Die feministische Philosophie ist eine im 20. Jahrhundert entstandene philosophische Strömung. Im Dialog mit zahlreichen Disziplinen, darunter Literatur und Soziologie, versucht sie, den Begriff der Weiblichkeit in seiner Beziehung zu den klassischen Konzepten wie Existenz, sexuelles Geschlecht, Liebe, Sprache oder auch das Unbewusste neu zu überdenken.
Inhaltlich handelt es sich auch um eine engagierte politische Philosophie, die das Patriarchat und die männliche Herrschaft in all ihren Formen analysiert & kritisiert. Eine ihrer Begründerinnen ist Simone de Beauvoir, die der existentialistischen Strömung angehört.
Obwohl die meisten feministischen Philosophinnen Frauen sind, vertreten auch männliche Autoren häufig feministische Positionen. Beispielsweise wird John Stuart Mills (und seiner Ehefrau Harriet Taylor Mill (1807–1858)) Sicht auf die Situation der Frau in der Gesellschaft als liberaler Feminismus bezeichnet.
Das Konzept beinhaltet sowohl die Neuinterpretation philosophischer Texte und Methoden, um die feministische Bewegung zu ergänzen, als auch den Versuch, die Ideen der traditionellen Philosophie in einem feministischen Rahmen zu kritisieren oder neu zu bewerten.
Merkmale
Feministische Philosophie zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich zentral mit dem Geschlecht beschäftigt. Typisch für sie ist auch das Engagement für Gerechtigkeit für Frauen, in welcher Form auch immer. Abgesehen von diesen verbindenden Merkmalen handelt es sich um ein vielfältiges Feld, das eine breite Palette von Themen mit einer Vielzahl von Ansätzen abdeckt. Dazu zählt auch die Frage, wie sich Rasse, Sexualität, sozioökonomische Klasse und andere Identitätsfaktoren auf geschlechtsspezifische Ungleichheiten auswirken.
Einflüsse sind sowohl in der analytischen als auch in der kontinentalen Tradition zu finden, und innerhalb dieser Traditionen werden unzählige unterschiedliche Standpunkte zu philosophischen Fragen vertreten.
Feministische Philosophie hat im Wesentlichen drei Funktionen:
- Sie stützt sich auf philosophische Methoden und Theorien, um feministische Anliegen und Perspektiven zu formulieren und zu theoretisieren. Dies kann eine philosophische Analyse von Konzepten in Bezug auf Identität (wie Rasse, sozioökonomischer Status, Geschlecht, Sexualität, Fähigkeiten und Religion) und von Konzepten umfassen, die innerhalb der feministischen Theorie im weiteren Sinne sehr häufig verwendet und theoretisiert werden. Die Theorie ist auch eine wichtige Quelle für Argumente zur Gleichstellung der Geschlechter.
- Untersuchung von Sexismus und Androzentrismus innerhalb der philosophischen Tradition. Dies kann die Kritik an Texten und Theorien beinhalten, die üblicherweise als Teil des philosophischen Kanons eingestuft werden, insbesondere durch die Konzentration auf ihre Darstellung von Frauen und weiblichen Erfahrungen oder den Ausschluss von Frauen aus der philosophischen Tradition. Ein weiterer wichtiger Trend ist die Wiederentdeckung des Werks vieler Philosophinnen, deren Beiträge bisher nicht anerkannt wurden.
- Sie leisten einen Beitrag zur Philosophie mit neuen Ansätzen zu bestehenden Fragen, aber auch mit neuen Fragen und Forschungsfeldern im Lichte ihrer kritischen Auseinandersetzung mit der philosophischen Tradition und ihrer Beschäftigung mit dem Geschlecht.
Die feministische Philosophie existierte bereits vor dem 20. Jahrhundert, wurde aber erst im Zusammenhang mit dem Diskurs der zweiten Welle des Feminismus in den 1960er und 1970er Jahren als solche bezeichnet. Viele Theorien der zweiten Welle konzentrierten sich in erster Linie auf die Gleichstellung der Geschlechter am Arbeitsplatz und im Bildungswesen.
Bereiche
In der zeitgenössischen philosophischen Landschaft spielen Frauen eine wichtige Rolle. Besonders aktiv sind sie in den Bereichen Ethik, Wissenschaftsphilosophie, feministische Theorie und Erkenntnistheorie.
Es ist ein Klischee, dass sich alle Philosophinnen mit dem Feminismus befassen würden. Die meisten zeitgenössischen Philosophinnen spezialisieren sich auf einen Bereich der Philosophie: Metaphysik, Erkenntnistheorie, antike Philosophie, Wissenschaftsphilosophie und so weiter.
Nur ein kleiner Teil von ihnen hat sich auf Beiträge zur feministischen Theorie konzentriert: Simone de Beauvoir, Shulamith Firestone, Sheila Rowbowtham, Juliet Mitchell und die französischen Poststrukturalisten, darunter Helene Cixous. De Beauvoir wird nachgesagt, mit ihrem Werk die philosophischen Grundlagen des Feminismus gelegt zu haben.
Auch die deutsche Philosophin Hannah Arendt war für die feministische Philosophie von großer Bedeutung, obwohl sie sich selbst nicht einmal als Philosophin verstand. Nach ihrer Flucht vor den Nazis veröffentlichte sie „Die Ursprünge des Totalitarismus“, ein Buch über das Verhältnis zwischen Staat und Individuum, das auch die Aufmerksamkeit der Frauenbewegung auf sich zog.
Die Belgierin Luce Irigaray ist eine führende Autorin des französischen Feminismus und der kontinentalen Philosophie. Sie ist eine interdisziplinäre Denkerin, die auf den Gebieten der Philosophie, der Psychoanalyse und der Linguistik arbeitet.
Philosophinnen
- Victoria Lady Welby (1837-1912), britische Philosophin und Sprachtheoretikerin. Sie wurde als Begründerin der "Signifik" bekannt: einer semiotischen Studie über Sprache und menschliches Verständnis.
- E. E. Constance Jones (1848-1922), britische Philosophin an der Universität Cambridge und eine Kollegin von Bertrand Russell und G.E. Moore. Ihre Beiträge liegen auf den Gebieten der Metaphysik, der Ethik und insbesondere der Logik.
- Charlotte Perkins Gilman (1860-1935), eine amerikanische Feministin. Ihr bekanntestes Werk ist die autobiographische Kurzgeschichte „Die gelbe Tapete“, die sie nach einer heftigen Depression, gefolgt von Wahnvorstellungen, schrieb.
- Lou Salome (1861-1937) war eine deutsch-russische Psychoanalytikerin und Schriftstellerin.
- Mary Whiton Calkins (1863-1930), US-amerikanische Philosophin und Psychologin, deren Arbeiten die Theorie und Forschung zu Gedächtnis, Träumen und dem Selbst prägten.
- L. Susan Stebbing (1885-1943), britische Philosophin (Analytischen Philosophie) und die erste Frau, die einen Lehrstuhl für Philosophie im Vereinigten Königreich innehatte,.
- Edith Stein (1891-1942), eine deutsch-jüdische Philosophin, die zum Katholizismus konvertierte und eine Nonne der Karmeliterinnen wurde.
- Gerda Walther (1897-1977) eine deutsche Philosophin und Parapsychologin und Vertreterin der phänomenologischen Bewegung.
- Ayn Rand (1905-1982), eine in Russland geborene amerikanische Schriftstellerin, Philosophin und Atheistin. Sie ist bekannt für ihre Belletristik (u.a. „Atlas wirft die Welt ab“) und für die Entwicklung eines philosophischen Systems, das sie Objektivismus nannte.
- Hannah Arendt (1906-1975), eine deutsch-amerikanische jüdische Philosophin und politische Denkerin, die vor dem Nationalsozialismus und der Judenverfolgung aus Deutschland floh und sich insbesondere mit totalitären politischen Systemen auseinandersetzte.
- Simone de Beauvoir (1908-1986), ine französische existenzialistische Philosophin, Schriftstellerin, Gesellschaftstheoretikerin und feministische Aktivistin.
- Simone Weil (1909-1943), eine französische Philosophin, Mystikerin und politische Aktivistin.
- Dorothy Smith (1926–2022), in Kanada lebende Soziologin, Mitbegründerin der feministischen Standpunkttheorie
- Luce Irigaray (* 1930), eine in Belgien geborene französische Feministin, Philosophin und Linguistin, die den Gebrauch und Missbrauch von Sprache in Bezug auf Frauen untersucht.
- Hélène Cixous (* 1937, Algerien), französische Schriftstellerin, Frauenrechtlerin und Poststrukturalistin.
- Julia Kristeva (* 1941), eine französische Sprachwissenschaftlerin, Psychoanalytikerin, Schriftstellerin, Philosophin und Feministin bulgarischer Abstammung.
- Donna Haraway (* 1944), US-amerikanische Naturwissenschaftshistorikerin und Frauenforscherin.
- Martha Nussbaum (* 1947), eine US-amerikanische Philosophin, die sich besonders für die antike Philosophie, Rechtsphilosophie und Ethik interessiert.
- Patricia Hill Collins (* 1948), eine US-amerikanische Soziologin die überwiegend zur sozialen Stellung afroamerikanischer Frauen forscht und publiziert. Ihr Buch „Black feminist thought“ gilt als Standardwerk.
- Seyla Benhabib (* 1950, Türkei), US-amerikanische Professorin für Politische Theorie und Politische Philosophie.
- Judith Butler (* 1956), eine US-amerikanische Philosophin und eine Hauptvertreterin des dekonstruktiven Feminismus. Sie war an der Entwicklung der Queer-Theory beteiligt (u.a. „Das Unbehagen der Geschlechter“).
- Elizabeth Anderson (* 1959), eine amerikanische Philosophin die sich auf politische Philosophie, Ethik und feministische Philosophie spezialisierte.
Einordnung
Nach der Zeit der Denunziation der Phallokratie (Macht) und des Patriarchats (soziale Struktur) öffnet diese Disziplin das Feld für ein Denken über das weibliche Wesen (nicht ausgrenzend, da es eine angepasste Beziehung zu seinem Partner induziert).
Die konstruktive Kritik stützt sich auf eine Analyse der Grundlage des jüdisch-christlichen Denkens der westlichen Zivilisation, das, indem es Platon festhielt und ihn durch die Arbeiten der Patrologie wieder aufnahm, eine Abwertung der Hälfte der Menschheit entwickelte und die weibliche Figur auf eine Rolle als gute Ehefrau (Figur der Eva), Mutter ihrer Kinder (Figur der Maria) und gute Kirchgängerin (Hagiographien der Heiligen) degradierte.
Abgesehen von diesen drei Identifikationen entstand aus dieser Konvergenz philosophischer Ideen kein Konzept zur Beschreibung der Weiblichkeit.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte eine ent-körperte Vorstellung der Frau, die von dem Patriarchat wieder vereinnahmt wurde, die Darstellungsmuster auf die des "Mutterlandes" (Nationalhymne von Mauritius) zurückgeführt, um den kriegerischen Nationalismus zu verherrlichen. Die Allegorien in der Malerei wurden immer zahlreicher, bis sie schließlich ermüdeten.
Im 20. Jahrhundert kam es zu einer intellektuellen Revolte von Feministinnen in Europa und Nordamerika. Die Zivilgesellschaft der letzten vierzig Jahre erbt diese Arbeiten.
Literatur
- Ursula I. Meyer: Einführung in die feministische Philosophie. 3., überarbeitete Auflage. Ein-Fach, Aachen 2004, ISBN 3-928089-37-4 (2. Auflage: dtv 1997, ISBN 3-423-30635-1).
- Herta Nagl-Docekal: Feministische Philosophie: Ergebnisse, Probleme, Perspektiven. 2. Auflage. Fischer, Frankfurt/M. 2001, ISBN 3-486-56082-4, ISBN 3-7029-0387-9.
- Luisa Muraro: Die symbolische Ordnung der Mutter. Rüsselsheim: Göttert, 2006, ISBN 3-922499-79-1.
- Annegret Stopczyk: Nein danke, ich denke selber: Philosophieren aus weiblicher Sicht. Aufbau, Berlin 2000, ISBN 3-7466-8046-8.
- Bettina Schmitz: Der dritte Feminismus: Denkwege jenseits der Geschlechtergrenzen. Ein-Fach, Aachen 2007, ISBN 978-3-928089-45-6.
- Halina Bendkowski, Brigitte Weisshaupt (Hrsg.) Was Philosophinnen denken. 1. Band. Ammann, Zürich 1983, ISBN 3-250-10012-9.
- Manon Andreas-Grisebach, Brigitte Weisshaupt (Hrsg.) Was Philosophinnen denken. 2. Band. Ammann, Zürich 1986, ISBN 3-250-01017-0.
- Robin May Schott: Discovering Feminist Philosophy. Rowman & Littlefield, Lanham 2003 (englisch).
- Miranda Fricker, Jennifer Hornsby: Feminism in Philosophy. Cambridge University Press, Cambridge 2000 (englisch).