Eine Verschwörungstheorie ist eine Erklärung (Hypothese) für ein Ereignis oder eine Situation, deren Ursache einer Verschwörung durch meist mächtige und "finstere" Gruppen zugeordnet wird obgleich andere Erklärungen wahrscheinlicher sind.
Als "Verschwörung" wird dabei das zielgerichtete, manipulative und konspirative Wirken einer meist kleinen Gruppe von Akteuren zu einem oftmals illegalen oder illegitimen Zweck betrachtet.
Die Attraktivität einer Verschwörungstheorie beruht häufig auf Vorurteilen, emotionaler Überzeugung sowie selektiver Verwendung bzw. Gewichtung von "Beweisen".
Eine Verschwörungstheorie unterscheidet sich von einer Verschwörung (Komplott); sie bezieht sich auf eine "angenommene Verschwörung". Der Begriff kann auch pejorativ verwendet werden.
Etymologie
Das Begriff „Verschwörung“ leitet sich vom lateinischen Wort „conspirare“ ab und bedeutet, dass zwei oder mehr Personen zusammenarbeiten, um einen geheimen Plan auszuführen.
Das Wort "conspiratio" lässt es sich jedoch auch mit "Einigkeit" und "Übereinstimmung" übersetzen. Es stammt von "conspiro" ab, welches zwar "Verschwörung" im modernen Sinne bedeutet, aber auch "ich singe im Einklang" übersetzt werden kann. Denn das Präfix con- bedeutet "mit" oder "zusammen", und spiro "ich atme", was wörtlich "ich atme zusammen mit anderen" ergibt.
Merkmale
Eine allgemeine anerkannte Definition existiert nicht. Die wichtigsten Merkmale (ebenfalls heftig diskutiert) einer Verschwörungstheorie sind:
- sie beruht auf einer selektiven Auswahl von Fakten, die als Rosinenpickerei (Cherry picking) bezeichnet wird
- Konzentration auf Nebenschauplätze oder unvollständig untersuchte Details, um das Ganze in Zweifel zu ziehen
- sie ist oft so konstruiert, dass sie nicht falsifizierbar ist. Glaubwürdige Alternativszenarien werden diskreditiertG. Gegenbeweise werden ignoriert oder verzerrt, als wären sie "erst recht" Beweise für die Verschwörungstheorie
- Konkrete "Täter" werden selten identifiziert: meistens sind es pauschal die Regierung, der Geheimdienst, die Industrie, etc.
- sie ignoriert die bedeutende Rolle, die Fehler, Zufall und Inkompetenz im wirklichen Leben spielen. Die mutmaßlichen Verschwörer sind hyperkompetent: Angesichts des enormen Ausmaßes der Täuschung müssten unglaubliches Engagement, meisterhafte Planung, allumfassende Voraussicht und eine fehlerfreie Ausführung vorhanden sein
Eine Verschwörungstheorie ist mehr als ein Verdacht oder Glaube an die Existenz einer bestimmten Verschwörung – sie konstruiert eine Theorie bzw. eine Reihung von Ideen, Hypothesen und Erklärungen, die miteinander verknüpft sind und deren Akzeptanz von den Anhängern schon fast dogmatisch gefordert wird.
Es gibt viele verschiedene Verschwörungstheorien, wie zum Beispiel die Verschwörungstheorien über die Mondlandung und die Umstände des Kennedy-Attentats in den 1960er Jahren. Viele Verschwörungstheorien behaupten auch, dass wichtige Ereignisse der Weltgeschichte durch Verschwörer hinter den Kulissen erklärt werden die politische Ereignisse manipulieren und orchestrieren. Ein Beispiel ist die Theorie, dass die Illuminaten, die Tempelritter und die Freimaurer die "Strippenzieher" hinter der Französischen Revolution waren.
Einordnung
"Auf die Frage, was das denn für Leute seien, die an Verschwörungstheorien glaubten, antwortete der Moderator und Meteorologe Jörg Kachelmann: „Generell solche, […] die nicht die hellsten Kerzen auf der Torte sind, die nicht die knusprigsten Chips in der Tüte sind, […] die nicht alle Latten am Zaun haben“ (vgl. [20]). Solche Erklärungen sowie Titel von öffentlich-rechtlichen Sendungen wie etwa „Verschwörungstheorien – darum sind sie so gefährlich“ oder „Leben im Wahn“ machen deutlich, dass Verschwörungstheorien in der medialen Öffentlichkeit prinzipiell keinen guten Stand haben."
"Ganz ähnlich ist es auch im größten Teil der interdisziplinären Forschung zum Thema. Die meisten Wissenschaftler:innen scheinen – wie etwa der Kulturwissenschaftler Michael Butter – „der festen Überzeugung [zu sein], dass Verschwörungstheorien einem adäquaten Verständnis der Wirklichkeit im Wege stehen“. ([15], S. 255)"
"Umso erstaunlicher ist es, dass die Philosophie in der Frage, ob Verschwörungstheorien grundsätzlich abgelehnt werden sollten, gespalten ist. Es lassen sich zunächst zwei Tendenzen beobachten, die sich unvereinbar gegenüberstehen und die sich in Anlehnung an den Soziologen Oliver Kuhn als „repressivistisch“ bzw. „permissibilistisch“ bezeichnen lassen (vgl. [17]) Repressivistische Positionen behaupten, dass Verschwörungstheorien grundsätzlich abgelehnt werden sollten, da sie nicht oder schlecht gerechtfertigt seien. Permissibilistische Positionen behaupten dagegen, dass nicht alle Verschwörungstheorien ihren schlechten Ruf verdienten. Dass eine Theorie oder Erklärung eine Verschwörungstheorie sei, habe diesen Positionen zufolge nichts mit der Frage zu tun, ob sie gerechtfertigt sei. Vielmehr müsse man jede einzelne Theorie unabhängig von ihrem Status als Verschwörungstheorie prüfen."
Quelle: Daniel Minkin: "Über die Schwierigkeit der Philosophie mit den Verschwörungstheorien"; Zeitschrift "Information Philosophie": Heft 2/2022, S. 44-56
Geschichte
Der Philosoph Karl Popper beschrieb das zentrale Problem von Verschwörungstheorien als eine Form des fundamentalen Zuschreibungsfehlers, bei dem jedes Ereignis im Allgemeinen als absichtlich und geplant wahrgenommen wird, wobei die Auswirkungen von Zufälligkeiten und unbeabsichtigten Folgen stark unterschätzt werden.
Popper verwendete den Begriff, anders als er heute genutzt wird, im Sinne des Kritischen Rationalismus und bezog in mehr auf allgemeine Gesellschaftliche Zustände, als auf spezifische Ereignisse.
In seinem Buch "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" (1945) verwendete er den Begriff "Verschwörungstheorie der Gesellschaft", um die Idee zu bezeichnen, dass soziale Phänomene wie "Krieg, Arbeitslosigkeit, Armut, Mangel ... das Ergebnis einer direkten Planung durch einige mächtige Individuen und Gruppen sind"
Popper argumentierte, dass der Totalitarismus auf Verschwörungstheorien beruhe, die sich auf imaginäre Verschwörungen stützten, die durch paranoide Szenarien auf der Grundlage von Stammesdenken, Chauvinismus oder Rassismus angetrieben würden. Er stellte auch fest, dass die Verschwörer ihr Ziel nur sehr selten erreichten.
Historisch gesehen hatten reale Verschwörungen in der Regel nur geringe Auswirkungen auf die Geschichte und oft unvorhersehbare Folgen für die Verschwörer.
Bibliographie
- Andreas Anton, Michael Schetsche, Michael K. Walter (Hrsg.): Konspiration. Soziologie des Verschwörungsdenkens. Springer VS, Wiesbaden 2013, ISBN 978-3-5311-9323-6.
- B. Keeley: Of Conspiracy Theories. In: The Journal of Philosophy. 96, 1999, S. 109–26.
- Carl F. Graumann, Serge Moscovici (Hrsg.): Changing Conceptions of Conspiracy. Springer Series in Social Psychology. New York u.a. 1987, ISBN 0-387-96223-9.
- Claus Oberhauser: Die verschwörungstheoretische Trias: Barruel-Robison-Starck. Studienverlag, Innsbruck-Wien-Bozen 2013 ISBN 978-3-7065-5307-0.
- Cornel Zwierlein, Beatrice de Graaf (Herausg.), Security and Conspiracy in History, 16th to 21st Century. Historical Social Research 38, Special Issue, 2013.
- D. Coady: Conspiracy Theories and Official Stories. In: International Journal of Applied Philosophy. 17/2, 2003, S. 199–211.
- Daniel Pipes: Conspiracy. How the Paranoid Style Flourishes and Where It Comes From. Free Press, New York 1997 (deutsch: Verschwörung. Faszination und Macht des Geheimen. Gerling, München 1998, ISBN 3-932425-08-1).
- Dominic Angeloch: Die Realität hinter der Realität: Verschwörungsdenken als moderne Denkform. Büchner, Marburg 2023.
- Frank P. Mintz: The Liberty Lobby and the American Right. Race, conspiracy and culture. Greenwood Press Westport, Connecticut 1985, ISBN 0-313-24393-X.
- Helmut Reinalter (Hrsg.): Handbuch der Verschwörungstheorien. Salier Verlag, Leipzig 2018, ISBN 978-3-96285-004-3.
- Helmut Reinalter (Hrsg.): Verschwörungstheorien. Theorie – Geschichte – Wirkung. Studienverlag, Innsbruck 2002, ISBN 3-7065-1510-5.
- Helmut Reinalter: Die Weltverschwörer: Was Sie eigentlich alles nie erfahren sollten. Ecowin Verlag, Salzburg 2010, ISBN 3-902404-85-X.
- J.M. Roberts: The Mythology of the Secret Societies. Secker & Warburg, London, New York 1972, ISBN 0-684-12904-3.
- Jane Parish, Martin Parker (Hrsg.): The Age of Anxiety. Conspiracy Theory and the Human Sciences. Oxford-Malden 2001, ISBN 0-631-23168-4.
- Johannes Rogalla von Bieberstein: Die These von der Verschwörung 1776–1945. Philosophen, Freimaurer, Juden, Liberale und Sozialisten als Verschwörer gegen die Sozialordnung 1776–1945. Bern 1976, Flensburg 1992, ISBN 3-926841-36-2 (Neuauflage unter dem Titel: Der Mythos von der Verschwörung. Marix, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-86539-162-9).
- Joseph E. Uscinski (Hrsg.): Conspiracy Theories and the People Who Believe Them. Oxford University Press, New York 2019, ISBN 978-0-19-084407-3.
- Juliane Wetzel: Verschwörungstheorien. In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Band 3: Begriffe, Ideologien, Theorien. De Gruyter Saur, Berlin 2008, S. 334–337 ISBN 978-3-598-24074-4 (abgerufen über De Gruyter Online)
- Jürgen P. Lang: Verschwörungsideologien. Antiliberalismus und Totalitätsphantasie von Metternich bis zum modernen Extremismus. In: Sebastian Liebold u.a. (Hrsg.): Demokratie in unruhigen Zeiten. Baden-Baden 2018, ISBN 978-3-8487-4194-6, S. 185–194 (Google Books).
- Karl Markus Michel, Tilman Spengler (Hrsg.): Verschwörungstheorien. In: Kursbuch Heft 124. Rowohlt, Berlin 1996, ISBN 3-87134-124-X.
- Kathryn S. Olmsted: Real Enemies. Conspiracy Theories and American Democracy, World War I to 9/11. Oxford University Press, Oxford 2013, ISBN 978-0-1997-5357-4.
- Kim Meyer: Das konspirologische Denken. Zur gesellschaftlichen Dekonstruktion der Wirklichkeit. Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2018, ISBN 978-3-95832-139-7.
- Leo Löwenthal: Falsche Propheten. Studien zum Autoritarismus (= Schriften. Band 3). 2. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1990, ISBN 3-518-28503-3 (Erstausgabe 1982, ISBN 3-518-56507-9).
- Marius Raab, Claus-Christian Carbon, Claudia Muth: Am Anfang war die Verschwörungstheorie. Springer-Verlag, Berlin 2017, ISBN 978-3-662-53882-1.
- Mark Fenster: Conspiracy Theories. Secrecy and Power in American Culture. Minneapolis 1999 (zweite Auflage Minneapolis 2008), ISBN 0-8166-3242-1.
- Michael Barkun: A Culture of Conspiracy: Apocalyptic Visions in Contemporary America. University of California Press, Berkeley 2006, ISBN 978-0-520-24812-0.
- Michael Butter, Maurus Reinkowski (Hrsg.): Conspiracy Theories in the United States and the Middle East: A Comparative Approach. Walter de Gruyter, Berlin/New York 2014, ISBN 311030760X
- Michael Butter: „Nichts ist, wie es scheint“. Über Verschwörungstheorien. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2018, ISBN 978-3-518-07360-5.
- Peter Knight: Conspiracy culture. From the Kennedy assassination to the X-files. Routledge, London / New York 2000, ISBN 0-415-18977-2.
- Ralf Klausnitzer: „Überstaatliche Mächte.“ Verschwörungstheorien und -phantasien in Publizistik, Literatur und Film des Dritten Reiches. In: Erhard Schütz, Gregor Streim (Hrsg.): Reflexe und Reflexionen von Modernität 1933–1945. In: Zeitschrift für Germanistik. Beiheft 6. Bern / Berlin u.a. 2002, S. 125–172.
- Richard Hofstadter: The Paranoid Style in American Politics and Other Essays. London 1966 (Nachdruck: Chicago 1990, ISBN 0-226-34817-2).
- S. Clarke: Conspiracy Theories and Conspiracy Theorizing. In: Philosophy of the Social Science. 32, 2002, S. 131–150.
- Schirin Fatih (Hrsg.): Komplotte, Ketzer und Konspirationen. Zur Logik des Verschwörungsdenkens. Beispiele aus dem Nahen Osten. Transscript, Bielefeld 2010 ISBN 978-3-8376-1341-4
- Sebastian Bartoschek: Bekanntheit von und Zustimmung zu Verschwörungstheorien – eine empirische Grundlagenarbeit. JMB Verlag, Hannover 2015, ISBN 978-3-944342-60-3
- Shauna M. Bowes, Thomas H. Costello, Arber Tasimi: The Conspiratorial Mind: A Meta-Analytic Review of Motivational and Personological Correlates. In: Psychological Bulletin 149 (2023), Heft 5–6, S. 259–293, doi.org/10.1037/bul0000392 (PDF).
- Ute Caumanns, Mathias Niendorf (Hrsg.): Verschwörungstheorien. Anthropologische Konstanten – historische Varianten. Fibre Verlag, Osnabrück 2001, ISBN 978-3-929759-47-1.
- Vincent Fröhlich, Michael Mertes: Der neue Konspirationismus. Wie digitale Plattformen und Fangemeinschaften Verschwörungserzählungen schaffen und verbreiten. Büchner, Marburg 2022, ISBN 978-3-96317-314-1.
- Wolfgang Wippermann: Agenten des Bösen. Verschwörungstheorien von Luther bis heute. Bebra, Berlin 2007, ISBN 3-89809-073-6.