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Studia leibnitiana

studia leibnitiana
1/2005

In der Sekundärliteratur hält sich die Ansicht, dass Leibniz um 1700 ein überzeugter Idealist war, der allein an die Realität der Geister und ihrer Ideen glaubte. Glenn A. Hartz und Catherine Wilson zeigen in ihrem Beitrag „Ideas und Animals: The Hard Problem of Leibnizian Metaphysics“, dass diese Behauptung auf Grund einer historischen Interpretation unzureichend ist. Obwohl Leibniz zu der Überzeugung gelangt war, dass wirkliche „Atome“ der Natur keine Ausdehnung hätten, war er sein Leben lang auf die Geistesunabhängigkeit lebender Kreaturen festgelegt, die Idealismus ausschließt.

HansJürgen Hess geht der Frage nach, wie Leibniz zu seinem mathematischem Ruhm gelangt ist. Danach waren es mehrere Faktoren, die ihm zu seinem Durchbruch verhalfen. Zum einen traten kongeniale Mathematiker wie die Basler Brüder Bernoulli auf, die von dem leibnizschen Calculus begeistert waren und mit ihm versuchten, immer schwierigere Aufgaben einer Lösung zuzuführen. Zum anderen brachte Leibniz seine mathematischen Entdeckungen in Zusammenhang mit anderen Bereichen, so der Geometrie und der auf dem Vormarsch befindlichen Physik und konnte dafür ein weiteres Gelehrtenpublikum interessieren. Der dritte Faktor war schließlich das Aufkommen der Fachzeitschriften als neues Medium, das Leibniz geschickt zu nutzen verstand.


2/2005

Das mit einer Verspätung von drei Jahren erschienene Heft bringt den Entwurf eines Aufsatzes des verstorbenen Phänomenologen Karl Schuhmann, der sich in dessen Nachlass fand und der für die „studia leibnitiana“ bestimmt war. Schuhmann berichtet über zwei Briefe von Leibniz, die dieser an Hobbes sandte: der eine kam nicht an und den anderen sandte Leibniz erst gar nicht ab. Schade, sagt Schuhmann, hätte doch ein Briefwechsel zwischen den beiden „einer der Höhepunkte der philosophischen Diskussion des 17. Jahrhunderts werden können“. Den ersten Brief schrieb Leibniz in Eile, er hatte die Texte von Hobbes nicht zur Hand sondern argumentierte aus der Erinnerung an deren Lektüre. Das hatte zur Folge, dass die Bemerkungen von Leibniz, vor allem wenn sie ins Detail gingen, nicht immer zutrafen.
Zeitgenossen von Herder sahen zwischen Herder und Leibniz eine Wesensverwandt schaft und sprachen die Vermutung aus, dass Herder bei seinen Äusserungen über Leibniz zum Teil selbst charakterisiert hatte. Wie Günter Arnold, HerderForscher am Goethe und SchillerArchiv Weimar, zeigt, taucht der Name Leibniz fast jedes Jahr in Herders Schriften auf, angefangen von der Königsberger Studienzeit bis ins letzte Lebensjahr und Leibniz ist damit einer der meistgenannten Personen im Herderschen Oeuvre. Dennoch ist das Thema in der Sekundärliteratur noch kaum untersucht.

Lloyd Strickland (Lancaster) geht den Behauptungen nach, Leibniz’ Biologie sei seiner Zeit voraus gewesen, kommt aber zum gegenteiligen Schluss: Leibniz’ Ansichten zur Biologie fallen nicht aus dem Rahmen des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts heraus.

1/2006/2007

Die Studia leibnitiana sind mit ihrem Erscheinen im Rückstand; um dies aufzuholen, werden die Jahrgänge 2006/2007 zu einem Doppeljahrgang zusammengefasst.

 

Das Erscheinen der Briefedition des philosophischen Nachlasses in der Akademie-Aus­gabe lässt manches Bekannte von Leibniz in einem neuen Licht erscheinen. Heinrich Schepers, einer der besten Leibniz-Kenner, zeigt anhand dieser Ausgabe, dass Leibniz‘ Theorie über Raum und Zeit ihren Grund hat im Handeln der sich selbst konstituierenden einfachen Substanzen und zwar sowohl derjenigen, die zur Existenz kommen, als auch derjenigen, die in der Möglichkeit verbleiben.

 

Für Leibniz sind Raum und Zeit nichts anderes als die Ordnungen, in denen die Dinge stehen. Diese Dinge bilden die Gesamtheit alles widerspruchsfrei Denkbaren überhaupt und nicht allein die Gesamtheit der Monaden und der Aggregate von ihnen. Soweit diese widerspruchsfrei Denkbaren sich vertragen, sind sie gruppenweise miteinander in derselben Welt. Innerhalb einer solchen Gruppe verändern sie sich. Das bedeutet, sie verändern ihren Zustand, nämlich die Gesamtheit der jeweils aktualen Prädikate so, dass sie mit jeder Änderung unmittelbar in einen kontradiktorischen Zustand übergehen, aber auch so, dass sie dabei weder ihre Identität noch ihre Kompatibilität verlieren.

 

Mit der Bestimmung, dass jeder Zustand den Grund für nicht nur für einen anderen, sondern sogar für alle späteren Zustände bildet und seinerseits selbst auch begründet ist, besteht eine volle gegenseitige Abhängigkeit aller Träger dieser Zustände innerhalb jeder der von ihnen gebildeten möglichen Welten. Leibniz beruft sich traditionsgemäß auf Gottes Intellekt, der alle diese Möglichkeiten denkt und in sich beherbergt, ohne auch nur eine auszulassen. Leibniz zählt dabei die Möglichkeiten ebenso wie die notwendigen Wahrheiten zu dem, was Gottes Verstand ausmacht. Für Scheper ist das ein Superkonzeptualismus: Gott kann nicht anders denken als gemäß den notwendigen Wahrheiten, und Gott kann nicht anderes denken als die Possibilität in ihrer Gesamtheit. Ersteres bestimmt die Form, letzteres den Inhalt seines Verstandes. Diese Possibilien denkt Gott als in steter Entwicklung begriffene Substanzen, die ihre sie von allen anderen unterscheidende Individualität auch durch ihr eigenes  Handeln selbst konstituieren.

Leibniz hat diese seine Metaphysik weitgehend geheim gehalten, vor allem aus Furcht, falsch verstanden zu werden oder sogar auf den Index verbotener Bücher gesetzt zu werden.

 

Margherita Palumbo stellt die Privatbibliothek von Leibniz vor, und Konrad Moll zeigt, dass sich Erhard Weigel (1625-1699) mit seinem Werk philosophia mathematica in die apologetische Front gegen den zeitgemäßen Atheismus einreihen wollte. Er steht damit in einer Phalanx, deren philosophische und enzyklopädische Weiterentwicklung ihren Gipfel mit Leibniz erreichen sollte. Weigel ging es dabei um den Aufweis Gottes als des unbegrenzten Wesens, des Ens infinitum. Er sieht diesen Aufweis leistbar vermittels eines mathematischen Denkens,  welche die den Menschen erleuchtende, aufklärende Wahrheit aus der Vielfältigkeit des von Gott Bewirkten in nachrechnender Reflexion ableitet. Weigel wollte sich mit seinem Werk der Gelehrtenwelt als kraftvoller Mitstreiter vorstellen und wollte es deshalb 1692 der Londoner Royal Society persönlich überreichen. Aber das misslang: Kreuzende Piratenschiffe und Schneestürme verhinderten die Überfahrt nach England.

Weitere Beiträge: Andraut, R.: Leibniz et les iatromecaniens; Leduc, Christian: Le commentaire leibnizien du De veriis principiis de Nizolius.

 

Heft 2,  2006/2007

 

Die „studia leibnitiana“ sind zwar mit ihrem Erscheinungstermin drei Jahre im Rückstand, doch das hindert die „European Science Foundation“ nicht, sie mit zusammen mit den Kant-Studien zu den zwei besten im deutschen Sprachraum erscheinenden Zeitschriften zu zählen. Der Grund ist der, dass die Leibniz-Forschung wie kaum ein zweites philosophisches Unternehmen international angelegt ist.

 

Christopher Johns (Chicago) zeigt, dass Leibniz‘ praktische Philosophie auf die     deontologischen Kategorien von Recht und Verpflichtung gegründet ist. Henrik Lagerlund (London, Ontario) und Peter Myrdal (Uppsala) zeigen, wie verschieden der Be­griff der möglichen Welten bei Leibniz von demjenigen der gegenwärtigen Semantik ist. Paul Lodge (Oxford) und Stephen Puryear (Raleigh) kritisieren ein Argument, das Dennis Plaisted hinsichtlich der Existenz einfacher Begriffe gegen Leibniz vorgebracht hat. Der als Diagonal-Paradox bekannte Beweis von Leibniz zeigt, dass ein Kontinuum nicht aus Punkten besteht. Nun haben mehrere  unter Rückgriff auf Cantors Mengenlehre und seiner Lehre von den Kardinalzahlen zu zeigen versucht, dass dieser Beweis nicht stichhaltig ist. Elad Lison (Ramat Gan, Israel) argumentiert nun, dass dieser Gegenbeweis scheitert.

 

Leibniz behauptet zum einen, dass es rational ist, vorauszusetzen, dass eine gegebene Handlung gerecht ist. Dies steht nun in Widerspruch zu einer anderen Behauptung von Leibniz, dass das, was vorausgesetzt wird, einfacher ist als sein Gegenteil. Andreas Blank (Paderborn) zeigt nun, dass Voraussetzungen auf der ontologischen Ebene eine oft übersehene Rolle für die Präsumtion der Gerechtigkeit einer Handlung spielen, und auf dieser Ebene löst sich der (scheinbare) Widerstand auf. Manfred Wilde (Delitzsch) stellt einen unbekannten Korrespondenten von Leibniz vor, den Arzt Johann Caspar Westphal (1649-1722) aus Delitzsch.