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Derrida und die Politik |
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Derrida und die Politik Derrida hat mehrfach den politischen Charakter der dekonstruktivistischen Praxis herausgestrichen: "Die Dekonstruktion ist nicht neutral", versicherte er. Andererseits ist nie deutlich geworden, welcher politische Ansatz dabei eine Rolle spielt. Zwar haben Derridas politisch "codierbaren" Stellungnahmen - zu Themen wie Neokolonialismus, Frauenbewegung und Apartheid - gezeigt, daß er generell auf der "progressiven" Seite steht. Aber die Leser sind sich nicht einig darüber, welcher allgemeine po-litische Standpunkte diese Stellungnahmen widerspiegeln. Dabei kann Derridas politische Theorie nicht zu Rate gezogen werden, denn eine solche gibt es nicht. Thomas McCarthy, ein exzellenter Kenner der Kritischen Theorie und Philosophieprofessor an der Northwester University in Evanston zeigt in seinem Aufsatz Die Politik des Unsagbaren, in: McCarthy, T.: Ideale und Illusionen. Dekonstruktion und Rekonstruktion in der kritischen Theorie, 360 S., Ln., DM 68.--, 1993, Suhrkamp, Frankfurt daß dies kein Zufall ist. Eine im Sinne Derridas verstandene "Radikalität der Dekonstruktion" treibt unerbittlich in die Richtung des Unsagbaren treibt. Das mag bei der Metaphysik einen gewißen Sinn haben, im Bericht der Moral und Politik ist es von großem Nachteil. Dabei wechselt der Ton, in dem Derrida über die Politik der Dekonstruktion spricht. Gegen Ende der sechziger Jahre ist er apokalyptisch, mitunter gar revolutionär. In späteren Texten kommt ein Ton geduldigen Widerstands gegen die letztlich nicht zu erschlagende Hydra des abendländischen Logozentrismus hinzu. Die Dekonstruktion kann uns nicht ein für allemal von den für den abendländischen Rationalismus grundlegenden Begriffen befreien, sie kann nur auf das Ziel hinarbeiten, diese Begriffe zu "verändern", um auf diese Weise neue Konfigurationen zu erzeugen. In den achtziger Jahren wird der Ton ausdrücklich antiapokalyptisch: Die Dekonstruktion ist weder prophetisch noch visionär, sie verkündet weder ein unmittelbar bevorstehendes Ende noch einen neuen Aufbruch, obwohl sie Derrida sogar als neue Form von Aufklärung bezeichnet. Wenn Derrida in dieser Weise spricht, geht es bei der Dekonstruktion nicht um den Verzicht auf "das Prinzip der Vernunft", sondern darum, "seine Bedeutung, seinen Ursprung, seine Zielsetzung, seine Grenzen" zu erfragen. Die Dekonstruktion stellt sich nicht gegen die klassische Logik, sondern fordert einen anderen Diskurs, der Aufschluß gibt über "diese Logik und ihre Möglichkeiten". Durch alle diese Wechsel hindurch ist Derridas Darstellung der Destruktion jedoch in ihren Hauptzügen konstant geblieben. Sie beinhaltet eine radikale Dezentrierung des Subjekts im Verhältnis zur Sprache. Da der Zeichengebrauch stets von weitgehend unbewußten Beziehungen abhängt und da sich diese Beziehungen in gesellschaftlichen Räumen und geschichtlichen Zeiten entfalten, werden wir nie ganz Herr dessen, was wir sagen. Das Gewebe der Beziehungen und Differenzen hinterläßt in jedem Signifikanten unausbleiblich seine Spur. Deshalb können wir niemals schlichte Eindeutigkeit der Bedeutung zustande bringen. Jenseits einer jeden anwesenden Bedeutung liegt das abwesende, unausgesprochene, ungedachte, ja weitgehend unbegriffene Netz der Bedingungen, Voraussetzungen und Vermittlungsinstanzen, von denen sie abhängig ist. Die Philosophie versteht Derrida als eine Art von Schrift, die wesentlich darauf basiert, daß all dies abgestritten wird, und die versucht, die Wurzeln der Bedeutungen aus dem "relationellen und differentiellen Gewebe", in das sie immer verflochten ist, herauszureißen. Während ihrer ganzen Geschichte hat die Philosophie ein Werkzeug nach dem anderen ausprobiert, um das Spiel der "différence" zur Erstarrung zu bringen: ideale eindeutige Bedeutungen, ein letzter Bezugsgegenstand, klare und distinkte Ideen im seiner selbst bewußten und durchsichtigen Geist, absolutes Wissen, das logische Wesen der Sprache usw. Die Philosophie kann ihr Medium jedoch nicht transzendieren. Der Anspruch, dies geleistet zu haben, stützt sich immer darauf, daß das, was den der Bewegung der "différance" aufoktroyierten Verständlichkeitsrastern entrinnt, außer acht gelassen oder an den Rand gedrängt wurde. Diese Unterdrückung dessen, was nicht paßt, zeitigt unweigerlich ihre Wirkungen in Gestalt der Paradoxien, der inneren Widersprüche und der systematischen Inkohärenzen, die zutage zu fördern der dekonstruktivistischen Analyse obliegt. Das Ziel, das diese Analyse dabei verfolgt, ist es, die Illusion einer "reinen Vernunft", ihre eigenen Bedingungen unter Kontrolle zu bringen und den Traum vom endgültigen Erfassen der Grundbedeutungen und Basiswahrheiten unaufhörlich zu untergraben. Sie beginnt mit der Destruierung und, wenn nicht Zerschlagung, so doch der Dekonstruktion aller Bedeutungen, deren Ursprung in der Bedeutung des Logos liegt. Das gilt besonders für die Wahrheit. Wie aber kann diese Dekonstruktion vollbracht werden, ohne sich auf eben diese Bedeutungen, einschließlich die der Wahrheit, zu stützen? Derrida reagiert auf dieses Dilemma mit seiner "doppelten Geste", mit seiner Verbindung von Elementen einer internen und einer externen Kritik. Die erste versucht, das "Implizite in den grundlegenden Begriffen und in der ursprünglichen Problematik" gegen eben diese Begriffe zu wenden, die zweite beinhaltet einen diskontinuierlichen Wechsel des Standortes, bei dem man sich außerhalb dieser Begriffe und dieser Fragestellung einrichtet. Die erste Taktik ist also die der internen Kritik, die der philosophischen Tradition, in der jede Generation von Denkern die Voraussetzungen der vorigen Generation aufdeckt und kritisiert. Um kritisch von dem aufs Korn genommenen System zu profitieren, kann die Destruktion die für dieses System grundlegenden Begriffe nicht einfach ausrangieren, sondern sie muß diese Begriffe "verschieben" oder "transformieren". Der Kunstgriff besteht darin, die etablierten begrifflichen Gegensätze und Hierarchien durch geduldige Analyse umzustürzen, während man gleichzeitig neue Begriffe von etwas auftauchen läßt, "was sich in der vorangegangenen Ordnung nicht mehr verstehen läßt, ja sich niemals verstehen hat lassen". Wie steht es um diese Methoden, wenn es um Fragen der Politik und Moral geht? Ist es so, wie Nancy Fraser meint, daß die Politik der Dekonstruktion auf wenig mehr hinausläuft als die Dekonstruktion der Politik? Dekonstruieren heißt, wie Derrida darlegt, ererbte Begriffe und Schemata "destabilisieren", "entwurzeln" und "umstoßen", sie "gegen ihre eigenen Voraussetzungen wenden". Allerdings kann man sich, wie McCarthy einwendet, bei der Organisation des sozialen Lebens nicht an die Demontage von Götzenbildern (wie in der Metaphysik) halten. Entsprechend hat man Derrida vorgeworfen, daß er im Hinblick auf positive ethisch-politische Vorschläge wenig zu bieten habe. Als schlechtes Gewissen eines imperialistischen Logozentrismus spricht die Dekonstruktion im Namen dessen, was sich nicht in unsere Schemata fügt, und tritt geduldig dafür ein, den Andern in seiner Andersheit nicht zu behindern. Aber damit kann der Dekonstruktivist nicht dafür sorgen, daß der Andere seine Stimme erhebt. Die Undifferenziertheit der Logozentrismuskritik des Dekonstruktivismus beraubt diesen jeglicher Sprache, in der das gelingen könnte. Derridas Taktik kommt McCarthy wie der Versuch vor, sich auf beiden Seiten eines Zauns zugleich aufzuhalten. Derrida, so kritisiert er, beraubt sich selbst der Mittel, die er benötigt, um am politisch-philosophischen Diskurs teilzunehmen. Aufgrund seiner abschätzigen Beurteilung der empirischen und normativen Gesellschaftsanalyse ist es unwahrscheinlich, daß wir mehr von ihm zu hören bekommen als ungefähre Hinweise auf unsere Mißstände und die Mittel zu ihrer möglichen Besserung. Eine allgemeine Erinnerung an die zahllosen Formen der Gewalt, die den Marsch des Universellen durch die Geschichte begleitet haben, ist keine ausreichende Basis für eine Umstrukturierung der Politik und der Gesellschaft. Es ist reine Romantik, wollte man annehmen, die Entwurzelung und Destabilisierung universalistischer Strukturen führe von sich aus dazu, daß der intolerante und aggressive Partikularismus vermieden und der Andere respektiert und in Freiheit unbehelligt gelassen wird. Die normativen Implikationen von Derridas Ansatz sind nicht weniger problematisch als die methodologischen. "Keine Politik ohne différance" proklamiert er. Genausogut, so McCarthy, könnte man sagen: Keine Politik ohne Sprache. Es liegt jedoch auf der Hand, daß uns diese Versicherung in keine bestimmte Richtung weist, während Derrida behauptet, die différance weise uns in die Richtung der Demokratie. Allerdings fügt er eilends hinzu, es handle sich dabei um eine "Demokratie, die erst noch kommen muß". Hinzu kommt: Die Entwertung von Verfahrensweisen schafft ein Vakuum, das in ganz anderer Weise ausgefüllt werden kann, z.B. durch Heideggers Ruf nach Unterwerfung unter eine nicht näher bestimmte Autorität. |
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