PhilosophiePhilosophie

02 2022

Stefan Lang:
Modelle des Selbstbewusstseins

aus: Heft 2/2022, S. 22-32
 
 
Die Entwicklung von Modellen des Selbstbewusstseins zählt zu den Anliegen der gegenwärtigen Philosophie des Geistes. Dabei werden Modelle unterschiedlicher Varianten des Selbstbewusstseins entworfen. Im Folgenden werden zunächst einige Varianten von Selbstbewusstsein erläutert (vgl. Brandl und Esken 2016), die im Zentrum vieler Untersuchungen stehen. Anschließend werden Typen von Modellen des Selbstbewusstseins charakterisiert und Beispiele für diese Typen angeführt. Berücksichtigt werden vorwiegend analytische Theorien, die in gegenwärtigen Debatten von Bedeutung sind oder sich für eine Einführung in das Thema „Modelle des Selbstbewusstseins“ gut eignen.
 
1. Varianten des Selbstbewusstseins
 
Philosophische Theorien des Selbstbewusstseins enthalten Modelle unterschiedlicher Varianten. Dazu zählen insbesondere drei Varianten:
 
(A) Wenn eine Person den Satz äußert: „Ich bin Philosophin“ besitzt sie propositionales Selbstbewusstsein. Die Person weiß (oder glaubt), dass sie selbst Philosophin und Referentin des Wortes ‚ich‘ ist.
Im Fall propositionalen Bewusstseins besteht eine Beziehung zwischen einer Person, also beispielsweise der raumzeitlichen Entität namens Sofia Gubaidulina, und einer Proposition, wobei die Person eine bestimmte Einstellung gegenüber der Proposition hat. Zu den Einstellungen zählt etwa eine Überzeugung zu haben. Umstritten ist, was unter einer Proposition zu verstehen ist. Im Blick auf die Zielsetzung dieses Beitrags genügt es, unter einer Proposition dasjenige zu verstehen, was auch immer „determines the truth, veridicality, or satisfaction conditions of intentional states.“ (Lurz 2004, 252)
 
Propositionales Selbstbewusstsein unterscheidet sich von Fällen des Wissens (oder Fürwahrhaltens), bei denen eine Person zwar eine bewusste Information über eine Person besitzt, die de facto sie selbst ist, ohne dass sie jedoch auch weiß, dass diese Information von ihr selbst handelt. Im Fokus der Untersuchungen propositionalen Selbstbewusstseins steht daher Selbstbewusstsein, das eine Person bei der Verwendung des Wortes ‚ich‘ bzw. des Begriffs „Ego“ besitzt. Nach Ansicht vieler Philosoph*innen ist im Fall der Verwendung dieses Wortes (bzw. Begriffs) garantiert, dass die Person, die dieses Wort (bzw. diesen Begriff) verwendet, weiß, dass sie selbst die Person ist, von der sie etwas weiß (oder glaubt). Einige Philosoph*innen unterscheiden zwischen begrifflichem und sprachlichem Selbstbewusstsein (vgl. Vosgerau 2009). In diesem Beitrag ist mit propositionalem Selbstbewusstsein beides gemeint.
 
(B) Unter der Introspektion bzw. reflektiertem Selbstbewusstsein ist das Fokussieren der Aufmerksamkeit eines Subjekts auf ihre mentalen Zustände zu verstehen. Reflektiertes Selbstbewusstsein liegt beispielsweise vor, wenn ein Subjekt seine Aufmerksamkeit auf sein Gefühl des Verliebtseins richtet. Unter der Introspektion ist zudem das bewusste Nachdenken über die eigenen mentalen Zustände zu verstehen. Indes ist umstritten, ob jeder Fall der Introspektion die Anwendung von Begriffen einschließt. Im Rahmen dieses Beitrags wird daher zwischen der Introspektion und propositionalem Selbstbewusstsein unterschieden. (siehe Williford 2016)
 
(C) Bevor ein Subjekt seine Aufmerksamkeit auf seine mentalen Zustände richtet und unabhängig davon, ob es einen (bewussten) Gedanken fasst bzw. einen Satz äußert, besitzt es nach Ansicht vieler Philosoph*innen präreflektives Selbstbewusstsein (Borner, Frank und Williford 2019). Im Anschluss an eine Einteilung von Marie Guillot wird in neueren Untersuchungen oftmals zwischen präreflektivem Selbstbewusstsein im Sinn von (a) Für-mich-sein (for-me-ness), (b) Ich-Bewusstsein (me-ness) und (c) Meinigkeitsbewusstsein (mine-ness) unterschieden. Unter Für-mich-sein versteht Guillot, dass die Erfahrung eines Subjekts (S1) ein bewusstes Objekt für das Subjekt (S1) ist. Es ist dem Subjekt dabei irgendwie zumute, Bewusstsein von der Erfahrung zu haben. (Guillot 2017, 28: „my own awareness of my experience is a way the experience affects me; it is a phenomenal kind of awareness.“)
 
Das Subjekt ist jedoch nicht das Objekt des Bewusstseins, sondern dasjenige, für welches die Erfahrung, d. h. das Objekt, vorhanden ist. Wenn demgegenüber Bewusstsein vom Subjekt besteht, liegt Ich-Bewusstsein (me-ness) vor. Unter Ich-Bewusstsein ist also zu verstehen, dass das Subjekt (S1) präreflektiv Bewusstsein von sich selbst, dem Subjekt (S1) besitzt. Wie erwähnt, ist Ich-Bewusstsein im Sinn präreflektiven Selbstbewusstseins jedoch von propositionalem Selbstbewusstsein zu unterscheiden. Schließlich bedeutet Meinigkeitsbewusstsein, dass das Subjekt (S1) nicht nur Bewusstsein vom Subjekt (S1) hat. Das Subjekt (S1) besitzt zusätzlich die bewusste Information, dass die Erfahrung seine eigene Erfahrung ist. Meinigkeitsbewusstsein schließt ein Bewusstsein von der Relation zwischen dem Subjekt und seiner Erfahrung ein.
 
Neben Modellen propositionalen Selbstbewusstseins, der Introspektion und präreflektiven Selbstbewusstseins werden Modelle weiterer Varianten des Selbstbewusstseins entwickelt. Zu diesen Varianten zählen körperliches und moralisches Selbstbewusstsein, das Bewusstsein personaler Identität, Gruppenselbstbewusstsein, animalisches Selbstbe-wusstsein und vieles mehr. Dabei treten Überschneidungen auf. Nach Ansicht einiger Philosoph*innen gibt es nicht nur mentales präreflektives Selbstbewusstsein, sondern auch körperliches präreflektives Selbstbewusstsein und präreflektives Gruppenselbstbewusstsein (Legrand 2006, Schmid 2014).
Im Blick auf aktuelle Theorien des Selbstbewusstseins ist die Sachlage jedoch noch komplexer. Dies ist eine Folge unterschiedlicher Interpretationen des Trägers von Selbstbewusstsein. Nach Manfred Frank besitzt kein Subjekt präreflektives Selbstbewusstsein. Es besteht in einem nicht-intentionalen Bewusstsein von mentalen Zuständen, das ich-los verfasst ist. Der Träger des Selbstbewusstseins ist daher das Bewusstsein selber (Frank 2012). Als Träger des Selbstbewusstseins kommen zudem jedoch neben dem Subjekt grundsätzlich auch die Vernunft und das Absolute ebenso in Frage wie das Denken (siehe Rödl 2019).
 
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