würde, der sich als Nietzsche-Experte übergangen fühlen muß­te. Im Spätsommer und Herbst 1896 unter­richtete Steiner wöchentlich zwei Stun­den: "Ich habe Nietzsches Auffassung von der griechischen Philosophie, sein Ver­hält­nis zur modernen, besonders zur Kant­schen und Schopenhauerschen Welt­anschauung und die tieferen Grundlagen seines eigenen Denkens behandelt." Gleich­zeitig ver­schlechterte sich das Verhältnis zwischen Koegel und dessen Chefin zuse­hends. Stei­ner sah den Grund: "Sie will haben, daß ich die Nietzsche-Ausgabe weit­ermache." Am 5. Dezember, bei einer die­sen Privatstunden, rückte Frau Förster-Niet­zsche heraus: Sie schätze zwar Koegel aus-serordentlich, aber er sei kein Philosoph. "Deshalb könne sie sich nicht denken, daß er fähig sei, die letzten Bände der Ausgabe, in denen die Umwertung aller Werte veröf­fentlicht wer­den solle, entsprechend zu bearbeiten. Sie halte dafür, daß ich, der ich Philo­soph sei und in Nietzsches Gedanken­kreis ganz eingeweiht, zur Ausgabe zugezo­gen wer­den müsse." Da Steiner wußte, daß Koegel, der durch das Gebahren der Frau Förster-Nietz­sche in eine geradezu krankhafte Aufregung geraten war, es nicht ertragen hätte, von der Unterredung Kennt­nis zu erhalten, bat er Frau Förster-Nietz­sche, ihm ihr Wort zu geben, daß Koegel nichts von dem Angebot erfahre, worauf diese einwilligte.

Dennoch schrieb sie an Koegels Schwieger­mutter und setzte ihr das Vorhaben ausein­ander, nicht ohne zu drohen, falls Koegel nicht zustimmen würde (was bei seinem Temperament vorauszusehen war), würde er aus dem Archiv hinausgedrängt. Zudem sprach sie zwei Tage später mit Koegels Schwester über ihren Plan und Steiners Zustimmung dazu.

 Koegel verlangte daraufhin ultimativ eine Erklärung von Steiner, "andernfalls er die Konse­quenzen ziehen werde". Steiner be­schrieb in einem Brief die Situation: "Die Dinge, die Frau Förster macht, sind einfach unerhört. Sie will mit den Menschen spie­len, wie es ihr beliebt. Weil sie nicht den Mut hat, Koegel direkt zu sagen, was sie mit ihm vorhat, läßt sie ihm durch seine Schwester sagen, ich hätte gesagt, ich wäre bereit, mit ihm zusammen die Ausgabe zu machen. Dies ist nicht wahr. Außerdem redet sie zu allen Leuten so, daß diese die Vorstellung bekommen müssen, ich wolle Koegel verdrängen und betriebe die Dinge hinter seinem Rücken...... Ich mußte sie gestern morgen zur Rede stellen. Sie hatte die Stirn, mir die unglaublichsten Dinge vorzumachen. Kurz, es ist alles unerhört."

Im Archiv kam es darauf zu einer Szene. Dazu Koegel: "Eine förmliche Gerichts­scene. Es wurde unwiderleglich documen­tarisch erwiesen, daß Frau Förster durch ihre Intriguen St. in die compromittierende Lage gebracht hat und sie mußte dies ... eingestehen". Elisabeth Förster-Nietzsche sah das allerdings anders: "Beinah ein Duell, es wurde nur (dadurch) verhindert, daß ich alle Schuld auf mich nahm." Und am selben Abend schrieb Nietzsches Schwester Steiner einen Brief, in dem sie alle ihre Geständnisse wieder zurücknahm: "Sagen Sie was wäre geworden wenn ich nun doch die Wahrheit gesägt hätte?" Und zwei Tage darauf präsentierte sie in einem neuen Brief eine für Steiner zurechtgelegte Version der Ereignisse, wonach er seine angebliche Zustimmung aus Zerstreutheit vergessen hätte. Immer wieder warf nun Frau Förster-Nietzsche Steiner brieflich sein "ehrloses" Verhalten vor und wiederholte ihre Version der Ereignisse.

Gleichzeitig hatte sie einen neuen Plan. Sie wollte das Magazin für Litteratur, eine an­gesehene Wochenzeitung, zusammen mit dem Verleger Naumann übernehmen, um daraus ein Nietzsche-Organ zu machen. Sie hatte die aufkommende Nietzsche-Begeiste­rung be­merkt und hoffte auf ein lukratives Geschäft. Zufälligerweise stand aber Steiner zur glei­chen Zeit ebenfalls in Verhandlung um die Übernahme von Herausgabe und Redak­tion des Magazins. Koegel informierte Stei­ner und konnte so das Vorhaben von Frau Förster-Nietz­sche durchkreuzen, wo­rauf diese ihre Kritik an Koegel verschärfte. Im Juli 1897 wurde Koegel schließ­lich ent-las­sen, und Frau Nietzsche-Förster ver­suchte Steiner als Nachfolger zu gewin­nen. Da dieser aber nun Herausgeber des Ma­gazins geworden war (und wohl auch von Frau Förster-Nietzsche mehr als genug hatte), Stand er als Nachfolger nicht mehr zur Ver­fügung. Als sie das schließlich einsah, rea­gierte sie mit Beschimpfungen, worauf der Kon­takt zwischen Rudolf Steiner und dem Niet­zsche-Archiv endgültig zum Erliegen kam.

Nun kam Arthur Seidl, später noch Hein­rich Köselitz und die Brüder Horneffer als Herausgeber ans Archiv, eine neue Gesamt­ausgabe wurde begonnen, die alte als un­brauch­bar bezeichnet, vom Verlag zurück­gezogen und zum Teil eingestampft. Ernst Horneffer begründete diesen schwer­wiegenden Schritt in einer Broschüre Nietz­sches Lehre von der Ewigen Wiederkehr und deren bisherige Veröffentlichung (Leip­zig, 1900). Für Steiner stellte diese Schrift eine derartige Verdrehung der Wahrheit dar, daß er seiner Empörung öffentlich Ausdruck verlieh. Daraus entstand ein literarischer Streit, an dem sich insgesamt acht Personen mit neunzehn Zeitschriftenartikel beteiligten. Über Frau Förster-Nietzsche gab Steiner dabei ein vernichtendes Urteil ab: "Die Privatstunden, die ich Frau Förster-Nietz­sche zu geben hatte, belehrten mich vor allen Dingen über das Eine: Daß Frau För­ster-Nietzsche in allem, was die Lehre ihres Bruders angeht, vollständig Laie ist. Sie hat nicht über das Einfachste dieser Lehre ir­gend ein selbständiges Urteil..... ihrem Den­ken wohnt auch nicht die geringste logische Folgerichtigkeit inne; es geht ihr jeder Sinn für Sachlichkeit und Objektivität ab".