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Fake News sind als scheinbare Nachrichten getarnte Desinformationen, die über Websites, soziale Medien und traditionelle Medien verbreitet werden, um Profit zu machen oder die öffentliche Meinung zu beeinflussen (Propaganda).

Entwicklung

In der englischsprachigen Welt wurde der Begriff "Fake News" zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu einer regelmäßigen Verbindung, zunächst zur Bezeichnung von satirischen Medienrubriken mit völlig erfundenen "Nachrichten" (Hoaxes), wie The Onion, The Daily Show und The Pin. Der Inhalt solcher Rubriken ähnelt den Fake News, die in vielen Ländern als 1. April-Hoaxes veröffentlicht werden.

Ab 2016 hat sich der Begriff in verschiedenen Übersetzungen nach den US-Präsidentschaftswahlen international durchgesetzt: Mit erfundenen Berichten über beide Kandidaten wurden angeblich viele Wähler falsch informiert und so der Wahlausgang beeinflusst.

Eine Definition von Fake News, die sowohl von The Guardian als auch von NRC verwendet wird, besagt, dass es sich um komplett erfundene Geschichten handelt, die als Berichterstattung präsentiert werden. Diese Definition erfasst bis zu einem gewissen Grad satirische "Nachrichten", lässt aber eine Unterscheidung zwischen Fake News und anderen Formen des schlechten Journalismus, wie z. B. Übertreibungen oder das Erfinden zusätzlicher "Fakten" zu realen Ereignissen, offen.

Der Begriff "Fake News" wurde auch von Präsident Trump und anderen Vertretern der amerikanischen Rechten als Kampfbegriff gegen die ihrer Meinung nach feindseligen Nachrichtenmedien verwendet. Einigen Journalisten zufolge hat dies die Bedeutung des Begriffs überstrapaziert; andere machen für die Beliebtheit des Begriffs die Art und Weise verantwortlich, in der die Medien Vorfälle rund um den Präsidenten auf Kosten echter politischer Nachrichten vorschnell verherrlichen. Seine Verwendung eines festen Begriffs zur Diskreditierung unerwünschter Berichterstattung wurde mit dem Begriff "Lügenpresse" verglichen, den die Nazis in ihrer Propagandastrategie verwendeten.

Falschinformationen zur COVID-19-Pandemie, auch als „Corona-Mythen“ oder „Corona-Lügen“ bezeichnet, werden seit dem Ausbruch der Krankheit verbreitet. Sie umfassen Falschmeldungen, Fake News, pseudowissenschaftliche Gesundheitstipps, Desinformation und Verschwörungstheorien zu allen Aspekten der Krankheit.

Erhebungen

Soziale Medien werden oft als Katalysator genannt. Untersuchungen der Northwestern University ergaben, dass 2017 30 % der Fake News im Vergleich zu 8 % der tatsächlichen Nachrichten mit der Verbreitung über Facebook in Verbindung gebracht wurden.

Eine Studie von 126.000 Posts zwischen 2006 und 2017 ergab, dass sich Fake News bis zu sechsmal schneller verbreiten als "echte" Nachrichten, dass sie aber meist von Menschen und weniger von Bots verbreitet werden.

Kontext

Der zeitgenössische Philosoph Rafael Capurro, der ebenfalls ein anerkannter Experte für Informationswissenschaften einschließlich der ethischen Aspekte ist, hat in seinem lesenswerten Beitrag Digital Ethics (2009) mit Recht darauf hingewiesen, dass sich die digitale Ethik – ein neuer Zweig der Angewandten Ethik - mit den sozio-politischen und moralischen Auswirkungen von digitalen Informationen und Kommunikationstechnologien auf unsere Gesellschaft befasst. Gemäss der Standarddefinition versteht man unter Digitalisierung im Allgemeinen einen Transformationsprozess von Informationen. Was früher in physischer Form vorlag, liegt nach dem Prozess in einem digitalen – d.h. von einem Computer lesbaren – Format vor. Zum Beispiel: Vormals das gedruckte Buch und der auf Papier geschriebene Brief, nunmehr das E-Book und die E-Mail. Die Digitalisierung der Gesellschaft erfolgt nicht nur im Kontext der Internet of Things (IoT) und der digitalen Plattformen wie Facebook, Instagram, Airbnb, Uber und Co, sondern auch vor dem Hintergrund von Künstlicher Intelligenz mit Blick auf autonomes Fahren, biometrischer Daten zur Identifikation von Personen und der sogenannten virtuellen Realität (Google Glass, Second Life etc.). Darüber hinaus gibt es bereits Transformationsprozesse auf staatlicher Ebene, die den E-Staat vorbereiten sollen, wie man am besten am Beispiel von Estland erkennen kann. Hier ist die Digitalisierung der staatlichen Institutionen, Abläufe und Partizipation der Bürger am meisten fortgeschritten. Dies alles hat nicht nur positive Folgen, sondern birgt ebenfalls erhebliche Gefahren, die das reibungslose Funktionieren einer Gesellschaft gefährden kann.

Ein nicht unerheblicher Teil der neuen Technologien basiert auf einer fünfteiligen Stufenfolge: (1.) Das Verhalten der Menschen wird möglichst umfänglich beobachtet, was (2.) dazu führt, dass eine beträchtliche Datenmenge gesammelt wird. Im (3.) Schritt werden die gesammelten Daten entweder selbst genutzt oder gewinnbringend an andere Unternehmen verkauft. Die Daten werden im (4.) Schritt so aufbereitet, dass man das Verhalten der Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit vorherbestimmen kann, um im (5.) Schritt in der Lage zu sein, ihr Verhalten zu beeinflussen und zu steuern. Der letzte Schritt beinhaltet zum einen die Programmierung von individualisierter Werbung[i] und zum anderen bietet es den staatlichen Institutionen und kommerzielle Unternehmen die Möglichkeit, Menschen zu manipulieren und zu kontrollieren.[ii] Am Anfang einer jeden Technologie steht vermutlich das Ziel, die individuelle Autonomie des Menschen positiv zu erweitern, wobei sich unsere Gesellschaft nunmehr dahingehend entwickelt hat, dass der Nutzer entweder durch einen staatlichen oder kommerziellen Paternalismus bestimmt wird.

Das Problem von Fake News und Verschwörungstheorien im Kontext der Coronakrise entfaltet sich genau vor diesem Hintergrund wie man unter anderem am Beispiel von Brasilien[iii] deutlich erkennen kann. Fake News – verstanden als die absichtliche Verbreitung von Desinformationen und Falschmeldungen - sind keine moderne Erfindung, sondern so alt wie die Menschheit selbst. Auf Grund der globalen Vernetzung und Digitalisierung im Rahmen der neuen Medien sind die negativen Auswirkungen von Fake News, die sich extrem schnell via Facebook, Twitter und YouTube über das Internet verbreiten und viele Millionen – teils Milliarden – Menschen erreichen, jedoch viel wirkmächtiger als zuvor und können damit einen echten demokratiegefährdenden Charakter annehmen. Diese Situation können wir derzeit mit Blick auf die Coronakrise deutlich erkennen. Es gibt zumindest zwei substantielle Berührungspunkte zwischen der Coronapandemie und Fake News, die wir im Folgenden etwas genauer in den Blick nehmen wollen: Zum einen geht es um die individuelle Ebene und zum anderen um die gesellschaftliche Ebene.

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!‘ ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“ (Kant 1784: 481)

Die Mündigkeit des Menschen, so Kant, zeichnet sich unter anderem darin aus, dass er selbstbestimmt und eigenverantwortlich handelt, indem er sich von der Meinung anderer unabhängig macht. Das gedankenlose Übernehmen anderer Positionen ist moralisch gesehen nicht nur im hohen Maße problematisch, sondern widerspricht dem Wesen der Aufklärung. Fake News und Verschwörungstheorien greifen vor allem dort am besten, wo Menschen aufgegeben haben, sich ihres „eigenen Verstandes zu bedienen“. Damit ist nicht gesagt, dass wir Menschen immer und alles in Frage stellen sollen. Diese extreme solipsistische Position wäre aus pragmatischer Sicht weder zu empfehlen noch umsetzbar. Mein Vorschlag ist lediglich ein Aufruf dazu, dass wir als Mitglieder einer aufgeklärten modernen Gesellschaft die Kompetenz haben müssen, wann wir mit Blick auf welche Inhalte vorsichtig sein sollten. Ohne Zweifel bietet hier die Philosophie mit Blick auf das kritische Denken die beste Möglichkeit dazu. Die staatliche Erziehung des Menschen sollte sich also ebenfalls daran orientieren und Raum für das Fach Philosophie im Bildungskanon fest - und für alle verbindlich - verankern. Eine aufgeklärte Gemeinschaft ist nur so aufgeklärt, wie ihre Mitglieder es sind. Der beste Schutz gegen Vorurteile, Fake News und Verschwörungstheorien bietet das aufgeklärte Denken.

Anmerkungen:
[i] Ein Phänomen, das durch booking.com bekannt sein sollte.
[ii] Der Skandal mit Blick auf Facebook-Cambridge-Analytica zeigt deutlich, dass die Weitergabe von persönlichen Daten von Usern an andere Unternehmen erhebliche gesellschaftliche Konsequenzen haben kann. In 2018 kam heraus, dass die weitergegebenen Daten erfolgreich dazu benutzt worden sind, um in 2016 die Präsidentschaftswahlen in den USA zu Gunsten von Donald Trump zu beeinflussen.
[iii] vgl. den Beitrag Brazil coronavirus: 'Our biggest problem is fake news' von Pablo Uchoa vom 20. Mai 2020 (https://www.bbc.com/news/world-latin-america-52739734, angeschaut 07.11.2020).

Quelle: John-Stewart Gordon: Bemerkungen zum Verhältnis von Corona und Fake News