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Polylog

polylog
Zeitschrift für interkulturelles
Philosophieren

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Das Heft geht den „Formen des Philosophierens“ in den verschiedenen Kulturen nach. Denn, so der indische Philosoph Ananad Amaladass, wenn Philosophie Sinndeutung der Wirklichkeit ist, dann müssen verschiedene Formen der Kommunikation, wie sie von verschiedenen Denkern verwendet werden, akzeptiert werden. Aber es braucht eine spezielle Ausbildung um den Typ von Sprache und Begriffe, die in einem speziellen Kontext präzise definiert sind, zu verstehen. Ein Mythos kann durchaus ein Weg des Philosophierens sein. Beispielsweise wird der grundlegende Konflikt zwischen Gut und Böse am besten durch einen Mythos ausgedrückt, und dies kann oftmals in der Theaterform des Dramas geschehen. Heinz Kimmerle plädiert dafür, dass die afrikanischen Sprachen von den afrikanischen Philosophen so viel wie möglich benutzt und genutzt werden sollten, damit die spezifischen afrikanischen Inhalte und Methoden im internationalen philosophischen Diskurs deutlichere Konturen gewinnen. Damit würden gegenüber der europäischwestlichen Philosophie neue Perspektiven eröffnet, wie die menschliche Person zu denken ist.

Rolf Elberfeld entwickelt die Idee einer „transformativen Phänomenologie“ anhand von ausgewählten Beispielen im ostasiatischen Raum. Dabei geht es darum, durch die ostasiatischen Vorgehensweisen die Textpragmatik der Phänomenologie zu thematisieren und zu radikalisieren. Texte und Gesprochenes werden dabei zu Übungsspuren der Selbst und Welterklärung. Sprechen der Sprache in dieser Form der phänomenologischen Arbeit ist für Elberfeld eine Einübung in das jeweilige Phänomen. Und: „Über diese Einübung hinaus gibt es nichts zu erreichen.“

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„Gibt es Maßstäbe für kulturelle Entwicklung aus interkulturellen Begegnungen der Philosophie?“ fragt der Wiener Franz Martin Wimmer, einer der Hauptvertreter der deutschsprachigen interkulturellen Philosophie. Eine Entwicklung einer Kultur findet für ihn dort statt, wo etwas aus sich selbst heraus sich verändert und zwar so, dass Späteres auf Möglichkeiten und Tendenzen aufbaut, die im Früheren angelegt sind. Weder Eingriffe von „außen“ noch Selbstbestimmung (Selbstbestimmung war historisch gesehen in den wenigsten Fällen ein Merkmal kultureller Entwicklung) sind ausreichende Maßstäbe kultureller Entwicklung. In der französischen Aufklärung sah man in der Natur den Maßstab, was bis in die Zivilisations und Modernisierungstheorien wirkte und später unter dem Namen Universalismus von der Postmoderne zerzaust wurde.
Wimmer plädiert stattdessen für eine Kommunikationspraxis, die auf andere Art von Universalität zielt und die er „Polyloge“ nennt. Dabei werden die kulturellen Welten übersetzt und in dem sie sich gegenseitig übersetzen, wird Universalität erzeugt. Damit werden für die Fragen der Kulturentwicklung alle kulturellen Traditionen und nicht nur die sogenannten Hochkulturen zuständig.

„Fallstricke“ in der Praxis interkultureller Philosophie untersucht Bertold Bernreuter, der in Mexiko Philosophie unterrichtet. Bei einem interkulturellen Dialog sollte die Zusammensetzung der Teilnehmer nach einem fairen Verfahren bestimmt werden, etwa durch offene Ausschreibung mit einer anonymisierten Auswahl der Beiträge durch ein Gremium. Ein Fallstrick ist die Sprache, Vertreter einzelner Kulturen sprechen meist die „falsche“, d.h. keine vorgesehene Kongresssprache und können deshalb nur unzureichend das ausdrücken, was sie ausdrücken wollen. Wichtig ist für Bernreuter deshalb die Aufgabe der Übersetzung der fremden
Idee in die eigene Gedankenwelt. Weiter dürfen, damit ein Verständnis zustande kommt, die Unterschiede zwischen den Teilnehmern nicht zu groß sein. Oft sind die Teilnehmer auch zu scheu, unbequeme An und Einsichten auszusprechen, das Verbalisieren eines Dissens ist jedoch für ein Verständnis produktiver als ein Verschweigen von Konflikten, zumal ein Konsens einem universalistischen Anspruch der Philosophie verhaftet ist. Ein Konsens entsteht oft auch dadurch, dass die Teilnehmer einen ähnlichen Bildungshintergrund haben und in Gefahr sind, die plurale Verfasstheit der eigenen Kultur auszublenden. Individuelle Meinungen werden oft als kollektive ausgegeben, in einem interkulturellen Gespräch kann aber erstrangig jeder nur für sich selbst sprechen.
Weitere Artikel sind dem Thema „Gerechter Krieg“ gewidmet, mit der Übersetzung eines Textes von Michael Walzer, einer völkerrechtlichen Standortbestimmung und Beiträge aus arabischer und indischer Sicht.

17/2007

„Philosophie im Islam“ ist das Thema des ersten Heftes des Jahres 2007: Was ist aus der großen islamischen Philosophie des Mittelalters geworden? Was sind die Themen in der Philosophie im islamischen Raum? Dabei geht es den Herausgebern darum, Philosophen und Philosophinnen aus islamischen Ländern zu Wort kommen zu lassen. Allerdings wurde von diesen die Leitfrage, wie in den Ländern mit einer staatlich sanktionierten Dominanz des Islam die Situation der Philosophie gegenwärtig sei, nicht beantwortet. „Vielleicht haben wir die Frage falsch gestellt“, meinen die Herausgeber, vielleicht haben die Autoren einfach Angst vor staatlichen Sanktionen. Denn, so wieder die Herausgeber, wird doch in diesen Ländern „Philosophie sowohl in religiösen wie auch in politischen Machtkreisen als störendes Element“ empfunden. So fehlt die Philosophie beispielsweise in SaudiArabien sowohl auf akademischer wie auch auf Schulbildungsebene.

Mohamed Turki, Professor für Philosophie in Tunis, stellt den im deutschsprachigen Raum unbekannten, vor zwei Jahren verstorbenen palästinensischen Philosophen Hisham Sharabi vor. Dieser hatte die Frage untersucht, warum aufklärerisches Denken im Islam keine Chance hatte und dadurch der Anschluss der arabischen Welt an die Moderne verhindert wurde. Sharabi hatte dies auf zwei dominierende Systeme zurückgeführt: Das Patriarchat als eine autoritäre, männlich bestimmte Gesell¬schafts¬form mit bestimmten Werten und damit verbundenen Mustern der Praxis. Hinzu kommt die von ihm als Neopatriarchat bezeichnete Machtstruktur, die für eine ökonomische Modernisierung sorgt und gleichzeitig eine Veränderung der Herr¬schaftsmechanismen verhindert. Das hat zur Folge, dass die islamische Welt eine ver¬zerrte Gestalt der Moderne zeigt: Sie bedient sich je nach Sachlage der Tradition oder des Modernismus. Dadurch wird den arabischen Völkern der Zugang zu einer Entwicklung zur Moderne versperrt. Sharabi forderte eine umfassende „zivilisatorische Kritik der realen Verhältnisse in der arabischen Gesellschaft der Gegenwart“.

Sari Hanafi, Professor an der American University in Beirut, untersucht angesichts des Streites um die dänischen Karikaturen die zunehmende Polarisierung. Er sieht als Ursache dieses Streites nicht die kulturelle Differenz, sondern die kulturelle Hegemonie des Spätkapitalismus und die Frage, wie man Universalismus definieren kann. Mit der amerikanischen Hegemonie wird Liberalismus, Handelsfreiheit und Krieg gegen den Terror in ein kohärentes Bündel geschnürt, das der ganzen Welt gewaltsam aufgezwungen wird. Deshalb ist für Hanafi das Problem nicht das der Dichotomie zwischen orientalischen und westlichen Werten, sondern einer Dichotomie zwischen Werten und Machtstrukturen und bei dem Karikaturenstreit einer Instrumentalisierung dieser Werte.

Zerrin Kurtoglu von der Universität in Izmir weist auf die Unterscheidung zwischen islamischer Philosophie als philosophischvernunftmäßige Begründung der Offenbarung des Islams und philosophischen Bemühungen, die auf dem Boden des Islams erfolgen, hin. Ersteres ist für ihn aber keine Philosophie, sondern Theologie, allenfalls Mystik. Viele islamische Gelehrte, die sich in diesem Sinne als Philosophen verstehen, versuchen zu ihren authentischen religiösen Wurzeln zurückzukehren und das Wissen zu islamisieren. Für Kurtoglu bezeichnet Philosophie dagegen eine Tradition, welche in platonischer und aristotelischer Manier als Wahrheitssuche unter der Leitung mensch¬licher Wahrheit definiert ist.

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Das Heft hat „Weltzivilgesellschaft“ zum Thema und wie immer eine internationale Autorschaft. Marlies Glasius, Herausgebe1rin des Global Civil Society Yearbook und Research Fellow am Centre for the Study of Global Governance, legt dar. wie man derzeit das Verhältnis zwischen Demokratie, Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit auf globaler Ebene theoretisiert. Dabei ist den Autoren gemeinsam, dass sie „Weltzivilgesellschaft“ und „globale Öffentlichkeit“ entweder als eine existierende Realität verwenden oder als ein erreichbares Ideal. Glasius macht darauf aufmerksam, dass eine funktionierende Öffentlichkeit bedeutet, allen Stimmen gleichermaßen die Möglichkeit zu geben, sich Gehör zu schaffen und dass eine Öffentlichkeit von ihren Akteuren die Bereitschaft verlangt, spezifische Regeln und ein gewisses Maß an Respekt zu respektieren. Es genügt also keineswegs, dass jeder herumgehen und seine Meinung frei und gleich äußern darf: Demokratie muss auch etwas mit Regeln der Entscheidungsfindung zu tun haben. Glasius kritisiert dabei die Konzeption von Habermas, wo die Öffentlichkeit lediglich als Informations und Diskursfeld firmiert. Er sieht jedoch wichtige Schritte in die richtige Richtung und denkt dabei an die vielen zivilgesellschaftlichen Initiativen und NGOs, die in den letzten Jahren entstanden sind.
Skeptisch gegenüber diesen NGOs ist hingegen der Politikwissenschaftler Dario Azzellini, ein Sozialist der alten Schule. Denn NGOs werden zunehmend für die Sache der Regierungen instrumentalisiert. Auch gegenüber dem Begriff der „Zivilgesellschaft“ ist Azzellini skeptisch: dass wundersame an dem Begriff ist, dass alle zu wissen glauben, welche Bedeutung er hat, ohne dass jedoch eine allgemein geteilte Bedeutung für ihn vorhanden ist. Azzelini vermutet, dass er von vielen, die ihn verwenden, in voller Absicht derart nebulös belassen wird. Schließlich umgibt ihn die Aura des Positiven – wer kann schon gegen „Gesellschaft“ seín?

Für Ali Paya, der sowohl in England wie auch im Iran lehrt, ist die Einrichtung lokaler Modelle von Zivilgesellschaft eine Vorbedingung für eine funktionierende globale Zivilgesellschaft. In der islamischen Gesellschaft sieht er akute Formen einer Identitätskrise, die durch die Begegnung mit der modernen westlichen Zivilisation in den letzten Jahrzehnten entstanden ist. Unter islamischen Intellektuellen ist der Begriff der Zivilgesellschaft auf unterschiedliche Reaktionen gestoßen: Die einen halten ihn für unvereinbar mit islamischen Ansichten, da er zu einem ungezügelten Relativismus und moralischer Dekadenz führe. Andere hingegen verteidigen eine islamische Zivilgesellschaft und sehen darin eine Möglichkeit, dass auch Muslime an einer globalen Zivilgesellschaft teilhaben. Ali Paya tritt für einen Mittelweg für islamische Gesellschaften ein, für eine für rationale Kritik offene, aber moralisch geprägte islamische Zivilgesellschaft.

Oliver Marchant, Lehrbeauftragter in Wien führt aus, die Verkürzung des Politischen auf das Juridische und Institutionelle habe zu einer Unterbewertung der politischen wie demokratisierenden Funktion von Protest in der Weltzivilgesellschaft geführt. Allzu oft wird die Idee der demokratischen Ordnung auf die Rechtsordnung reduziert und damit wird Demokratie vordringlich zu einer Angelegenheit institutioneller Verrechtlichung. Für Habermas etwa, so der Vorwurf Marchants, besteht die Lösung aller Probleme in einer zunehmenden Verrechtlichung der Weltordnung. Dabei werden aber jene Formen globaler Gegenmacht, wie sie globale soziale Bewegungen repräsentieren, nicht angemessen erfasst. Zwar mögen die Aktionen nichtstaatlicher Akteure keine rechtsetzende Gewalt haben oder gar als illegitim betrachtet werden, aber sie arbeiten an einer Verschiebung der Parameter des Legitimen und des Illegitimen. Der Kampf um die Hegemonie im diskursiven Feld der Weltzivilgesellschaft besteht in einem langwierigen Prozess der Verschiebung diskursiver Gewichtsverhältnisse.