PhilosophiePhilosophie

BIOGRAPHIE

Der Philosoph der Freiheit. Klaus Viewegs Hegel-Biographie

aus: Heft 3/2020, S. 38-45
 
Über Hegel gibt es viele Klischeevorstellungen, zumeist von Personen in die Welt gesetzt, die Hegel nur vom Hörensagen kennen. Eine sich auf dem neuesten Stand der Forschung befindende Biographie ist seit Jahrzehnten ein Desiderat. Klaus Vieweg, der an der Universität Jena lehrt und sich seit Jahrzehnten mit Hegel beschäftigt, hat es unternommen, diese Lücke mit seiner Biographie
 
Vieweg, Klaus: Hegel. Der Philosoph der Freiheit. 824 S., Ln. € 34.—, 2019, C. H. Beck, München
 
zu schließen. Dabei sieht er in der Freiheit den Kernimpuls von Hegels Lebenswerk: „Philosophieren heißt, frei zu sein“ und interpretiert ihn als homo politicus, ein sich zu politischen Fragen öffentlich positionierender Mensch, der sein ganzes Leben hindurch als vehementer Verteidiger der Grundgedanken der Französischen Revolution auftrat. „Er ist schwierig, er ist mein Bruder“, schreibt Vieweg über Hegel, und ihm ergeht es dabei wie oft bei Familienangehörigen: Negatives übersieht man gerne, Kritik tritt man vehement entgegen.
 
Die Familie Hegel gehörte in Stuttgart zur privilegierten Beamtenschicht, und Georg Wilhelm Friedrich konnte zwölf Jahre lang das in der Nähe des Wohnhauses gelegene Gymnasium besuchen. Ab dem zehnten Lebensjahr war er Primus seiner Klasse, und ab dem fünfzehnten Jahr diskutierte er, so glaubt es Vieweg zu wissen, mit Lehrern und Bekannten aktuelle Fragen der Metaphysik, der Theologie und der Aufklärungsphilosophie. Problematisch war zu dieser Zeit sein Verhältnis zur christlichen Religion. Allerdings zeigte sich auch eine Schwäche Hegels: Er war im mündlichen Vortrag nicht besonders gut. 
 
1788 schreibt sich Hegel als Student im Tübinger Stift ein und verpflichtet sich, sich allein auf die Theologie, auf „keine andere Profession“ zu richten. Ein Jahr später, 1789, bricht in Paris mit dem Sturm auf die Bastille die Französische Revolution aus. Das geistige Klima im Stift wird in den nächsten Jahren von der Auseinandersetzung zwischen An-hängern und Gegnern der Revolution bestimmt. Eine außerordentliche Konstellation unter den Studierenden: Hegel bewohnt mit Hölderlin und Schelling die „Augustinerstube“ im Stift, für Vieweg „ein einmaliger Glücksfall europäischer Geistesgeschichte“. Die drei sahen das zwar anders, klagen sie doch über „immerwährenden Verdruß“ bei den Studien, nicht nur der ungesunden Luft und der schlechten Kost wegen, sondern auch wegen strenger Reglementierung und ständiger Demütigungen. Eine Atmosphäre, so Vieweg, bei der „intellektueller Widerstand geradezu gezüchtet werde“.
 
Die Französische Revolution wird zu Hegels Grunderlebnis. Er sieht darin den Begriff des Rechts in die Welt treten, wogegen das „alte Gerüst des Unrechts“ keinen Widerstand lei-sten kann. Im Stift wird Hegel Mitglied (wenn nicht Wortführer) eines politischen Zirkels, der sich mit der Französischen Revolution beschäftigte. Er verbindet den Freudentaumel über die Pariser Ereignisse mit dem Pathos von Menschenrecht und Freiheit, nimmt Kontakt mit anderen Tübinger Revolutionssympathisanten auf. Er wird eine der zentralen Figuren der studentischen Revolutionsanhänger in Württemberg. Das steckt an, beinahe alle Stiftler (und damit der theologische Nachwuchs Württembergs) nehmen am Gottesdienst keinen allzu großen Anteil, sondern lesen lieber Schiller und Goethe. 
 
Mit Schelling verbindet Hegel der Kantische Kritizismus. Schelling sieht in Hegel den wichtigsten Mitstreiter beim „Zerreißen des abergläubischen Spinnengewebes“ mit dem hohen Ziel einer Fortführung der mit Kant begonnenen Revolution der Philosophie. Schelling hält seinen Freund für berufen, „vollends die letzte Tür des Aberglaubens zu verrammeln“.  Hegel, der ein langsames, alles gründlich prüfendes Naturell hat, besteht dabei auf Genauigkeit in der Prüfung der Positionen. In Tübingen müssen sich die drei Freunde mit der einflussreichsten Strömung der evangelischen Theologie, der Storrschen Schule des Supranaturalismus, auseinandersetzen. Hegel entwickelt dabei einen ganzheitlich-monistischen Ansatz, verbunden mit der Idealisierung des antiken Griechentums und einer auf Rousseau und Schiller rekurrierenden Natursicht als Hintergrund. Ein unverwechselbares Verständnis von Negativität wird zum Dreh- und Angelpunkt bei der Herausbildung von Hegels Philosophie. Der Name Sextus Empiricus wird zum Sinnbild für die Exklusivität von Hegels absolutem Idealismus der Freiheit, was im Projekt der Phänomenologie des Geistes als ein sich vollbringender Skeptizismus kulminiert. 
 
Zum Predigerberuf war Hegel wenig geeignet, das hatten seine Lehrer bald festgestellt. Er muss den Weg vieler junger Intellektueller seiner Zeit gehen und sich eine Anstellung als Hauslehrer suchen. Im Alter von 23 Jahren wird er Lehrer in einer Berner Aristokratenfamilie. Bald beklagt er das Abgeschnittensein von den Tübinger philosophischen Debatten. Er gerät in eine existentielle Krise, wozu die berufliche Ungewissheit, aber auch die Enttäuschung über die Jakobinerdiktatur in Frankreich beitragen. Seine geplante Zusammenführung der Kantischen und Rousseauschen Gedanken über die Religion kommt nicht voran. Doch Vieweg sieht hier Konstanten heranreifen, die Hegels Denkweg prägen: Zum einen das Prinzip, „für die Sache selbst die Gründe darzulegen, und den Inhalt desselben gründlich zu rechtfertigen“, zum anderen die Begleitung der philosophischen Argumentation durch substantielle Gedankenbilder aus der Poesie. Hegels intellektuelles Inter-esse verschiebt sich auf ein eigentlich systematisches Philosophieren, ohne dabei Religion, Kunst und Bildung zu verabschieden.
 
Für die Öffentlichkeit ist Hegel allerdings ein Unbekannter. Mit 26 Jahren steht er noch ohne eine eigene Publikation da. Doch er beobachtet zwischen 1793 und 1796 von Bern aus interessiert den Entstehungsprozess des Deutschen Idealismus und verfasst dabei eine Fülle von Manuskripten. Religion ist dabei nach wie vor einer der wichtigsten Gegenstände seines Nachdenkens. Die Überlegungen gipfeln in einer radikalen Kritik an jeglicher autoritärer Religion. Nur die natürlich-vernünftige Religion gilt ihm als echte Religion. Er fragt danach, wie die urchristliche Religion zu einer Lehre der Knechtschaft und des sklavischen Gehorsams herabsinken konnte und er versucht, das in Jesus verkörperte urchristliche Christentum als Muster   einer natürlich-vernünftigen Religion vorzuführen. Nach dem Sturz der Jakobiner in Frankreich verzichtet Hegel auf die Rede von der Volksreligion und vertritt eine klare Trennung von Religion und Staat.
 
In seinem ersten systematischen Fragment Die transcendentale Idee unternimmt Hegel eine Absatzbewegung von Kant und verwirft dessen deontologische Moralphilosophie. Überlegungen zum Freiheitsbegriff und das Auftauchen der Begriffe Freundschaft und Liebe als Beziehungen jenseits von Herrschaft stützen diese Bewegung. Ein Gedanke Schillers prägt Hegels weiteres Denken: Der subjektiv-idealistische Konstruktivismus, der das Wirkliche nach dem Denkbaren modelt, und die analytische Scheidekunst, die alle Erfahrung in empiristischer Weise „nach einem Fragment der Erfahrung zu schätzen“ versucht, als zwei Extreme, die einander ausschließen, müssen „aufgehoben“ werden.
 
1795 kündigt Schelling an, dass er Spinozist geworden sei. Ihm sei das „ächte Prinzip“ aller Philosophie „das reine, absolute Ich... durch Freiheit gesetzt.“ Kant fehle das monistische Prinzip des Wissens, theoretische und praktische Philosophie müssten erst noch durch ein „gemeinschaftliches Prinzip verbunden sein“. Hegel übermittelt Schelling seine Zustimmung zu diesem Grundgedanken eines neuen Monismus, der die Grenze des endlichen Denkens zu überschreiten vermag. Allerdings trifft Hegel gleich die Achillesferse der Schellingschen Konzeption. Schelling zufolge ist „alles was ist, im Ich und außer dem Ich ist nichts“. Und: „Ist das Ich die einzige Substanz, so ist alles, was ist, blosses Accidens des Ich.“ Dem absoluten Ich, so Hegels triftiger Einwand, werde „das Attribut als einziger Substanz beigelegt“, „wenn Substanz und Akzidenz Wechselbegriffe sind,... wäre der Begriff von Substanz nicht auf das absolute Ich anzuwenden“. Damit weist Hegel auf das Grundproblem aller abstrakten Einheitskonzeptionen hin: Wie kommt man von der unbestimmten, somit leeren Einheit zum konkreten Mannigfaltigen, vom Unbedingten zum Bedingten, von der Unmittelbarkeit zur Vermittlung? Das Unbedingte bei Fichte und Schelling erscheint als ein leerer Inbegriff von Allem – unbedingt, weil es unbedingt ist. Wie gelingt der Übergang von der Unbestimmtheit zur Bestimmtheit und zwar auf eine logische, schlüssige Weise gemäß der Fichteschen Forderung einer Deduktion, einer strengen logischen Ableitung? Es muss ausgeschlossen werden, dass die konkreten Bestimmungen einfach empirisch aufgesammelt, als Bestimmungen des Absoluten erschlichen und diesem ohne Begründung beigelegt werden. Reinholds schlechthin absoluter Grundsatz, Fichtes Ich und Schellings Absolutes sind für Hegel gleichermaßen unhaltbar, ihnen fehlt die Immunität gegen skeptische Einwände. Hegel beginnt mit einer eigenständigen Suche nach einem Einheitsgrund und weiß dabei um die erhebliche Beweislast, die von ihm erwartet wird.
 
In Bern beschäftigt ihn die oligarchische Ordnung der Stadt, die Herrschaft weniger Familien über das Volk, und die Unterdrückung ganzer Regionen. Gleichzeitig konkretisiert Hegel die Idee eines modernen Republikanismus, einer demokratisch-republikanischen Verfasstheit, worin das Ideal der antiken Demokratie sich mit den Grundzügen einer modernen Gesellschaft und der individuellen Rechte der Menschen verknüpfen muss. Er stellt das grundsätzliche Prinzip auf, dass freie Menschen ausschließlich Gesetzen folgen sollen, die sie sich selbst gegeben haben. Die Verpflichtungen in Bern werden Hegel zunehmend zur Last, auch fehlt ihm jegliche intellektuelle Kommunikation. Da gelingt es Hölderlin, für Hegel eine neue Stellung zu finden und zwar bei der Frankfurter Bankiersfamilie Gogel. Hegel wird nun Erzieher von zwei neun und elf Jahren alten Knaben. Die Arbeit lässt ihm Freiraum für Studien, in Frankfurt findet er ein intellektuelles Klima, das ihm zusagt und worin er sich entfalten kann. Hegel entscheidet sich nun unwiderruflich für die Philosophie. Intellektuell stellt er sich der Herausforderung, „den Gedanken der Freiheit zu einem System zu verdichten“. Er verliert sich dabei auf Irrwegen und in Sackgassen, wo, wie Hegel in einem Brief schreibt, „jeder Beginn des Pfades wieder abbricht und ins Unbestimmbare ausläuft, sich verliert und uns selbst aus unserer Bestimmung und Richtung reißt“. Für Hegel hat Fichte in reiner und strenger Form das Fundament für den „echten Idealismus“ gelegt, Fichtes Einheit des Subjekts und Objekts gilt ihm als das „echte spekulative Prinzip eines idealistischen Monismus“, hinter das nicht zurückgegangen werden darf. Doch der idealistisch-monistische Kerngedanke bedarf einer gründlichen Neuorientierung, er müsse von Grund auf neu gedacht werden.
Hegel ist dabei nicht allein. 1797 diskutiert er das Problem zusammen mit seinen Freunden Hölderlin, Zwilling und Sinclair. Vieweg vermutet, dass aus diesen Diskussionen der Text hervorgegangen ist, der als Das älteste Systemprogramm des Deutschen Idealismus bekannt geworden ist und über dessen Autorschaft bis heute gestritten wird.
 
„Vernunft“ und „Freiheit“ sieht Vieweg als das durchgängige Fundament der Hegelschen Gedanken. Dabei tritt der Gedanke der „Freiheit als Bei-sich-selbst-Sein im Anderen“, als Heimischsein im Anderen, sowohl in den Weisen des Erkennens als auch in den Formen des An-Erkennens ins Zentrum. Das Muster Herrschaft und Knechtschaft, alle Fremdbestimmung und Heteronomie sollen überwunden werden. Hegel schreibt verschollene Kommentare zur Metaphysik der Sitten und zur Rechts- und Tugendlehre Kants. Er kritisiert, Kants Moralphilosophie verfehle die lebendige Einheit, da Pflicht und Neigung in Zerrissenheit zueinander stünden. Ein anderes Thema für Hegel ist die Skepsis, Zweifeln als Prinzip hält er für notwendig, um die Gefahr des Verbleibens im dogmatischen Für-Wahr-Halten auszuschließen. Vieweg glaubt, dass Hegels Beschäftigung mit Sextus in der Hegel-Forschung unterschätzt werde, sie sei für Hegels Verständnis von Negativität und Logik sowie für die Genese seines Idealismus von fundamentaler Bedeutung.
 
1799 stirbt Hegels Vater, und das vermachte Geld ermöglicht Hegel eine Universitätslaufbahn. Er zieht nach Jena, dem Mekka der damaligen Philosophie. Hier legt Hegel das Fundament seines absoluten Idealismus der Freiheit. Im Jahre 1801 erscheint Differenz des Fichte’schen und Schelling’schen Systems der Philosophie, die sog. Differenzschrift, als erstes eigenständiges Buch. In Jena dominiert Schelling, und Hegel gerät in eine intellektuelle Debatte, für die er bestens gerüstet ist und in der er schnell zu einem der Hauptdarsteller wird. Hier kündigt sich Hegels Kritik des Absoluten als bloße Nacht an (in der alle Kühe grau sind). Hegels Ziel liegt in der Aufhebung der Entgegensetzung zwischen dem Endlichen und Unendlichen, zwischen Bestimmtheit und Unbestimmtheit in der Einheit von objektiver Welt und Freiheit, ein Übergang, der jedoch logisch stringent nicht denkbar ist. Entscheidend für Hegels weitere Entwicklung wird der Gedanke, dass die vermeintlich reine Unbestimmtheit selbst eine erste, wenn auch minimale Bestimmtheit ist.
 
Hegel wirft der damaligen Philosophie vor, von einer breiten Palette von unbegründeten Voraussetzungen auszugehen, die wie bei Fichte im Gewand von Postulaten als Dogmen auftreten. Die Forderung des Beweises entfalle, dafür würden Annahmen, Offenbarungen und leere Versicherungen bis hin zum Todessprung in den Glauben (bei Jacoby) feilgeboten. Hegel insistiert auf den Anspruch der Philosophie als strenge Wissenschaft, erhebt die Forderung des Beweises und die konsequente Prüfung gesicherten Wissens.
1801 reicht Hegel die Abhandlung Dissertatio Philosophica de orbitis Planetarum als Habilitationsschrift ein, ein Drittel eines ins Lateinische übersetzten Manuskripts aus der Frankfurter Zeit. Die Arbeit beschäftigt sich mit der Unterscheidung zwischen Mechanischem und Organischem und zwischen endlicher und absoluter Mechanik. Dabei entwickelt Hegel zwei Grundpfeiler seiner anvisierten neuen Logik und zwar die beiden Sätze „Der Widerspruch ist die Regel für das Wahre, der nicht-Widerspruch für das Falsche“ sowie „Der Syllogismus ist das Prinzip des Idealismus“. Die Einheit des Unendlichen und Endlichen wird nun präziser als Idee gefasst und damit eine weitere Konstante des absoluten, monistischen Idealismus formuliert.
 
Im selben Jahr plant Hegel mit Schelling die Herausgabe einer neuen Zeitschrift, eines kritischen Journals der Philosophie, in dem es um die Offenlegung des „categorischen Wesens der Philosophie im Gegensatz zum negativen Charakter der Unphilosophie“ bzw. der Pseudophilosophie gehe. Dieses Kritische Journal der Philosophie sei, so Vieweg, „ein Glücksfall in der Philosophiegeschichte“, ein „Dokument…des Zusammenwirkens zweier Denker, die sich in einer brisanten Phase ihrer philosophischen Entwicklung befanden“. Die Zusammenarbeit der beiden in Jena war ein wechselseitiges Anregen zweier selbstbewusster und eigenständiger Denker, die einen Weg von der Transzendentalphilosophie zu einer Identitätsphilosophie suchten.
 
Vieweg sieht in dieser Zeit das entscheidende Stadium der Hegelschen „Revolution des Ideensystems“. Zum ersten Mal findet sich Hegels Kernformel „Bei sich selbst Sein im Anderen seiner selbst“, die in Auseinandersetzung mit dem skeptischen Tropus der Relativität entstanden ist. Bei Fichte sieht Hegel in dessen Bestreben, dem unendlichen Begründungsregress zu entgehen, einen radikalen Dogmatismus. Die Skepsis wiederum, die auf die reine Differenz, auf das Relative, insistiert, verfällt in das andere Extrem. Das neue Vernünftige muss im Kontrast zum Dogmatischen wie zum Skeptischen als Verhältnis, als notwendige Beziehung auf ein Anderes als sein Anderes gedacht werden. Hegel annonciert dieses Selbstverhältnis als Selbstbestimmung, als Selbstdenken der Vernunft. Sowohl Unendliches und Endliches enthalten ihr Anderes in sich als eigenes Moment; ihre Einheit ist die wahrhafte Unendlichkeit, das Absolute. Damit vermeidet der konsequente Monismus die Exklusion des Endlichen aus dem Unendlichen, das Vernünftige schließt die Endlichkeiten und ihre Antinomien, ihre Entgegensetzungen in sich ein.
1803 wird das Kritische Journal eingestellt, Hegel publiziert bis 1807 keine weitere Schrift. Erhalten sind die Jenaer Systementwürfe von 1803-1806, die zwar fragmentarischen Charakter haben, dennoch Konfigurationen des anvisierten Systems anzeigen.
 
Die Jahre 1805 und 1806 sind die beiden aufregendsten Jahre in Hegels Leben. Im Februar 1805 wird er zum außerordentlichen Professor ernannt, Sondierungen für eine Professur in Erlangen, Heidelberg, Berlin, Tübingen und Altdorf waren erfolglos geblieben. Im folgenden Jahr wird Hegels Haushälterin mit Hegels unehelichem Sohn Ludwig schwanger. Zugleich stellt Hegel die Phänomenologie des Geistes fertig. Die Redaktion beendet er in der Mitternacht vor der Schlacht bei Jena. Hegel macht sich angesichts des Krieges große Sorgen um das Manuskript, eine Abschrift gab es nicht. Nicht ohne Grund, wird doch Hegels Wohnung geplündert, er muss sie verlassen und kommt bei Bekannten unter. Am 13. Oktober 1806 trifft Hegel auf Napoleon und schreibt darüber: „den Kaiser – diese Weltseele – sah ich durch die Stadt zum Rekognoszieren hinausreiten; es ist in der Tat eine wunderbare Empfindung, ein solches Individuum zu sehen, das hier auf einen Punkt konzentriert, auf einem Pferde sitzend, über die Welt übergreift und sie beherrscht.“
 
Mit seiner Phänomenologie des Geistes will Hegel das Paradigma des Bewusstseins überwinden. Alle Stützpunkte, an die sich das Bewusstsein gewöhnt hat, sollen als ungenügend erkannt und das alte Paradigma in ein neues überführt werden. Der neue Grundgedanke soll durchgängig argumentativ und systematisch präsentiert werden. Da sich das axiomatische Verfahren wie auch eine Philosophie aus einem obersten Grundsatz als ungeeignet herausgestellt haben, versucht sich Hegel an der Aufgabe, einen neuen Anfang der Philosophie nicht bloß zu behaupten oder zu bor-gen, sondern zu beweisen. Die gesamte Schrift dient Vieweg zufolge diesem Zweck.
 
Hegel nennt dabei drei miteinander verknüpfte Programmpunkte:
- Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins. Die Bildung des Bewusstseins zur Wissenschaft, das stufenförmige Hervorbringen durch das Bewusstsein selbst.
- Darstellung des erscheinenden Wissens in der Vollständigkeit seiner Gestalten, der Weg des Bewusstseins als Weg des erscheinenden, „phänomenalen“ Geistes zum Geist als begreifendes Denken;
- der sich vollbringende Skeptizismus.
 
In mehreren Schritten sollen diese drei verschiedenen, aber miteinander verbundenen Aspekte der phänomenologischen Entdeckungsreise freigelegt werden. Das Bewusstsein gilt als Geist, insofern dieser als Verhältnis auftritt oder erscheint. Die aufeinanderfolgenden Stationen des erscheinenden Wissens, als verschiedene Gestalten des Geistes, sind Wegmarken einer Bewegung zu sich selbst.
 
Das Zentrum des Paradigmas des Bewusstseins sieht Hegel in der Relation bzw. in der Dualität von Gedanke und Gegenstand, von Subjekt und Objekt, von Ich und Welt. Das Bewusstsein impliziert einen Widerspruch zwischen der Selbständigkeit beider Seiten und ihrer Einheit, ihrer Identität als zweier Seiten eines Einen, des Bewusstseins. Logisch erfolgt jeweils die Negation der anderen Seite. Die Trennung von Gedanke und Gegenstand, der Widerspruch zwischen zwei eigenständigen Seiten ist dem Bewusstsein wesentlich eingeschrieben und bleibt seine beständige Grundcharakteristik, deren Dynamik Hegel ausbuchstabieren will. Es zeigt sich, den Gegensatz gibt es in zwei Extremformen: In der ersten befindet sich der Gegenstand außer mir, als unmittelbar vorhandener oder gegebener, der unabhängig von mir existiert. In der zweiten gilt der Gegenstand nur als eine von mir geschaffene, innere Vorstellung. Das Bewusstsein muss von seiner Natur her notwendig zwischen den beiden Polen schwanken, zwischen beiden Polen in einem Wechselspiel oszillieren.
 
Die Phänomenologie des Geistes fußt auf einer von Anfang bis Ende in sich geschlossenen, systematischen Konzeption ohne substantielle Inkonsistenzen. Es wird sichtbar, wie sich das Thema Bewusstsein in Variationen und in der sich erweiternden Komplexität bis hin zum reinen, begreifenden Denken entfaltet. Das Bewusstsein wird am eigenen, von ihm gesetzten Maßstab, ohne ein von außen herangetragenes Kriterium gemessen, der Prüfstein ist das Bewusstsein selbst, ohne dass es von außen belehrt wird.
 
Mitte Februar 1806 kommt die Nachricht, Hegel könne die Redaktion der Bamberger Zeitung übernehmen. Im Zentrum seiner Arbeit als Redakteur steht sein Plädoyer für einen modernen Staat mit einer freiheitlichen Verfassung und für eine Bildung zur Freiheit. Doch er trifft auf die Zensur, ein Beitrag über einen Fürstenkongress stößt in der Obrigkeit auf „Allerhöchstes Mißfallen“. Hegel spricht von „Inquisition“. Die Berufung im November 1808 zum Rektor eines Gymnasiums in Nürnberg empfindet er als Befreiung. In der obersten Gymnasialstufe vermittelt er Grundgedanken seines in Entstehung befindlichen enzyklopädischen Systems der Philosophie. In Nürnberg heiratet der 40jährige Hegel auch 1811 die 21 Jahre jüngere Marie Tucher, sie gebiert ihm zwei Söhne. Sein unehelicher Sohn verwahrlost indes in Jena, bis ihn der Verleger Frommann und später dessen Schwester aufnimmt und sich liebevoll um ihn sorgt. 
 
Hegels Logik
 
In Bamberg beginnt Hegel mit der Ausarbeitung seines philosophischen Hauptwerkes, der Wissenschaft der Logik – für Vieweg eine Zäsur in der Philosophiegeschichte. So sieht es auch Hegel, der mit dem Werk glaubt, die „gelehrte Welt aus den Angeln zu heben“. Hegel möchte die alte aristotelische Logik überwinden, er hält sie größtenteils für eine „scholastische Spitzfindigkeit“, die die logischen Formeln wie „todte, unwirksame und gleichgültige Behälter von Vorstellungen oder Gedanken“ behandeln. Das Weitergehen zu      einer modernen Logik verlange zum einen die Gültigkeitsprüfung der logischen Formen und zum anderen die Darstellung ihres logischen Zusammenhangs. Die gravierendste Einseitigkeit der alten Logik sieht Hegel in der Heiligsprechung des Gesetzes der formalen Identität A=A, im Satz des ausgeschlossenen Widerspruchs. Dagegen setzt Hegel den Begriff, der von ganz anderer Natur ist als die gewöhnliche logische Form. Damit hält der Inhalt Einzug in die Logik. Der Gebrauch des Terminus Begriff erfolgt in einem „neuen Sinne, der unterschieden ist von dem, was gewöhnlich Begriff genannt wird“. Dieses neuartige Verständnis des Begriffs, des begreifenden Denkens bildet für Vieweg das Signum von Hegels Logik als neuer Metaphysik, als Herzstück seiner Philosophie überhaupt.
 
Das Bedürfnis, die Logik in einem anderen und tieferen Sinne zu erfassen, erwächst Hegel aus dem Interesse an substantiellen Sachverhalten wie Recht, Staat und Religion. Hegel charakterisiert die Logik nun als Denken des Denkens, als sich entfaltendes System von Denkbestimmungen, die sich das Denken selbst gibt, als sich selbst bestimmend. Die Logik buchstabiert die notwendige Entwicklung des Begriffs aus, die Selbstkonstitution des einen Begriffs. Wissen bzw. Wissenschaft als höchste Form der Erkenntnis verlangt das Erkennen durch den Begriff, die Transformation aller substantiellen Vorstellungen in den begreifenden Gedanken. In der logischen Entfaltung des Begriffs verknüpfen sich die beiden Stufengänge der Unmittelbarkeit und der Vermittlung, von Indifferenz und Differenz in ihren verschiedenen Bestimmungen, worin sich die doppelte Negation, die sich auf sich beziehende Negation manifestiert.
 
Der erste Teil, die Lehre vom Sein, umfasst das Fortschreiten vom Anfang in Form von drei Hauptschritten: Qualität (Bestimmtheit), Quantität (Größe) und Maß. Die Logik des Wesens (der zweite Teil) schlägt die Brücke zum eigentlichen Begriff über erstens die Reflexion in sich selbst, das einfache, ansichseiende Wesen, zweitens als Erscheinung, das Heraustreten des Wesens in seiner Existenz und Erscheinung, und drittens als Wesen, das mit „seiner Erscheinung in eins ist“, mit seiner Wirklichkeit. Der Übergang zum dritten Teil, von der Wesens- zur Begriffslogik, ist eine der großen Herausforderungen von Hegels Logik. Der Begriff bestimmt sich selbst, er bringt sich selbst hervor, konstituiert sich selbst. Das letzte Stadium in der Selbstbestimmung des Begriffs ist schließlich die Idee. Für Hegel umfasst die Idee den Begriff, der den Begriff selbst zu seiner Realität hat. Was dem Begriff nicht entspricht, hat keine Wahrheit, ist bloßes Existieren. Hegel hat dies später in der Rechtsphilosophie in die zu Unrecht skandalisierte Formel gegossen: Was wirklich ist, das ist vernünftig – für Vieweg ein gelungener Coup zur Täuschung der Zensoren.
 
Heidelberg und Berlin
 
Am 16. August 1816 nimmt Hegel einen Ruf nach Heidelberg an und wird mit 46 Jahren ordentlicher Professor. Nun wird auch der uneheliche Sohn Ludwig in die Familie aufgenommen.  Hegel vertritt weiterhin die Grundideen der Französischen Revolution gegen jegliche Restaurationsversuche, unterstützt die progressiven freiheitlichen Bestrebungen um die deutsche Einheit und hat immensen Einfluss auf die kosmopolitische Fraktion der Heidelberger Burschenschaft.
 
1817 veröffentlicht Hegel die Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, den Grundriss seines philosophischen Systems, konzipiert als Leitfaden zu den Vorlesungen. 1818 wird er nach Berlin berufen. Jetzt fühlt sich Hegel „im Mittelpunkt angekommen“. Hegel wird, so Vieweg, „zum ersten Philosophen seines Zeitalters, zum herausragenden Denker des modernen Projekts von Vernunft und Freiheit“. Im Herbst des folgenden Jahres sollte Hegels Lieblingsprojekt, die Grundlinien der Philosophie des Rechts, erscheinen. Doch die politischen Ereignisse des Sommers durchkreuzen seine Pläne, mit den sog. Karlsbader Beschlüssen werden Presse- und Meinungsfreiheit radikal eingeschränkt und zu einer Gefahr für die Veröffentlichung der im Geiste der Revolution von 1789 verfassten Rechtsphilosophie. Hegel beginnt mit einer Überarbeitung, damit „die Zähne der Censur nirgends was zu haften finden sollen“. Vieweg sieht in der Vorrede „ein Glanzstück der Täuschung der Restaurationszensur“. So erhitzt der Doppelsatz „Was vernünftig ist, das ist wirklich und was wirklich ist, das ist vernünftig“, bis heute die Gemüter. Er ist für Vieweg einer der am meisten missverstandenen Stellen der gesamten Philosophiegeschichte. Denn nicht alles, was existiert, ist wirklich, nur dem vernünftig Gestalteten kommt bei Hegel das Attribut „wirklich“ zu. Das jeweils geltende Recht kann nicht mit dem Vernunftrecht gleichgesetzt werden. 
 
Für Vieweg ist in den 200 Jahren seit Erscheinen der Rechtsphilosophie keine vergleichbare Konzeption von Freiheit erschienen. Er sieht in diesem Werk „eine der tragfähigsten Konzeptionen sozialer und politischer Freiheit“, die die Gedanken der Gerechtigkeit und des sozialen Staates begründen. Noch heute bleibt für Antworten nach den Maßstäben der Gerechtigkeit in der modernen Welt der Rückgriff auf Hegels Rechtsphilosophie unabdingbar.
 
Vieweg sieht Hegel in seinen Vorlesungen und Büchern unerschrocken auf das freie Denken insistieren. Er lehrt in Berlin ununterbrochen während 28 Semestern, allerdings kommt es im akademischen Bereich zu Spannungen. Schleiermacher und Savigny verhindern Hegels Aufnahme in die Akademie der Wissenschaften. Hegel wird böswillig und unberechtigt zum Apologeten des preußischen Restaurationsregimes ernannt, und dies wird, so der empörte Vieweg, zu „einer der übelsten und langlebigsten Legenden“.
Hegel avanciert zum wichtigen Impulsgeber für die sich ab 1820 unter dem Namen Junges Deutschland formierenden neuen Strömungen in der Poesie. Heine, der bedeutendste unter ihnen, ist stark von Hegel beeinflusst. Hegel ist zugleich die graue Eminenz der sich formierenden allgemeinen Kunstgeschichte. 1829 erlebt er den Höhepunkt seiner akademischen Laufbahn: Er wird zum Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin gewählt. Bald nach Beginn des Wintersemester 1831 erkrankt er plötzlich schwer und verstirbt am 14. November um fünf Uhr am Nachmittag.