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Dahms, Hans-Joachim: Positivismusstreit | |
POSITIVISMUSSTREIT Hans-Joachim Dahms Darstellung der Geschichte und Vorgeschichte des Positivismusstreites. Karl Popper hat den berühmten "Positivismusstreit" der sechziger Jahre einmal einen "Eiertanz sondergleichen" genannt und ihn in seiner Autobiographie stillschweigend übergangen. Dennoch hat er sich Zeit genommen, mit Hans-Joachim Dahms, der für seine Dissertation über diesen Streit recherchierte, eine eingehende Unterhaltung zu führen. Aber auch andere Zeitzeugen waren bereit, zu diesem Streit Rede und Antwort zu stehen. Zudem spürte Dahms bislang unbekannte Archivquellen auf. Herausgekommen ist ein sehr kluges Buch, wohl für längere Zeit die herausragende Arbeit zu diesem Thema: Dahms, Hans-Joachim: Positivismusstreit. Die Auseinandersetzungen der Frankfurter Schule mit dem logischen Positivismus, dem amerikanischen Pragmatismus und dem kritischen Rationalismus. 446 S., kt., DM 27.80, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1058, 1994, Suhrkamp, Frankfurt. Noch zu Anfang der dreißiger Jahre war die Distanz Horkheimers zum logischen Positivismus nicht so groß, wie er es später selber gerne sah, vielmehr zeigten sich einige überraschende Ähnlichkeiten zwischen den späteren Gegnern. Insbesondere über die Philosophie Ernst Machs verband die beiden einiges. Mach hatte als der Gründervater der neopositivistischen Bewegung für den Wiener Kreis sowohl eine wissen-schaftliche als auch politische Bedeutung, verkörperte er doch deren Frontstellung gegen Irrationalismus und Metaphysik, verbunden mit einer sozialreformerischen Haltung. In Deutschland war es wiederum Hans Cornelius, der Doktorvater sowohl von Adorno als auch von Horkheimer, der als "offizieller Repräsentant" von Mach in Deutschland verstanden und stellvertretend für diesen angegriffen wurde. Auch Adornos, auf Anraten von Cornelius zurückgezogener erster Habilitationsversuch stand noch stark unter dem Einfluß seines Lehrers. Ebenfalls scheiterte ein Habilitationsversuch von Benjamin bei Cornelius, und zwar nicht nur wegen dessen negativem Gutachten, sondern auch wegen einer negativen Stellungnahme Horkheimers. Auch später änderte sich an der Hochschätzung Horkheimers gegenüber seinem Lehrer nichts, obgleich dieser nach seiner Rückkehr nach Deutschland an den Völkischen Beobachter einen Leserbrief geschrieben hatte, in dem stand: "Ich habe mir nach meiner Rückkehr sogleich den Völkischen Beobachter bestellt und finde, daß er vor allen Zeitungen, die ich früher in Deutschland gehalten und gelesen habe, weitaus den Vorzug verdient.... Heil Hitler!". Die frühe philosophische Formung durch Cornelius wurde aber bald durch die von Georg Lukács und Karl Korsch ausgegangene Marx-Renaissance der zwanziger Jahre in den Hintergrund gedrängt. Dennoch gab es auch weiterhin grundlegende Ähnlichkeiten: beide Gruppen - der Wiener Kreis wie die sich formierende Kritische Theorie - verfolgten das Projekt eines interdisziplinären Materialismus. Und beide spürten die Notwendigkeit einer Überwindung des überholten naturwissenschaftlichen Materialismus des 19. Jahrhunderts. Aber die Frankfurter Schule brachte kein Interesse für die revolutionären Umwälzungen auf, die mit der modernen Physik für ein wissenschaftliches Weltbild und auch für die nötige Revisionen am traditionellen Bestand philosophischer Doktrinen einhergingen. Die Bereiche Naturwissenschaft und Mathematik waren in der Frankfurter Schule faktisch ausgeblendet. Im Unterschied dazu war der Wiener Kreis von einer gewissen Entwicklungsstufe an enzyklopädisch ausgerichtet, wobei die Physik als Vorbild empirischer Wissenschaften und die Logik als Modell für die analytischen Wissenschaften vor Augen stand, die Sozialwissenschaften hingegen nur am Rande beteiligt waren. Zudem hatte sich der Wiener Kreis von einem phänomenalistischen Programm verabschiedet und eine physikalistische Wende vollzogen, mit für die Geisteswissenschaften nachhaltigen Folgen: die Psychologie wurde von Neurath und Carnap im Sinne des Behaviorismus verstanden, und die Soziologie entsprechend als Sozialbehaviorismus konzipiert. Kritik an dieser Konzeption kam nicht zuletzt aus den eigenen Reihen; so schrieb Edgar Zilsel: "Es fehlt dieser Philosophie, so jung und kühn sie ist, sehr zu ihrem Schaden das Verständnis und Interesse für Geschichte und Gesellschaft". Horkheimer bezeichnete in seiner Antrittsrede den von ihm propagierten "interdisziplinären Materialismus" als "Freudomarxismus". Freud selber betrachtete sich lange Zeit als Naturwissenschaftler und ist sogar dem "Verein Ernst Mach", dem Popularisierungsorgan des "Wiener Kreises", beigetreten. Deren Mitglieder erhofften sich von der Freudschen Psychoanalyse eine Antwort auf die Frage, wie die "Irrwege der Metaphysik", nachdem sie durch logische Analyse im einzelnen aufgedeckt wären, dann auch kausal zu erklären seien. Viele Mitglieder des Wiener Kreises waren in der Volkshochschule und Arbeiterbildung tätig, andere in führender Rolle in der Wiener Schulreformbewegung oder der soziali-stischen Hochschullehrerschaft. Von den Institutsangehörigen der Frankfurter Schule sind hingegen kaum politische Aktivititäten außerhalb des Hochschulbereichs zu melden, auch fehlte ein Popularisierungskonzept, das es gestattet hätte, die eigentlichen Adressaten der "kritischen Theorie", nämlich die arbeitende Bevölkerung, zu erreichen. Im Gegenteil: über solche Versuche wurde, wenn andere sie unternahmen, nur die Nase gerümpft. Gemeinsam ist beiden Strömungen - zumal im Vergleich mit den anderen philosophischen Richtungen - das Schicksal der politisch und "rassisch" motivierten Emigration, zu der sie vom Nationalsozialismus bzw. vom Austrofaschismus gezwungen wurden. Diesen galten beide Lehren als zersetzend und kulturbolschewistisch. Dabei war Adorno zum "Überwintern" in Deutschland entschlossen gewesen; er versuchte, sich den neuen Machthabern durch einige Musikkritiken zu empfehlen. Sein Antrag auf Aufnahme in Goebbels Reichsschriftenkammer wurde abgelehnt, da er als "Nichtarier" nicht für die "Verwaltung des deutschen Kulturgutes" in Frage komme. Derartige Anbiederungsversuche sind von keinem einzigen Mitglied der "Wiener Kreises" oder auch der mit ihm kooperierenden "Berliner Gesellschaft für wissenschaftliche Philosophie" bekannt. Die Hauptgegner des späteren "Positivismusstreites" hatten zu diesem Zeitpunkt nicht viel voneinander gewußt. Eine erste Kenntnisnahme zeigt sich in Adornos Antrittsrede von 1931, in der er den Wiener Kreis kritisiert: "Jedes Hinausgehen über das kraft der Erfahrung Verifizierbare wird verwehrt; Philosophie wird allein zur Ordnungs- und Kontrollinstanz der Wissenschaften, ohne .... den einzelwissenschaftlichen Befunden Wesentliches hinzufügen zu dürfen." Horkheimer hingegen teilt in den frühen dreißiger Jahren die wichtigsten positivistischen Dogmen und verteidigt sie gegen Kritik von anderen Mitgliedern der Frankfurter Schule, insbesondere gegen das Postulat, daß jede Theorie durch Erfahrung überprüfbar sein muß und dessen Konsequenz, daß Theorien, die diese Maxime nicht erfüllen, sinnlos sind. Allerdings, so Dahms, muß man sich klar sein, daß beide Richtungen zum Teil an etwas anderes dachten, wenn sie jeweils die Kontrollierbarkeit jeder Theorie durch Erfahrung forderten. Der materialistische Begriff der Erfahrung schloß zwar eine empirische Überprüfung durchaus ein, darüberhinaus wurde jedoch auch an politische Praxis als ein Moment empirischer Erfolgskontrolle soziologischer Theorie gedacht, so daß der Erfahrungsbegriff der kritischen Theorie von vornherein weiter gefaßt war. Die Theorie selber sah Horkheimer im Gegensatz zum Positivismus als historisch veränderlich an. Auch findet sich bei Horkheimer bereits die heute gängige These von der Theoriegeladenheit jeder Erfahrung. Die ersten Kontakte zwischen späteren Posi-tivisten und späteren kritischen Theoretikern fällt schon in die Zeit vor dem ersten Weltkrieg: Hans Reichenbach und Walter Benjamin waren gemeinsam in der Berliner Ortsgruppe der Freistudentenschaft tätig. 1928 fand ein erster Kontakt zwischen Reichenbach und Horkheimer statt: Horkheimer lud Reichenbach zu einem Vortrag nach Frankfurt ein. Aber auch andere Mitglieder der Berliner "Gesellschaft für wissenschaftliche Philosophie", in der Reichenbach eine führende Rolle spielte, wurden nach Frankfurt eingeladen. Nach den offiziellen Veranstaltungen trafen sich die Anhänger der Kritischen Theorie im Café Lauder, wobei "sozusagen 'entre nous' die Unzulänglichkeit in der Konfrontation mit den viel gelästerten Positivisten zugestanden wurde, wenn das auch die etwas von oben herablassende Ablehnung dieser wissen-schaftstheoretischen Richtung zunächst bei den meisten von uns nicht beeinträchtigte" (so Willy Strzelewicz ). Unabhängig von den Beziehungen zu dem Berliner kamen auch erste Kontakte zwischen Horkheimer und Otto Neurath zustande. 1935 kam es in New York sogar zu einem Plan, die europäischen Forschungsstellen der Kritischen Theorie mit Otto Neuraths "Mundaneum Institut" in Den Haag zusammenzulegen. Ausgangspunkt dieses Planes war die Veröffentlichung der Arbeit Die Arbeitslosen von Marienthal von den dem "Wiener Kreis" nahestehenden Lazarsfeld-Jahoda/Zeisel in der Zeitschrift für Sozialforschung, die auf ein positives Echo stieß. Horkheimer fuhr nach Holland, um die Ve-reinigungspläne mit Neurath zu besprechen. Neurath zeigte lebhaftes Interesse an empirischer Sozialforschung, aber seine eigene Beteiligung daran blieb rhetorisch. Hork-heimer schien es bald klargeworden zu sein, daß er mit seinen Plänen an der falschen Adresse war. Allerdings setzten die beiden die theoretische Diskussion über den Positivismus fort, im Oktober und November 1936 fanden Gespräche in New York statt, die später fortgeführt wurden. Neurath schrieb an Carnap: "Diskussion in Horkheimer-Seminar ergab großes Interesse an unserer Sache. Es liegen unsere Artikel und Bücher geradezu in Haufen herum....." Horkheimer wolle zudem, so Neurath, "unsere ganze Bewegung" in seiner Zeitschrift abhandeln. Carnap antwortete: "Wer ist Horkheimer?... Und welches ist seine Zeitschrift, in der er unsere ganze Bewegung abhandeln will?" Horkheimer seinerseits schrieb an Adorno: "Über den Siegeszug dieser Richtung in den gesamten wissenschaftlich interessierten Kreisen vor allem in der anglo-amerikanischen Welt kann man sich kaum übertriebene Vorstellungen machen. Es ist an der Zeit, daß von unserer Seite eine zureichende Kritik gegeben wird," und er fährt fort: "Im Grunde ist das ganze nur ein elendes Rückzugsgefecht der formalistischen Erkenntnistheorie des Liberalismus, der bereits auch auf diesem Gebiet in offene Liebedienerei gegen den Faschismus übergeht." Adorno stellte sich in der Folge eine Widerlegung des Positivismus so vor, daß jeder seiner beiden Bestandteile - d.h. also seine Konzeption der Logik und sein Begriff der Erfahrung - jeweils "auf ihre eigene Antinomie gebracht werden sollen". Im Frühjahrsheft 1937 der Zeitschrift für Sozialforschung erschien Horkheimers Kritik am Wiener Kreis unter dem Titel Der neueste Angriff auf die Metaphysik. Schon in früheren Aufsätzen hatte Horkheimer als Abgrenzungskriterium zwischen seiner Version des Materialismus und dem Positivismus dessen Unfähigkeit, zwischen Wesen und Oberfläche der Erfahrung zu unterscheiden, bezeichnet. Ein weiterer Punkt war nun die Kritik am formalen Charakter der Logik: "Die Trennung von Form und Inhalt ist entweder undurchführbar oder unzutreffend." Horkheimer hatte schon früher in einem Brief an Adorno notiert: "Daß die sogenannte 'logische' Analyse von Sätzen auch ohne ihre Bedeutungsanalyse sinngemäß nicht zu leisten ist, erscheint auch mir als einer der wichtigsten Ansatzpunkte der Kritik". Als Alternative zum "positivistischen Nominalismus" plante Horkheimer eine "dialektische Logik" bzw. eine "materialistische Dialektik". Diese sollte auch die Hegelsche Dialektik mit ihrer Identifikation von Denken und Sein sowie ihrer Lehre "von einer absoluten, in sich abgeschlossenen Wahrheit" überwinden. Bereits vor der Auseinandersetzung mit dem Wiener Kreis war im Frankfurter Institut erwogen worden, ein Lehrbuch dieser neuartigen Dialektik zu verfassen. Auch in Adornos Vorträgen vor seiner Emigration spielte diese Dialektik eine merkwürdige Rolle. Sie soll einerseits einen zentralen Stellenwert bekommen und wird verschiedentlich geradezu beschworen. Andererseits wird darauf verzichtet, anzugeben, was man sich - wenigstens im Umriß - darunter vorzustellen habe. Horkheimer allerdings gibt in einem Aufsatz über Wahrheit aus dem Jahr 1935 einige Hinweise: er stellt klar, daß er, anders als andere Dialektiker, nicht vom "Satz vom Widerspruch" abrücken will. Wie man aus dem Nachlaß ersehen kann, hat Horkheimer verschiedentlich Aufzeichnungen über die neue Dialektik zu Papier gebracht, die aber, so Dahms, derart viele elementare Fehler enthalten, daß er gut daran getan hat, sie nicht zu publizieren. Als Horkheimer und Adorno nach der Fertigstellung der Dialektik der Aufklärung auf die geplante Schrift zur Dialektik zurückkamen, zeigte sich, daß weder über deren Gegenstand noch über deren Methode Einigkeit zu erzielen war. Schließlich gestand Horkheimer ein: "Ich habe Angst vor so einem Unternehmen." Es wurde schließlich zugunsten anderer Vorhaben ad acta gelegt. Eine weitere wichtige Kritik Horkheimers am Positivismus besagte, dieser sei nicht in der Lage, auf rationale Weise zwischen Glück und Unglück, Gerechtigkeit und Un-recht zu unterscheiden und bestreite sogar die Möglichkeit solcher materialethischer Distinktionen. Damit, so zieht Dahms Bilanz, trifft Horkheimer etwas Wesentliches. Aber auch in dieser Hinsicht sei die kritische Theorie nicht weit gekommen, und die Andeutungen, die man bei Horkheimer in inhaltlicher Hinsicht finden kann, gehen in dieselbe Richtung wie die der kritischen Positivisten. Die Moralphilosophie Horkheimers ist letztlich, wie Herbert Schnädel-bach gezeigt hat, eudaimonistisch; dezisionistischer Eudaimonismus ist aber auch die ethische Position Neuraths. Der einzige Unterschied besteht darin, daß der Eudaimonismus sich bei Neurath stärker auf handelnde Kollektive richtet, während derjenige Neuraths (wie auch der von Schlick) mehr individualistisch ist. Ein weiterer zentraler Punkt in Horkheimers Kritik bildete die Ideologiekritik. "Das Problem ist mehr die gesellschaftliche Funktion des logischen Empirismus als philosophische Richtung und nicht so sehr die eine oder andere Einzelfrage der Wissenschaftslogik", schrieb Horkheimer an Neurath, und fügte hinzu, das halte Carnap für belanglos. Neurath erwiderte: "Ich glaube nicht, daß Carnap irgendeine wissenschaftliche Frage für belanglos hält. Die Frage, die Sie anschneiden, über die soziale Funktion unserer Bewegung, ist doch absolut wissenschaft-lich", um dann hinzuzufügen: "Es fragt sich nur, wie gut sie beantwortet wird, und ob die Antwort in empiristischer Weise erfolgt." Dahms meint nun, daß gerade die ideologiekritische Arbeit Horkheimers, auf die er soviel Wert gelegt hatte, gleichzeitig die inhaltlich dürftigste ist. So schreibt er in dem Aufsatz Der neueste Angriff auf die Metaphysik, der Positivismus gründe in der "traurigen Verfassung des Bürgertums", ohne dies in irgendeiner Weise zu begründen. Gemeint war wohl eine willenlose Unterwerfung unter die "Herrschaft der kapitalkräftigsten Gruppen". Aber - so Dahms - in Wirklichkeit waren die kritisierten Positivisten vielfach Sozialisten und mußten vor Faschismus und Nationalsozialismus in die Emigration flüchten. Über diesen Aufsatz kam es im Sommer 1937 in Paris zu einer ausführlichen, sechsstündigen Aussprache zwischen Neurath, Carnap, Frank, Hempel, Lazarsfeld, Benjamin und Adorno. Adorno schrieb Horkheimer, sie hätten dabei nicht "die leiseste Nuance" preisgeben müssen, "während die anderen, und zwar besonders Neurath, immerhin eine Menge zugaben". Die Diskussion wurde dann in einem Briefwechsel zwischen Horkheimer und Neurath fortgesetzt. Neuraths Gegenangriff auf Horkheimers Konzept der "kritischen Theorie" zeichnete sich denn auch, so Dahms, "durch eine schon fast unfaßbare unpolemische Mäßigung" aus. Insbesondere kritisiert er: "Horkheimer deutet nirgendwo an, mithilfe welcher Kontrollen man feststellt, wann eine Ansicht 'richtig', wann sie 'unrichtig' ist" (was Horkheimer in seiner Erwiderung als den "wundesten Punkt meiner Arbeit" zugab - ein, wie Neurath sofort bemerkte, fatales Einverständnis, hat es doch zur Folge, daß man die im Neuesten Angriff aufgestellten Thesen genauso gut behaupten wie negieren kann). Und die Berufung auf eine Dialektik schien ihm dubios. Weit davon entfernt, etwas zur Lösung wissenschaftlicher Probleme beizutragen, sei sie im Gegenteil das Einfallstor für jegliche Metaphysik. Mehr als alle inhaltlichen Divergenzen führt aber schließlich die Weigerung Horkheimers, Neuraths Erwiderung in seiner Zeitschrift abzudrucken, zum Abbruch des Kontaktes zwischen den beiden. Was aber andere logische Positivisten nicht daran hinderte, die Beziehung zur Frankfurter Schule fortzusetzen oder sogar allererst anzuknüpfen. Die letzten persönlichen Kontakte zwischen logischen Empiristen und kritischen Theoretikern fanden in den vierziger Jahren an der amerikanischen Westküste statt. Um die Chancen eines eventuellen Umzugs seines Instituts dorthin auszuloten, wandte sich Horkheimer an Reichenbach, der seit 1938 als Philosophieprofessor in Los Angeles wirkte. Dabei war nach den polemischen Auseinandersetzungen der Tonfall erstaunlich: "Es ist ein wahrer Trost, daß es in dieser Zeit noch aufrichtige wissenschaftliche und menschliche Solidarität gibt." Trotz der Bemühungen Reichenbachs ließ sich aber die Übersiedlung nicht bewerkstelligen. Dennoch kam es, wie sich Maria Reichenbach erinnert, in der psychoanalytischen Gesellschaft von Los Angeles zu hitzigen Diskussionen zwischen Reichenbach und Adorno, Horkheimer so-wie Marcuse über Psychoanalyse. Dabei ist ihr in Erinnerung geblieben, daß Adorno "mit einem Dogmatismus sondergleichen" den Eindruck erweckt habe, er habe in Dingen der Psychoanalyse "die Weisheit mit Löffeln gefressen" und daß Marcuse der einzige der Frankfurter gewesen sei, mit dem man sich noch einigermaßen vernünftig habe unterhalten können. Im eigentlichen, berühmt gewordenen "Positivismusstreit" der siebziger Jahre war diese Vorgeschichte mit Ausnahme von Adorno keinem der Beteiligten bekannt. Der Streit begann bei einer Veranstaltung der "Deutschen Gesellschaft für Soziologie" in Tübingen, wozu Karl Popper eingeladen worden war. Popper hatte sich schon Jahrzehnte zuvor ausdrücklich als Positivismuskritiker vorgestellt. Daß er dennoch in der Einleitung zum Sammelband mit den Beiträgen zu diesem Streit als Positivist bezeichnet werden konnte, hängt damit zusammen, daß der "logische Positivismus" und die "wissenschaftliche Weltauffassung" im deutschen Sprachraum inzwischen in Vergessenheit geraten waren. Denn während ein Teil der Frankfurter Schule nach dem Krieg zurückkehren konnte, war dies dem Wiener Kreis nicht möglich - die offizielle österrei- chische Politik hielt die Emigranten möglichst von ihrem Heimatland fern. Erst durch die Alpbacher Hochschulwochen, zu denen auch ehemalige Mitglieder des Wiener Kreises eingeladen wurden, wurde man wieder auf den logischen Positivismus und die Philosophie Poppers aufmerksam. Das Institut der Frankfurter hingegen konnte mit großzügiger administrativer und finanzieller Hilfe der amerikanischen Besatzungsmachtwieder aufgebaut werden. Dabei hatte sich insbesondere Adornos Einstellung verändert: bei ihm ist eine abnehmende Wertschätzung empirischer Sozialforschung im Laufe der fünfziger Jahre zu konstatieren. Den Grund dazu sieht Dahms in einer zunehmenden Enttäuschung sowohl über die Entwicklungstendenzen der Bundesrepublik als auch über eine Soziologie, die diese Symptome der Restauration nur bestenfalls registrierte, im Normalfall aber guthieß. Zudem nahmen beide, Horkheimer und Adorno, wiederholt ein Erstarken des Antisemitismus wahr und reagierten empfindlich darauf. So erlebte Adorno nach seiner endgültigen Rückkehr aus den USA wiederholt antisemitische Res-sentiments in seiner Umgebung. Er mußte einsehen, daß mit eigenständigen empirischen Analysen kein kritisches Einwirken auf die Entwicklung der Gesellschaft möglich war. Dies führte zu einem grundsätzlichen Zweifel am Wert empirischer Sozialforschung, die schließlich in eine erneute scharfe Positivismuskritik mündete. Der Konflikt, der mittelbar zum Positivismusstreit geführt hat, ging aus von einer Organisationskonkurrenz der beiden internationalen Soziologenverbände, der 1949 gegründeten "International Sociological Association" (ISA), der die 1946 wiederbelebte Deutsche Gesellschaft für Soziologie beigetreten war, und dem "Institut International de Sociologie" (IIS), zu dem sich im April 1951 eine deutsche Sektion gebildet hatte. In letzterer sammelten sich konservative und z.T. durch ihre politische Vergangenheit belastete Kräfte, während die ISA progressiv war, was zu Spannungen unter den Soziologen führte. Auf Oktober 1961 wurde eine "interne Arbeitstagung" der DGS einberufen, um über die Differenzen innerhalb der deutschen Soziologen zu diskutieren. Ralf Dahrendorf, der Organisator, fand, eine "Erörterung der wissenschaftslogischen Grundlagen der Soziologie könnte ein geeigneter Weg sein, um die vorhandenen Differenzen sichtbar hervortreten zu lassen und damit für die Forschung fruchtbar zu machen". Er wählte Karl Popper als Kontrahent zu Adorno, da er den damals führenden deutschen Soziologen König und Schelsky nicht zutraute, eine starke Gegenposition zu Adorno aufzubauen. Popper hatte sich damals bereits einen Namen gemacht, aber vor allem in der angelsächsischen Welt, und er war Dahrendorf persönlich bekannt. Popper aber hatte keine Erfahrung mit den Problemen empirischer Sozialforschung und war mit der Methodendiskussion der bundesdeutschen Soziologie der Nachkriegszeit nicht vertraut. In seiner Philosophie unterschied er sich vom Positivismus nicht nur in vielen Punkten, sondern widersprach ihr sogar in entscheidenden Hinsichten. Man tut ihm deshalb unrecht, wenn man ihn als Positivist einordnet, wie dies während des Positivismusstreites in Mode gekommen war. Allerdings stand er dem logischen Positivismus näher als den im Nachkriegsdeutschland dominierenden philosophischen Strömungen. Poppers Tübinger Referat bestand nun zu einem großen Teil in einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Positivismus. Erkenntnis beginne nicht "mit Wahrnehmungen oder Beobachtungen oder der Sammlung von Daten oder von Tatsachen", führte er aus, "sondern sie beginnt mit Problemen". Auf spezifische Methodenprobleme der Sozialwissenschaften ging er erst am Schluß seines Referates ein. Dabei sprach er sich für "eine rein objektive Methode" aus, die man am besten "als objektiv-verstehende Methode oder Situationslogik bezeichnen kann". Dahinter, so Dahms, verstecke sich nichts anderes als die Methode der verstehenden Soziologie im Sinne Max Webers. Und auch hinter dieser These steht ein versteckter Angriff auf den Logischen Positivismus, lehnte doch Neurath die "verstehende Soziologie" von Max Weber entschieden ab, da sie nicht kontrollierbar sei. Adorno schien das auch so verstanden zu haben, antwortete er doch: "Mit allem, was Popper gegen die falsche Transposition naturwissenschaftlicher Methoden, gegen den 'verfehlten und mißverständlichen methodologischen Naturalismus und Szientismus' sagt, bin ich einverstanden." Aber auch Horkheimer war noch bis weit in die sechziger Jahre hinein davon überzeugt, Popper sei ein Kritiker des Positivismus. In Adornos 1969 veröffentlichten Einleitung zum Buch Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie sieht das aber nun ganz anders aus. Schon in der ersten Fußnote schreibt er: "Daß Popper und Albert vom spezifischen logischen Positivismus sich abgrenzen, sei vorweg wiederholt. Warum sie trotzdem als Positivisten betrachtet werden, muß aus dem Text hervorgehen." Den Unterschied sieht Adorno in diesem Text innerpositivistisch: "Die Poppersche Theorie ist beweglicher als der übrige Positivismus." Daß Adorno seine Meinung über Popper geändert hatte, ist vermutlich - so Dahms - mit auf die inzwischen von Habermas publizierten Beiträge zum Positivismusstreit zurückzuführen, in denen Popper und Albert von Anfang an als Positivisten eingeordnet werden. Während eines von Adorno gemeinsam mit Ludwig von Friedeburg im Sommersemester 1967 veranstalteten Seminars zum Positivismusstreit dürfte sich diese Tendenz durch ein Referat des damaligen Habermas-Assistenten Albrecht Wellmer verstärkt haben, auf das Adorno in der Einleitung mehrfach zustimmend zu sprechen kommt. Während der Studentenrevolution sind Adorno und Horkheimer in politischer Hinsicht auf die Kritische Theorie der dreißiger Jahre festgelegt worden. Genau dasselbe, so Dahms, sei auch hinsichtlich der Wissenschaftstheorie passiert, denn viele Passagen der Einleitung rekapitulieren beinahe minutiös Passagen des damaligen Briefwechsels zwischen Horkheimer und Adorno, insbesondere n den Grundwiderspruch des logischen Positivismus, nämlich den zwischen Erfahrung und Logik; n die Kritik am restringierten und damit affirmativen positivistischen Erfahrungsbegriff; n den Verzicht der Positivisten auf die Unterscheidung von Wesen und Erscheinung. Auffallend an der Einleitung ist zudem der essayistische Duktus und die vielen autobiographischen Bemerkungen, die den Eindruck erzeugen, Adorno habe sich sein Leben lang mit dem Positivismus beschäftigt. Das zeige, so Dahms, daß Adorno befürchtet habe, mit der Kraft seiner Argumente allein nicht mehr gegen den Positivismus durchdringen zu können. Dafür spricht auch das relative späte Erscheinen des Buches (1969). Denn bereits 1965 hatte sich der damalige Lektor des Luchterhand-Verlages, Frank Benseler, an die Teilnehmer des Positivismus-Streites mit dem Plan gewandt, einen Sammelband unter dem Arbeitstitel "Positivismus und Dialektik" herauszugeben. Der Band, herausgegeben von Adorno, sollte die Diskussionen zwischen Popper und Adorno auf der genannten Tübinger Tagung beinhalten, zudem Habermas' Beitrag zur Adorno-Festschrift, Alberts Auseinandersetzung mit diesem Artikel in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und die Antwort von Habermas darauf. Adorno nutzte nun seine Herausgeberschaft, um zwei weitere eigene Texte, nämlich "Soziologie und empirische Forschung" aus dem Jahr 1957 und eine "Einleitung", insgesamt 96 Seiten, hinzuzufügen. Dagegen erlaubte er seinem Kontrahenten, Hans Albert, lediglich 44 Seiten, nämlich Alberts Erwiderung auf Habermas, "Im Rücken des Positivismus" sowie ein "Kleines, verwundertes Nachwort" hinzuzufügen. Dahms geht davon aus, daß Adorno durch die Aufnahme des älteren Beitrages von 1957 den Eindruck erwecken wollte, er sei der Urheber der ganzen Auseinandersetzung, was den komplexen Hintergrund der Entstehungsgeschichte verfälscht. Wenige Tage nach dem Erscheinen des Positivismusstreites ist Adorno gestorben. Die zweite Runde des Positivismus-Streites, diesmal zwischen Jürgen Habermas und Hans Albert, markiert eine Zäsur in der Weiterentwicklung der Frankfurter Schule selbst. Zwar erweckte Habermas mit seinem Beitrag Analytische Wissenschaftstheorie und Dialektik zur Adorno-Festschrift den Eindruck, als ginge es ihm hauptsächlich um die Verteidigung der Position Adornos, ist doch viel von dessen Lieblingsbegriff der Totalität die Rede. Habermas hat jedoch im weiteren Verlauf der Debatte zunehmend davon abgelassen. 1982 schreibt er rückblickend im Vorwort zur Neuauflage der Logik der Sozialwissenschaften: "Zwei der angeschlagenen Motive sind freilich unbearbeitet liegengeblieben: der Versuch, dem dialektischen Begriff der Totalität einen Platz in der sozialwissenschaftlichen Forschung zu sichern, und das Bemühen, Typen einer nichtrestringierten Erfahrung in alternativen Formen der sozialwissenschaftlichen Forschung nachzuweisen", zwei Motive, um deretwillen er die Diskussion überhaupt aufgenommen hatte. Dahms vermutet, Habermas habe andere Ziele verfolgt (als Adorno zu verteidigen), nämlich n eine Präsentation von Vorstufen seiner während der Dauer des Positivismusstreites konzipierten Theorie der "erkenntnisleitenden Interessen" und n deren Verteidigung gegen den kritischen Rationalismus Poppers und Alberts. Denn die Thematisierung des Zusammenhanges von Erkenntnis und Interesse - so die These Dahms - speist sich aus ganz anderen Quellen als der kritischen Theorie - nämlich aus der Erkenntnistheorie seines philosophischen Lehrers Erich Rothacker. Habermas hat diese Anknüpfung niemals explizit gemacht, was das Verständnis seiner Position nicht gerade erleichtert hat. Horkheimer etwa steht mit seiner frontalen Ablehnung jedes Pragmatismus/Instrumentalismus, seinem Insistieren auf der Suche nach der Wahrheit um ihrer selbst willen und seiner Bestimmung der Wahrheit als einer "Übereinstimmung von Name und Ding" in wichtigen Aspekten der Popperschen Philosophie näher als derjenigen von Habermas. Deshalb war es unvermeidlich, daß es im Verlaufe der Auseinandersetzung zu Mißverständnissen kommen mußte. So legte Habermas viel größeres Gewicht als Adorno und Horkheimer auf die Kritik des einheitswissenschaftlichen Anspruchs des Positivismus. Aber weder Popper noch Albert hatten je das Programm einer Einheitswissenschaft vertreten, gegen das Habermas sich wandte. Habermas kritisierte, die Positivisten würden die einseitige Fixierung auf die Naturwissenschaften im Sinne eines einheitswissenschaftlichen Methodenimperialismus auf die übrigen Wissenschaften ausdehnen. Damit werde das Interesse der Geschichtswissenschaften und erst recht der kritischen Sozialwissenschaften verfehlt. Zwar haben einige Positivisten, nicht aber Popper, die Naturwissenschaften im Sinne eines technisch erkenntnisleitenden Interesses gedeutet. Für Poppers Wissenschaftslehre ist vielmehr charakteristisch, von Anfang an den Instrumentalismus kritisiert und diesem eine "realistische" erkenntnistheoretische Haltung gegenübergestellt zu haben. Später hat Habermas allerdings in gewisser Hinsicht die Seiten des Disputs gewechselt: Seine Konsenstheorien der Wahrheit und Moral stützen sich zu großen Teilen auf die Vorarbeiten jener amerikanischen Pragmatisten und ihrer Nachfolger, die von den älteren kritischen Theoretikern noch als Verfechter eines positivistisch restringierten Vernunftbegriffs gescholten worden waren.
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