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04 2021

Sebstian Luft:
In Amerika promovieren? Hinweise von Sebastian Luft

In Amerika promovieren? Hinweise von Sebastian Luft
 
aus: Heft 4/2021, S. 78-86
 
Wer heute in Deutschland eine Karriere als Universitätsprofessorin oder Universitätsprofessor im Fach Philosophie anstrebt, für die oder den ist es beinahe unumgänglich, einen Studienaufenthalt oder noch besser eine Promotion in einem englischsprachigen Land, vornehmlich in den USA, vorweisen zu können. Sebastian Luft, der auf beiden Seiten des Atlantiks gelehrt hat und gegenwärtig Professor für Philosophie an der Marquette University in Milwaukee (USA) ist, gibt nachstehend einige Hinweise dafür, was es heißt, in Amerika zu promovieren. (Red.)
 
Wer erwägt, zum Doktorandenstudium nach Amerika (ich zähle hierzu USA und Kanada und mutatis mutandis andere englischsprachige Länder) zu gehen, sollte sich genau überlegen, was die Motive hierfür für einen sind. Nach Amerika sollte man gehen, wenn man sich eindeutig dafür entschieden hat, eine Karriere an der Uni zu machen. Es ist aber inzwischen auch fast zum Standard geworden, für eine Karriere im Heimatland Auslandserfahrung v. a. in Amerika zu sammeln. Umso mehr ist es wichtig, einen geplanten Auslandsaufenthalt strategisch im Vorfeld zu vorzubereiten. In Deutschland ergibt sich die Unikarriere für viele zufällig, und die meisten, die sie aktiv anstreben, bleiben dabei ohne Erfolg. Ganz anders in Amerika. Hier ist eine Unikarriere (mit W. James zu reden) eine lebendige Option. Mit einer Promotion in einem angesehenen Department hat man eine realistische Chance, eine Stelle in einem englischsprachigen Land zu bekommen, sehr realistisch, sofern man „alles richtig“ macht.
 
Was weiter für eine Promotion in den USA spricht, ist das Betreuungsverhältnis. Während in Deutschland Professoren und Dozenten mit den Betreuungen in der Regel heillos überlastet sind und diese darunter leiden, wird in den USA Qualität und Exzellenz der Ausbildung mit einem Betreuungsschlüssel be-messen: Selten sitzen in einem Doktorandenseminar mehr als acht Leute. Da die Departments sehr viel größer sind, hat in der Regel ein/e Professor/in selten mehr als drei Doktorand/innen, mit der Ausnahme von echten „Stars“ (wobei manche von ihnen gerade deswegen gar keine Betreuung übernehmen, dafür muss der „Mittelbau“ der festangestellten associate professors für die Betreuung sorgen).
 
Falsch wäre es jedoch anzunehmen, ein Department hätte gleich eine ganze Riege oder Forschergruppe von einer Sparte oder einer Spezialität; das Stichwort ist vielmehr „Pluralität“. Eher sollte man an „Ballungsräume“ denken: Konglomerate wie etwa New York, Boston, Washington DC, Chicago, San Francisco oder Toronto (und mehr gibt es eigentlich auch nicht) haben Dutzende von hervorragenden Universitäten. Diese haben in der Regel Absprachen, so dass man an verschiedenen Unis Seminare belegen (die Abrechnung erfolgt dann nach bestehenden Absprachen) bzw. „auditen“ kann (als Gasthörer besuchen, wobei dies aber oftmals nicht gern gesehen bzw. sogar verboten ist). Clusters und Forschungsgruppen entsprechen dem europäischen Modell, was auch eindeutige Vorteile fachlicher Art hat. Allerdings sind die zu vergebenden Stellen alle zeitlich begrenzt.
 
Sicherlich bringt es offensichtliche Vorteile mit sich, einen Titel einer berühmten Uni wie Yale oder Harvard zu führen. Aber die weit verbreitete Meinung, eine Promotion in Amerika würde in Deutschland helfen, eine Stelle an einer Uni zu bekommen, ist mit Vorsicht zu genießen. Denn in Deutschland ist eine Unikarriere nicht planbar. Es gibt viele ausgezeichnet ausgebildete Philosoph/innen, die keine Professur finden, sondern sich auf Drittmittel-, Projekt- oder Clusterstellen durchschlagen, oftmals eine an die andere gereiht, bis irgendwann das Ende der Fahnenstange erreicht ist und sie dann entweder in die Arbeitslosigkeit abrutschen oder sich vorher einen Plan B erarbeitet haben, der sie dann auffängt, etwa der Lehrberuf.
 
Wer sich besser absichern will, sollte ein Cotutela-Verfahren anzustreben, also eine Doppelbetreuung. Solche „Konstruktionen“ werden aber nicht überall angeboten und sind in der Regel kompliziert, allerdings nicht unmöglich.
 
Auch sollte man mit einberechnen, dass man in Europa zu jedem Zeitpunkt krankenversichert ist und andere Sozialleistungen genießt, was gerade in USA nicht immer der Fall ist (und so sehr wichtige Dinge wie Familienplanung extrem schwierig macht)!
 
Der Zeitpunkt zu gehen
 
Wer erwägt, nach Amerika zu gehen, sollte sich den richtigen Zeitpunkt überlegen. Es empfiehlt sich nicht, gleich zu Anfang des Studiums zu gehen (es sei denn, es handelt sich um einen Austausch im Rahmen etwa eines bestehenden Programms). Zum einen sind BA-Studiengänge sehr teuer, und die meisten Ausländer haben keinen Zugang zu Stipendien oder staatlichen Geldtöpfen („Loans“, vergleichbar mit BAFÖG). Außerdem dient der BA in Amerika zum größten Teil zum Aufholen von Basis- und Grundwissen, was in den weiterführenden Schulen in USA zumindest einfach nicht mehr vermittelt wird. Hier geht es um Allgemeinwissen und Grundkenntnisse der englischen Sprache; wer aus einer europäischen Schule (sei es Lycée, Gymnasium, High School oder ähnlichem) herkommt, wird sich großenteils langweilen (und höchstens sein Englisch perfektionieren). Hier geht es in erster Linie, neben Auffüllen von fundamentalen Wissenslücken, um das „College-Leben“, die Akkulturierung in die gebildete Gesellschaft, Netzwerken und das Kennenlernen von Freunden fürs Leben und vielleicht auch des Lebenspartners.
 
 
Der Quantensprung erfolgt im Übergang von Undergraduate (Abschluss BA) zu Graduate (MA, PhD). Anders als Europa ist hier der Moment, wo man wechselt, es ist also nicht selbstverständlich wie etwa in Deutschland, einfach an der eigenen Alma Mater weiter zu studieren, sondern man muss sich explizit bewerben, und hier herrscht ein großer Konkurrenzkampf, sowohl der Bewerber/innen um Studienplätze wie der Unis um die besten Leute, die sie mit besonderen Anreizen ködern, etwa besonderen Stipendien oder schlichtweg mehr Stipendiengeld.
 
Es besteht ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Undergraduate- und Graduate-Studies, wobei zu letzterem sowohl MA- wie PhD-Studiengänge gehören. Während man als Undergraduate oftmals noch wie ein Kind behandelt wird, wird man als Graduate Student schlagartig zum Junior-Partner.
 
In der Regel erfolgt ein Übergang von BA zu MA; der direkte Sprung in ein PhD-Programm ist möglich, aber seltener. In der Regel ist auch hier der Moment, wo man den Sprung an eine andere Institution macht. MA-Studiengänge haben eine Dauer von zwei Jahren und sind in der Regel nicht finanziert. Allerdings gibt es Ausnahmen:
 
Das „terminal MA“-Programm: Wenn für ein Department der MA den höchsten Abschluss bildet, sind die Studiengänge oftmals mit Stipendien versehen und eben dadurch sehr gesucht. Die bekanntesten sind diejenigen der Georgia State University (Atlanta), der University of Wisconsin (Milwaukee) und Tufts (Boston). Diese haben keine Ambitionen, Doktoranden zu haben, sondern haben ihre Nische darin gefunden, gutes „Placement“ ihrer Absolvent/innen in ausgezeichneten PhD-Programmen zu leisten. Viele nicht-finanzierte MA-Programme sind in der Akzeptanz der Studierenden nicht sehr kompetitiv, weil MA-Studenten eben als „Cash Cows“ angesehen werden, sie sind also gern gesehene „Kunden“. So kann man sich also – freilich nur bei guter Leistung – einen sehr guten MA-Abschluss „erkaufen“, der einem freilich bei einer Bewerbung zu einem PhD-Programm sehr hilfreich ist.
 
MA und PhD getrennt: Es handelt sich dabei um zwei verschiedene Studiengänge. Wer im MA-Programm ist und es erfolgreich absolviert, kann sich auf das PhD des gleichen Departments bewerben, hat eventuell auch einen Vorzugsstatus, konkurriert aber mit anderen externen Bewerbern.
 
Automatischer Übergang von MA zu PhD: Hier wird man in das Graduate Programm aufgenommen, und nach erfolgreichem Studium nach zwei Jahren erhält man automatisch den MA und ist sodann PhD-Student. Ist man dabei jedoch nicht erfolgreich bzw. wird vom Department als nicht-PhD-fähig bewertet, kann einem dann „gekündigt“ werden – immerhin erhält man als „Trostpreis“ den MA-Titel.
 
● PhD-Programme sind automatisch mit einer Finanzierung versehen. In der Regel sind 5 Jahre garantiert, mit etwaiger Option auf Verlängerung.
 
Nochmals zusammengefasst: Es gibt in Nordamerika nur drei Hochschulabschlüsse: den Bachelor (of Arts oder of Science), den M.A. (mit dem man allerdings akademisch so gut wie nichts anfangen kann, obwohl er Lehrbefugnis feststellt) und den PhD, der in der Regel mit einer Dissertation abgeschlossen und nicht benotet wird, und die Dissertation muss nicht veröffentlicht werden (das ist eher die Ausnahme). Dieser höchste Abschluss berechtigt zur Bewerbung auf Professuren (assistant professorship, im besten Fall „tenure track/stream“) und wird in allen Ländern anerkannt. Dem neuerdings eher schwammigen Begriff „Habilitationsäquivalenz“ in Deutschland wird in der Regel durch „promotion to associate professor with tenure“ Genüge getan. Die drei Professorenstufen sind assistant, associate und („full“) professor. Die Beförderung geschieht nicht automatisch. Die Prüfung auf associate erfolgt in der Regel nach 6 Jahren (gegebenenfalls weniger, aber nicht mehr), die Beförderung von associate zu professor ist nicht zwingend und wird von einer guten Anzahl von Professoren auch gar nicht angestrebt, weil die Anforderungen v. a. an die Forschung größer sind.
 
Das Doktorandenstudium in Amerika
 
Das Doktorandenstudium ist in der Regel verschulter als in Deutschland. Als Graduate Student muss man normalerweise mindestens zwei Jahre Seminare besuchen, bevor die eigentliche Promotionsphase im uns bekannten Sinn anfängt. Zuvor muss eine Prüfung bestanden bzw. ein sog. Qualifying Paper geschrieben werden, welches die Befähigung zur wissenschaftlichen Arbeit bestätigt. Zum eigentlichen Abfassen der Promotion hat man nur ein bis zwei Jahre Zeit bzw. solange dauert die Finanzierung. Viele brauchen länger und finanzieren ihren Lebensunterhalt durch Lehraufträge, was einen hohen Stressaufwand in dieser Studienphase bedeutet. Auch wird nicht erwartet, dass man die Dissertation veröffentlicht; dies ist eher selten der Fall bzw. geschieht vielleicht in stark überarbeiteter Form nach fünf bis sechs Jahren, um „Tenure“ (Festanstellung) zu erhalten.
 
Überhaupt muss man ab dem 1. oder 2. Jahr in der Regel entweder als Teaching Assistant (Diskussionsleiter/in einer kleineren Gruppe einer großen Vorlesung mit Notenvergabe) oder Dozent/in arbeiten. Man erhält dadurch freilich eine wertvolle Lehrerfahrung, hat aber schon in dieser Phase den Stress des Lehrens (manchmal mehrere Sektionen der gleichen Klasse, einführend), da eben das Studium vor allem der BA-Studiengänge verschulter ist als in Deutschland (mit mehreren Leistungsüberprüfungen im Laufe des Semesters, man hat also während des Semesters eigentlich ständig etwas zu benoten). Gleichzeitig wird erwartet, dass man erste Schritte zum professionellen Universitätsleben geht (Tagungsbesuche, Tagungsorganisation, Publikationen). Diese Phase wird von den Studierenden zu Recht als sehr belastend empfunden.
 
Kann man nur für eine begrenzte Zeit nach Amerika? Ja, aber das in der Regel nur mit Geld aus Deutschland, also entsprechenden Stipendien. Wer in ein Doktorandenprogramm aufgenommen wird, von dem wird erwartet, dort auch zu bleiben. Laterale Wechsel von einem Programm zu einem anderen an anderen Unis sind selten und nicht gern gesehen.
 
Das Sozialleben und die Beziehung zu Professoren
 
Viele Departments haben ein reges Sozialleben, was sowohl Professor/innen wie Doktorand/innen einbindet. Graduate Students werden im Wesentlichen als „Juniorpartner“ angesehen und auch so behandelt, etwa durch Duzen („first name basis“), gemeinsame Aktivitäten (Koautorschaften, Kollaborationen etwa bei der Organisation von Tagungen) und im Ganzen einem Gemisch akademischer und sozialer Aktivitäten (Institutscolloquia zu festgelegten Wochentagen während des Semesters, die im gemeinsamen Abendessen enden), Lesegruppen etwa während der Mittagspause („Brown Bags“, wo jeder sein Essen mitbringt und man gemeinsam isst und über einen Text redet) oder einfach nur Kneipenbesuche oder „Abschlusskneipen“ beim Professor im Garten mit Grillen. Hier gibt es freilich große Unterschiede der „Kulturen“. In Großstädten, wo viele ihr eigenes Leben sehr viel privater leben, sind solche Lebensweisen weniger verbreitet. Andererseits wird es von vielen Professoren gerade in ländlichen Gebieten erwartet, so zur Kultur beizutragen (mit „Kind und Kegel“). Die meisten Unis liegen außerhalb der Ballungszentren „auf der grünen Wiese“, und so ist dies oftmals die einzige Möglichkeit, überhaupt ein Sozialleben zu haben.
 
Die Beziehung bzw. Bindung an den/die betreuenden Professor/in ist in der Regel sehr eng und wäre mit dem altehrwürdigen Begriff „Doktorvater/mutter“ nur sehr unzureichend beschrieben. Man ist in der Regel per Du und arbeitet eng zusammen; gerade in Doktorandenprogrammen haben Professor/innen viel mehr Zeit für die von ihnen betreuten Doktorand/innen, und es wird erwartet, dass jene intensiv Feedback geben zu jedem einzelnen eingereichten Kapitel.
 
Wo sollte man sich bewerben?
 
Diese Frage ist heikel, weil es im gesamten angelsächsischen Raum für alles Mögliche, auch Universitäten und damit auch für Geisteswissenschaften „Rankings“ gibt, die mit z. T. fragwürdigen „objektiven“ Standards ermittelt werden. Man ist in Deutschland und in Europa im Allgemeinen dagegen skeptisch, und das zu Recht. Also sollte man die bekannten Rankings und „Berichte“ mit etwas Distanz betrachten. Dennoch ist es so, dass die besten Departments auch wiederum auf diesen Rankings auftauchen, sei es zu Recht (aufgrund der objektiven Parameter) oder durch Zufall. Dennoch sollte man auch selbst Recherche treiben: Welche Schriften haben Sie besonders beindruckt bzw. Ihnen im Studium weitergeholfen, und wer hat sie geschrieben und wo sitzt diese Person? Ist diese Person eine „Sternschnuppe“ in ihrem Department (evtl. sogar ohne Doktorandenprogramm) oder handelt es sich um ein stark besetztes Department auch auf anderen Gebieten? Weiterhin sollten Sie mit Ihren Mentoren in der Heimat sprechen: Über welche Kontakte verfügen sie? Sind sie bereit, Ihnen zu helfen?
 
Eine Bewerbung aus dem Ausland hat oftmals im Wettbewerb das Nachsehen, weil die Angaben einfach zu schwer „lesbar“ sind (s. hierzu den folgenden Abschnitt), also hilft eine persönliche Referenz bzw. ein Kontakt doch sehr. Grundsätzlich sollte bei der Wahl des Departments dessen Pluralität eine wichtige Rolle spielen: Wer sich etwa für Platon oder Descartes interessiert und in einem „rein“ analytischen Department promoviert, wird es später in der entsprechenden Peer Group schwer haben.
 
Wenn schon bewerben, dann auch richtig.
 
In meiner Funktion als Mitglied im Admissions Committee sehe ich viele Bewerbungen aus dem Ausland, die zwar von starken Kandidat/innen stammen, aber dennoch unbrauchbar bzw. wertlos sind, weil sie die Gepflogenheiten nicht einhalten. Es sind einige Komponenten, die man sich schon frühzeitig – auch letztlich für eine Bewerbung in Deutschland – zurechtlegen und in die man ein gutes Stück Energie und Sorgfalt stecken sollte:
 
Curriculum Vitae: Man sollte als Studierende/r ohnehin frühzeitig anfangen, ein CV anzulegen und es nach und nach „aufzufüllen“ (evtl. auch zweigleisig fahren: ein europäisches, ein internationales). Auch wenn man vielleicht noch nicht viel vorzuweisen hat, sollte man früh darüber nachdenken, was man anzubieten hat (selbst wenn es noch keine Veröffentlichungen sind). Dazu gehören:
- Fremdsprachen? Wie gut? Gibt es Zertifikate, die die genaue Sprachkenntnis festlegen?
- Computerfähigkeiten? Programmieren? Besondere Erfahrung beim Erstellen von Webseiten etc.?
- Anderweitige Fähigkeiten, die zum Gesamtbild beitragen? Führungspositionen (wenn auch nur kleine)? Auszeichnungen (etwa im Sport)?
- Belegte Seminare (mit Namen der Dozent/ innen). Vielleicht Teilnahme an Summer Schools nach Review-Verfahren? Testate darüber?
- Tutoren- oder andere Lehrtätigkeit (etwa Nachhilfe?). Andere Hilfskrafttätigkeiten (Hilfe bei der Redaktion eines Buches?).
 
Writing Sample: Die wohl wichtigste Komponente einer Bewerbung. Dies sollte ein 10-20-seitiger Aufsatz sein (manche Departments legen die Maximallänge genau fest), der unbedingt sprachlich fehlerfrei sein muss. Er muss nicht über das Thema sein, worin man promovieren möchte (dies zu wissen, gilt in dieser Phase als etwas vermessen), sondern sollte ein diskretes Thema bzw. Argument oder Gedankengang sein, der frei von Jargon und für Philosoph/innen aller Art verständlich ist, sowie eindeutig Kenntnis wissenschaftlichen Arbeitens (mit Fußnoten, Sekundärliteratur etc.) demonstriert. Der – vor allem von Nicht-Muttersprachlern – gefürchtete GRE-Test mit seinen Test-Scores gilt inzwischen als verpönt, weil er – ähnlich wie vor längerer Zeit der IQ-Test – als kulturell voraussetzungsbehaftet und daher gerade Ausländern gegenüber als diskriminierend eingestuft wird. Er wird daher in der Regel nicht mehr verwendet, wie im Übrigen auch der TOEFL-Test. Umso wichtiger ist es eben, dass die Schreibprobe erstklassig ist.
 
 ● Statement of Purpose: Kurzer Text von max. zwei Seiten, worin der/die Kandidat/in begründet, warum er/sie dieses Karriereziel wählt, was ihn/sie zur Philosophie gebracht hat, welche wichtigen biographischen Erlebnisse besonders hierzu beigetragen haben, schließlich ein bis zwei besonders für die betreffende Uni maßgeschneiderte Paragraphen, wo man begründet, besonders für diese geeignet zu sein: besonderes Interesse an Professoren X, Y und Z aufgrund ihrer besonderen Expertise, etc. Hierzu ist Recherche nötig! Man muss genau wissen, bei welchen Departments man sich bewerben kann/sollte, bzw. wo eine Aufnahme realistisch ist.
 
Letters of Recommendation: In der Regel zwei bis drei Gutachten über Sie von Professoren/Dozent/innen, die Sie gut kennen. Haben Sie keine Angst, Ihre Mentoren darum zu bitten, das gehört zu ihrem Beruf! Hier ist die Auswahl auch wichtig: am besten jemand, der/die auch im Ausland bekannt ist und Sie auch gut kennt, so dass das Gutachten nicht zu generell, sondern besonders auf Sie zugeschnitten ist. Wer – wie das früher oft der Fall war – Ihnen sagt, Sie sollen einfach selbst das Gutachten schreiben und ihm/ihr zur Unterschrift vorlegen, handelt m.E. grob fahrlässig.
 
Kann man nach der Promotion in den USA bleiben? Was für Chancen hat man?
 
Wer in Amerika promoviert hat, gilt automatisch als amerikanisches „Gewächs“, und eine entsprechende (starke) Bewerbung wird somit in jedem englischsprachigen Land ernst genommen werden. Wer sich um Kontakte in Amerika schon in der Promotionszeit bemüht, wird mühelos integriert und hat nicht mehr den „Ausländernachteil“, den Leute aus dem nicht-englischsprachigen Ausland haben. Das heißt aber nicht, dass die Chancen damit erstklassig wären. Der Jobmarkt wird aufgrund von Corona in den Geisteswissenschaften wohl fürs erste und vermutlich auch nachhaltig beeinträchtigt sein. Es ist also überall enger geworden, allerdings ist der englischsprachige Jobmarkt schlichtweg größer.
 
Erst nach der Promotion nach Amerika gehen?
 
Wer sich aus Deutschland um ein Post-doc mit eigens mitgebrachtem Geld bemüht (in den meisten Fällen durch das Feodor-Lynen-Stipendium der AvH), ist zumeist willkommen, allerdings muss die Gastgeberuni einen Finanzanteil aufbringen (zumeist abgedeckt durch Lehraufträge, die man unbedingt auch wegen der Lehrerfahrung annehmen sollte). Wer von hier aus versucht, direkt eine Stelle zu finden, dem mag es auch gelingen, aber wohl nicht ohne „Vorlauf“: Wer nach Amerika kommt ohne jegliche Bekanntschaften, die er/sie schon in der Heimat gemacht hat, dem wird es schwerfallen, in den ein bis zwei Jahren „Stallgeruch“ zu erlangen. Dieser Schritt – wenn getan mit der Intention, in Amerika Fuß zu fassen – sollte also nicht ohne intensives Netzwerken im Vorfeld angetreten werden. Wer hingegen mit Sicherheit danach wieder in die Heimat zurückkehren will, für den ist dies wohl die letzte Gelegenheit, Erfahrung im englischsprachigen Ausland zu sammeln.
 
Nochmals zur generellen Frage, warum das überhaupt tun: Geht es um Erfahrung im Ausland oder einen bewussten Karriereschritt, der eine Art „point of no return“ bedeutet? Können Sie sich vorstellen, dauerhaft im Ausland zu leben oder möglicherweise einem englischsprachigen Land, das Sie noch gar nicht kennen? Lieben Sie die Philosophie so sehr, dass Sie ihr „überall hin folgen“ würden? Vergessen Sie nicht: Deutsche Hochschulen sind gerade in den Geisteswissenschaften nach wie vor sehr stark. Es hapert nur an genug Stellen, um eine Karriere planbar zu machen! Auch wenn die Deutschen mit weniger Tamtam daherkommen, was Eigenwerbung betrifft, so stehen sie ihren amerikanischen Kollegen in nichts nach, auch nicht der vordersten Front der sog. „analytischen“ Philosophie, auch wenn die deutschen Kollegen den amerikanischen ein bis zwei Generationen hinterherhinken, was das Festhalten an einer gewissen Orthodoxie betrifft; in Amerika gilt inzwischen eher, dass man „post-split“ philosophiert und damit neue Offenheit herrscht und man weniger in „Lagern“ denkt.
 
Was immer man tut oder vielleicht lässt, sollte in diesem Stadium der Karriereentwicklung sehr genau überlegt werden. The grass is always greener on the other side, ist ein bekannter Ausspruch, und es gibt sicher vieles, was für ein Leben in Amerika spricht. Nichts- destotrotz: Das Leben in Europa ist nach wie vor sehr attraktiv, auch in Bezug auf die Sozialleistungen. Ich persönlich kenne viele, die den Schritt nie bereut haben und glücklich und ihrem neuen Arbeitgeber dankbar waren, dem Prekariat zu entrinnen. Hingegen kenne ich keinen, der nicht mit Wehmut und Heimweh an Deutschland zurückdenkt.
 
Literatur: Vgl. den Bericht von Joy Connolly, Going On The Market…, der sich auf den Jobmarkt in der klassischen Philologie bezieht, der cum grano salis auf die Philosophie
anwendbar ist:
https://sites.google.com/a/nyu.edu/ jconnolly/home/job-market-handbook
 
UNSER AUTOR:
 
Sebastian Luft ist seit 2004 Professor für Philosophie an der Marquette University in Milwaukee, WI (USA). Er arbeitet zur theoretischen Philosophie und historisch zur europäischen Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts mit Schwerpunkten in der klassischen deutschen Philosophie, Neukantianismus, Phänomenologie, Hermeneutik und Pragmatismus.