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ESSAY

Brandt, Reinhard: Können Tiere denken?

Reinhard Brandt:

Können Tiere denken?

Tiere äußern Lust- und Schmerzempfindungen, sie träumen, sie senden und empfangen Zeichen und können sie assoziativ miteinander verbinden, sie basteln Werkzeuge und bilden Hierarchien in einer Sozial- und Medienwelt. Daher rechnet man mit psychischen Fähigkeiten der Tiere und folglich mit einem entsprechenden Bewusstsein und Selbstbewusstsein; die Tierpsychologie ist eine bis in die Antike zurückreichende, auch in der Moderne anerkannte Disziplin. Gehört zu den psychischen Kompetenzen irgendwelcher Tiere auch das Denken?

Es soll gezeigt werden, dass Denken nur sinnvoll gefasst werden kann als Urteilen („S ist / ist nicht P“), dass aber Tiere zur Bildung von Urteilen nach den zur Verfügung stehenden Daten nicht in der Lage sind, dass also Tiere nach unseren Erkenntnissen trotz aller kognitiven Fähigkeiten nicht denken können. Vom bejahenden oder verneinenden Urteilen oder Denken lässt sich mit Sicherheit sagen, dass es als solches in den Gehirnprozessen von Menschen und Tieren nicht vorkommt, denn dass etwas (S) etwas anderes (P) ist oder nicht ist und des weiteren entweder wahr oder falsch ist, überschreitet alle Natur, auch die des größten Gehirns im teuersten Tomographen. Wie sollte auch etwas, das nicht ist, da sein? Hier also winken die Tiere ab, die Hirntomographen versagen, und der menschliche Geist beginnt seine übernatürliche Laufbahn.

Wir können drei Bereiche voneinander unterscheiden. Einmal „gibt es“ Raum-Zeit-Dinge und –Ereignisse, sodann zeitlich strukturierte psychische Phänomene und drittens das Denk- oder Urteilsvermögen, das wir vom Menschen kennen und das vielleicht auch den Tieren zukommt. Zum ersten Bereich gehören Gegenstände als Objekte der Physik, Chemie, Physiologie wie Moleküle, Pflanzen, Tiere und Menschen und deren Organe. Zum zweiten Bereich gehören Phänomene bei Menschen und Tiere, die die körperlichen Organe als notwendige Bedingungen voraussetzen, jedoch nicht in ihnen aufzugehen scheinen, so die Schmerz- und Lustempfindung, die Fähigkeit der Assoziation von Vorstellungen, die Leistung von Aufmerksamkeit, das Beachten sozialer Hierarchien. Drittens dann das Denk- oder Urteilsvermögen, das unbezweifelbar beim Menschen gegeben ist. Unsere Frage: Können auch Tiere denken? (Genau genommen: Nicht-menschliche Tiere, denn die Spezies Mensch gehört zur Gattung Tier).

Was heißt „denken“? Die Bestimmung des Denkens muss auf jeden Fall das uns vom Menschen vertraute Denken einschließen,    d. h. aber: Zum Denken gehört wesentlich das Urteilen, dessen rudimentärste Form die bejahende oder verneinende Antwort auf   eine Frage ist, etwa: „Können Tiere denken?“ „Tiere können denken“, „Tiere können nicht denken“. Ohne die Alternative des Ja oder Nein gibt es kein Urteil, damit aber auch kein Wahr- oder Falschsein. Diese Qualität kommt keinem Faktum als solchem zu, keinem Bild, keinem Aufschrei, übrigens auch keiner Bitte. Mit dem Urteil eröffnet sich des weiteren die gesamte Logik inklusive der Unterscheidung von Möglich, Wirklich und Notwendig. Jedes Urteil ist symbolisch-sprachlich verfasst, und zwar auch dann, wenn wir es nicht äußern, denn das nicht geäußerte Denken vollzieht sich als Sprechen mit sich selbst. Das heißt aber, dass wir in einer der abertausend menschlichen Sprachen denken und urteilen; der Denkakt als solcher muss damit jedoch gegenüber der zufälligen Einkleidung in diese oder jene Sprache indifferent sein; Sprachen sind im Prinzip ineinander übersetzbar, weil ihnen ein identisches Denken zugrunde liegt. Damit aber haben wir einen Begriff vom Denken gewonnnen, der auch den sprachunfähigen Tieren zukommen könnte.

In einer Zwischenüberlegung kann ausgeschlossen werden, dass ein Gehirn denken kann, weder das der Menschen noch das    eines Tieres. Das Denken vollzieht sich wie alles psychische Geschehen in der Zeit, das Gehirn ist jedoch ein raum-zeitliches Objekt; in ihm lässt sich zwar eine Tätigkeit regi­strieren, die das Denken und Urteilen hier und jetzt physisch ermöglicht, die spezifische Verknüpfung von Symbolen jedoch im bejahenden oder verneinenden Urteil entzieht sich den physischen Verbindungen. Hiermit erledigt sich die Debatte über Determinismus und Freiheit, denn die menschliche Freiheit (wenn es sie denn gibt) setzt das Urteilen voraus, wenn dies aber als solches im Gehirn nicht vorkommt, dann kann auch die urteilsabhängige Freiheit durch Befunde im Gehirn weder zerstört oder bestätigt werden; das Gehirn versteht schlicht nicht, wovon bei der Bejahung oder Verneinung überhaupt die Rede ist, und kann deswegen auch bei der Freiheitsfrage nur den Kopf schütteln.  

Nun zu den Tieren. Wir teilen mit ihnen    einen Großteil unserer physiologischen und auch psychologischen Anlagen. Pflanzen brauchen nichts wahrzunehmen, die selbstbeweglichen Menschen und Tiere können jedoch ohne äußere Wahrnehmung nicht leben. Die Wahrnehmung oder Empfindung vollzieht sich so, dass das Tier nicht die eine Farbe von der anderen unterscheidet und also in einem Ja- oder Nein-Urteil miteinander vergleicht, sondern Rezeptoren für eine bestimmte Wellenlänge des Lichts hat; dieser optische Impuls wird durch die Nerven an das Gehirn weitergeleitet, ohne je beurteilt zu werden. Es tut sich ein Katalog von weiteren psychischen Fähigkeiten auf. Tiere sind nach der allgemeinen Überzeugung der Biologen von Aristoteles bis heute zur Bildung von Vorstellung und deren Assoziationen befähigt (man denke an Pawlows Hund), sie richten ihre konzentrierte Aufmerksamkeit auf ein Beutetier, sie beachten eine soziale Hierarchie, sie senden und empfangen Zeichen und könnten außerhalb ihrer Medienwelt nicht überleben. Wir können problemlos den Tieren ein diesen psychischen Fähigkeiten entsprechendes Bewusstsein und Selbstbewusstsein zubilligen, denn was eine Schmerzempfindung und Hierarchieordnung besonders bei den Primaten sein sollen, deren sich das Tier nicht im Wachzustand bewusst ist, das lässt sich schwer nachvollziehen. Das Tier, das seine eigene Körpergröße und das eigene Gewicht bei seinem Verhalten einkalkuliert, hat damit ein Selbstbewusstsein, natürlich sui generis.

Aber Zeichen und Signale der Tiere sind keine Symbole, mit denen gefragt und bejaht oder verneint wird; keine Zeichensequenz beinhaltet, dass etwas nicht der Fall ist. Wir haben entsprechend keinen Grund, ein Denken bei Tieren anzunehmen, das ein bestimmtes Verhalten erst erklärlich machte. Die Frage, ob Tiere denken können, lässt sich also verneinen.

Damit gehören die Tiere trotz aller psychischen Kompetenzen zur Natur oder, mit Parmenides und Platon, zum Sein, in dem das Nichtsein nicht vorkommt. Dass etwas nicht ist, dieses Paradoxon tritt erst mit dem Denken und Urteilen der Menschen in die Welt.

UNSER AUTOR:

 

Reinhard Brandt ist emeritierter Professor für Philosophie an der Universität Marburg.